Bundesgerichtshof Urteil, 24. Mai 2018 - 4 StR 643/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:240518U4STR643.17.0
bei uns veröffentlicht am24.05.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 643/17
vom
24. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:240518U4STR643.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Mai 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin, Dr. Feilcke, Dr. Paul als beisitzende Richter,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –, Erster Staatsanwalt – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 11. Juli 2017 wird verworfen.
Jedoch wird das vorgenannte Urteil im Schuldspruch klarstellend wie folgt neu gefasst: Der Angeklagte ist des sexuellen Übergriffs, exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und des tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften schuldig; im Übrigen ist er freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“, wegen exhibitionistischer Handlungen in 43 Fällen und wegen tateinheitlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich die Beschwerdeführerin ausschließlich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der unter anderem wegen zweier Sexualstraftaten vorbestrafte, bis August 2012 in Haft bzw. im Maßregelvollzug befindliche Angeklagte – 1994 wurde er wegen einer im Jahr 1993 begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und mit räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und 2004 wegen einer im Jahr 2003 begangenen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt – war im Internet auf Videos aufmerksam geworden, in denen Männer in Zügen masturbierten und dabei mit ihren Mobiltelefonen sich selbst und weibliche Fahrgäste filmten. Er beschloss, solche Videos als Mittel zu seiner sexuellen Stimulation selbst anzufertigen. Zwischen Januar 2014 und November 2016 befuhr er nach dem Erwerb einer Tagesfahrkarte zumeist samstags mehrere Stunden lang mit Regionalzügen die Strecke zwischen H. und D. in beide Richtungen.
4
Am späten Abend des 30. April 2016 filmte er eine Frau, die auf einer Sitzbank des Zuges lag und schlief, wobei ihr Kopf auf einer Armlehne ruhte. Der Angeklagte stellte sich neben sie und manipulierte dabei an seinem entblößten erigierten Penis. Sodann strich er ihr mit seinem Penis durch die Haare. Als sich die Frau daraufhin im Schlaf durch die Haare fuhr, wobei es nicht zu einer Berührung des Geschlechtsteils des Angeklagten kam, entfernte er sich. Einige Minuten später kehrte er zurück und manipulierte erneut neben dem Kopf der schlafenden Frau an seinem entblößten erigierten Penis, ohne dass eine Berührung der Schlafenden stattfand. Weder sie selbst noch andere Fahrgäste nahmen die Handlungen des Angeklagten wahr.
5
In 43 weiteren Fällen im vorgenannten Tatzeitraum setzte sich der Angeklagte im Zug in die Nähe weiblicher Fahrgäste, jeweils nicht mehr als zwei Meter von ihnen entfernt. Er begann, die Frauen zu filmen, und masturbierte hierbei ; dies wurde jeweils von den betroffenen Frauen wahrgenommen, die sich hierdurch belästigt fühlten.
6
Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 2. Dezember 2016 wurden auf zwei Computern insgesamt 15 kinderpornographische und 31 jugendpornographische Bilddateien sichergestellt, die der Angeklagte dort abgelegt hatte.
7
2. Das Landgericht hat für die Tat des „sexuellen Missbrauchs Wider- standsunfähiger“ eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahrenund drei Monaten, für die 43 Fälle exhibitionistischer Handlungen Einzelfreiheitsstrafen von jeweils neun Monaten und für den tateinheitlichen Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt.
8
Sachverständig beraten hat es von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 StGB abgesehen. Die formellen Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) und b), Nr. 2 und Nr. 3 StGB lägen ebenso vor wie ein Hang des Angeklagten, Straftaten zu begehen, jedoch sei dieser Hang des An- geklagten nicht mehr, wie von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vorausgesetzt, auf die Begehung erheblicher Straftaten gerichtet.
9
Zwar seien vom Angeklagten vergleichbare Straftaten wie die vorliegenden zu erwarten, einschließlich derjenigen des „sexuellen Missbrauchs“, die einen als mittelschwer zu beurteilenden Fall dieses Straftatbestandes darstelle; hierbei handele es sich jedoch nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Hingegen sei die Begehung schwerwiegender Taten durch ihn – etwa Vergewaltigungen – nicht mit einer bestimmten, auf konkreten Umständen beruhenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten; eine solche Tat habe er seit dem Jahr 2003 nicht mehr begangen.

II.


10
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
11
1. Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkt.
12
a) Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Revision auf das Unterlassen einer Maßregelanordnung möglich; dies gilt auch für die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung (vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. August 2017 – 5 StR 99/17, NStZ-RR 2017, 310, 311; vom 29. November 2017 – 5 StR 446/17).
13
b) Zwischen Strafe und Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung besteht aufgrund der Zweispurigkeit des Sanktionensystems grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213; vom 1. Juli 2008 – 1 StR 183/08; vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 318 Rn. 26).
14
Etwas anderes gilt dann, wenn das Tatgericht die Höhe der Strafe von der Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung abhängig gemacht und damit Strafe und Maßregel in einen inneren, eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließenden Zusammenhang gesetzt hat (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, insofern nicht abgedruckt in NStZ-RR 2011, 172; vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707). Dies ist hier nicht der Fall.
15
2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten bestehe kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB mehr, weil die Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ – ebensowie zu erwartende vergleichbare Taten – keine erhebliche Straftat in diesem Sinne sei und schwerere Taten nicht zu erwarten seien, ist rechtsfehlerfrei begründet.
16
a) Mit ihrem Einwand, das Landgericht habe die Anlasstat zu Unrecht nicht als erheblich in diesem Sinne eingestuft und ihr deshalb rechtsfehlerhaft einen Symptomcharakter für die Gefährlichkeitsprognose abgesprochen, dringt die Beschwerdeführerin nicht durch.
17
aa) Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16; vom 27. Juli 2017 – 3 StR 196/17). Kriterien hierfür ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind. Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) bis c) StGB fallen und die – wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB – im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, wobei dieser Gesichtspunkt allein zur Annahme der Erheblichkeit allerdings nicht ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 – 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 148; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/ Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 101). Ein weiteres gewichtiges Kriterium zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB („namentlich“),wobei aber auch damit keine abschließende Festlegung verbunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38).
18
Zur Beurteilung, ob die von einem Angeklagten hangbedingt zu erwar- tenden Taten in diesem Sinne „erheblich“ sind, kann daher kein genereller Maßstab angelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, aaO, § 66 Rn. 98, 103); erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwin- digkeit ins Gewicht fallen können (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 1988 – 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Erheblichkeit 2; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240). Zudem ist im Bereich der mittleren Kriminalitätdem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, bei der Entscheidung der Frage, ob er einen Hang zu erheblichen Taten bejahen kann, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt; seine Entscheidung kann vom Revisionsgericht nur dann beanstandet werden, wenn der Tatrichter nicht alle für die Gesamtwürdigung bedeutsamen Umstände gewürdigt hat oder das Ergebnis seiner Würdigung den Rahmen des noch Vertretbaren sprengt (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, aaO; vom 27. Juli 2000 – 1 StR 263/00, NStZ 2000, 587, 588; vom 26. August 1987 – 3 StR 305/87, wistra 1988, 22, 23; vom 20. Mai 1980 – 4 StR 187/80, JZ 1980, 532).
19
bb) An diesen Grundsätzen gemessen hält die Annahme des Landgerichts , die vorliegende Anlasstat des „sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger“ stelle – ebenso wie die zu erwartenden vergleichbaren Taten – keine erhebliche Straftat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB dar, revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
20
Soweit das Landgericht zur Begründung zunächst darauf verwiesen hat, die Anlasstat und die zu erwartenden vergleichbaren Taten seien deshalb nicht erheblich, weil hierdurch dem Opfer keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden zugefügt würden, steht dieser Gesichtspunkt – für sich betrachtet – der Annahme erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB allerdings nicht entgegen. Denn das Gesetz hat, wie bereits ausgeführt, mit den Worten, dass unter erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB „namentlich“ solche zu verstehen seien, „durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“, keine abschließende Festlegung vorgenommen, wann eine Straftat in diesem Sinne erheblich ist, sondern erfordert stets eine Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 – 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154 f.; vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38 f.).
21
Die Strafkammer hat jedoch eine solche Prüfung und Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Sie hat bei der Beurteilung der vom Angeklagten zu erwartenden Taten nicht etwa einseitig nur auf mögliche Tatfolgen – ausgehend von der geringen Folge bei der vorliegenden Anlasstat – abgestellt. Vielmehr hat sie auch das konkrete Erscheinungsbild der Tat und ihre Begehungsweise in den Blick genommen. So hat sie darauf verwiesen, dass diese Tat nur wenige Sekunden andauerte. Darüber hinaus hat sie berücksichtigt , dass die Handlung zwar in Gesichtsnähe erfolgte, der Angeklagte jedoch lediglich die Haare der Geschädigten berührte, wodurch es – ohne jede Gewaltanwendung – nur zu einem geringen körperlichen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten kam.
22
Angesichts dieser Umstände ist das Landgericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB von einer sexuellen Handlung ausgegangen, die sich in ihrem Schweregrad nur unwesentlich von den dem Angeklagten im Übrigen angelasteten exhibitionistischen Handlungen – die die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht erreichen (vgl. BT-Drucks. VI/3521, S. 55; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 66 Rn. 57) – unterscheidet. Dem steht auch nicht entgegen, dass es für diese Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt hat, da diese Strafhöhe ersichtlich nicht auf die Tatschwere oder die Tatfolgen, sondern auf die Vorstrafen des Angeklagten zurückzuführen ist; für die Beurteilung der objektiven Erheblichkeit der Anlasstat kommt der strafrechtlichen Vorbelastung jedoch nur eingeschränkte Aussagekraft zu.
23
Das Landgericht hat schließlich bei seiner Beurteilung der Erheblichkeit der Anlasstat auch keinen wesentlichen Umstand unberücksichtigt gelassen und sich insbesondere mit den Vorverurteilungen des Angeklagten auseinandergesetzt. Insgesamt hält sich seine Beurteilung der Erheblichkeit dieser Tat innerhalb des dem Tatgericht insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums. Es begegnet daher keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Anlasstat nicht als ausreichendes Symptom für einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB angesehen hat.
24
b) Mit ihren weiteren Einwänden gegen die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts zeigt die Beschwerdeführerin ebenfalls keinen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils auf.
25
aa) Soweit die Staatsanwaltschaft hier zunächst beanstandet, das Landgericht habe bei der Würdigung des Angeklagten und seiner Taten das Fortbestehen seiner Persönlichkeitsstörung sowie seine Lernunwilligkeit und Therapieresistenz nicht ausreichend berücksichtigt, dringt sie hiermit nicht durch. Denn das Landgericht hat sich im angefochtenen Urteil mit diesen Umständen ausführlich auseinandergesetzt. So hat es seine Annahme, dass mit weiteren Straftaten des Angeklagten – die allerdings im Schweregrad den festgestellten Taten entsprächen – zu rechnen sei, gerade auf die Persönlichkeitsstörung und Lernunwilligkeit des Angeklagten zurückgeführt. Die von der Revisionsbegründung der Beschwerdeführerin abweichende Bewertung der Schwere der zu er- wartenden Straftaten durch das Landgericht ist jedoch, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, vertretbar und damit revisionsrechtlich nicht angreifbar.
26
bb) Auch soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, die Strafkammer habe bei der Beurteilung der Rückfallgeschwindigkeit des Angeklagten zu Unrecht zu dessen Gunsten berücksichtigt, dass die Begehung der letzten schweren Tat durch ihn mehr als dreizehn Jahre zurückliege, ohne hiervon die Zeiten seiner Strafhaft und Unterbringung im Maßregelvollzug abzuziehen, zeigt sie einen Rechtsfehler des angefochtenen Urteils damit nicht auf. Denn das Landgericht hat bei der Berücksichtigung des Zeitablaufs seit der im Jahr 2003 begangenen Tat ersichtlich sowohl die Strafhaft als auch die anschließende Unterbringung des Angeklagten im Blick gehabt; dies zeigt sich insbesondere in der Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte sei während der langjährig absolvierten Therapie in der LWL-Klinik, in der sich auch weibliche Patienten befanden , nicht durch Straftaten zu deren Nachteil auffällig geworden.
27
3. Zutreffend hat das Landgericht die Tat zu II 2 a der Urteilsgründe rechtlich nicht nach der zur Tatzeit geltenden Vorschrift des § 179 Abs. 1 StGB aF gewürdigt, sondern nach der Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in deren seit dem 10. November 2016 geltender Fassung als milderem Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB. Soweit es diese Tat gleichwohl im Schuldspruch als „sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger“ bezeichnet hat, erweist sichdies allerdings als unzutreffend, da es sich bei der verwirklichten Straftat nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF um einen „sexuellen Übergriff“ handelt (vgl. BGH, Be- schluss vom 16. Mai 2017 – 3 StR 43/17, NStZ 2018, 33, 34). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend klargestellt.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Paul

