Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2018 - 3 StR 571/17
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. März 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Dr. Berg, Hoch, Dr. Leplow als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten D. M. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die durch dieses Rechtsmittel entstandenen Kosten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
Insoweit fallen die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten D. M. , B. M. , G. und M. M. entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten D. M. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Besitz von Betäubungsmit- teln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung einer weiteren Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; zudem hat es bestimmt, dass ein Jahr und neun Monate der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind, und einen Betrag von 4.400 € eingezogen. Die Angeklag- ten B. M. , G. und M. M. hat es wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (B. M. ), zwei Jahren (G. ) und einem Jahr (M. M. ) verurteilt, deren Vollstreckung es jeweils zur Bewährung ausgesetzt hat. Den Angeklagten B. hat das Landgericht vom Vorwurf der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen.
- 2
- Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen, mit denen sie sich gegen den Freispruch des Angeklagten B. wendet und die hinsichtlich der Angeklagten B. M. , G. und M. M. auf den Strafausspruch und hinsichtlich des Angeklagten D. M. weiter auf den Ausspruch der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beschränkt sind, die Verletzung materiellen Rechts. Hinsichtlich des Angeklagten B. hat die Revision Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet.
- 3
- I. Der Freispruch des Angeklagten B. im Fall II.1. der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
- 4
- 1. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts veräußerte der Angeklagte D. M. an den gesondert verfolgten Bu. 953,4 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 102 g THC für 4.400 €. Im Vorfeld der Übergabe des Rauschgifts auf einem Werkstattgelände fuhren die Angeklagten B. und D. M. in dessen Pkw Opel Antara zu einem Drogenbunker, aus dem D. M. das in einer undurchsichtigen Folie verpackte Rauschgift holte und in einem Geheimfach, das er in der Mulde des Ersatzrades des Fahrzeuges hatte einbauen lassen, versteckte. Der Angeklagte B. , der das Fahrzeug führte, kannte das Geheimversteck im Pkw des Angeklagten. Nach Ankunft am Übergabeort half er dem Angeklagten D. M. beim Öffnen des erst nach Umklappen der Rücksitze und dem Betätigen eines am Beifahrersitz eingebauten Seilzuges zugänglichen Geheimfachs. Dabei sah er das Folienpäckchen, das unmittelbar darauf an den Käufer übergeben wurde. Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte B. Kenntnis von dem Drogengeschäft hatte und den Angeklagten D. M. dabei unterstützen wollte.
- 5
- 2. Der Freispruch beruht auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.
- 6
- a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht, an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (BGH, Urteile vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04 , NJW 2005, 2322, 2326; vom 18. September 2008 - 3 StR 296/08, juris Rn. 4) oder die Beweise nicht erschöpfend würdigt (BGH, Urteile vom 21. November 2006- 1 StR 392/06, juris Rn. 13; vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn es an der Auseinandersetzung mit einem für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkt, der geeignet ist, das Beweisergebnis zu beeinflussen, fehlt und dessen Erörterung sich aufdrängt (vgl. KK-Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 82 mwN; BGH, Urteile vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06, juris Rn. 24; vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, juris Rn. 8).
