Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Feb. 2006 - XII ZB 215/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Das Familiengericht hat durch Verbundurteil, das dem Antragsgegner am 24. Mai 2005 zugestellt wurde, die Ehe der Parteien geschieden, der Antragstellerin die elterliche Sorge für die 1995 geborene gemeinsame Tochter übertragen und den Umgang des Antragsgegners mit ihr für ein Jahr ausgeschlossen.
- 2
- Die gegen die Sorgerechts- und Umgangsentscheidung gerichtete Beschwerdeschrift des Antragsgegners, die am 24. Juni 2005 beim Oberlandesgericht einging, und auch die beigefügte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes waren vom Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners nicht unterschrieben worden.
- 3
- Auf entsprechenden Hinweis des Gerichts beantragte der Antragsgegner mit am 27. Juni 2005 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und legte die Beschwerde, die er inzwischen mit am gleichen Tag eingegangenem Schriftsatz begründet hatte, erneut ein.
- 4
- Das Oberlandesgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Beschwerde als unzulässig. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
II.
- 5
- Die nach §§ 629 a Abs. 2 Satz 1, 621 e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO (Verwerfung) bzw. §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO (Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs) statthafte Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (hier: Sicherung einheitlicher Rechtsprechung) zulässig und zugleich begründet, weil dem Antragsgegner durch die Verwerfung die Rechtsmittelinstanz genommen wurde, und zwar zu Unrecht, weil das Beschwerdegericht die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch verkannt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). http://www.juris.de/jportal/portal/t/csy/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE027502301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 4 -
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- 1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, der Antragsgegner habe die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Umstände, die zur Absendung der nicht unterschriebenen Beschwerdeschrift geführt hätten, nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar habe sein Prozessbevollmächtigter anwaltlich versichert , dass für die bisher stets zuverlässigen Angestellten seiner Kanzlei die allgemeine Büroanweisung bestehe, sämtliche ausgehenden Schriftsätze vor der Kuvertierung und Absendung daraufhin zu überprüfen, ob sie mit der Unterschrift des Anwalts versehen sind. Den für die Fristversäumung ursächlichen Umstand, dass die Büroangestellte K. diese Weisung missachtet, das Fehlen der Unterschrift übersehen und die Beschwerdeschrift ohne die erforderliche Unterschrift kuvertiert und den Umschlag verschlossen habe, könne er durch seine eigene anwaltliche Versicherung nicht glaubhaft machen, da er damit nur solche Tatsachen bekräftigen könne, die Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung gewesen seien. Deshalb hätte er beispielsweise eine eidesstattliche Versicherung seiner Angestellten vorlegen müssen. Daran fehle es.
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- 2. Dem ist aus Rechtsgründen nicht zu folgen. Dem Antragsgegner ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war (§ 233 ZPO).
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- a) Grundsätzlich kann Wiedereinsetzung zwar nur gewährt werden, wenn jedes ursächliche (Mit-) Verschulden der Partei oder ihres Anwalts ausgeräumt wird. Hier liegt indes ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners vor, weil er in seiner anwaltlichen Versicherung einräumt, die Beschwerdeschrift sei ihm zusammen mit anderen Schriftsätzen in einer Unterschriftenmappe vorgelegt worden; er habe ihn aber zu unterschreiben vergessen.
- 9
- b) Ein solches Verschulden steht einer Wiedereinsetzung aber ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn im Rahmen der Büroorganisation durch eine allgemeine Arbeitsanweisung (hier: Kontrolle der Unterzeichnung ausgehender Schriftsätze vor deren Absendung) Vorsorge dafür getroffen wurde , dass bei normalem Verlauf der Dinge die Frist - trotz des Versehens des Rechtsanwalts - mit Sicherheit gewahrt worden wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Dezember 1984 - IVb ZB 103/84 - NJW 1985, 1226).