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 99/17
vom
8. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:080817U5STR99.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. August 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Prof. Dr. Mosbacher als beisitzende Richter, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt P. als Verteidiger, Rechtsanwalt Sc als Vertreter der Nebenklägerin B. , Rechtsanwältin Bo. als Vertreter der Nebenklägerin W. ,
Rechtsanwalt Si. als Vertreter der Nebenklägerin H. , Rechtsanwältin We. als Vertreterin der Nebenklägerin Sch. , Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Oktober 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein1 heit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen sexueller Nötigung in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt (Einzelstrafen : ein Jahr und drei Monate, zweimal ein Jahr und zehn Monate, zwei Jahre und vier Monate sowie zwei Jahre und zehn Monate). Mit ihrer auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der bislang unbestrafte
2
Angeklagte spätestens 2012 in den Abend- und Nachtstunden in Berlin Prenzlauer Berg unterwegs, um nach attraktiven, unbegleiteten jungen Frauen Ausschau zu halten. Er verfolgte die Frauen mit dem Ziel, sich ihrer zu bemächtigen und sie an der Scheide und den Brüsten anzufassen. Bei den nächtlichen Streifzügen brach er teilweise die Verfolgung ab. Es kam indes zu fünf Überfällen , von denen zwei Gegenstand von Anklage und Schuldspruch sind, wohingegen drei Überfälle unbekannt gebliebene junge Frauen betrafen.
Im ersten Fall warf er am 9. April 2012 gegen 5:00 Uhr morgens die von
3
einer Tanzveranstaltung heimkehrende 25-jährige Nebenklägerin Ba. rücklings zu Boden, presste seine Hand auf ihren Mund und setzte sich auf sie. Anschließend fasste er ihr bei fortdauernder Gewaltanwendung unter ihrem Kleid an die Brüste und in den Schritt, wobei er auch einen Finger in ihre Scheide einführte. Bei der Nebenklägerin traten neben einigen Abwehrverletzungen schwerwiegende und langanhaltende psychische Folgen auf.
Im zweiten Fall folgte der Angeklagte am 28. Mai 2012 nachts gegen
4
1:30 Uhr der 24-jährigen Nebenklägerin W. in den Flur ihres Wohnhauses , ergriff sie und stieß sie rücklings auf die Treppenstufen. Er warf sich auf sie, presste ihr den Mund zu und griff unter der Kleidung an die Scheide der sich heftig wehrenden Nebenklägerin. Durch die Tat wurde eine schwerwiegende Angstproblematik ausgelöst. Die Nebenklägerin musste deshalb umziehen und leidet unter Angstattacken.
5
Die zweite Tatserie begann nach Ende einer Beziehung des Angeklagten zu einer Frau im November 2015. In der Nacht zum 1. November 2015 folgte er gegen 3:00 Uhr morgens der 16-jährigen Nebenklägerin J. bis ins Treppenhaus ihres Wohnhauses. Dort hielt er ihr den Mund zu und drückte sie an die Wand. Dann griff er an die Scheide der Nebenklägerin, die aufgrund ihrer Abwehrversuche nach hinten gegen das Treppengeländer fiel und sich verletzte. Auch bei ihr sind erhebliche psychische Folgen verursacht worden.
In der Nacht zum 25. Dezember 2015 verfolgte der Angeklagte gegen
6
5:00 Uhr die 25-jährige Nebenklägerin B. , die mit der 19-jährigen Nebenklägerin H. auf dem Nachhauseweg war. Er folgte ihnen bis in die Wohnung der Nebenklägerin B. . Der Nebenklägerin H. griff er kraftvoll an die Scheide, schob sie ins Schlafzimmer, stieß sie auf den Boden und legte sich auf sie. Als die Nebenklägerin B. , die die Toilette aufgesucht hatte, hinzukam , schob er sie gegen die Zimmerwand, fixierte sie und fasste unter ihrem Slip an ihre Scheide. Da sie sich wehrte, schlug er sie mindestens dreimal ins Gesicht und versetzte ihr mehrere Boxschläge. Auch die Nebenklägerin H. war psychisch erheblich beeinträchtigt.
Am Neujahrsmorgen 2016 folgte der angetrunkene Angeklagte der
7
25 Jahre alten Nebenklägerin Sch. unbemerkt in ihren Hauseingang, drückte sie an die Wand und zu Boden. Die zierliche Nebenklägerin schlug mit dem Hinterkopf auf dem Steinboden auf. Trotz erheblicher Gegenwehr gelang es dem Angeklagten, ihren Slip wegzuschieben und sie an der Scheide zu berühren. Erst nach längerem Kampf ließ er von seinem Opfer ab, das ihn kräftig in den Finger gebissen hatte. Die psychischen Folgen dieses Überfalls waren für die Nebenklägerin Sch. gravierend.
8
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat von der Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB abgesehen. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen vor. Auch habe der Angeklagte einen Hang zur Begehung schwerer Straftaten wie der begangenen, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Jedoch erscheine die Anordnung nicht unerlässlich, weil eine Therapie des besonders therapiegeeigneten Angeklagten im Strafvollzug eine wesentliche Verminderung des von ihm ausgehenden Risikos verspreche.

II.


Die Nichtanordnung der Maßregel hält sachlich-rechtlicher Überprüfung
9
nicht stand.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Nichtanord10 nung der Maßregel beschränkt.

a) Grundsätzlich ist eine Beschränkung des Rechtsmittels auf das Unter11 lassen einer Maßregelanordnung möglich; dies gilt auch für die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung (st. Rspr., vgl. Meyer-Goßner, 60. Aufl., § 318 Rn. 23 ff. mwN).

b) Zwischen Strafe und Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung be12 steht – von Ausnahmefällen abgesehen – keine Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2008 – 1 StR 183/08 mwN). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Zwar kann die Rechtsmittelbeschränkung der Staatsanwaltschaft ausnahmsweise unwirksam sein, wenn das Gericht die Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung mit den zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges begründet und damit Strafe und Maßregel in einen
inneren Zusammenhang setzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13 mwN). Dies hat die Strafkammer vorliegend aber nicht getan, sondern wesentlich auf den – innerhalb der in derartigen Fällen nicht besonders langen Haftzeit – nach zwei Jahren zu erwartenden Therapieerfolg abgestellt.
2. Die Frage, ob nach § 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB Sicherungsverwahrung
13
anzuordnen ist, bedarf erneuter Prüfung.

a) Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen von
14
§ 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB bejaht und mit dem Sachverständigen einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit festgestellt. Dennoch hat es in Ausübung des ihm durch § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens davon abgesehen, den Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, weil eine Haltungsänderung des Angeklagten aufgrund einer Therapie zu erwarten sei. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

b) Insoweit gilt (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, vom
15
15. Oktober 2014 – 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511 f., vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 275/15, vom 28. Juni 2017 – 5 StR 8/17; je mwN): Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung
16
schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der Aburteilung (vgl. auch § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist, bleibt der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten. Soweit indes allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken , sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die in den Fällen des § 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus.

c) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Landgerichts, den
17
Angeklagten nicht in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht stützt sich entscheidend auf die vom Sachverständigen
18
geäußerte Erwartung, eine in der Sozialtherapeutischen Anstalt der Justizvollzugsanstalt Tegel vorzunehmende zweijährige Verhaltenstherapie, an die sich eine dauerhafte ambulante Fortsetzung anschließen müsse, könne die Bereitschaft des Angeklagten zur Begehung von Taten nach dem geschilderten Muster entscheidend verringern. Die positive Erfolgsaussicht der Therapie folge aus der besonders hohen Therapieeignung des Angeklagten. Zwar sei damit zu rechnen, dass die Lebensumstände nach Haftentlassung noch ungünstiger seien als zu den Tatzeiten, aufgrund der Therapie sei aber zu erwarten, dass der Angeklagte mit Frustrationen in kompetenterer Weise umzugehen gelernt habe. Auch der Umstand, dass der therapiewillige Angeklagte sich nicht mehr für rückfallgefährdet halte und deshalb noch keine vollständige Einsicht in die Notwendigkeit der vom Sachverständigen angeratenen Verhaltenstherapie habe, stehe der Prognose eines Therapieerfolgs nicht entgegen, da er aufgrund seiner Schuldgefühle für die Therapiemotivation besonders gut zu erreichen sei.
Mit diesen Ausführungen beschreibt die Strafkammer letztlich nicht mehr
19
als die Hoffnung, dass der bisher noch nicht dazu motivierte Angeklagte eine noch nicht konkret geplante zweijährige Verhaltenstherapie in der Sozialtherapeutischen Anstalt der Justizvollzugsanstalt Tegel antritt sowie erfolgreich beendet und sich anschließend in ambulante Therapie begibt. Die Bundesanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass sich dem Urteil keine konkreten Feststellungen zu der Frage entnehmen lassen, wie sicher oder wahrscheinlich die Aufnahme des Angeklagten in die entsprechende Therapieeinrichtung der genannten Justizvollzugsanstalt mit der vom Sachverständigen empfohlenen Therapie ist. Zudem hat das Landgericht bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erkennbar das Gewicht der vom Angeklagten infolge seines Hangs zu erwartenden schwerwiegenden Straftaten eingestellt, die – wie die Anlasstaten erweisen – geeignet sind, die willkürlich ausgewählten jungen Frauen namentlich seelisch schwer zu schädigen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2014 – 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511).
20
d) Sonstige Gründe, die der Anordnung von Sicherungsverwahrung zwingend entgegenstehen könnten, ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil nicht (zum anwendbaren Recht vgl. Art. 316f Abs. 1 EGStGB; zu dem – auch in Mischfällen wie dem vorliegenden – anwendbaren Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208).
3. Um dem neuen Tatgericht eine umfassende neue Prüfung der Maßre21 gel zu ermöglichen, hebt der Senat die hierzu getroffenen Feststellungen insgesamt auf, auch wenn sie hinsichtlich des Hangs und der darauf beruhenden Gefährlichkeit rechtsfehlerfrei getroffen sind.
Mutzbauer Dölp König
Berger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 446/17
vom
29. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:291117U5STR446.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. November 2017, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 16. Mai 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht und wegen eines weiteren solchen Verstoßes unter Einbeziehung der Strafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die insoweit beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich mit der Sachrüge gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der nunmehr 67 Jahre alte Angeklagte stand nach Vollverbüßung einer vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen verschiedener Sexualstraftaten seit Mitte 2014 unter Führungsaufsicht. Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer wurde er unter anderem angewiesen, keinerlei Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen oder zu beherbergen. In Kenntnis dieses Verbots nahm der Angeklagte im September 2014, nur drei Monate nach der Haftentlassung, den damals dreizehnjährigen P. mit zu sich nach Hause und trank gemeinsam mit ihm Alkohol. Er massierte den Jungen und führte anschließend den Analverkehr an ihm durch. Als der Junge sagte, dass er das nicht wolle, reagierte der Angeklagte „nicht sofort“, sondern ließ erst wenige Minuten später ab, nachdem er zum Samenerguss gekommen war.
4
Bis April 2015 sahen sich der Angeklagte und P. fast täglich in der Wohnung des Angeklagten. Für diese weiteren Treffen wurde der Angeklagte wegen 90 Verstößen gegen Weisungen der Führungsaufsicht (und wegen eines Diebstahls) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt; die Strafen aus diesem Urteil sind hier einbezogen worden. Am 15. April 2016 war der Angeklagte wieder mit P. und einem damals 12 Jahre alten Mädchen mindestens eine Stunde in seiner Wohnung.
5
Der Angeklagte ist umfangreich vorbestraft und hat über 30 Jahre Haft verbüßt. Bereits 1972 wurde er wegen Raubes und anderer Taten zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, 1984 wegen sexueller Nötigung sowie Verkehrsstraftaten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. We- gen einer Vergewaltigung erfolgte 1986 unter Einbeziehung des vorgenannten Erkenntnisses und einer weiteren Raubverurteilung eine Verurteilung zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Sämtliche Strafen wurden vollständig vollstreckt. Nach Verbüßung weiterer, teils mehrjähriger Freiheitsstrafen wegen Diebstahlstaten und Verkehrsdelikten beging der Angeklagte nur wenige Monate nach seiner letzten Entlassung Ende 1998 und Anfang 1999 unter anderem fünf Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (Analverkehr mit 12 und 13 Jahre alten Jungen, Vaginalverkehr mit einem 13 Jahre alten Mädchen) und eine Vergewaltigung. Hierfür wurde er Anfang 2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Nach Vollverbüßung und einer weiteren Verurteilung wegen Nötigung (Freiheitsstrafe ein Jahr) erfolgte Anfang 2010 die nächste Verurteilung wegen sexueller Nötigung, sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und weiterer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren; Opfer war ein 25 Jahre alter Mann. Diese Strafe verbüßte der Angeklagte bis Mitte Juni 2014 vollständig.
6
2. Bei dem Angeklagten liegt eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor, zudem ein Abhängigkeitssyndrom von Alkohol. Beides hat bei Begehung der Taten nicht zu einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB geführt. Die Erfolgsaussicht einer Behandlung der Alkoholabhängigkeit in der Entziehungsanstalt konnte die Jugendkammer angesichts der Persönlichkeitsstörung nicht feststellen.
7
3. Die Jugendkammer hat – dem Sachverständigen folgend – angenommen , dass der Angeklagte einen Hang zur Begehung von Straftaten habe. Er begehe Straftaten, wenn sich die Gelegenheit dazu biete. Es bestehe eine an- dauernde Delinquenzbereitschaft. Er „neige einfach dazu, sich kriminell zu ver- halten“ (UA S. 34). Deshalb bestehe das Risiko, dass er weiterhin straffällig werde.
8
Es fehle jedoch an der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt würden. Bei der Anlasstat sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte auf die Aufforderung des Kindes sein Verhalten alsbald beendet habe und es später nicht mehr zu Übergriffen gegenüber P. gekommen sei. Die Tat habe keine Traumatisierung des Kindes nach sich gezogen. Bei den Taten, die den letzten beiden Vorverurteilungen zugrunde gelegen hätten, sei der Angeklagte zwar gewalttätig gewesen, es gebe aber keine Steigerung von Intensität und Gefährlichkeit. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nach Haftentlassung 70 Jahre alt sein werde und „das von ihm ausgehende Gewalt- und Gefährdungspotential mutmaßlich mit zunehmendem Alter weiterhin nachlassen dürfte“ (UA S. 43).

II.