- 7
- b) So liegt es hier. Das Landgericht hat nicht alle von ihm festgestellten, den Angeklagten potentiell belastenden Indiztatsachen, die einen Schluss auf dessen Gehilfenvorsatz erlauben, in seine Beweiswürdigung einbezogen. Es hat als gegen den Angeklagten sprechend lediglich erwogen, dass die konspirativen Umstände der Übergabe des Rauschgifts an den Käufer auf dem Werkstattgelände , die Art der Verpackung des Betäubungsmittelpakets, die auf seinen Inhalt schließen ließ, sowie die fehlende Nachfrage des Angeklagten nach dem Inhalt des Pakets bei dem Mitangeklagten, als er es mit diesem dem Versteck in dem Pkw entnahm, auf eine Kenntnis von dem Betäubungsmittelgeschäft des Mitangeklagten hindeuten könnten. Einen daraus zu ziehenden Schluss auf einen Gehilfenvorsatz des Angeklagten hat es sodann aber für "keineswegs zwingend" erachtet und sich an der Verurteilung des Angeklagten gehindert gesehen, weil nicht festzustellen sei, dass der Angeklagte den Drogenbunker "in seiner Funktion" gekannt und das Verbringen des Marihuanas aus dem Drogenbunker in das Versteck im Pkw selbst beobachtet habe. Dabei hat es jedoch nicht erwogen, dass schon die gemeinsame Fahrt mit dem Mitangeklagten zu dem Drogenbunker, die Kenntnis von dem in den Pkw eingebauten Versteck und das "zielgerichtet und eingespielt" wirkende Öffnen des nur schwer zugänglichen Verstecks auf dem Werkstattgelände ebenfalls dafür sprechen können, dass der Angeklagte in das Gesamtgeschehen eingeweiht war. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich dem Urteil kein Anhalt dafür entnehmen lässt, der Angeklagte könne sich nach der Fahrt zum Drogenbunker von dem Fahrzeug entfernt und der Mitangeklagte außer Sichtweite des Angeklagten das Rauschgift von dem Bunker in das Versteck verbracht haben. Der Zweifelssatz gebietet nicht, insoweit zugunsten des Angeklagten einen Sachverhalt zu unterstellen, für den es nach dem Beweisergebnis keinen Anknüpfungspunkt gibt und der eher fernliegt, nur weil es für die Vorgänge an dem Drogenbunker keinen unmittelbaren beweismäßigen Beleg gibt. Hinzu kommt, dass - entgegen missverständlicher Formulierungen im Urteil - Beihilfe auch mit Eventualvorsatz geleistet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2011 - 3 StR 420/10, juris Rn. 13).
- 8
- 3. Die Sache bedarf deshalb insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
- 9
- II. Die weitergehenden - wirksam auf den Maßregelausspruch bezüglich des Angeklagten D. M. und auf die Strafzumessung betreffend die Angeklagten M. und B. M. sowie G. beschränkten - Revisionen der Staatsanwaltschaft sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung u.a. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft ist. Eines näheren Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Aufklärungsrügen bedarf es somit nicht.
I.
- 2
- 1. In der (im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren beruhenden) unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 12. Juli 2010 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, dass er bei der Behandlung der Nebenklägerin in mindestens acht Fällen gegen deren Willen aus sexuellen Gründen mit seinem Finger in deren Vaginalbereich eingedrungen sei. Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich nicht von seiner Schuld zu überzeugen vermocht. Hinsichtlich des Sachverhalts konnte es lediglich folgende Feststellungen treffen:
- 3
- In der Zeit von August bis November 2009 begab sich die damals 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen ihres Heuschnupfens mindestens fünf Mal in die Behandlung des als Heilpraktiker tätigen Angeklagten. Dieser war ihr persönlich bekannt, da sie bei dessen Tochter eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvierte. Zur Behandlung des Heuschnupfens führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin jeweils zunächst eine Eigenblutbehandlung durch, bei der er ihr das zuvor entnommene Blut in ihren Gesäßmuskel spritzte und die Einstichstelle mit einer schmerzstillenden Salbe massierte. Anschließend nahm er noch eine Lymphdrainage vor, bei der er die Lymphknoten mit einem Massagegerät abtastete.
- 4
- Mitte bzw. Ende November 2009 kam es wegen häufiger Krankmeldungen zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Tochter des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin ihren Ausbildungsplatz vorzeitig kündigte.
- 5
- In einem Brief vom 13. Januar 2010 schrieb der Angeklagte der Nebenklägerin Folgendes: „Meine Liebe Jenni. Beginnend möchte ich dich bitten, dass dieser Brief nur uns beide betrifft !!!! Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht mehr hier haben kann. (…) Ich hoffe, dass die Zuneigung zu dir nicht der Grund deiner Kündi- gung gewesen ist. (…) Bitte (…) mach keine trotz Aktionen mit der A. (…). Ich grüße und küsse dich herzlich, bitte melde dich. PS: Wenn du mir schreiben willst, dann schreibe als Absender Apotheke R. “.
- 6
- Dieser Brief veranlasste die Nebenklägerin, zur Polizei zu gehen und gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten.
- 7
- 2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
- 8
- Die Nebenklägerin und die Zeugin G. , die einen (von der Staats- anwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten) „vergleichbaren Vorfall“ wie die Nebenklägerin geschildert habe, hätten auf die Strafkammer zwar „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht. Dennoch seien Zweifel an der Glaubhaf- tigkeit der Aussagen der beiden miteinander bekannten Zeuginnen verblieben. So habe es in der Aussage der Nebenklägerin „Unsicherheiten bzw. Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben, die auch den Kernbereich der Tatvor- würfe betreffen“, gegeben. Außerdem hätten beide Zeuginnen ein Belastungs- motiv, da sie beide mit der Tochter des Angeklagten Streit gehabt hätten.
