Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Sept. 2019 - XII ZB 148/19

bei uns veröffentlicht am04.09.2019
vorgehend
Amtsgericht Schweinfurt, 4 XVII 512/18, 26.11.2018
Landgericht Schweinfurt, 11 T 28/19, 04.03.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 148/19
vom
4. September 2019
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Die gesetzliche Form der Einlegung der Beschwerde durch Erklärung zur
Niederschrift der Geschäftsstelle gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist
auch gewahrt, wenn die Beschwerde zur Niederschrift des zuständigen
Richters eingelegt und die Einlegung von diesem protokolliert wird.

b) Zur Notwendigkeit der Überlassung des Sachverständigengutachtens an
den Betroffenen vor Anordnung einer Betreuung (Anschluss an Senatsbeschlüsse
vom 6. Februar 2019 - XII ZB 393/18 - FamRZ 2019, 724 und vom
21. November 2018 - XII ZB 57/18 - FamRZ 2019, 387).
BGH, Beschluss vom 4. September 2019 - XII ZB 148/19 - LG Schweinfurt
AG Schweinfurt
ECLI:DE:BGH:2019:040919BXIIZB148.19.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. September 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Schweinfurt vom 4. März 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Wert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Das Amtsgericht hat für den Betroffenen nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge , Aufenthaltsbestimmung, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Abschluss von Verträgen jeglicher Art, Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung und unterbringungsähnliche Maßnahmen und Vermögenssorge eingerichtet sowie die Beteiligte zu 1 zur Betreuerin bestellt. Es hat zudem einen auf die Vermögenssorge bezogenen Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
2
Dagegen hat der Betroffene Einwände erhoben, die von den Vorinstanzen als Beschwerde betrachtet worden sind. Das Landgericht hat einen Verfahrenspfleger bestellt und die Beschwerde sodann ohne erneute Anhörung zurückgewiesen. Mit der von ihm eingelegten Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen die Einrichtung der Betreuung.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist, wie der Betroffene mit Recht rügt, verfahrensfehlerhaft ergangen.
4
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb zurückzuweisen, weil die Erstbeschwerde verfristet wäre.
5
Das Landgericht hat die Wirksamkeit der Ersatzzustellung des amtsgerichtlichen Beschlusses an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter eines Krankenhauses nicht festzustellen vermocht. Aus der Akte gehe nicht hervor, dass der Betroffene, der sich kurz zuvor noch in einem anderenKrankenhaus befunden habe, dort gewohnt, das heißt dort gelebt und geschlafen habe. Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2018 - XII ZB 138/18 - FamRZ 2018, 1534 Rn. 4) und ist als tatrichterliche Feststellung nicht zu beanstanden. Dementsprechend ist die Beschwerdefrist zunächst nicht in Lauf gesetzt worden.
6
Der Betroffene hat die Beschwerde zwar durch eine von ihm gegenüber der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zunächst abgegebene telefonische Erklärung noch nicht wirksam eingelegt, weil es insoweit an der nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG erforderlichen Form fehlt. Indessen hat er in seiner anschließenden Anhörung durch die im Abhilfeverfahren zuständige Amtsrichterin ausweis- lich des von dieser gefertigten Protokolls erneut erklärt, dass er die angeordnete Betreuung ablehne, was das Landgericht in zulässiger Weise als Beschwerdeeinlegung angesehen hat. Dies genügt dem Formerfordernis nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG, wobei unschädlich ist, dass die Beschwerde zur Niederschrift des Richters statt der Geschäftsstelle eingelegt worden ist, und auch eine Unterschrift des Betroffenen auf dem Anhörungsprotokoll nicht erforderlich war (vgl. Keidel/Sternal FamFG 19. Aufl. § 64 Rn. 18 mwN).
7
2. Die angefochtene Entscheidung ist bereits deshalb verfahrensfehlerhaft ergangen, weil dem Betroffenen das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten entgegen § 37 Abs. 2 FamFG weder während des erstinstanzlichen Verfahrens noch im Beschwerdeverfahren überlassen worden ist. Die vorliegend erfolgte bloß auszugsweise Bekanntgabe durch die Betreuungsbehörde und durch den in der Rechtshilfe tätigen Richter genügt hierfürnicht. Dieser Mangel führt zugleich zur Verfahrensfehlerhaftigkeit der Anhörung des Betroffenen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Februar 2019 - XII ZB 393/18 - FamRZ 2019, 724 Rn. 8 und vom 21. November 2018 - XII ZB 57/18 - FamRZ 2019, 387 Rn. 6 mwN).
8
3. Da die genannten Verfahrensmängel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen, kommt es auf die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen nicht an. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen , weil es weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
9
Das Landgericht wird nach Überlassung des Gutachtens an den Betroffenen diesen - in Anwesenheit des Verfahrenspflegers - persönlich anzuhören haben (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2019 - XII ZB 58/19 - FamRZ 2019, 1355 Rn. 11 ff. mwN). Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht zugleich Gelegenheit, im Fall des Vorliegens der allgemeinen Voraussetzungen einer Betreuung die Erforderlichkeit der einzelnen Aufgaben sowie eines Einwilligungsvorbehalts zu überprüfen und diese gegebenenfalls nachvollziehbar zu begründen.
Dose Klinkhammer Günter Botur Krüger
Vorinstanzen:
AG Schweinfurt, Entscheidung vom 26.11.2018 - 4 XVII 512/18 -
LG Schweinfurt, Entscheidung vom 04.03.2019 - 11 T 28/19 -