9
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
10
1. Die Revision ist wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2017 – 5 StR 99/17, NStZ-RR 2017, 310 mwN).
11
2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

12

a) Die formellen Voraussetzungen der Verhängung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB liegen vor, wie die Strafkammer zutreffend ausgeführt hat.
13
b) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine hangbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten verneint hat, erweisen sich in mehrfacher Hinsicht als unzureichend.
14
aa) Das Landgericht ist von einem falschen rechtlichen Ansatz ausgegangen , indem es seinen Blick auf die durch die Anlasstat verursachten Folgen verengt hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2017 – 5 StR 471/16). Die in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB als materielle Anordnungsvoraussetzung benannte Gefährlichkeit eines Angeklagten für die Allgemeinheit liegt vor, wenn infolge eines bei ihm bestehenden Hanges die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten nennt das Gesetz eine schwere seelische oder körperliche Schädigung der Opfer. Bezugspunkt sind demnach die wahrscheinlichen Folgen der zu erwartenden Straftaten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist mit Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden; sie wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass aufgrund der Anlasstaten solche Schäden (zufällig) nicht eingetreten sind (vgl. BGH aaO mwN). Andere Umstände, die dafür sprechen könnten, dass sich die Gefahr bei künftigen entsprechenden Taten des Angeklagten nicht realisieren werde, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
15
bb) Die Gefährlichkeitsprognose ist auch lückenhaft, weil das Landgericht nicht mitteilt, welche Straftaten konkret von dem Angeklagten zu erwarten sind. Der Sachverständige, dem das Gericht gefolgt ist, hat insoweit ausgeführt, der Angeklagte begehe Straftaten, wenn sich die Gelegenheit dazu biete. Auf Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist dieser Befund ersichtlich nicht beschränkt, wie auch die bisherigen Vorstrafen des Angeklagten belegen. Deshalb ist nicht nachvollziehbar, dass die Strafkammer bei ihrer Prognose lediglich zu erwartende Straftaten nach §§ 176, 176a StGB in den Blick nimmt. Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, bei dem Angeklagten habe sich erst in fortgeschrittenem Lebensalter eine Sexualdelinquenz entwickelt , steht zudem in Widerspruch zu der Feststellung, dass er bereits 1984 wegen einer sexuellen Nötigung und 1986 wegen einer Vergewaltigung zu erheblichen Freiheitsstrafen verurteilt werden musste.
16
cc) Soweit das Landgericht erwägt, die Gefährlichkeit des Angeklagten könne wegen seines fortgeschrittenen Alters nach Haftentlassung gesunken sein, beschreibt es angesichts der bisherigen Delinquenz nur eine theoretische Möglichkeit, die im Rahmen der Prüfung des § 66 Abs. 1 StGB nicht durchschlägt. Derartige Veränderungen sind im Verfahren nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB zu prüfen. Für die Gefährlichkeitsprognose kommt es auf den Zeitpunkt der Verurteilung an (§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Hinsichtlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung steht dem Tatgericht auch kein Ermessen zu, in dessen Rahmen eine zu erwartende Haltungsänderung oder Alterungsprozesse berücksichtigt werden könnten. Etwaige ernsthafte Erkrankungen des Angeklagten , die – wie die Revision vorträgt – nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ausgebrochen sind, wird das neue Tatgericht im Rahmen seiner Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen haben.
Schneider Dölp König
Berger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 284/06
vom
10. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 7. März 2006 im Ausspruch über die Maßregeln mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug von zwei Jahren der erkannten Freiheitsstrafe angeordnet. Von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer abgesehen. Dies beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten und auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision. Diese hat Erfolg. Allerdings erstreckt sich die Aufhebung auch auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Insoweit ist die Revisionsbeschränkung unwirksam.
2
Der Angeklagte wurde bereits - neben anderen geringeren Vorstrafen - vom Amtsgericht Mühldorf am Inn am 28. Februar 2002 wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Strafkammer hat gleichwohl die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB abgelehnt und zwar schon deshalb, da sie dessen formelle Voraussetzungen nicht als gegeben ansah. Die Strafkammer meint, in den Fällen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB dürfe nicht - hinsichtlich der weiteren Straftat - auf eine Vorverurteilung abgestellt werden, vielmehr müssten - mindestens - zwei Straftaten der entsprechenden Qualifikation zum Anordnungszeitpunkt zur Aburteilung anstehen. Dies entnimmt die Strafkammer dem Wortlaut der Norm. Außerdem würde sonst § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB „völlig sinnentleert, da sämtliche Fälle, die unter § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu subsumieren wären, gleichzeitig dem Satz 2 unterfielen“ , es somit für den § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB keinen gesonderten Anwendungsbereich mehr gäbe.
3
Dies entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine Strafe ist danach „verwirkt“ (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB), wenn wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im Zusammenhang mit dem Verfahren , in dem die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird (BGH NStZ 2006, 156, 158 Rdn. 5; NJW 1999, 3723, 3724; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 66 Rdn. 13 m.w.N.). Auch bei dieser am Wortlaut orientierten Auslegung sind die Anwendungsbereiche des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht völlig deckungsgleich. Satz 2 setzt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren voraus. Bei der Sichtweise des Landgerichts könnte das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB auch von Zufälligkeiten abhängen, nämlich ob - etwa je nach Arbeitsweise bei verschiedenen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaf- ten oder nach deren Abgabepraxis - eine frühere Tat bereits abgeurteilt ist oder erst gemeinsam mit der weiteren Tat angeklagt wird. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hat daher keinen Bestand.
4
Der Rechtsmangel zur Frage der Sicherungsverwahrung nötigt nicht dazu , auch den Strafausspruch aufzuheben. Insoweit ist der Umfang des Rechtsmittels wirksam beschränkt. Denn zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281; NJW 1996, 3018, 3019 [insoweit in BGHSt 42, 191, nicht abgedruckt]; NStE Nr. 17 zu § 344 StPO). Der Senat kann auch im vorliegenden Fall ausschließen, dass die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung der Maßregel beeinflusst war.
5
Anders ist dies hier hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu bewerten. Zwar kann bei einer Revision , die sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung richtet, im Grundsatz nicht nur der Strafausspruch, sondern auch eine angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wirksam von der Anfechtung ausgenommen werden (vgl. BGH - Senat - NStZ 2000, 587, 588). Im vorliegenden Fall ist jedoch ein möglicher innerer Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmen nicht von vorneherein völlig auszuschließen, zumal die Strafkammer - anders als in der zitierten Entscheidung - schon die formellen Voraussetzungen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt und damit keine Gelegenheit gefunden hat, sich mit den materiellen Voraussetzungen einer Unterbringung - in der Sicherungsverwahrung sachverständig beraten - auseinanderzusetzen. Insoweit erweist sich die Beschränkung der Revision daher als unwirksam. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird ebenfalls aufgehoben, um dem Landgericht so Gelegenheit zu geben, die Voraussetzungen beider Maßregeln gemeinsam aufgrund widerspruchsfreier aktueller Feststellungen hierzu zu prüfen (zu den Voraussetzungen des Absehens von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung - sofern die Voraussetzungen dazu im Übrigen gegeben sind - im Hinblick eine angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vgl. BGH aaO). Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 466/10
vom
3. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Adhäsionsklägerinnen Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landgericht abgelehnte Anordnung der Sicherungsverwahrung.
2
Eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die sich daraus ergeben könnte, dass die Revisionsbegründung nur dazu Ausführungen enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rn. 6), wäre unwirksam. Denn zwischen den ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht im vorliegenden Fall ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 318 Rn. 26).
3
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen zur Person ist der 68 Jahre alte Angeklagte mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft.
5
a) Mit Urteil vom 20. Dezember 1993 verurteilte ihn das Landgericht Hannover wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum 1981 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen seine zu den Tatzeitpunkten zwischen acht und 13 Jahre alte Tochter an der Scheide berührt sowie einen Finger in ihre Scheide eingeführt, im Frühjahr 1991 vier zwischen fünf und neun Jahre alte Mädchen an der Scheide und am Rücken gestreichelt und im Zeitraum von Sommer 1992 bis 17. Juni 1993 ein acht Jahre altes Mädchen im Scheidenbereich gestreichelt und geküsst hatte. Am 30. Juni 1995 wurde er unter Aussetzung eines Strafrestes von 360 Tagen zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
6
b) Am 16. März 1999 sprach das Landgericht Hannover den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 30 Fällen schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 ein sechs Jahre altes Mädchen am ganzen Körper gewaschen, sein erigiertes Glied zwischen dessen Schenkel gesteckt und es veranlasst, sein Glied anzufassen. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde er am 13. August 2002 aus der Strafhaft entlassen.
7
2. Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen berührte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 31. Dezember 2006 in seiner Wohnung in H. die am 12. Mai 1995 geborene S. mindestens bei fünf Gelegenheiten an der Scheide und leckte sie in einem weiteren Fall an der Scheide (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Außerdem küsste er die am 7. Mai 2001 geborene E. bei zwei Gelegenheiten in den Sommerferien 2008 in seinem auf einem Campingplatz in C. abgestellten Wohnmobil im Scheidenbereich (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe).
8
3. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen der einschlägigen Vorstrafen, der Verbüßung von Freiheitsstrafen in der Gesamthöhe von sechs Jahren und sechs Monaten, dem langen Tatzeitraum, der Anzahl der Fälle, der Tatmodalitäten sowie der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten abgelehnt, ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat aus fünf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 1 bis 5 der Urteilsgründe) und drei Einzelstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (Fälle 6 bis 8 der Urteilsgründe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
9
Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung lägen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. P. sei ein Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bejahen. Diagnostisch sei bei ihm eine Pädophilie mit einer Orientierung auf präpubertäre Mädchen gegeben. Es fehle bei ihm an einer intensiven Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Die Hartnäckigkeit seiner Delinquenz stehe in einem engen Zusammenhang mit seinen narzisstischen , hochgradig egozentrischen sowie zwanghaften Persönlichkeitszügen, seiner fehlenden Selbstkritik, einem ausgeprägten Empathiemangel, seinem erheblichen manipulativen Geschick sowie einer verzerrten Realitätserfahrung. Diese Besonderheiten der Persönlichkeit erschwerten eine nachhaltige Veränderung. Ein sozialer Raum, der ihn nach Entlassung aus der Strafhaft von gleichartigen Straftaten abhalten könnte, sei nicht gegeben. Da der Angeklagte eine hohe persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zeige, seine auf präpubertäre Mädchen ausgerichteten erotisch-sexuellen Interessen auszuleben, seien von ihm in der Zukunft gleichartige und erhebliche Straftaten durch gewaltfreies, manipulatives Verhalten innerhalb zuvor aufgebauter Beziehungen zu erwarten, sodass er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine durchgeführte Prostataoperation und das fortgeschrittene Alter könnten bei ihm nicht als wesentlich die Rückfallgefahr mindernde Umstände gewertet werden.
10
Die nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffende Ermessensentscheidung führe jedoch im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen sei. Es sei zu erwarten, dass sich der Angeklagte, der über eine gut durch- schnittliche Intelligenz verfüge, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hinreichend zur Warnung dienen lasse. Er habe seine Bereitschaft zur Durchführung einer längerfristigen Gruppentherapie erklärt und erkannt, dass er bei einer weiteren vergleichbaren Tat eine Freiheitsstrafe zu erwarten habe, die ihn wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Rest seines Lebens in Strafhaft bringe, und er zudem mit der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechnen müsse, um deren Nichtverhängung er gekämpft und die er nur knapp vermieden habe. Vor diesem Hintergrund werde der Umstand relativiert, dass er bereits zwei Tatkomplexe mit nachfolgender mehrjähriger Strafhaft unbeeindruckt überstanden habe. Hinzu komme, dass ihn die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen seines fortgeschrittenen Alters erheblich schwerer und länger treffen werde als die bisher verbüßten Strafen. Deshalb sei vom Beginn einer Änderung seines Bewusstseins und von einer ersten Bewegung in seiner bisher starren Haltung auszugehen, die sein weiteres Verhalten bestimmen werden. Die erklärte Therapiebereitschaft sei nicht als "prozesstaktisches Verhalten" zu werten, sondern als ein Bemühen, sich mit der Neigung zum Kindesmissbrauch kritisch auseinander zu setzen. Auch die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und das Anerkenntnis der Schmerzensgeldforderungen belegten die erforderliche substantielle Änderung in der Lebenseinstellung. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass die Anlasstaten nicht von hoher Intensität seien und nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, wodurch eine weitergehende intensive Kontrolle und Betreuung mit dem Ziel der Risikovermeidung erreicht werden könne.
11
4. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
12
a) Gemäß Artikel 316e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGStGB sind für die Entscheidung die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden.
13
b) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473, 474), um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen.
14
Für die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3; BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31). Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401).
15
c) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
Eine Erwartung, der langjährige Freiheitsentzug und das hohe Lebensalter des Angeklagten würden die erforderliche substantielle Änderung in seiner Lebenseinstellung und Lebensführung bewirken, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Die Strafkammer hat lediglich die denkbare Möglichkeit einer Haltungsänderung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht belegt, dass eine solche zu erwarten ist, indem sie von deren Beginn und einer ersten Bewegung spricht und in Übereinstimmung mit der Sachverständigen lediglich nicht aus- schließt, dass es zu einer Umorientierung des Angeklagten kommen könne, falls er sich einer sozialtherapeutischen Gruppentherapie unterziehe, diese zu Ende führe und im Anschluss an eine solche Therapie weitere stabilisierende Faktoren hinzukämen. Sie selbst geht - der Sachverständigen folgend - davon aus, dass erst am Ende einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung das dann noch bestehende Rückfallrisiko beurteilt werden könne, nachdem der Angeklagte so lange an seinem Lebensstil festgehalten habe und die Besonderheiten seiner Persönlichkeit mit einer narzisstischen und zwanghaften Akzentuierung den sozialtherapeutischen Zugang erschwere und ihm den Weg zu einer nachhaltigen Veränderung verstelle. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Beginn einer Verhaltensänderung mit deren erwartbaren Erfolg gleichgesetzt hat.
17
5. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt - allerdings nur zu Gunsten des Angeklagten - auch zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Hinblick auf die Erwägungen im Urteil zu den möglichen Auswirkungen eines langfristigen Strafvollzugs auf das zukünftige Verhalten des Angeklagten vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre (BGH, Urteil vom 8. September 1987 - 1 StR 393/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 - 1 StR 182/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2).
18
6. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 66 Abs. 2 StGB sind vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten, seine einschlägigen Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in den Blick zu nehmen. Zwar ist es bei einem Mehrfachtäter nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, trotz Vorliegen eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Angesichts der Feststellung, der Angeklagte habe die Anlasstaten nach zwei einschlägigen Verurteilungen und der Verbüßung von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten Strafhaft begangen, sowie des Umstandes, dass die sechs Straftaten zum Nachteil der Geschädigten S. auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 aF) StGB zu würdigen gewesen wären mit der Folge einer höheren Strafandrohung , müssen Anhaltspunkte von Gewicht für eine Haltungsänderung vorliegen. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 148/13
vom
11. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 21. Dezember 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen richtet sich die zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch und sodann auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf das Unterlassen der Maßregelanordnung ist unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten maßgeblich deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 2).
3
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
4
Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat es außerdem einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung vom 22. Oktober 2010 festgestellt, der jedenfalls im Hinblick auf die Tat vom 22. September 2011 gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB in Verbindung mit der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) hier Anwendung findet. Dennoch hat es in Ausübung des ihm durch § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens davon abgesehen, den Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, weil eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs zu erwarten sei. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der Aburteilung. Dies ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB für die Fälle der obligatorischen Verhängung der Sicherungsverwahrung nunmehr ausdrücklich geregelt. Ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist, bleibt der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
6
Soweit indes allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet , bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die in den Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 140/04, NStZ 2005, 211, 212; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, NStZ-RR 2011, 78; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
7
b) Nach diesen Maßstäben leidet die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten nicht in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, an durchgreifenden Ermessensfehlern.
8
Sie stützt sich zunächst darauf, dass der Angeklagte während der Untersuchungshaft therapeutische Gespräche geführt habe, in deren Rahmen er eine gewisse "Opferempathie" habe erkennen lassen, die Therapeutin bei den Gesprächen das Gefühl gehabt habe, er bedauere die Sexualstraftaten, und er seine Bereitschaft zu einer Sozialtherapie geäußert habe. Auf dieser Grundlage ist der psychiatrische Sachverständige zu der – vom Landgericht geteilten – Einschätzung gelangt, dass sich die Prognose verbessert habe, weil sich durch eine Sozialtherapie die kognitiven Verzerrungen des Angeklagten verändern könnten und durch den Strafvollzug eine Haltungsänderung hinsichtlich seiner weiterhin grundsätzlich vorhandenen Bereitschaft, sich "sowohl Materielles als auch Nichtmaterielles zu nehmen", bewirkt werden könnte. Damit werden indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug nicht benannt.
9
Soweit das Landgericht ergänzend darauf abhebt, es sei nach Ansicht des Sachverständigen auch nicht zu erwarten, dass der Angeklagte nach seiner Haftentlassung noch einmal in eine vergleichbare Lebenssituation gerate wie zu den Tatzeiten (UA S. 54), steht dies zudem in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den sonstigen gutachterlichen Ausführungen. Danach habe sich der Angeklagte "in der Vergangenheit immer wieder Frauen mit Kindern gesucht oder habe mit seinen Lebenspartnerinnen Kinder gezeugt. Der Angeklagte könne nach seiner Entlassung aus der Haft wieder ähnliche Situationen konstituieren" (UA S. 53).
10
Nach alledem muss über die Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden; denn die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen.
11
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StGB) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2008 – 5 StR 101/08, juris Rn. 23; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, juris Rn. 14; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 17).
12
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: § 51 BZRG enthält ein umfassendes Verwertungsverbot für getilgte oder tilgungsreife Eintragungen, das auch bei der Prüfung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu beachten ist. Eine Verwertung derartiger Voreintragungen kann auch nicht auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden. Diese Bestimmung lässt eine Berücksichtigung früherer Taten nur für die Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen zu, nicht aber zur Begründung einer (nicht krankheitsbedingten ) Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 247/12, NStZ-RR 2013, 84).
Becker Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Spaniol