- 10
- Eine solche Anweisung hat der Antragsgegner hier durch anwaltliche Versicherung seines Anwalts hinreichend glaubhaft gemacht, was auch das Beschwerdegericht nicht in Abrede stellt.
- 11
- c) Einer Glaubhaftmachung der im Wiedereinsetzungsgesuch dargelegten weiteren Umstände, die für die Fristversäumnis ursächlich waren, bedurfte es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht.
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- Die Tatsache, dass die Beschwerdeschrift ohne die Unterschrift des Rechtsanwalts hinausging, ist anhand der Akten offenkundig, da sie ohne Unterschrift beim Beschwerdegericht einging. Eine Glaubhaftmachung erübrigte sich daher.
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- Daraus folgt zugleich zwingend, dass die Beschwerdeschrift unter Verstoß gegen die allgemeine Büroanweisung trotz fehlender Unterschrift versandt wurde und somit ein der Partei nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden einer Kanzleiangestellten vorlag. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, dass die Beschwerdeschrift hier nicht zur Post gegeben, sondern dem Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners auf dessen Anweisung zur Einreichung bei Gericht mitgegeben wurde. Denn diese Art der Beförderung konnte für die Fristversäumnis nicht mehr mitursächlich werden, weil sich aus der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Antragsgeg- ners auch ergibt, dass ihm die Beschwerdeschrift in einem verschlossenen Umschlag übergeben wurde. Er durfte sich darauf verlassen, dass seine allgemeine Büroanweisung befolgt wurde, und hatte daher keine Veranlassung, den Umschlag zwecks erneuter Kontrolle noch einmal zu öffnen.
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- Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an, ob die Kanzleiangestellte , wie im Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragen, das Fehlen der Unterschrift bei der Kuvertierung übersehen hat, und wie und warum es gegebenenfalls dazu gekommen ist. Wiedereinsetzung ist bereits dann zu gewähren, wenn hinreichend glaubhaft gemacht ist, dass die Fristversäumnis nicht auf einem Verschulden der Partei oder ihres Anwalts, sondern allenfalls auf einem Verschulden des Kanzleipersonals beruht. Auf welche Weise und aus welchen Gründen das Kanzleipersonal gegen eine allgemeine Büroanweisung verstoßen hat, ist irrelevant und bedarf keiner Glaubhaftmachung, solange jedenfalls der geschilderte äußere Geschehensablauf, der zur Versäumung der Frist geführt hat, nachvollzogen werden kann. Denn ein der Partei zuzurechnendes Verschulden wäre im vorliegenden Fall selbst dann nicht gegeben, wenn die Büroangestellte etwa das Fehlen der Unterschrift bemerkt und bewusst gegen die bestehende Büroanweisung verstoßen hätte.
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- 3. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht zu erheben, weil sie bei richtiger Entscheidung des Berufungsgerichts nicht angefallen wären.
- 16
- Über die übrigen Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens - zu denen auch die Kosten der für den Antragsgegner erfolgreichen Rechtsbeschwerdeverfahren gehören - ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2000 - II ZB 20/99 - NJW 2000, 3284, 3286).
Vorinstanzen:
AG Erfurt, Entscheidung vom 04.05.2005 - 32 F 1222/01 -
OLG Jena, Entscheidung vom 22.08.2005 - 1 UF 243/05 -
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Annotations
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
(2) Die Entscheidung trifft das Gericht. Solange nicht das Gericht entschieden hat, können Anordnungen nach Absatz 1 im Verwaltungsweg erlassen werden. Eine im Verwaltungsweg getroffene Anordnung kann nur im Verwaltungsweg geändert werden.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
(2) Die Entscheidung trifft das Gericht. Solange nicht das Gericht entschieden hat, können Anordnungen nach Absatz 1 im Verwaltungsweg erlassen werden. Eine im Verwaltungsweg getroffene Anordnung kann nur im Verwaltungsweg geändert werden.