Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Nov. 2016 - XI ZR 319/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Maihold und Dr. Matthias sowie die Richterinnen Dr. Derstadt und Dr. Dauber
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Die Anhörungsrüge ist unbegründet, weil der Senat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 3 ZPO). Der Senat hat das Vorbringen der Klägerin umfassend geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.
- 2
- Insbesondere findet der in das Zentrum der Anhörungsrüge gestellte Angriff der Klägerin, das Berufungsgericht sei entscheidungserheblich von einem Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13. November 2014 - III ZR 544/13, BGHZ 203, 174 ff.) abgewichen und habe dabei zugleich gegen das Willkürverbot verstoßen, im Berufungsurteil keine Stütze. Die Klägerin rügt, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, dass diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs zwar unmittelbar Regelungen des Versicherungsvertragsrechts nach dem Stand vom 23. November 2007 (§§ 61, 62 VVG) betreffe, sachlich aber auch die davor geltenden Regelungen (§§ 42c, 42d VVG aF) erfasse , da insoweit der Wortlaut der Vorschriften nicht geändert worden sei.
- 3
- Die Anhörungsrüge übergeht dabei, dass das Berufungsgericht zwischen den ersten beiden Verträgen vom September 2006 und den beiden nachfolgenden Verträgen, die im Juli bzw. August 2007 geschlossen worden sind, hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereich der jeweils anzuwendenden Normen unterscheidet.
- 4
- Danach ist die Auffassung der Klägerin - was in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils (Abschnitt 1.2.) zutreffend ausgeführt ist - für die beiden im September 2006 abgeschlossenen Verträge ohne Bedeutung, da zu diesem Zeitpunkt weder die aktuell geltenden Vorschriften noch die in der Anhörungsrüge genannten unmittelbaren Vorgängerregelungen in Kraft waren. Die von der Gehörsrüge in Anspruch genommenen Pflichten in den §§ 42c, 42d VVG aF sind in dem Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlungsrechts vom 19. Dezember 2006 enthalten und am 22. Mai 2007 in Kraft getreten. Deswegen ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen (Entscheidungsgründe 1.2.4), dass die genannte Rechtsprechung des III. Zivilsenat zu Dokumentations- und Beratungspflichten, gleichgültig ob diese Pflichten auf die §§ 42c, 42d VVG aF oder die §§ 61, 62 VVG in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gestützt werden, auf die im September 2006 abgeschlossenen Verträge keine Anwendung finden konnte.
- 5
- In Abgrenzung davon hat das Berufungsgericht in einem eigenständigen Abschnitt der Urteilsbegründung (1.3.) Beratungs- und Dokumentationspflichten hinsichtlich der beiden weiteren von der Klägerin im Juli bzw. August 2007 abgeschlossenen Verträge behandelt. Es hat dazu - anders als im vorangehenden Abschnitt - die zu diesem Zeitpunkt geltenden §§ 42c, 42d VVG aF herangezogen und ist zu der Überzeugung gelangt, die Beklagte zu 1 habe die in diesen Vorschriften genannte Dokumentationspflicht erfüllt. Da damit das Berufungsgericht - anders als der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der von der Ge- hörsrüge genannten Entscheidung (vgl. Urteil vom 13. November 2014 - III ZR 544/13, BGHZ 203, 174 Rn. 18) - positiv festgestellt hat, dass Dokumentationspflichten nicht verletzt worden sind, hat es in sachlicher Übereinstimmung mit diesem Urteil des III. Zivilsenats keine Grundlage für eine Beweiserleichterung zugunsten der Klägerin gesehen (Entscheidungsgründe 1.3.1.).
- 6
- Für die Entscheidung des Berufungsgerichts ist nicht tragend, ob das Berufungsgericht möglicherweise davon ausgegangen ist, die im Zeitpunkt des Abschlusses der beiden letzten Verträge noch nicht in Kraft getretenen §§ 61, 62 VVG enthielten Beratungs- und Dokumentationspflichten, die über die Regelungen der vom Berufungsgericht geprüften §§ 42c, 42d VVG aF hinausgehen würden. Denn das Berufungsgericht hat die zeitlich geltenden Regelungen der §§ 42c, 42d VVG aF angewendet, dabei keine Verletzung der Dokumentationspflicht durch die Beklagte zu 1 festgestellt und sodann in Übereinstimmung mit der von der Gehörsrüge genannten Entscheidung des III. Zivilsenats eine Umkehr der Beweislast verneint.