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 572/16
vom
26. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:260417U5STR572.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. April 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Prof. Dr. Sander, Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt F. als Verteidiger,
Rechtsanwältin P. als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 7. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat im vom Generalbundesanwalt vertretenen Umfang hinsichtlich der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der bereits im Jahr 2003 wegen schweren Raubes in fünf Fällen und schwerer räuberischer Erpressung in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilte Angeklagte am 12. Mai 2015 mit einer schwarzen Mütze und einem schwarzem Schal vermummt vor der Hinterausgangstür einer Sparkassenfiliale in Leipzig auf. Als eine Sparkassenangestellte die Tür öffnete, rannte der Angeklagte auf sie zu und richtete den Lauf seiner ungeladenen Schreckschusspistole auf ihren Kopf. Die Zeugin kam zu Fall und erlitt dabei Verletzungen. Der Angeklagte zog sie in die Räumlichkeiten der Sparkasse, in denen sich noch weitere Angestellte befanden, die er ebenfalls mit der Pistole bedrohte. Eine Mitarbeiterin musste den Tresor öffnen. Diesem entnahm der Angeklagte mehr als 40.000 Euro, mit denen er aus der Sparkassenfiliale entkam.
3
2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte bereits am 21. Februar 2014 einen Banküberfall verübte und dadurch einen weiteren erpresserischen Menschenraub in Tateinheit mit schwerem Raub und mit vorsätzlicher Körperverletzung beging.

II.


4
1. Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision die Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten hinsichtlich des Banküberfalls vom 21. Februar 2014 erstrebt, bleibt ihr der Erfolg versagt. Aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hält der Freispruch sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
5
2. Demgegenüber hat die Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) keinen Bestand.
6
a) Die Begründung des Urteils zur Ablehnung eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist rechtsfehlerhaft.
7
aa) Die Strafkammer stützt die Verneinung eines Hanges des Angeklagten auf die Ausführungen des Sachverständigen. Danach seien die „zum Ausdruck gekommene stereotype Vorgehensweise über einen mehrjährigen Tatzeitraum in der Vergangenheit und die gleichförmige Ausübung der erneuten Taten ... zwar Indizien, die für einen Hang sprechen könnten, gleichwohl sei der Angeklagte keine aggressive und/oder dissoziale Persönlichkeit“ (UA S. 11). Bei ihm finde sich vielmehr eine besondere Bereitschaft, in Krisen- und Überforderungssituationen depressiv zu reagieren. Diese rezidivierende depressive Störung vermöge Tathandlungen „wie die vorliegenden Raubüberfälle“ anzubahnen und zu erklären (UA S. 12).
8
Damit hat die Strafkammer verkannt, dass die Ursache des Hanges für dessen Bejahung unerheblich ist (st. Rspr. BGH, Urteil vom 25. Mai 1971 – 1 StR40/71, BGHSt 24, 160, 161). Dass der Angeklagte an einer rezidivierenden depressiven Störung leidet, steht der Annahme eines Hanges deshalb nicht entgegen. Vielmehr kann sie sogar für diese herangezogen werden.
9
bb) Zudem ist die im Urteil vorgenommene Prüfung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB lückenhaft. In ihrem Rahmen ist eine wertende , auf eine umfassende Vergangenheitsbetrachtung abstellende Feststellung des gegenwärtigen Zustands des Täters erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273). Das Tatgericht hat sich in diesem Zusammenhang auch mit den Vorverurteilungen und den Umständen , unter denen es zu diesen wie auch zu den verfahrensgegenständlichen Taten gekommen ist, auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2004 – 5 StR 130/04, NStZ 2005, 265). An einer derartigen umfassenden Vergangenheitsbetrachtung fehlt es hier. Das Landgericht hat es unterlassen, die Vortaten des Angeklagten und die ihn bei diesen Taten bewegenden Gründe inhaltlich darzulegen, obgleich der Sachverständige hierauf ausdrücklich Bezug genommen hat (UA S. 12).
10
b) Die Ansicht der Strafkammer, bei den (möglicherweise) zu prognostizierenden weiteren Raubtaten handle es sich nicht um erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
aa) Das Landgericht orientiert sich bei seiner Entscheidung an einem Beschluss des Senates vom 24. Januar 2012 (5 StR 535/11). Es berücksichtigt dabei nicht, dass sich diese Entscheidung auf den Rechtszustand nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) bezieht. Nach der vom Bundesverfassungsgericht damals getroffenen Weitergeltungsanordnung durfte § 66 StGB nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter angewandt werden (vgl. BVerfGE aaO, S. 406, Rn. 172); in der Regel war der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt, dass „eine Gefahr schwerer Gewalt und/oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten“ war. Dies stellte eine Einschränkung gegenüber den Taten dar, die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB als „erhebliche Straftaten“ zu werten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit

1).


