Bundesgerichtshof Urteil, 10. Okt. 2006 - 1 StR 284/06

published on 10/10/2006 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 10. Okt. 2006 - 1 StR 284/06
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 284/06
vom
10. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 7. März 2006 im Ausspruch über die Maßregeln mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug von zwei Jahren der erkannten Freiheitsstrafe angeordnet. Von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer abgesehen. Dies beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten und auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision. Diese hat Erfolg. Allerdings erstreckt sich die Aufhebung auch auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Insoweit ist die Revisionsbeschränkung unwirksam.
2
Der Angeklagte wurde bereits - neben anderen geringeren Vorstrafen - vom Amtsgericht Mühldorf am Inn am 28. Februar 2002 wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Strafkammer hat gleichwohl die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB abgelehnt und zwar schon deshalb, da sie dessen formelle Voraussetzungen nicht als gegeben ansah. Die Strafkammer meint, in den Fällen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB dürfe nicht - hinsichtlich der weiteren Straftat - auf eine Vorverurteilung abgestellt werden, vielmehr müssten - mindestens - zwei Straftaten der entsprechenden Qualifikation zum Anordnungszeitpunkt zur Aburteilung anstehen. Dies entnimmt die Strafkammer dem Wortlaut der Norm. Außerdem würde sonst § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB „völlig sinnentleert, da sämtliche Fälle, die unter § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu subsumieren wären, gleichzeitig dem Satz 2 unterfielen“ , es somit für den § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB keinen gesonderten Anwendungsbereich mehr gäbe.
3
Dies entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine Strafe ist danach „verwirkt“ (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB), wenn wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im Zusammenhang mit dem Verfahren , in dem die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird (BGH NStZ 2006, 156, 158 Rdn. 5; NJW 1999, 3723, 3724; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 66 Rdn. 13 m.w.N.). Auch bei dieser am Wortlaut orientierten Auslegung sind die Anwendungsbereiche des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht völlig deckungsgleich. Satz 2 setzt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren voraus. Bei der Sichtweise des Landgerichts könnte das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB auch von Zufälligkeiten abhängen, nämlich ob - etwa je nach Arbeitsweise bei verschiedenen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaf- ten oder nach deren Abgabepraxis - eine frühere Tat bereits abgeurteilt ist oder erst gemeinsam mit der weiteren Tat angeklagt wird. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hat daher keinen Bestand.
4
Der Rechtsmangel zur Frage der Sicherungsverwahrung nötigt nicht dazu , auch den Strafausspruch aufzuheben. Insoweit ist der Umfang des Rechtsmittels wirksam beschränkt. Denn zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281; NJW 1996, 3018, 3019 [insoweit in BGHSt 42, 191, nicht abgedruckt]; NStE Nr. 17 zu § 344 StPO). Der Senat kann auch im vorliegenden Fall ausschließen, dass die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung der Maßregel beeinflusst war.
5
Anders ist dies hier hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu bewerten. Zwar kann bei einer Revision , die sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung richtet, im Grundsatz nicht nur der Strafausspruch, sondern auch eine angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wirksam von der Anfechtung ausgenommen werden (vgl. BGH - Senat - NStZ 2000, 587, 588). Im vorliegenden Fall ist jedoch ein möglicher innerer Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmen nicht von vorneherein völlig auszuschließen, zumal die Strafkammer - anders als in der zitierten Entscheidung - schon die formellen Voraussetzungen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt und damit keine Gelegenheit gefunden hat, sich mit den materiellen Voraussetzungen einer Unterbringung - in der Sicherungsverwahrung sachverständig beraten - auseinanderzusetzen. Insoweit erweist sich die Beschränkung der Revision daher als unwirksam. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird ebenfalls aufgehoben, um dem Landgericht so Gelegenheit zu geben, die Voraussetzungen beider Maßregeln gemeinsam aufgrund widerspruchsfreier aktueller Feststellungen hierzu zu prüfen (zu den Voraussetzungen des Absehens von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung - sofern die Voraussetzungen dazu im Übrigen gegeben sind - im Hinblick eine angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vgl. BGH aaO). Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf
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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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Annotations

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.