II.
- 9
- Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 10
- 1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20).
- 11
- Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes , wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 und 9. März 2011 - 2 StR 467/10 mwN). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20, sowie BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 mwN).
- 12
- 2. Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
- 13
- a) Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. fehlt.
- 14
- Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.
- 15
- aa) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die das Landgericht als „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ bezeichnet, „die auch den Kernbereich der Tatvorwürfe betreffen“. Die Bekundungen der Ne- benklägerin zu den von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen nicht mitgeteilt. Auch ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht. Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der - im Urteil nicht weiter mitgeteilten - Aussage der Nebenklägerin zum Kern- geschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussage- konstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96).
- 16
- bb) Eine zusammenhängende Schilderung der von der Zeugin G. gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil beschränken sich auf den Hinweis, die Zeugin habe einen „vergleichbaren Vorfall“ geschildert. Weitere Einzelheiten der Aussage werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher auch in Bezug auf die Aussage der Zeugin G. nicht überprüfen, ob das Landgericht die für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, zumal das Landgericht seine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin G. mit einem Streit zwischen ihr und der Tochter des Angeklagten begründet hat, ohne hierüber nähere Einzelheiten, z.B. zur Ursache, zum genauen Zeitpunkt, zum Verlauf oder zur Intensität des Streits, mitzuteilen.
- 17
- b) Das Landgericht hat seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf „Abweichungen bzw. Unsicherheiten“ in der Aussage der Ne- benklägerin gestützt. So habe die Nebenklägerin unterschiedliche Angaben zum erstmaligen Einsatz eines Massagestabes - bei der ersten bzw. bei der zweiten Behandlung durch den Angeklagten - gemacht. Auch habe sie sich an die Anzahl der Behandlungstermine nur noch „grob“ erinnern können; zunächst habe sie von vier bis fünf, später dann von fünf bis acht Terminen gesprochen. Bei der Bewertung dieser ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Das Landgericht lässt dabei zudem auch die Einlassung des Angeklagten außer Acht, die in diesem Zusammenhang nicht wesentlich von den Angaben der Nebenklägerin abweicht. So hat der Angeklagte nicht nur angegeben, dass er die Nebenklägerin fünfmal in seiner Praxis behandelt habe, sondern auch, dass er dabei regelmäßig das Massagegerät eingesetzt habe.
- 18
- c) Aus dem Brief vom 13. Januar 2010, den der Angeklagte an die Nebenklägerin geschrieben hat und der letztlich nach den Feststellungen der Aus- löser für ihre Strafanzeige gewesen ist, konnte das Landgericht keine „zwingenden Schlüsse“ hinsichtlich der Tatvorwürfe ziehen. Diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN).
- 19
- d) Bei der Bewertung des Briefes vom 13. Januar 2010 hat sich das Landgericht zudem lediglich mit den Textstellen auseinandergesetzt, in denen der Angeklagte von seiner Zuneigung zu der Nebenklägerin spricht, sie auffordert , Trotzreaktionen zu unterlassen, und sie bittet, bei Schreiben an ihn einen falschen Absender anzugeben. Dagegen bleibt die für ein Schreiben eines Therapeuten an seine Patientin ungewöhnliche Grußformel „ich küsse dich herzlich“ unerörtert. Für eine Erörterung auch dieser Textstelle hätte hier schon deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte an anderer Stelle des Briefes seine Zuneigung zur Nebenklägerin zum Ausdruck bringt, so dass die von ihm verwendete Grußformel darauf hindeuten könnte, dass es bei der Behandlung der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen war.
- 20
- e) Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
- 21
- Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03 und 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 jew. mwN).
- 22
- Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt hier den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung schon deshalb nicht, weil die Nebenklägerin und die Zeugin G. - wie dies an mehreren Stellen des Urteils ausgeführt wird (UA S. 7, 13 und 14) - auf das Landgericht „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht haben. Der Senat kann daher nicht aus- schließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. ein geringe- res Gewicht beigemessen und sich nicht nur von der Richtigkeit ihrer Angaben, sondern letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.