12
Der Senat kann offenlassen, ob Raubtaten der vom Angeklagten begangenen Art, diesen strengen Maßstäben genügen würden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 431/12, BGHSt 58, 62, 70 mwN).
Denn diese erhöhten Anforderungen finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung mehr, weil die Tat am 12. Mai 2015 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) am 1. Juni 2013 begangen wurde. Mit der Schaffung des § 66c StGB durch dieses Gesetz wurde den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen , die sich ausdrücklich auf die Ausgestaltung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung und den vorhergehenden Strafvollzug, nicht aber auf die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB bezogen. Damit ist auch der Grund für die über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung entfallen. Nach Inkrafttreten des genannten Gesetzes bestehen gegen die Gültigkeit und die Verfassungsmäßigkeit von § 66 Abs. 1 StGB keine Bedenken mehr (BGH, Urteile vom 24. Oktober 2013 – 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735, 3736; vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208, 209). Anders als bei Taten, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeurteilt, aber bereits vor dem 1. Juni 2013 begangen wurden, besteht kein Anlass, die erhöhten Voraussetzungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten weitergelten zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 aaO mwN).
13
bb) Maßstab für die Gefährlichkeitsprüfung nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist demnach, ob der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn aufgrund des bei ihm bestehenden Hanges die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 4 StR 416/02, NStZ-RR 2003, 108). Als wesentlichen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten nennt das Gesetz eine schwere seelische oder körperliche Schädigung der Op- fer. Bezugspunkt sind danach die wahrscheinlichen Folgen der zu erwartenden Straftaten.
14
Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte, der sich seiner Opfer zudem im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB bemächtigt hat, diese mit einer täuschend echt wirkenden Schreckschusspistole mit dem Tode bedroht. Dass die Waffe nicht geladen war, wussten die Opfer in der Tatsituation nicht. Der Umstand, dass die Bankangestellten im Hinblick auf solche Überfälle geschult sind, vermag ihnen für sich genommen weder die Angst zu nehmen, möglicherweise – geplant oder aufgrund unglücklicher Umstände – erschossen zu werden, noch bietet die Schulung eine Gewähr dafür, dass etwaige Banküberfälle tatsächlich ohne erhebliche psychische Folgen für die Bankangestellten bleiben. Auch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben können über die Beeinträchtigung des seelischen Gleichgewichts hinaus körperliche oder nachhaltige psychische Folgen mit Krankheitswert nach sich ziehen, die ungeachtet der objektiven Ungefährlichkeit des Tatmittels entstehen können (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2012 aaO). Solche erheblichen psychischen und auch körperlichen Folgen sind bei der Geschädigten Fa. auch tatsächlich eingetreten.
15
3. Der Senat schließt aus, dass eine etwaige Maßregelanordnung Auswirkungen auf die verhängte Strafe gehabt hätte.
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 196/17
vom
27. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
ECLI:DE:BGH:2017:270717U3STR196.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 27. Juli 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Dr. Berg als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Juni 2016, soweit es den Angeklagten L. betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt; von Maßregelanordnungen hat es abgesehen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf das Unterbleiben der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf eine Verfahrensbeanstandung sowie die Sachrüge gestützten Revision. Die auf die in allgemeiner Form erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten wendet sich insgesamt gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; die Revision des Angeklagten erweist sich hingegen als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts gewann der vielfach vorbestrafte Angeklagte, der bereits im Jahr 1999 wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und im Jahr 2003 wegen schwerer räuberischer Erpressung in sieben Fällen sowie versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden war, im Herbst des Jahres 2014 - nur wenige Monate nach seiner letzten Haftentlassung - die Mitangeklagten S. und K. unabhängig voneinander dazu, gemeinsam mit ihm Raubüberfälle auf Banken zu begehen. Nach dem vereinbarten Tatplan sollte der Angeklagte das Fluchtfahrzeug fahren und in diesem warten, während einer der beiden Mitangeklagten in der Bank den eigentlichen Überfall durchführte. Der Angeklagte besorgte zudem die bei den Überfällen verwendeten, wie echte Waffen aussehenden Spielzeugpistolen bzw. Attrappen von Handgranaten und stellte sie dem tatausführenden Mitangeklagten zur Verfügung. Für die Überfälle wurde - teils gemeinsam, teils durch den Angeklagten allein - Kleidung gekauft, die nach den Taten vernichtet wurde. Die Spielzeugwaffen bzw. ungeladenen Waffen sollten den Opfern jeweils nur gezeigt und nicht gegen deren Kopf oder deren Körper gerichtet werden. Der in der Bank agierende Mitangeklagte sollte sich möglichst ruhig verhalten und eine von dem Angeklagten vorher verfasste handschriftliche Notiz überreichen , die - regelmäßig unter Androhung, andernfalls von der Waffe Gebrauch zu machen - die Bankmitarbeiter zur Geldzahlung aufforderte. Die Beute wurde - unter Abzug von Aufwendungen - geteilt; dies führte in der Regel der Angeklagte durch, der sich mitunter größere Beträge nahm, als ihm nach den getroffenen Vereinbarungen zustanden.
3
Auf die beschriebene Art und Weise beging der Angeklagte in der Zeit vom 8. Oktober 2014 bis zum 23. April 2015 zehn Banküberfälle, in sechs Fällen gemeinsam mit dem Mitangeklagten S. und in vier Fällen gemeinsam mit dem Mitangeklagten K. . Die Gesamtbeute betrug über 70.000 €. In zwei der Fälle holte der Mitangeklagte S. die Waffe nicht hervor, sondern nestelte nur an oder in seiner Jackentasche herum, um - jeweils mit Erfolg - deutlich zu machen, dass er tatsächlich bewaffnet war. In den übrigen Fällen zog er die Spielzeugpistole und hielt in drei Fällen den Lauf auch in Richtung der Bankmitarbeiter, ohne die Waffe allerdings gezielt gegen Körperteile oder den Kopf zu richten. Der Mitangeklagte K. zog in einem Fall die Plastikwaffe und hielt in den drei anderen Fällen eine Handgranatenattrappe in Händen. Die Bankmitarbeiter hielten die Waffen für echt bzw. konnten dies nicht ausschließen. Einige der Mitarbeiter hatten während der Überfälle Todesangst. Überwiegend haben sie die Überfälle gut verkraftet, wobei ein Teil der Zeugen psychologische Hilfe in Anspruch nehmen musste. Alle können weiter in ihrem Beruf arbeiten, zwei Zeuginnen sind wegen der Überfälle allerdings nicht mehr im Servicebereich tätig, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlen. Mehrere Zeuginnen denken immer noch - gelegentlich oder regelmäßig - an die Überfälle ; einige entwickeln dabei auch Angstgefühle bzw. sind schreckhafter oder achtsamer geworden.
4
Das Landgericht, das für die zehn Taten gegen den Angeklagten jeweils auf Einzelstrafen zwischen sieben Jahren und acht Jahren Freiheitsstrafe erkannt hat, hat von dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abge- sehen, weil die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht vorlägen. Dabei hat es bereits das Vorhandensein eines Hangs im Sinne der Vorschrift für zweifelhaft gehalten; gleichwohl ist es in Übereinstimmung mit dem gehörten Sachverständigen davon ausgegangen, dass der Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Strafhaft mit hoher Wahrscheinlichkeit Straftaten wie die im vorliegenden Verfahren abgeurteilten begehen wird. Diese seien in der konkreten Tatausführung allerdings gegenüber den Taten, die den früheren Verurteilungen zugrunde lagen, weniger schwerwiegend, weil vereinbarungsgemäß immer nur ungefährliche Scheinwaffen verwendet worden seien und die Mitangeklagten mit diesen "nicht konkret auf [die Opfer] gezielt" hätten. Selbst wenn danach ein Hang, Taten wie die abgeurteilten zu begehen, angenommen werden könnte, handele es sich bei diesen mit Blick darauf, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur als ultima ratio in Betracht komme und § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB deshalb restriktiv auszulegen sei, nicht um erhebliche Straftaten, denn keiner der Bankangestellten habe schwere seelische oder körperliche Schäden erlitten; es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich "bei den vorliegenden Delikten in der konkreten Art und Weise der Tatausführung um solche [handele], die typischer Weise mit schweren seelischen Schädigungen" einhergingen.
5
II. Die wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die gleichfalls erhobene Verfahrensbeanstandung kommt es danach nicht mehr an.
6
Das Landgericht hat das Vorliegen der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 3 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Begründung, mit der es die materiellen Voraussetzungen der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verneint hat, hält hingegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Nach dieser Vorschrift erfordert die Unterbringungsanordnung eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten, die ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
8
Ein Hang in diesem Sinne ist gegeben bei einem eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt; der Zustand muss gegenwärtig sein und ist aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festzustellen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271, 272 mwN). Bezugspunkt eines solchen Hanges sind erhebliche Straftaten, also solche, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 13 mwN; LK/Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl., § 66 Rn. 148; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, 3. Aufl., § 66 Rn. 99).
9
Kriterien für die Erheblichkeit in diesem Sinne ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die maßgeblich für die Normierung der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung geworden sind (LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO, § 66 Rn. 149, 154; SSWStGB /Jehle/Harrendorf, 3. Aufl., § 66 Rn. 26 mwN; vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2002 - 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74). Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a) bis c) StGB fallen (SSWStGB /Jehle/Harrendorf aaO) und die - wie Vorverurteilungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB - im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, ohne dass letzteres allein zur Annahme der Erheblichkeit ausreicht (BGH, Beschluss vom 28. November 2002 - 5 StR 334/02, NStZ-RR 2003, 73, 74; LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO, § 66 Rn. 154; S/SStree /Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 66 Rn. 33).
10
Ein weiterer entscheidender Maßstab zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (MüKoStGB/Ullenbruch /Drenkhahn/Morgenstern aaO, § 66 Rn. 98, 103 f.; LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO, § 66 Rn. 149; SSW-StGB/Jehle/Harrendorf aaO), wobei das Gesetz durch die Verwendung des Wortes "namentlich", welches der Wortbedeutung und dem Sinne nach wie "beispielsweise" oder "vor allem" zu verstehen ist, zum Ausdruck gebracht hat, dass mit der Nennung solcher Folgen keine abschließende Festlegung verbunden ist; damit sollen vielmehr lediglich Straftaten von geringerem Schweregrad ausgeschieden werden (BGH, Urteile vom 18. Mai 1971 - 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 154 f.; vom 17. Dezember 1985 - 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38; vom 18. Februar 2010 - 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; S/S-Stree/Kinzig aaO; LK/Rissing-van Saan/Peglau aaO). Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Streichung des weiteren Beispiels des schweren wirtschaftlichen Schadens in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF durch das "Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen" vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 2300) eine stärkere Konzentration auf Delikte gegen grundlegende höchstpersönliche Rechtsgüter, insbesondere gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung erreichen wollte, ohne damit aber den Gesichtspunkt schwerer wirtschaftlicher Schäden ganz auszublenden; die Berücksichtigung wirtschaftlicher Schäden, zum Beispiel bei den ausweislich der expliziten Nennung der Delikte des 20. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB weiterhin erfassten Raub- und Erpressungsdelikten, sollte nicht ausgeschlossen sein (BT-Drucks. 17/4062, S. 14; so auch S/S-Stree/Kinzig aaO Rn. 36; SSW-StGB/Jehle/Harrendorf aaO Rn. 28).
11
Bei der Beurteilung, ob die von dem Angeklagten hangbedingt zu erwartenden Taten in diesem Sinne "erheblich" sind, kommt es danach auf die Umstände des Einzelfalles an, die im Wege einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten in den Blick zu nehmen sind (BGH, Urteile vom 18. Februar 2010 - 3 StR 568/09, NStZ-RR 2010, 172; vom 18. Mai 1971 - 4 StR 100/71, BGHSt 24, 153, 155). Bei dieser Gesamtwürdigung können neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den genannten - auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239, 240; vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38) - Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen (BGH, Urteile vom 12. Juli 1988 - 1 StR 280/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 2; vom 26. Juni 1991 - 3 StR 186/91, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3).
12
2. Nach den genannten Grundsätzen erweisen sich die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten abgelehnt hat, als rechtsfehlerhaft.
13
Insoweit ist es - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - bereits bedenklich, dass die Strafkammer - einen Hang des Angeklagten relativierend - darauf abgestellt hat, die konkrete Ausführung der abgeurteilten Taten zeige gegenüber denjenigen, die den Verurteilungen aus den Jahren 1999 und 2003 zugrunde lagen, "eine deutlich abmildernde Entwicklung" auf. Die fehlende Steigerung oder die Abnahme von Gewalt bzw. der Massivität der Drohung mit dieser spricht nicht gegen eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen. Einen Hang kann auch haben, wer mit abnehmender Intensität Straftaten begeht (BGH, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 478/15, juris Rn. 16).
14
Jedenfalls die Verneinung der Erheblichkeit der von dem Angeklagten infolge des Hangs begangenen und - auch nach der Einschätzung des Landgerichts mit hoher Wahrscheinlichkeit - nach seiner Haftentlassung zukünftig zu erwartenden Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Insoweit gilt:
15
Die hier in Rede stehenden Verbrechen der schweren räuberischen Erpressung gemäß § 249, § 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB sind schon mit Blick auf die Mindeststrafdrohung von drei Jahren Freiheitsstrafe und die für die Tatopfer mit der Tatbegehung regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als erhebliche Straftaten anzusehen; dies gilt auch, wenn bei einem Banküberfall nur mit einer ungeladenen Schreckschusspistole oder einer Waffenattrappe gedroht wird (BGH, Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11, juris Rn. 6; Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 13 f.). Aber auch die konkrete Schwere der Taten spricht für ihre Wertung als erheblich : Das Landgericht hat in jedem der zehn abgeurteilten Fälle eine Einzelstrafe von mindestens sieben Jahren Freiheitsstrafe verhängt und dabei straferschwerend insbesondere die Vielzahl der erheblichen und auch einschlägigen Vorstrafen , die hohe Rückfallgeschwindigkeit, die professionelle Vorgehensweise und das routinemäßige Handeln, das seinen Ausdruck auch in der Vielzahl der Taten gefunden habe, berücksichtigt. All diese Umstände weisen nach den oben genannten Grundsätzen indes in aller Regel Straftaten als erheblich aus.
16
Jedenfalls hätte die Strafkammer aber diese Umstände im Rahmen der Maßregelentscheidung in eine Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten einstellen müssen. Dies hat sie unterlassen und stattdessen allein auf die eingetretenen oder typischerweise zu erwartenden Folgen der Taten für die Opfer - die Bankangestellten - abgestellt. Auf den Erfolg allein kommt es bei der Beurteilung der Erheblichkeit aber nicht an (BGH, Urteile vom 17. Dezember 1985 - 1 StR 539/85, NStZ 1986, 165; vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38). Insoweit ist zudem bedenklich, dass das Landgericht maßgeblich auch darauf abgestellt hat, dass das Bankpersonal für die Situation eines Banküberfalls geschult sei; eine solche Schulung kann - wie auch die Fälle 2., 3., 5., 6., 7. und 10. der Urteilsgründe zeigen, in denen die Bankangestellten schockiert waren oder Todesangst hatten - den Opfern die Angst, bei einem Überfall verletzt oder getötet zu werden, nicht nehmen und bietet auch keine Gewähr dafür, dass ein Überfall tatsächlich ohne erhebliche psychische Folgen für ein Opfer bleibt (BGH, Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 14). Einige der Opfer haben immer noch - wenn auch beherrschbare - Ängste und haben infolge der Überfälle zum Teil ihr Verhalten geändert bzw. bankintern ihre Stelle gewechselt. Dass die Strafkammer gleichwohl insgesamt von der Unerheblichkeit der auch nur potentiellen Folgen der von dem Angeklagten zu erwartenden Taten ausgegangen ist, lässt besorgen, dass sie - mit Blick auf den mehrfach zitierten Ultima-ratio-Charakter der Sicherungsverwahrung - von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist und nur besonders schwere seelische Schäden als ausreichend angesehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2001 - 5 StR 360/01, NStZ-RR 2002, 38).
17
3. Dem unter 2. gefundenen Ergebnis steht Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen. Zwar haben sowohl der 2. Strafsenat (Urteil vom 19. Oktober 2011 - 2 StR 305/11, juris Rn. 13) als auch der 5. Strafsenat (Beschluss vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 431/12, BGHSt 58, 62, 70) entschieden , dass Verbrechen des schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB, bei denen als Drohmittel lediglich objektiv ungefährliche ungeladene Schreckschuss- oder Scheinwaffen eingesetzt werden, als Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht ausreichen sollen. Diese Entscheidungen bezogen sich aber auf den Rechtszustand nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326). Nach der von diesem damals getroffenen Weitergeltungsanordnung durfte § 66 StGB nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter angewandt werden (vgl. BVerfG aaO, S. 406, Rn. 172); Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose waren deshalb zu erwartende schwere Gewalt- und/oder Sexualstraftaten.
18
Diese erhöhten Anforderungen finden auf den vorliegenden Fall keine Anwendung, weil die Taten ab Oktober 2014 und damit nach dem Inkrafttreten des "Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung" vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2425) am 1. Juni 2013 begangen wurden. Mit diesem Gesetz wurde den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, die sich ohnehin nur auf die Ausgestaltung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung und den vorhergehenden Strafvollzug, nicht aber auf die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB bezogen. Nach dessen Inkrafttreten bestehen gegen die Gültigkeit und die Verfassungsmäßigkeit von § 66 Abs. 1 StGB keine Bedenken mehr (BGH, Urteile vom 24. Oktober 2013 - 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735, 3736; vom 7. Januar 2015 - 2 StR 292/14, NStZ 2015, 208, 209; vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, juris Rn. 12). Es besteht bei Taten, die nach der Gesetzesänderung begangen wurden, auch kein Anlass, die erhöhten Voraussetzungen aus Vertrauensschutzgesichtspunkten weitergelten zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16, aaO mwN).
19
III. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die umfassende Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5 StR 360/01

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Oktober 2001
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Diebstahls u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober
2001, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Februar 2001 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Revision zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil aufgehoben, soweit die Anordnung von Sicherungsverwahrung unterblieben ist; ferner wird es zugunsten des Angeklagten im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit dreifacher Freiheitsberaubung, wegen Diebstahls in 18 Fällen und wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, wie die Auslegung der Revisionsbegründung erweist, zum Nachteil des Angeklagten auf die Überprüfung des Unterlassens der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der 1968 in Beirut geborene Angeklagte lebt seit 1983 in Berlin. Er verschaffte sich seinen Lebensunterhalt im wesentlichen durch die Begehung von Eigentumsdelikten und wurde vielfach verurteilt, zuletzt im Jahre 1996 wegen mehrerer Trickdiebstähle aus Wohnungen betagter Frauen; zwei dieser Taten wurden mit Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr, eine mit einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten geahndet. Die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wurde vollständig bis zum 2. August 1999 vollstreckt.
Der Angeklagte verschaffte sich vom 21. Oktober 1999 bis zu seiner Festnahme am 18. Januar 2000 auf ähnliche Weise aus 14 Wohnungen vor allem Bargeld und Schmuck im Wert von insgesamt über 39.000 DM. In sechs Fällen konnte der Angeklagte nach Trickdiebstahl der Wohnungsschlüssel keine Beute erzielen. Dabei hatte der Angeklagte die Aufmerksamkeit der hochbetagten, seh- und gehbehinderten Frauen auf von ihm vorgehaltene Visitenkarten oder Zettel mit Scheinanschriften in der Nähe ihrer Wohnungen gelenkt. Einmal blieb seine List, durch blitzschnelles Aufdrehen aller Wasserhähne einen Wasserschaden vorzutäuschen und die dadurch entstandene Verwirrung der Wohnungsinhaberin auszunutzen, erfolglos. In einem Fall mißlang der Schlüsseldiebstahl aus einer Handtasche.
Beim Verlassen einer Wohnung mit Schmuck und Bargeld schlug der Angeklagte mit beiden Fäusten gegen die Brust der 80jährigen Geschädigten , um sich im Besitz der Beute zu halten (Fall 15). Die Geschädigte fiel auf den Rücken und zog sich langandauernd schmerzhafte Prellungen zu. In
einem weiteren Fall (Fall 20) schlug der Angeklagte die Hand der 87jährigen Geschädigten weg und sicherte dadurch erneut seinen Gewahrsam an gestohlenen Geldscheinen. Anschließend schloß er die alte Frau und zwei weitere in der Wohnung weilende über 90 Jahre alte Personen im Wohnzimmer ein, um ungestört mit der Beute flüchten zu können.