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 64 Einlegung der Beschwerde


(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird. Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sind bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten werden soll. (

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 37 Grundlage der Entscheidung


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. (2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.

(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird. Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sind bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten werden soll.

(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle ist in Ehesachen und in Familienstreitsachen ausgeschlossen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.

(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist.

4
a) Allerdings erlauben §§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG, § 178 Abs. 1 ZPO dann, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen wird, die Ersatzzustellung an bestimmte Dritte. Das mithin erforderliche Merkmal des "Nichtantreffens" des Zustellungsadressaten als Voraussetzung etwa für eine Ersatzzustellung in Geschäftsräumen ist bereits erfüllt, wenn der Adressat von einer dort beschäftigten Person als abwesend oder verhindert bezeichnet wird; weitere Nachforschungen des Zustellers sind dann regelmäßig nicht veranlasst (vgl. BGH Beschlüsse vom 29. März 2017 - VIII ZR 11/16 - NJW 2017, 2472 Rn. 29 und vom 4. Februar 2015 - III ZR 513/13 - NJW-RR 2015, 702 Rn. 10 ff. mwN).

(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird. Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sind bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten werden soll.

(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle ist in Ehesachen und in Familienstreitsachen ausgeschlossen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.

(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.

8
(1) Wird dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (Senatsbeschluss vom 21. November 2018 - XII ZB 57/18 - juris Rn. 6 mwN). Von einer Bekanntgabe des Gutachtens mit seinem vollen Wortlaut kann nur abgesehen werden, wenn zu besorgen ist, die Bekanntgabe werde die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden. In einem solchen Fall muss jedoch dem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt werden, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (Senatsbeschluss vom 17. Mai 2017 - XII ZB 18/17 - FamRZ 2017, 1323 Rn. 11 mwN).
6
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Das setzt voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern (Senatsbeschluss vom 6. April 2016 - XII ZB 397/15 - FamRZ 2016, 1148 Rn. 11 mwN). Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (Senatsbeschluss vom 15. August 2018 - XII ZB 10/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 14).
11
bb) Gemessen hieran durfte das Landgericht im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen, weil bereits die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht an einem wesentlichen Verfahrensmangel litt. Denn dem Betroffenen wurde das eingeholte Sachverständigengutachten nicht überlassen.