- 7
- Entgegen der Darstellung der Gehörsrüge hat das Berufungsgericht auch nicht den von der genannten Entscheidung des III. Zivilsenats (Urteil vom 13. November 2014 - III ZR 544/13, BGHZ 203, 174 Rn. 18 Rn. 12 f.) abweichenden Rechtssatz aufgestellt, ein Versicherungsvermittler müsse den Kunden nicht auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung eines bestehenden und des Abschlusses eines neuen Lebensversicherungsvertrags aufklären. Das Berufungsgericht hat vielmehr eine ordnungsgemäße Information der Klägerin über die bei Auflösung der Versicherungsverträge eintretenden Verluste positiv festgestellt (Entscheidungsgründe 1.3.10.).
- 8
- Von einer weiteren Begründung wird nach § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen, der im Anwendungsbereich des § 321a Abs. 4 Satz 5 ZPO entsprechend gilt (BVerfGK 18, 301, 307; Senatsbeschlüsse vom 8. Juni 2016 - XI ZR 268/15, juris Rn. 5, vom 2. September 2015 - XI ZR 280/14, juris Rn. 5, vom 13. April 2015 - XI ZA 10/14, juris Rn. 3 und vom 18. Mai 2009 - XI ZR 178/08, juris).
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 30.05.2014 - 23 O 7463/11 -
OLG München, Entscheidung vom 22.06.2015 - 21 U 2420/14 -
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.
(1) Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 zu dokumentieren.
(2) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung oder die Dokumentation nach Absatz 1 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherungsvermittler ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers auswirken kann, gegen den Versicherungsvermittler einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
(1) Dem Versicherungsnehmer sind die Informationen nach § 60 Abs. 2 vor Abgabe seiner Vertragserklärung, die Informationen nach § 61 Abs. 1 vor dem Abschluss des Vertrags klar und verständlich in Textform zu übermitteln.
(2) Die Informationen nach Absatz 1 dürfen mündlich übermittelt werden, wenn der Versicherungsnehmer dies wünscht oder wenn und soweit der Versicherer vorläufige Deckung gewährt. In diesen Fällen sind die Informationen unverzüglich nach Vertragsschluss, spätestens mit dem Versicherungsschein dem Versicherungsnehmer in Textform zu übermitteln; dies gilt nicht für Verträge über vorläufige Deckung bei Pflichtversicherungen.
(1) Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 zu dokumentieren.
(2) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung oder die Dokumentation nach Absatz 1 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherungsvermittler ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers auswirken kann, gegen den Versicherungsvermittler einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
(1) Dem Versicherungsnehmer sind die Informationen nach § 60 Abs. 2 vor Abgabe seiner Vertragserklärung, die Informationen nach § 61 Abs. 1 vor dem Abschluss des Vertrags klar und verständlich in Textform zu übermitteln.
(2) Die Informationen nach Absatz 1 dürfen mündlich übermittelt werden, wenn der Versicherungsnehmer dies wünscht oder wenn und soweit der Versicherer vorläufige Deckung gewährt. In diesen Fällen sind die Informationen unverzüglich nach Vertragsschluss, spätestens mit dem Versicherungsschein dem Versicherungsnehmer in Textform zu übermitteln; dies gilt nicht für Verträge über vorläufige Deckung bei Pflichtversicherungen.
(1) Der Versicherungsvermittler hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 zu dokumentieren.
(2) Der Versicherungsnehmer kann auf die Beratung oder die Dokumentation nach Absatz 1 durch eine gesonderte schriftliche Erklärung verzichten, in der er vom Versicherungsvermittler ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers auswirken kann, gegen den Versicherungsvermittler einen Schadensersatzanspruch nach § 63 geltend zu machen. Handelt es sich um einen Vertrag im Fernabsatz im Sinn des § 312c des Bürgerlichen Gesetzbuchs, kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
(1) Dem Versicherungsnehmer sind die Informationen nach § 60 Abs. 2 vor Abgabe seiner Vertragserklärung, die Informationen nach § 61 Abs. 1 vor dem Abschluss des Vertrags klar und verständlich in Textform zu übermitteln.
(2) Die Informationen nach Absatz 1 dürfen mündlich übermittelt werden, wenn der Versicherungsnehmer dies wünscht oder wenn und soweit der Versicherer vorläufige Deckung gewährt. In diesen Fällen sind die Informationen unverzüglich nach Vertragsschluss, spätestens mit dem Versicherungsschein dem Versicherungsnehmer in Textform zu übermitteln; dies gilt nicht für Verträge über vorläufige Deckung bei Pflichtversicherungen.
(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.