II.


Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Das Landgericht hat die Taten, denen ein einheitliches “handschriftartiges” Handlungsmuster zugrundeliege, mit zahlreichen Indizien nach fehlerfreier Gesamtwürdigung (vgl. BGHR StPO § 261 ± Beweiswürdigung 2 m.w.N.) sämtlich allein dem Angeklagten zugerechnet.
Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht auch nicht verpflichtet, die Merkmale der inneren Tatseite hinsichtlich der Nötigungen und der Körperverletzung näher darzulegen. Aus der Schilderung des äußeren Sachverhalts ergibt sich hier vorsätzliches Handeln des Angeklagten von selbst (vgl. BGHR StGB § 15 ± Vorsatz, bedingter 2).
Der Schuldspruch enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Die maßvollen Strafaussprüche sind nicht zu beanstanden.

III.


Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Anwendung von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausschließt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat dazu ausgeführt, die dissoziale Persönlichkeitsstruktur
des Angeklagten lasse zwar ähnliche Straftaten der mittleren Eigentumskriminalität erwarten, deren Gewicht erreiche aber “in jedem Einzelfall aus Rechtsgründen noch nicht die Qualität einer besonders schweren seelischen Beeinträchtigung oder eines besonders schweren wirtschaftlichen Schadens”. Damit werden mit den gesetzlichen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu vereinbarende erhöhte Anforderungen gestellt. Diese Vorschrift verlangt eine Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten; hierfür genügen auch Taten, durch die ein schwerer seelischer, körperlicher oder wirtschaftlicher Schaden verwirklicht wird. Wenn das Landgericht “besonders” schwere seelische Beeinträchtigungen oder “besonders” schwere wirtschaftliche Schäden fordert , so überschreitet es den ihm eingeräumten Rahmen tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 1). Feststellungen zu seelischen Schäden hat das Landgericht zudem nicht getroffen, obwohl solche Auswirkungen angesichts der meist hochbetagten, zum Teil gebrechlichen und in panische Angst geratenen Opfer (UA S. 23) naheliegen (vgl. BGHR § 66 StGB Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Strafkammer hat auch nicht bedacht, daû die beiden als räuberische Diebstähle ausgeurteilten Taten belegen, daû der Angeklagte zur Sicherung seiner Beute bereit ist, Gewalt anzuwenden, die gerade bei den betagten und behinderten Opfern auch zu schweren körperlichen Schäden führen kann. Die vom Angeklagten begangene Diebstahlsserie hätte auûerdem eine Würdigung des Gesamtschadens als schwerer wirtschaftlicher Schaden im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nahegelegt. Bei Diebstählen, die planmäûig auf Wiederholung angelegt sind oder infolge des Hanges in rascher Folge begangen wurden, ist nämlich die Höhe des durch die Tat insgesamt verursachten Schadens maûgebend (BGHSt 24, 153, 157; 24, 345, 347; BGH NStZ 1984,

309).


Unabhängig von diesen Einzelerwägungen wird die Gesetzesauslegung des Landgerichts dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Anliegen
nicht gerecht. Daû gemäû § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ªnamentlichº solche Straftaten als ªerheblichº eingestuft werden, die zu schweren Schäden führen , hat vornehmlich den Sinn, Straftaten von geringerem Schweregrad auszuscheiden , soll aber keine abschlieûende Regelung bedeuten (BGH NStZ 1986, 165). Entscheidend soll vielmehr sein, daû die Straftaten einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Erheblichkeit einer Straftat ist also nicht allein am eingetretenen Erfolg zu messen (vgl. BGH NStZ aaO). Das gehäufte gezielte, in der Regel durch Trickdiebstahl vorbereitete Eindringen des Angeklagten in Wohnungen betagter und gebrechlicher Frauen zur Begehung von gewerbsmäûigen Diebstählen bei Inkaufnahme auch körperlicher Konfrontationen läût schwerlich eine andere Beurteilung zu als die, daû es sich um eine den Rechtsfrieden ganz empfindlich störende, die Allgemeinheit erheblich in Mitleidenschaft ziehende und damit ªerhebliche Straftatº handelt.
2. Zwar schlieût der Senat aus, daû die Einzelstrafen geringer hätten ausfallen können, wenn der Tatrichter Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGHR StGB § 66 ± Strafausspruch 1; BGH StV 2000, 615, 617; BGH, Urteil vom 7. November 2000 ± 1 StR 377/00 ±). Er vermag indes nicht auszuschlieûen , daû die Gesamtstrafe milder bemessen worden wäre, falls das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH NJW 1980, 1055, 1056). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler aber nicht. Weitergehende, den bis-
herigen nicht widersprechende Feststellungen darf der neue Tatrichter, der gemäû § 246a StPO den psychiatrischen Sachverständigen (nur noch) zur Frage einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung erneut zu hören haben wird, treffen.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 568/09
vom
18. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Februar
2010, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 12. August 2009 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung zu einer "Freiheitsstrafe" von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen von zwei Jahren sowie zwei Jahren und sechs Monaten) verurteilt sowie die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten war nur insoweit erfolgreich, als der Senat das Urteil im Strafausspruch dahin berichtigt hat, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt war, und im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen wegen fehlender Erörterungen zu einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat. Nunmehr hat das Landgericht sowohl die Maßregel nach § 64 StGB als auch die nach § 66 Abs. 1 StGB angeordnet und bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zuerst zu vollziehen ist. Die Revision des Angeklagten richtet sich mit einer Verfahrensrüge sowie mit sachlichrechtlichen Beanstandungen allein gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nicht wirksam. Zwischen ihr und der durch den Beschwerdeführer vom Revisionsangriff ausgenommenen Maßregel nach § 64 StGB besteht hier ein nicht trennbarer Zusammenhang.
3
2. Die Rüge, das Landgericht habe fehlerhaft einen Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt, versagt. Das Gutachten sollte beweisen, dass die Handlungen des Angeklagten bei dem Opfer der beiden Körperverletzungen "keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden herbeigeführt haben und hierzu auch nicht geeignet waren". Zutreffend hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Soweit in der Beweisbehauptung ein Tatsachenkern über den Umfang und die Auswirkungen der Körperverletzungen zu finden ist, stehen einer Beweisaufnahme die bindenden Feststellungen zum Schuld- und Strafausspruch entgegen. Soweit der Antrag auf eine Wertung der Verletzungen, naheliegend auf eine Subsumtion der Taten unter solche im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB abzielt, handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern um eine rechtliche Einordnung, die das Gericht in eigener Verantwortung zu treffen hat.
4
3. Die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar hat das Landgericht die bei der Verhängung von Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgesehene Entscheidung über einen teilweisen Vollzug der Strafe vor der Maßregel unterlassen. Indes hat der Beschwerdeführer, der sich in dieser Sache seit dem 16. März 2008 in Haft befindet, inzwischen mehr als die Hälfte der erkannten Freiheitsstrafe verbüßt, so dass die Entscheidung über einen Vorwegvollzug nunmehr unterbleiben muss (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 233).
5
4. Frei von rechtlichen Bedenken ist - entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts - auch die Annahme des Landgerichts, bei dem Angeklagten sei ein Hang gegeben zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und er sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB).
6
Das Landgericht ist zutreffend von Folgendem ausgegangen: Was unter "erheblichen" Straftaten zu verstehen ist, kann nicht allgemein gesagt werden. Der Hinweis in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf Taten mit schweren körperlichen oder seelischen Schädigungen der Opfer (sowie - was hier nicht in Rede steht - mit schweren wirtschaftlichen Schäden) stellt keine abschließende Regelung dar. Vielmehr kann sich jenseits dieser Beispielsfälle die Erheblichkeit auch aus anderen Umständen ergeben. Entscheidend ist, ob der Täter als für die Allgemeinheit gefährlich erscheint, weil von ihm Straftaten zu erwarten sind, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (st. Rspr.; BGHSt 24, 153, 154 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3, 6; BGH NStZ 1986, 165). Die Beurteilung, ob die Anlasstat und die übrigen Taten, in denen die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gefunden werden, in diesem Sinne "erheblich" und damit symptomatisch für einen Hang sind, muss im Einzelfall aufgrund einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten erfolgen (BGHSt 24, 153, 156). Dabei sind ggf. auch länger zurückliegende Taten zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1999, 502, 503; StV 2007, 633).
7
Die auf dieser Grundlage getroffene Beurteilung des Landgerichts, bei der zweiten Anlasstat sei das Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt worden und die erste Anlasstat sei - sofern eine solche Schädigung des Opfers nicht vorliege - jedenfalls geeignet, den Rechtsfrieden in empfindlicher und schwerwiegender Weise zu stören, ist rechtsfehlerfrei. In beiden Fällen brachte der Angeklagte seinem wehrlosen Opfer jeweils mit zahlreichen Faustschlägen blutende Verletzungen im Gesicht bei. Nach der ersten Tat befand es sich in einem so schlechten Zustand, dass der Angeklagte es selbst in die stabile Seitenlage verbrachte, weil er befürchtete, es werde andernfalls an seinem Blut ersticken. Bei der zweiten Tat war das Opfer etwa acht Stunden bewusstlos und musste anschließend drei Tage lang stationär im Krankenhaus behandelt werden. Die nur wenige Tage auseinanderliegenden Taten beging der Angeklagte gut einen Monat nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug, wo er eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen eines im Jahr 1993 begangenen Tötungsdelikts und den Rest einer neunjährigen Freiheitsstrafe u. a. wegen einer im Jahr 1985 begangenen schweren räuberischen Erpressung verbüßt hatte. Neben diesen Symptomtaten hat der Angeklagte auch durch den ebenfalls im Jahr 1985 begangenen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr seine außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit gezeigt.
8
Auch die übrigen Darlegungen des Landgerichts sind ohne Rechtsfehler: Sachverständig beraten hat die Strafkammer ausführlich begründet, dass es sich bei dem Angeklagten um eine dissoziale Persönlichkeit mit geringer Frustrationstoleranz und extrem hoher Aggressionsneigung handelt, die durch einen ausgeprägten Mangel an Opferempathie, an Schuldbewusstsein und an der Fähigkeit, aus den Bestrafungen zu lernen, auffällt und von der vergleichbare Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Sost-Scheible Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
______________________

a) Die Erwartung des Tatgerichts, der Angeklagte werde Rauschgift portionsweise
nur an erwachsene und schon betäubungsmittelabhängige Abnehmer veräußern,
steht der Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht entgegen.

b) Das Absehen von der Anordnung von Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die
angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erfordert ein hohes Maß
an prognostischer Sicherheit. Die hinreichend konkrete Aussicht eines Therapieerfolgs
reicht hierfür nicht ohne weiteres aus.
BGH, Urt. vom 27. Juli 2000 - 1 StR 263/00 - LG Freiburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 263/00
vom
27. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juli 2000,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Granderath
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Becker,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 11. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Der Angeklagte hat innerhalb von knapp zwei Wochen im Juli 1999 in der Schweiz dreimal je 50 g Heroin erworben. Zweimal führte er das Rauschgift in die Bundesrepublik ein. Hier erhielten je vier Abnehmer, die im Voraus bezahlt hatten, jeweils 5 g, von den jeweils verbliebenen 30 g verkaufte der Angeklagte die Hälfte gewinnbringend in kleinen Portionen an namentlich bekannte Abnehmer, den Rest konsumierte er selbst. Im dritten Fall vernichtete er das Rauschgift, mit dem er wieder in gleicher Weise vorgehen wollte, noch in der Schweiz, da er bemerkt hatte, daß er polizeilich observiert wurde.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen verurteilte die Strafkammer den 46 Jahre alten, rauschgiftabhängigen Angeklagten, der wegen einschlägiger Vorverurteilungen zwischen 1973 und Ende 1998 über 17 Jahre Strafe verbüßt
hat, wegen drei Fällen des (gewerbsmäßigen) unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren (Einzelstrafen: zweimal zwei Jahre, einmal ein Jahr und drei Monate) und ordnete gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hat die Strafkammer abgesehen. Dabei geht sie zutreffend davon aus, daß sowohl die formalen Voraussetzungen des insoweit vorrangigen § 66 Abs. 1 StGB als auch die von § 66 Abs. 2 und 3 vorliegen. Gleichwohl komme Sicherungsverwahrung schon deshalb nicht in Betracht, weil die vom Angeklagten zu erwartenden künftigen Straftaten nicht erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB seien. Darüber hinaus stehe auch § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB im Hinblick auf die angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einer Anordnung von Sicherungsverwahrung im Wege.
Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft , die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt ist, hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Annahme fehlender Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB begründet die Strafkammer wie folgt:
Bei der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte gebe es keine unmittelbar Geschädigten, geschütztes Rechtsgut sei die Volksgesundheit. Soweit künftige Verkäufe des Angeklagten zu erwarten seien, sei damit zu rechnen, daß sich
der Angeklagte, ebenso wie bisher, an Abnehmer wenden werde, die "erwachsen und betäubungsmittelabhängig" seien. Ob eine Einfuhr von Betäubungsmitteln in ungewöhnlich großen Mengen oder eine wiederholte Abgabe an Kinder oder Jugendliche eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, könne offen bleiben, da damit beim Angeklagten nicht zu rechnen sei.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Zwar hat der Tatrichter bei der Beurteilung der Erheblichkeit zu erwartender künftiger Straftaten einen nur begrenzter revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegenden Beurteilungsspielraum (vgl. BGH JZ 1980, 532; BGH wistra 1988, 22, 23), hier geht die Strafkammer jedoch in mehrfacher Hinsicht von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz aus:
(1) Schon die Annahme, daß geschütztes Rechtsgut bei die Abgabe von Betäubungsmitteln betreffenden Delikten nicht auch die Gesundheit der Empfänger sei, trifft nicht zu. Mag auch der Schutz der Volksgesundheit vorrangig sein, so sollen die einschlägigen Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes jedenfalls auch Leben und Gesundheit individuell Betroffener schützen (vgl. BVerfGE 90, 145, 174; BGHSt 37, 179, 182; Weber BtMG § 1 Rdn. 3, 4).
(2) Im übrigen stünde aber auch die Annahme, geschützt sei allein die Volksgesundheit, unter keinem rechtlichen Aspekt der Anordnung von Sicherungsverwahrung entgegen. Mit dem Hinweis auf dieses Rechtsgut ist gemeint, daß durch die Strafbarkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln Schäden vorgebeugt werden soll, die sich für die Allgemeinheit aus dem Drogenkonsum und den daraus herrührenden physischen und psychischen Schäden einzelner er-
geben (vgl. BGHSt aaO m.w.N.). Allerdings können bei Abgabe von Betäubungsmitteln vielfach weder in jedem einzelnen Fall der Empfänger noch die Auswirkungen, die gerade eine bestimmte Abgabe auf ihn hatte, festgestellt werden. Daß gerade durch diese konkreten (zu erwartenden) Taten schwere Folgen im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB eintreten, ist jedoch nicht erforderlich. Die "namentlich-Klausel" dieser Bestimmung schließt die Anordnung von Sicherungsverwahrung in derartigen Fällen nicht aus. Auch die allgemeine und abstrakte Gefährlichkeit von Delikten kann Grundlage der Anordnung von Sicherungsverwahrung sein (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 143, 103).

b) Daß Delikte der vorliegenden Art, die sowohl Leben und Gesundheit einzelner als auch die Volksgesundheit beeinträchtigen, in aller Regel als erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzusehen sind, bedarf keiner näheren Begründung. Ob unter ganz besonderen Umständen Ausnahmen hiervon vorstellbar sind, mag offen bleiben, da jedenfalls hier Anhaltspunkte für eine derartige Ausnahme nicht ersichtlich sind:
(1) Schon die Vielzahl und die rasche Abfolge der auf planmäßige Wiederholung angelegten Taten spricht ebenso wie die hohe Rückfallgeschwindigkeit gegen eine solche Ausnahme (vgl. Hanack aaO Rdn. 108 m.w.N.).
(2) Ohne Belang ist demgegenüber, daß nach der Einschätzung der Strafkammer der Angeklagte voraussichtlich nur an erwachsene Abnehmer verkaufen wird. Damit soll offenbar auf den Aspekt der Selbstgefährdung abgestellt sein. Bei der Beurteilung der Abgabe von Rauschgift als gefährlich ist dieser Gesichtspunkt jedoch denknotwendig eingeschlossen. Er kann daher - unbeschadet von Besonderheiten, die sich hinsichtlich einer gleichzeitigen Beja-
hung von Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten ergeben können - weder zur Normeinschränkung herangezogen werden (vgl. hierzu BGHSt aaO; Senatsurteil vom 11. April 2000 -1 StR 638/99-, zur Veröffentlichung bestimmt, jew. m.w.N.), noch kann er zu einer Einschränkung des Erheblichkeitsbegriffs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB führen.
(3) Der von der Strafkammer zusätzlich herangezogene Gesichtspunkt, daß die potentiellen Abnehmer nicht nur erwachsen, sondern ohnehin schon rauschgiftabhängig sind, vermag daran ebenfalls nichts zu ändern. Abgesehen davon, daß sich der physische und psychische Zustand von Rauschgiftabhängigen durch fortschreitenden Konsum erfahrungsgemäß immer weiter verschlechtert , hat die Öffentlichkeit die gerade durch diesen Personenkreis verursachten erheblichen sozialen Folgen der Rauschgiftabhängigkeit wie etwa Beschaffungskriminalität zu tragen (vgl. BGHSt 38, 339, 344).
(4) Auch aus dem von der Strafkammer angesprochenen Gesichtspunkt, daß nicht mit der Abgabe von ungewöhnlich großen Mengen von Rauschgift durch den Angeklagten zu rechnen sei, können sich keine für ihn günstigen Folgen ergeben. Einen Rechtssatz, wonach nur die Abgabe derartiger Mengen als erheblich im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzusehen sei, gibt es nicht. Es gelten hier keine anderen Grundsätze als bei der Beurteilung der Frage, ob wirtschaftliche Schäden im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB erheblich sind. Auch insoweit sind außergewöhnlich hohe Schäden nicht erforderlich (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 1). Ob es Mengen geben kann, die zwar einerseits als "nicht geringe" Mengen im Sinne der einschlägigen Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes anzusehen sind, andererseits aber doch so gering sind, daß schon allein deshalb ihre Abgabe nicht als erheblich im Sinne
des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu bewerten ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die vom Angeklagten erworbenen und vorgefaßter Absicht gemäß überwiegend weitergegebenen oder jedenfalls zur Abgabe bestimmten Mengen sind auch unter Berücksichtigung des zum Eigenverbrauch verwendeten oder bestimmten Anteils erheblich zu groß, als daß eine derartige Ausnahme erwogen werden könnte. Anhaltspunkte für die Annahme, der Angeklagte werde künftig nur noch mit wesentlich geringeren Mengen Handel treiben als bisher, sind nicht ersichtlich.
2. Trotz der nach alledem unzutreffenden Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden Taten wäre die Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung im Ergebnis gleichwohl nicht zu beanstanden, wenn (aus der Sicht der Strafkammer : auch) wegen der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Hinblick auf § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung kein Raum wäre. Dies war jedoch zu verneinen.

a) Unbeschadet der an sich zulässigen Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung hatte der Senat unter den gegebenen Umständen zunächst zu prüfen, ob die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für sich genommen rechtlicher Überprüfung standhält. Dies ist der Fall:
Sachverständig beraten hat die Strafkammer neben den sonstigen Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch die erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht dieser Maßregel (vgl. BVerfGE 91, 1) ohne durchgreifenden Rechtsfehler bejaht. Allerdings hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang auch festgestellt, daß der Angeklagte im November
1992 - ob er sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befand, etwa wegen einer "letztlich" insgesamt vollstreckten Verurteilung vom 3. April 1991 (wegen einschlägiger Delikte und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz) zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe, ergeben die Urteilsgründe nicht - "einen Therapieversuch ... nach wenigen Tagen abgebrochen" hat. Eine "weitere Therapiemöglichkeit" - Näheres ist hierzu nicht mitgeteilt - "nahm er gar nicht erst wahr". Die Strafkammer hält dies im Hinblick auf die sich daraus ergebende fehlende Therapieerfahrung des Angeklagten für "günstige Faktoren", ohne sich ausdrücklich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dieses Verhalten des Angeklagten nicht auch gegen die von ihr festgestellte Therapiebereitschaft des Angeklagten spricht. Therapiebereitschaft ist jedoch keine unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht (BGH NStZ-RR 1997, 34, 35). Ihr Fehlen ist aber offensichtlich auch kein günstiger Faktor, sondern kann im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung ein gegen die Erfolgsaussichten sprechendes Indiz sein (vgl. BGH NStZ 1996, 274; Lackner /Kühl, StGB 23. Aufl. § 64 Rdn. 1 m.w.N.). Mit den genannten, allerdings mißverständlichen Erwägungen wollte die Strafkammer jedoch nur zum Ausdruck bringen, daß bisher längerfristige Therapieversuche noch nicht gescheitert sind, was gegen die Erfolgsaussichten spräche. Zugleich ergibt jedenfalls eine Gesamtschau der eingehenden Erwägungen der Strafkammer mit hinlänglicher Klarheit, daß die genannten Umstände nach der maßgeblichen Überzeugung der Strafkammer die von ihr festgestellte Therapiebereitschaft des Angeklagten letztlich nicht in Frage stellen können.
Gegen eine Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt könnten demgegenüber nach Auffassung der Strafkammer das schon fortgeschrittene Alter des Angeklagten und seine langjährige Drogenabhängigkeit
sprechen. Insgesamt kommt die Strafkammer aber zu dem Ergebnis, "die prognostisch negativen Umstände (seien) nicht von so hohem Gewicht, daß sie das Scheitern einer Therapie von vornherein wahrscheinlich machen würden".
Diese Bewertung, die die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertigt , liegt insgesamt im Rahmen des - weiten - tatrichterlichen Beurteilungsspielraums bei Prognoseentscheidungen (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9 m.w.N.) und ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

b) Auf der Grundlage des von ihr in diesem Sinne prognostizierten Erfolgs der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält die Strafkammer die zusätzliche Anordnung von Sicherungsverwahrung (auch) gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB für unzulässig, da sowohl die bisherigen als auch die zu erwartenden Straftaten des Angeklagten ausschließlich mit seiner Rauschgiftsucht zusammenhängen. Würde er durch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt von seiner Rauschgiftsucht befreit, sei mit weiteren Straftaten nicht mehr zu rechnen. Dieser Ansatz ist an sich rechtlich zutreffend (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 291), legt jedoch keinen zutreffenden Prognosemaßstab an. Liegen die Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung an sich vor, so ist ein hohes Maß an Gewißheit erforderlich, um hiervon im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gleichwohl abzusehen. Dies ergibt sich schon aus einer Zusammenschau der einschlägigen vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen :
Einerseits könnte die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung im Vollstreckungsverfahren auch im Falle der Erfolglosigkeit der Anordnung
einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht nachgeholt werden, da § 67a Abs. 2 StGB für diesen Fall weder nach seinem Wortlaut noch analog anwendbar ist (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 90;Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 67a Rdn. 3). Andererseits könnte, wie die Revisionsführerin zutreffend dargelegt hat, gemäß § 72 Abs. 3 Satz 2 StGB i.V.m. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 StGB nach einem Erfolg der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung abgesehen werden.
An die erforderliche Sicherheit einer Prognose gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB, die ein Absehen von einer an sich gebotenen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertigt, können daher keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an die Sicherheit einer Prognose, wonach im Hinblick auf künftige Entwicklungen vom Wegfall einer zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch bestehenden Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgegangen werden kann (vgl. hierzu BGH Urteil vom 7. April 1999 - 2 StR 440/98-, insoweit in BGH NStZ 1999, 423 nicht abgedruckt; BGH NStZ 1985, 261; w. N. b. Lackner/Kühl aaO § 66 Rdn. 15). Allein daraus, daß die Unterbringung in der Entziehungsanstalt entgegen dem Wortlaut von § 64 Abs. 2 StGB nicht nur nicht von vornherein aussichtslos sein darf, sondern, wie es hier der Fall ist, hinreichend konkrete Erfolgsaussichten haben muß (vgl. BVerfGE aaO), ergibt sich dieses Maß an Sicherheit jedenfalls nicht zwingend. Allerdings reichen allein die jeder Prognoseentscheidung - zumal über den Erfolg einer Therapie eines langjährig Drogenabhängigen - immanenten Möglichkeiten einer anderen als der erwarteten Entwicklung nicht aus, das erforderliche Maß an Sicherheit zu verneinen. Hier hat die Strafkammer jedoch konkrete Umstände von Gewicht festgestellt, die gegen den Erfolg einer Unterbringung in einer Entzie-
hungsanstalt sprechen können. Der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt stehen sie (nur) deshalb nicht im Wege, weil sie das Scheitern einer Therapie gleichwohl nicht "von vornherein wahrscheinlich" machen. Dieses erkennbar verminderte Maß an Sicherheit steht zwar - wie dargelegt - nicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, wohl aber einer Prognose gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen.
Bei dieser Sachlage verbleibt es bei dem Grundsatz, daß Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel zur kumulativen Anordnung von Maßregeln führen (vgl. BGH GA 1965, 342; BGH Beschluß vom 28. Oktober 1999 - 4 StR 464/99; Hanack aaO § 72 Rdn. 18).
Da die Strafkammer demgegenüber davon ausgegangen ist, die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt stehe hier der Anordnung von Sicherungsverwahrung zwingend im Wege, bedarf die Sache insoweit neuer tatrichterlicher Würdigung.
3. Bei einer Urteilsaufhebung wegen einer nicht rechtsfehlerfrei unterbliebenen Anordnung von Sicherungsverwahrung kann im Einzelfall auch der Strafausspruch zugunsten des Angeklagten aufzuheben sein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß im Falle der Anordnung von Sicherungsverwahrung eine geringere Strafe verhängt worden wäre (vgl. BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1 m.w.N.). Hier hat die Strafkammer die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 StGB ausdrücklich bejaht, nachdem sie die beiden gewichtigeren Straftaten jeweils mit der insoweit erforderlichen Mindeststrafe von zwei Jahren geahndet hat. Unter diesen Umständen ist die Möglichkeit einer
Auswirkung der unterbliebenen Anordnung von Sicherungsverwahrung auf den Strafausspruch insgesamt zu verneinen.
Granderath Nack Wahl Kolz Becker

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5 StR 360/01

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Oktober 2001
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Diebstahls u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Oktober
2001, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Februar 2001 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Revision zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil aufgehoben, soweit die Anordnung von Sicherungsverwahrung unterblieben ist; ferner wird es zugunsten des Angeklagten im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit dreifacher Freiheitsberaubung, wegen Diebstahls in 18 Fällen und wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist, wie die Auslegung der Revisionsbegründung erweist, zum Nachteil des Angeklagten auf die Überprüfung des Unterlassens der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der 1968 in Beirut geborene Angeklagte lebt seit 1983 in Berlin. Er verschaffte sich seinen Lebensunterhalt im wesentlichen durch die Begehung von Eigentumsdelikten und wurde vielfach verurteilt, zuletzt im Jahre 1996 wegen mehrerer Trickdiebstähle aus Wohnungen betagter Frauen; zwei dieser Taten wurden mit Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr, eine mit einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten geahndet. Die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wurde vollständig bis zum 2. August 1999 vollstreckt.
Der Angeklagte verschaffte sich vom 21. Oktober 1999 bis zu seiner Festnahme am 18. Januar 2000 auf ähnliche Weise aus 14 Wohnungen vor allem Bargeld und Schmuck im Wert von insgesamt über 39.000 DM. In sechs Fällen konnte der Angeklagte nach Trickdiebstahl der Wohnungsschlüssel keine Beute erzielen. Dabei hatte der Angeklagte die Aufmerksamkeit der hochbetagten, seh- und gehbehinderten Frauen auf von ihm vorgehaltene Visitenkarten oder Zettel mit Scheinanschriften in der Nähe ihrer Wohnungen gelenkt. Einmal blieb seine List, durch blitzschnelles Aufdrehen aller Wasserhähne einen Wasserschaden vorzutäuschen und die dadurch entstandene Verwirrung der Wohnungsinhaberin auszunutzen, erfolglos. In einem Fall mißlang der Schlüsseldiebstahl aus einer Handtasche.
Beim Verlassen einer Wohnung mit Schmuck und Bargeld schlug der Angeklagte mit beiden Fäusten gegen die Brust der 80jährigen Geschädigten , um sich im Besitz der Beute zu halten (Fall 15). Die Geschädigte fiel auf den Rücken und zog sich langandauernd schmerzhafte Prellungen zu. In
einem weiteren Fall (Fall 20) schlug der Angeklagte die Hand der 87jährigen Geschädigten weg und sicherte dadurch erneut seinen Gewahrsam an gestohlenen Geldscheinen. Anschließend schloß er die alte Frau und zwei weitere in der Wohnung weilende über 90 Jahre alte Personen im Wohnzimmer ein, um ungestört mit der Beute flüchten zu können.

II.


Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Das Landgericht hat die Taten, denen ein einheitliches “handschriftartiges” Handlungsmuster zugrundeliege, mit zahlreichen Indizien nach fehlerfreier Gesamtwürdigung (vgl. BGHR StPO § 261 ± Beweiswürdigung 2 m.w.N.) sämtlich allein dem Angeklagten zugerechnet.
Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht auch nicht verpflichtet, die Merkmale der inneren Tatseite hinsichtlich der Nötigungen und der Körperverletzung näher darzulegen. Aus der Schilderung des äußeren Sachverhalts ergibt sich hier vorsätzliches Handeln des Angeklagten von selbst (vgl. BGHR StGB § 15 ± Vorsatz, bedingter 2).
Der Schuldspruch enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Die maßvollen Strafaussprüche sind nicht zu beanstanden.

III.


Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Anwendung von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausschließt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat dazu ausgeführt, die dissoziale Persönlichkeitsstruktur
des Angeklagten lasse zwar ähnliche Straftaten der mittleren Eigentumskriminalität erwarten, deren Gewicht erreiche aber “in jedem Einzelfall aus Rechtsgründen noch nicht die Qualität einer besonders schweren seelischen Beeinträchtigung oder eines besonders schweren wirtschaftlichen Schadens”. Damit werden mit den gesetzlichen Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu vereinbarende erhöhte Anforderungen gestellt. Diese Vorschrift verlangt eine Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten; hierfür genügen auch Taten, durch die ein schwerer seelischer, körperlicher oder wirtschaftlicher Schaden verwirklicht wird. Wenn das Landgericht “besonders” schwere seelische Beeinträchtigungen oder “besonders” schwere wirtschaftliche Schäden fordert , so überschreitet es den ihm eingeräumten Rahmen tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 1). Feststellungen zu seelischen Schäden hat das Landgericht zudem nicht getroffen, obwohl solche Auswirkungen angesichts der meist hochbetagten, zum Teil gebrechlichen und in panische Angst geratenen Opfer (UA S. 23) naheliegen (vgl. BGHR § 66 StGB Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Strafkammer hat auch nicht bedacht, daû die beiden als räuberische Diebstähle ausgeurteilten Taten belegen, daû der Angeklagte zur Sicherung seiner Beute bereit ist, Gewalt anzuwenden, die gerade bei den betagten und behinderten Opfern auch zu schweren körperlichen Schäden führen kann. Die vom Angeklagten begangene Diebstahlsserie hätte auûerdem eine Würdigung des Gesamtschadens als schwerer wirtschaftlicher Schaden im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nahegelegt. Bei Diebstählen, die planmäûig auf Wiederholung angelegt sind oder infolge des Hanges in rascher Folge begangen wurden, ist nämlich die Höhe des durch die Tat insgesamt verursachten Schadens maûgebend (BGHSt 24, 153, 157; 24, 345, 347; BGH NStZ 1984,

309).


Unabhängig von diesen Einzelerwägungen wird die Gesetzesauslegung des Landgerichts dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Anliegen
nicht gerecht. Daû gemäû § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ªnamentlichº solche Straftaten als ªerheblichº eingestuft werden, die zu schweren Schäden führen , hat vornehmlich den Sinn, Straftaten von geringerem Schweregrad auszuscheiden , soll aber keine abschlieûende Regelung bedeuten (BGH NStZ 1986, 165). Entscheidend soll vielmehr sein, daû die Straftaten einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 ± Erheblichkeit 3). Die Erheblichkeit einer Straftat ist also nicht allein am eingetretenen Erfolg zu messen (vgl. BGH NStZ aaO). Das gehäufte gezielte, in der Regel durch Trickdiebstahl vorbereitete Eindringen des Angeklagten in Wohnungen betagter und gebrechlicher Frauen zur Begehung von gewerbsmäûigen Diebstählen bei Inkaufnahme auch körperlicher Konfrontationen läût schwerlich eine andere Beurteilung zu als die, daû es sich um eine den Rechtsfrieden ganz empfindlich störende, die Allgemeinheit erheblich in Mitleidenschaft ziehende und damit ªerhebliche Straftatº handelt.
2. Zwar schlieût der Senat aus, daû die Einzelstrafen geringer hätten ausfallen können, wenn der Tatrichter Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGHR StGB § 66 ± Strafausspruch 1; BGH StV 2000, 615, 617; BGH, Urteil vom 7. November 2000 ± 1 StR 377/00 ±). Er vermag indes nicht auszuschlieûen , daû die Gesamtstrafe milder bemessen worden wäre, falls das Landgericht zugleich auf Sicherungsverwahrung erkannt hätte (vgl. BGH NJW 1980, 1055, 1056). Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler aber nicht. Weitergehende, den bis-
herigen nicht widersprechende Feststellungen darf der neue Tatrichter, der gemäû § 246a StPO den psychiatrischen Sachverständigen (nur noch) zur Frage einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung erneut zu hören haben wird, treffen.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 43/17
vom
16. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person
ECLI:DE:BGH:2017:160517B3STR43.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision erweist sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StGB.
2
1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte nach einem gemeinsamen Gasthausbesuch der Nebenklägerin, die eine Blutalkoholkonzentration von mindestens drei Promille aufwies und sich nicht mehr selbständig fortzubewegen vermochte, und deren Freundin vorgeschlagen , in seiner Wohnung zu übernachten. Dort entkleidete er - ohne dass sie dies bemerkte - den Unterleib der auf dem Bett schlafenden Nebenklägerin und fasste an ihre Brüste. Hiervon erwachte die Nebenklägerin, die erfolglos ver- suchte, die Hände des Angeklagten wegzuschieben, was ihr jedoch nicht gelang , weil sie die Arme kaum heben konnte. Der Angeklagte drehte die reglos daliegende Geschädigte nun auf den Rücken, drang mit seinem Glied in ihre Scheide ein und vollzog ungeschützt den Geschlechtsverkehr. Dabei war ihm bewusst, dass die Nebenklägerin infolge der massiven Alkoholintoxikation und ihrer Übermüdung nicht in der Lage war, seinem Verhalten entgegenzutreten. Die Nebenklägerin gab allerdings durch Hin- und Herwerfen ihres Kopfes und die wiederholt gemurmelte Aufforderung, dies zu unterlassen, zu verstehen, dass sie mit dem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden war, bevor sie wieder einschlief.
3
2. Das Landgericht hat dieses Verhalten rechtsfehlerfrei nach dem zur Tatzeit und noch zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung geltenden Recht als schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person nach § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB aF gewertet. Zwar ist danach das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460 ff.) in Kraft getreten, was der Senat bei seiner Entscheidung gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO zu berücksichtigen hat. Das angefochtene Urteil hat jedoch auch unter Beachtung der neuen Gesetzeslage Bestand, da sich diese im konkreten Fall nicht als milderes Recht im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB darstellt. Im Einzelnen :
4
a) Der Missbrauch widerstandsunfähiger Personen wurde durch § 179 Abs. 1 StGB aF im Grundtatbestand mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht. Als widerstandsunfähig im Sinne der Vorschrift wurde angesehen, wer aus einem der dort genannten Gründe - wenn auch nur vorübergehend - keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters bilden, äußern oder durchsetzen konnte (st.
Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 15. März 1989 - 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 147; Beschlüsse vom 23. November 2010 - 3 StR 410/10, NStZ 2011, 210; vom 10. August 2011 - 4 StR 338/11, NStZ 2012, 150; Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 394/14, NStZ-RR 2015, 44, 45).
5
Das neue Recht enthält demgegenüber im Grundtatbestand differenzierende Regelungen. § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF erfasst die Fälle, in denen das Opfer nicht mehr fähig ist, einen der sexuellen Handlung entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. Ist das Opfer infolge seines körperlichen oder psychischen Zustands nur erheblich eingeschränkt zur Bildung oder Äußerung eines derartigen Willens in der Lage und versichert sich der Täter nicht der Zustimmung des Opfers zu der sexuellen Handlung, so unterfällt die Tat § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB nF. Vermag das Opfer dagegen - wie hier - noch einen ablehnenden Willen zu bilden und zu äußern, setzt sich der Täter jedoch darüber hinweg, so greift § 177 Abs. 1 StGB nF ein. In allen diesen Fällen wird die Tat als sexueller Übergriff mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Infolge dieser geringeren Strafdrohung kann sich § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 oder 2 StGB nF im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB als milderes Gesetz im Vergleich zu § 179 Abs. 1 StGB aF darstellen (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - 3 StR 524/16, juris Rn. 4).
6
b) Allerdings hat der Angeklagte mit der Geschädigten den Beischlaf vollzogen. In einem solchen Fall, für den der vom Landgericht zur Anwendung gebrachte Qualifikationstatbestand des § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB aF eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vorsah, enthält auch das neue Recht in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nF ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 und Abs. 2 StGB nF, bei dessen Vorliegen dem Täter ebenfalls eine Mindeststrafe von zwei Jahren droht. Allerdings folgt hieraus nicht, dass der Strafrahmen für Taten, die nach früherer Rechtslage im Grundtatbestand von § 179 Abs. 1 StGB aF erfasst waren , nun aber § 177 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 StGB nF unterfallen, ohne weiteres identisch ist, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht. Denn während § 179 Abs. 5 StGB aF einen Qualifikationstatbestand enthielt, der bei Vollzug des Beischlafs - auch bei Annahme eines minder schweren Falles (vgl. § 179 Abs. 6 aF) - zwingend einen gegenüber dem Grundtatbestand des § 179 Abs. 1 StGB aF höheren Strafrahmen vorsah, stellt es eine allein dem Tatrichter obliegende Entscheidung der Strafzumessung dar, ob er es bei der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nF belässt. In einem solchen Fall ist das neue Recht nicht milder und es verbleibt bei der Anwendung des § 179 StGB aF, während sich bei einem Absehen von der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nF das neue Recht für den Angeklagten mit der Strafandrohung aus § 177 Abs. 1 StGB nF als günstiger darstellt, so dass es nach § 2 Abs. 3 StGB anzuwenden ist.
7
3. Vor diesem Hintergrund hat das Urteil Bestand. Der Senat kann ausschließen , dass das Landgericht, hätte es das neue Recht angewandt, von der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nF abgegangen wäre und eine niedrigere Strafe als die festgesetzte von drei Jahren und sechs Monaten verhängt hätte. Es ist bei der Bemessung der Strafe von dem Normalstrafrahmen des § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB aF ausgegangen. Einen minderschweren Fall gemäß § 179 Abs. 6 StGB aF hat es nach ausführlicher und rechtlich nicht zu beanstandender Gesamtabwägung verneint. Diese Gründe hätten das Landgericht aber ebenso veranlasst, es bei der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nF zu belassen.
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg