vorgehend
Oberlandesgericht Hamm, 32 SA 80/12, 07.10.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ARZ 507/12
vom
19. Februar 2013
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die Verweisung des Rechtsstreits durch das örtlich unzuständige Gericht
ist auch dann bindend, wenn der Beklagte erklärt hat, in der mündlichen
Verhandlung die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht
rügen zu wollen, jedoch auf die Zuständigkeitsrüge nicht verzichtet hat.
BGH, Beschluss vom 19. Februar 2013 - X ARZ 507/12 - OLG Hamm
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2013
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin
Mühlens, den Richter Dr. Bacher, die Richterin Schuster und den Richter
Dr. Deichfuß

beschlossen:
Zuständiges Gericht ist das Landgericht Traunstein.

Gründe:


I. Die Klägerin hat die Beklagten neben zwei weiteren Parteien
1
vor dem Landgericht Dortmund wegen einer aus ihrer Sicht fehlgeschlagenen Beteiligung an einer Fondsgesellschaft als Gesamtschuldner auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Mit Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens hat das Landgericht
2
Dortmund auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit für die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche hingewiesen. Die Klägerin hat daraufhin beantragt, das Verfahren gegen die Beklagten abzutrennen und den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht Traunstein zu verweisen. Die Beklagten haben erklärt, eine etwa erhobene Zuständigkeitsrüge nicht aufrechtzuerhalten. Das Landgericht Dortmund hat das Verfahren gegen die Beklagten vom Ausgangsrechtsstreit abgetrennt, sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Traunstein verwiesen. Das Landgericht Traunstein hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Das Oberlandesgericht Hamm hat die Sache gemäß § 36 Abs. 3
3
ZPO dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
4
II. Die Vorlage ist zulässig. Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht , das nach § 36 Abs. 2 ZPO anstelle des Bundesgerichtshofs mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Das vorlegende Oberlandesgericht möchte seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde legen, dass der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Dortmund bindend und damit das Landgericht Traunstein als zuständiges Gericht zu bestimmen ist. Damit würde es von der Rechtsauffassung abweichen, die das Oberlandesgericht Stuttgart einer Entscheidung (NJW-RR 2010, 792) zugrunde gelegt hat. Es hat die Verweisung durch ein örtlich unzuständiges Gericht wegen der Ankündigung des Beklagten, die fehlende örtliche Zuständigkeit nicht rügen zu wollen, als objektiv willkürlich und mithin nicht bindend angesehen. III. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß
5
§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Das Landgericht Dortmund und das Landgericht Traunstein haben sich im Sinne dieser Vorschrift bindend für unzuständig erklärt; das Landgericht Dortmund durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das Landgericht Traunstein durch eine seine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung vom 10. Juli 2012. Eine solche Zuständigkeitsleugnung genügt den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 22. Februar 1978 - IV ARZ 10/78, BGHZ 71, 15, 17; Beschluss vom 10. Dezember 1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338, 339). IV. Zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das
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Landgericht Traunstein, da der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Dortmund gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist.
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entfällt die Bindungswirkung der Verweisung nicht schon dann, wenn der Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Ein Verweisungsbeschluss ist vielmehr nur dann nicht bindend, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, wenn er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498; Beschluss vom 10. September 2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634) oder wenn er sonst bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheint (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498). 2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe entfällt die bindende Wirkung
8
des Verweisungsbeschlusses nicht deshalb, weil das Landgericht Dortmund den Rechtsstreit vor der mündlichen Verhandlung an das Landgericht Traunstein verwiesen hat, obwohl die Beklagten schriftsätzlich erklärt haben, eine etwa erhobene Rüge der örtlichen Unzuständigkeit nicht aufrecht erhalten zu wollen und eine solche Rüge in den vorausgehenden Schriftsätzen auch nicht erhoben hatten.
a) Es kann dahinstehen, ob diese Verfahrensweise des Gerichts
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rechtsfehlerhaft oder lediglich im Hinblick auf das offensichtliche Interesse der Parteien, zwei Rechtsstreitigkeiten vor unterschiedlichen Gerichten zu vermeiden, unzweckmäßig war. Denn auch auf Verfahrensfehler beruhende und damit rechtsfehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend, wenn wie im Streitfall den Parteien vor der Verweisung rechtliches Gehör gewährt worden ist. Die Erklärung der Beklagten, eine Zuständigkeitsrüge nicht aufrechterhalten zu wollen, hat das Landgericht Dortmund auch zur Kenntnis genommen und sich hiermit auseinandergesetzt.
b) Entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart wird bei einer solchen
10
Prozesslage durch die Verweisung nicht willkürlich in eine mögliche zu- künftige Rechtsposition des Beklagten eingegriffen, der angekündigt hat, die fehlende örtliche Zuständigkeit in der mündlichen Verhandlung nicht rügen zu wollen mit der Folge, dass damit die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges begründet würde (§ 39 Satz 1 ZPO). Abgesehen davon, dass der Beklagte an eine derartige Ankündigung nicht gebunden ist, so dass es ihm frei steht, die fehlende örtliche Zuständigkeit ungeachtet seiner Ankündigung vor der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache zu rügen, geht § 39 Satz 1 ZPO auf die Erwägung zurück, dass es nicht hinnehmbar wäre, wenn sich der Beklagte in Kenntnis der Unzuständigkeit auf eine Verhandlung vor dem an sich unzuständigen Gericht einlassen und in einem späteren Stadium des Prozesses noch die Rüge der Unzuständigkeit erheben könnte (BGH, Urteil vom 26. Januar 1979 - V ZR 75/76, NJW 1979, 1104 unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung des Gesetzentwurfes des Bundesrats zur Änderung der ZPO vom 27. Februar 1973, BT-Drucks. 7/268 zu Art. 1 Nr. 3). Begibt sich der Kläger jedoch der Möglichkeit, die weitere Prozessführung vor dem zunächst angerufenen Gericht dadurch zu erreichen, dass der Beklagte ohne Zuständigkeitsrüge zur Sache verhandelt, indem er - wie im vorliegenden Fall - bereits vor der mündlichen Verhandlung die Verweisung an das zuständige Gericht beantragt, kann die darauf erfolgende Verweisung nicht als objektiv willkürlich angesehen werden.
11
c) Einen - rechtlich grundsätzlich möglichen - Verzicht der Beklagten auf die Zuständigkeitsrüge musste das Landgericht Dortmund deren Erklärungen nicht entnehmen.
Meier-Beck Mühlens Bacher
Schuster Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Hamm, Entscheidung vom 07.10.2012 - 32 SA 80/12 -

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(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt: 1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;2. wenn es mit Rücksich

Zivilprozessordnung - ZPO | § 281 Verweisung bei Unzuständigkeit


(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers

Zivilprozessordnung - ZPO | § 39 Zuständigkeit infolge rügeloser Verhandlung


Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges wird ferner dadurch begründet, dass der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt. Dies gilt nicht, wenn die Belehrung nach § 504 unterblieben ist.

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(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.

(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.

(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;
2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei;
3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist;
4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist;
5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben;
6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.

(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.

(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;
2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei;
3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist;
4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist;
5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben;
6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

(1) Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.

(2) Anträge und Erklärungen zur Zuständigkeit des Gerichts können vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden. Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.

(3) Die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht erwachsenen Kosten werden als Teil der Kosten behandelt, die bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht erwachsen. Dem Kläger sind die entstandenen Mehrkosten auch dann aufzuerlegen, wenn er in der Hauptsache obsiegt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ARZ 110/02
vom
9. Juli 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Ein Verweisungsbeschluß ist nicht schon deshalb willkürlich, weil er von einer "ganz
überwiegenden" oder "fast einhelligen" Rechtsauffassung abweicht.
BGH, Beschl. v. 9. Juli 2002 - X ARZ 110/02 - OLG Dresden
AG Weißwasser
AG Alsfeld
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 9. Juli 2002 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen,
Keukenschrijver und die Richterin Mühlens

beschlossen:
Zuständig ist das Amtsgericht Alsfeld.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Erstattung der sonstigen Kosten richtet nach der Kostentscheidung in der Hauptsache.

Gründe:


I. Die Klägerin nimmt den im Bezirk des Amtsgerichts Alsfeld wohnenden Beklagten auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 2.154,19 DM (= 1.101,42 ?) für Fliesenlegerarbeiten an einem Bauvorhaben in W. in Anspruch. Das zunächst angerufene Amtsgericht Weiûwasser hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluû vom 18. Dezember 2001 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Alsfeld verwiesen. Das Amtsgericht Alsfeld hat sich mit Beschluû vom 12. Februar 2002 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Dresden zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Das Oberlandesgericht Dresden möchte das Amtsgericht Alsfeld als zuständiges Gericht bestimmen. Es sieht sich hieran durch Entscheidungen der Oberlandesgerichte Schleswig (Beschl. v. 24.5.2000 - 2 W 83/00, MDR 2000, 1453) und Naumburg (Beschl. v. 4.1.2001 - 1 AR 54/00, MDR 2001, 769) gehindert. Deshalb hat es die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
II. Die Vorlage ist zulässig. Das Oberlandesgericht Dresden würde sich mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu den zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Schleswig und Naumburg setzen. Diese haben entschieden, ein Verweisungsbeschluû sei willkürlich und deshalb nicht bindend, wenn das verweisende Gericht von der "fast einhelligen" (so das OLG Schleswig aaO) bzw. "ganz überwiegenden" (so das OLG Naumburg aaO) Auffassung abgewichen ist, wonach Erfüllungsort für eine Werklohnforderung regelmäûig der Ort des Bauwerks ist. Das vorlegende Oberlandesgericht Dresden hält es hingegen mit dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit für unvereinbar, eine Verweisung als willkürlich anzusehen, die auf einer vertretbaren Mindermeinung beruht, mag diese auch zahlenmäûig wenig Befürworter haben.
III. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Alsfeld.
1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäû § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Weiûwasser als auch das Amtsgericht Alsfeld haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.
2. Das Amtsgericht Alsfeld ist örtlich zuständig. Der Verweisungsbeschluû des Amtsgerichts Weiûwasser ist gemäû § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Verweisungsbeschluû nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, daû der Beschluû inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt vor, wenn dem Beschluû jede rechtliche Grundlage fehlt (Sen.Beschl. v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273). Dies ist auch dann der Fall, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständig erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45, 49; vgl. auch Sen.Beschl. v. 23.1.1996 - X ZB 3/95, MDR 1996, 1032).
Bei Anlegung dieser Maûstäbe ist der Verweisungsbeschluû des Amtsgerichts Weiûwassers nicht willkürlich. Das Amtsgericht Weiûwasser ist in se inem Verweisungsbeschluû zwar von einer Rechtsauffassung abgewichen, die sowohl vom Bundesgerichtshof als auch von zahlreichen Oberlandesgerichten vertreten wird. Dies vermag den Vorwurf der Willkür indes schon deshalb nicht zu begründen, weil dem deutschen Recht eine Präjudizienbindung grundsätzlich fremd ist, eine bloûe Abweichung von einer höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung kann daher nicht schon allein aus diesem Grunde als willkürlich in diesem Sinne angesehen werden. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Sen.Beschl. v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273; BayObLG, Beschl. v. 22.7.1986 - Allg. Reg. 88/85, MDR 1987, 59; OLG Celle, Beschl. v. 15.11.2001 - 4 AR 79/01,
OLGRep. Celle 2002, 11; KG, Beschl. v. 10.2.1999 - 28 AR 13/99, KGRep. Berlin 1999, 242; OLG Brandenburg, Beschl. v. 8.3.2001 - 1 AR 7/01, OLGRep. Brandenburg 2001, 247, 249).
Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das Amtsgericht Weiûwasser hat sich mit der herrschenden Auffassung auseinandergesetzt und kurz begründet, warum es diese für nicht zutreffend hält. Es hat zudem mehrere Entscheidungen von Landgerichten zitiert, die ebenfalls seiner Auffassung sind. Seine Entscheidung mag rechtlich unzutreffend sein. Willkürlich ist sie nicht.
Einer weitergehenden Ausdehnung des Willkür-Begriffs vermag sich der Senat nicht anzuschlieûen. Allerdings haben die eingangs zitierten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Schleswig und Naumburg zum Teil auch in der Literatur Zustimmung gefunden. Die ihnen zugrunde liegende Rechtsauffassung wird dort als geeignetes Mittel angesehen, um einer miûbräuchlichen Anwendung der Verweisungsmöglichkeit des § 281 ZPO Einhalt gebieten zu können (Zöller/Greger, 23. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 17; vgl. auch Musielak/Foerste, 3. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 17). Selbst wenn dies zuträfe, stünde die damit verbundene Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit aber in keinem Verhältnis zu dem angestrebten Ziel. Sofern es zu einer miûbräuchlichen Anwendung von Verfahrensvorschriften kommt, muû diese im Einzelfall festgestellt und unterbunden werden. Es ginge hingegen zu weit, eine Entscheidung
schon deshalb als willkürlich anzusehen, weil sie von einer als herrschend bezeichneten Auffassung abweicht (ebenso Womelsdorf, MDR 2001, 1161 f.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 60. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 39; vgl. auch MünchKomm.ZPO/Prütting, 2. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 54; Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 30).
Melullis Jestaedt Scharen
Keukenschrijver Mühlens

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ARZ 217/02
vom
10. September 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein

a) Die von einem zuständigen Gericht ausgesprochene Verweisung ist willkürlich
und daher nicht bindend, wenn sie darauf beruht, daß das Gericht
eine bereits vor längerer Zeit vorgenommene Gesetzesänderung, mit der
gerade solche Verweisungen unterbunden werden sollen, nicht zur Kenntnis
genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat (im Anschluß
an Sen.Beschl. v. 19.01.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273).

b) Weist das Gericht die Parteien von sich aus auf eine angebliche, im Gesetz
aber nicht vorgesehene Verweisungsmöglichkeit hin, so sind auch der
daraufhin vom Kläger gestellte Verweisungsantrag und das Einverständnis
des Beklagten mit diesem Antrag nicht geeignet, der rechtswidrigen Verweisung
den Willkürcharakter zu nehmen.
BGH, Beschl. v. 10. September 2002 - X ARZ 217/02 - OLG Stuttgart
AG Stuttgart
AG Wetzlar
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 10. September 2002
durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und die Richter Prof. Dr. Jestaedt,
Scharen, Keukenschrijver und Asendorf

beschlossen:
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Stuttgart bestimmt.

Gründe:


I. Auf Antrag der Klägerin hat das Amtsgericht H. gegen die Beklagte einen Mahnbescheid wegen angeblicher Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich im Bezirk des Amtsgerichts W. ereignet hat, erlassen. Nach Widerspruchserhebung durch die Beklagte ist der Rechtsstreit am 18. Februar 2002 an das Amtsgericht S. abgegeben worden. Die Klägerin hat im Mahnantrag dieses Gericht, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Sitz hat, als für ein streitiges Verfahren zuständig bezeichnet.
Das Amtsgericht S. hat am 27. Februar 2002 ein Schreiben an die Klägerin mit folgendem Zusatz verfügt: "Sofern sich der Unfall nicht im Bereich der Zuständigkeit des Amtsgerichts S. ereignet hat und Verweisung an das Gericht des Unfallorts beantragt wird, möge erklärt werden, ob die Verweisung im schriftlichen Verfahren erfolgen kann." Daraufhin hat die Klägerin die
Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht W. beantragt. Sie hat sich dabei auf einen gleichlautenden, mit Telefax vom 25. Februar 2002 beim Amtsgericht H. eingereichten Antrag bezogen. Auf Befragen hat die Beklagte kei- ne Einwände gegen eine Verweisung im schriftlichen Verfahren erhoben. Daraufhin hat sich das Amtsgericht S. mit Beschluß vom 27. März 2002 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht W. verwiesen. Dieses hat die Übernahme mit Beschluß vom 22. April 2002 abgelehnt.
Das Oberlandesgericht S. , dem das Amtsgericht S. die Sache gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung vorgelegt hat, hält den Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts S. für bindend und somit die Zuständigkeit des Amtsgerichts W. für gegeben. Dem stehe die Angabe im Mahnbescheid, das streitige Verfahren solle vor dem Amtsgericht S. durchgeführt werden, nicht entgegen. Zwar sei gemäß § 696 Abs. 1 Satz 1, § 700 Abs. 3 Satz 1 ZPO eine Korrektur der im Mahnantrag getroffenen Zuständigkeitswahl nur durch übereinstimmendes, bereits vor der Abgabe an das Empfangsgericht erklärtes Verlangen der Parteien möglich. Der Verweisungsbeschluß entbehre jedoch auch im vorliegenden Fall, in dem die übereinstimmenden Erklärungen erst nach der Abgabe erfolgten, nicht jeder rechtlichen Grundlage und sei daher nicht willkürlich.
Weil sich das Oberlandesgericht hierbei in Widerspruch zu einer Rechtsauffassung sieht, die in Entscheidungen des Oberlandesgerichts Schleswig (MDR 2001, 50) und des Bayerischen Obersten Landesgerichts (MDR 1994, 94) vertreten wird, hat es die Sache gemäß § 36 Abs. 3 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II. Auf Grund der zulässigen Divergenzvorlage ist das Amtsgericht S. als zuständiges Gericht zu bestimmen.
1. Die in § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO genannten Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung liegen vor. Das Amtsgericht S. , in dessen Bezirk die Beklagte ihren Sitz hat und das deshalb - wegen Fehlens eines abweichenden ausschließlichen Gerichtsstands - gemäß §§ 12, 17 ZPO für den Rechtsstreit örtlich zuständig ist, hat sich durch einen gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Beschluß für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht W. hat im Beschlußweg die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Das genügt, um zur Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu gelangen (BGHZ 102, 338, 339 f.).
2. Das Amtsgericht S. ist für den vorliegenden Rechtsstreit zuständig.

a) Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts S. wird durch die nach § 32 ZPO bestehende konkurrierende örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts W. nicht berührt. Der Klägerin stand insoweit ein Wahlrecht im Sinne des § 35 ZPO zu. Davon hat sie dadurch Gebrauch gemacht, daß sie in dem Mahnantrag das örtlich zuständige Amtsgericht S. gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO als das für ein streitiges Verfahren zuständige Gericht bestimmt hat. Seit der Neufassung dieser Vorschrift durch das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl I, 2847) muß nicht mehr zwingend der allgemeine Gerichtsstand des Antragsgegners als zuständiges Gericht angeben werden. Daher gibt es heute
keinen Grund mehr für die zum früheren Recht vertretene Auffassung, wonach diese Angabe keine Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen bedeute und das Wahlrecht daher noch im Verlauf des weiteren Verfahrens ausgeübt werden könne.
Die Parteien hätten zwar übereinstimmend verlangen können, daß das Verfahren vom Mahngericht, dem Amtsgericht H. , nicht an das Amtsgericht S. , sondern an ein anderes Gericht abgegeben werde (§ 696 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz ZPO). Ein solcher übereinstimmender Antrag ist jedoch beim Mahngericht bis zur Abgabe an das Amtsgericht S. nicht eingegangen. Nach deren Vollzug ist die von der Klägerin getroffene Wahl unwiderruflich und verbindlich (Sen.Beschl. v. 19.01.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273).

b) Das Amtsgericht S. konnte den Rechtsstreit demgemäß nicht an das Amtsgericht W. verweisen. Eine Verweisung kommt nur dann in Betracht, wenn bei dem Gericht, bei dem die Sache rechtshängig ist, ein Gerichtsstand nicht eröffnet ist. Dies gilt auch, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Rechtshängigkeit erst durch Abgabe gemäß § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO begründet wurde. Zwar wird das Gericht, an das der Rechtsstreit abgegeben wird, durch diese Abgabe nicht in gleicher Weise wie durch eine Verweisung wegen fehlender Zuständigkeit nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO gebunden (vgl. § 696 Abs. 5 ZPO); es hat vielmehr seine Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften zu prüfen. Eine Verweisung ist ihm danach jedoch nur im Fall seiner Unzuständigkeit eröffnet; ist es - wie hier - zumindest auch für die Entscheidung zuständig, scheidet eine Verweisung aus.

c) Dem Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts S. kommt auch keine Bindungswirkung zu.
Zwar sind im Interesse der Prozeßökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluß und die diesem Beschluß zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGHZ 102, 338, 340; BGH, Beschl. v. 08.04.1992 - XII ARZ 8/92, NJW-RR 1992, 902 f.; Sen.Beschl. v. 22.06.1993 - X ARZ 340/93, NJW 1993, 2810).
Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluß jedoch dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann (RGZ 119, 379, 384; BGHZ 2, 278, 280), etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muß (BGHZ 71, 69, 72 ff.; BGH, Beschl. v. 04.12.1991 - XII ARZ 29/91, NJW-RR 1992, 383; Sen.Beschl. v. 09.07.2002 - X ARZ 110/02, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht S. den Parteien zwar rechtliches Gehör gewährt. Dem Beschluß haftet jedoch ein schwerwiegender Rechtsfehler an, der ihn als willkürlich erscheinen läßt. Zwar läßt der Beschluß jegliche Begründung vermissen; der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts ist aber aus dem Akteninhalt, insbesondere aus der Verfügung vom 27. Februar 2002, deutlich zu erkennen. Das Gericht ist offensichtlich davon
ausgegangen, trotz seiner eigenen örtlichen Zuständigkeit könne die Klägerin auch noch nach Abgabe der Sache durch das Mahngericht ein anderes zuständiges Gericht wählen, weshalb auf entsprechenden Antrag die Verweisung an dieses Gericht auszusprechen sei. Sonst hätte das Amtsgericht nicht der Klägerin von sich aus anheimgestellt, einen Verweisungsantrag zu stellen.
Dem dahinter stehenden Rechtsstandpunkt ist jedenfalls durch die Neufassung des § 696 Abs. 1 Nr. 5 ZPO die Grundlage entzogen worden. Diese mit der Rechtsänderung verbundene Folge hat das Gericht entweder nicht zur Kenntnis genommen oder es war nicht gewillt, sich an die Änderung der gesetzlichen Voraussetzungen einer Verweisung im Mahnverfahren zu halten. Jedenfalls lassen sich aus der Akte keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß sich das Amtsgericht mit der geltenden Rechtslage auseinandergesetzt und nach Gründen für die Zulässigkeit einer Verweisung gesucht haben könnte.
Unter diesen Umständen kann der Verweisungsbeschluß nicht hingenommen werden. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist eine Verweisung willkürlich, wenn ein Gericht eine bereits vor längerer Zeit vorgenommene Gesetzesänderung , mit der gerade solche Verweisungen unterbunden werden sollen, offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat (Sen.Beschl. v. 19.01.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273). Dies gilt in besonderem Maße, wenn die betreffende Gesetzesänderung - wie im vorliegenden Fall - bereits mehr als zehn Jahre zurückliegt und ihre Konsequenzen für die Verweisung des Rechtsstreits nach § 281 ZPO in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur ausführlich erörtert worden sind. Nicht minder schwerwiegend wäre der Gesetzesverstoß , wenn das Gericht das geänderte Gesetz zwar gekannt, sich jedoch ohne weiteres darüber hinweggesetzt haben sollte. Aus diesem Grund kann
der Verweisungsbeschluß schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden.
Auch der Umstand, daß die Klägerin einen Verweisungsantrag gestellt hat und die Beklagte mit der Verweisung einverstanden gewesen ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wenn das Gericht durch die Verweisung des Rechtsstreits einem übereinstimmenden Verlangen beider Parteien entspricht, kann dies zwar nach teilweise vertretener Auffassung in manchen Fällen geeignet sein, einen rechtsfehlerhaft zustandegekommenen Verweisungsbeschluß nicht willkürlich erscheinen zu lassen (BGH, Beschl. v. 23.03.1988 - IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943; OLG Koblenz, OLG-Report 1997, 74 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 696 Rdn. 9a). Dies kann aber jedenfalls dann nicht gelten, wenn ein unzweifelhaft zuständiges Gericht die Parteien, die sich bislang zur Frage einer Verweisung noch nicht geäußert haben, von sich aus auf die angeblich bestehende Möglichkeit einer Verweisung hinweist. Wenn die Parteien daraufhin die Verweisung beantragen bzw. sich mit ihr einverstanden erklären, liegt die Annahme nicht fern, daß sie durch die rechtlich unzutreffende Information dazu veranlaßt worden sind. Schon aus diesem Grund sind die Erklärungen der Parteien nicht geeignet, der rechtswidrigen Verweisung den Willkürcharakter zu nehmen.
Melullis Jestaedt RiBGH Scharen ist urlaubsbedingt ortsabwesend und daher gehindert zu unterschreiben Melullis

Keukenschrijver Asendorf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ARZ 110/02
vom
9. Juli 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Ein Verweisungsbeschluß ist nicht schon deshalb willkürlich, weil er von einer "ganz
überwiegenden" oder "fast einhelligen" Rechtsauffassung abweicht.
BGH, Beschl. v. 9. Juli 2002 - X ARZ 110/02 - OLG Dresden
AG Weißwasser
AG Alsfeld
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 9. Juli 2002 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen,
Keukenschrijver und die Richterin Mühlens

beschlossen:
Zuständig ist das Amtsgericht Alsfeld.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Erstattung der sonstigen Kosten richtet nach der Kostentscheidung in der Hauptsache.

Gründe:


I. Die Klägerin nimmt den im Bezirk des Amtsgerichts Alsfeld wohnenden Beklagten auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 2.154,19 DM (= 1.101,42 ?) für Fliesenlegerarbeiten an einem Bauvorhaben in W. in Anspruch. Das zunächst angerufene Amtsgericht Weiûwasser hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluû vom 18. Dezember 2001 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Alsfeld verwiesen. Das Amtsgericht Alsfeld hat sich mit Beschluû vom 12. Februar 2002 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Dresden zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Das Oberlandesgericht Dresden möchte das Amtsgericht Alsfeld als zuständiges Gericht bestimmen. Es sieht sich hieran durch Entscheidungen der Oberlandesgerichte Schleswig (Beschl. v. 24.5.2000 - 2 W 83/00, MDR 2000, 1453) und Naumburg (Beschl. v. 4.1.2001 - 1 AR 54/00, MDR 2001, 769) gehindert. Deshalb hat es die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
II. Die Vorlage ist zulässig. Das Oberlandesgericht Dresden würde sich mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu den zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Schleswig und Naumburg setzen. Diese haben entschieden, ein Verweisungsbeschluû sei willkürlich und deshalb nicht bindend, wenn das verweisende Gericht von der "fast einhelligen" (so das OLG Schleswig aaO) bzw. "ganz überwiegenden" (so das OLG Naumburg aaO) Auffassung abgewichen ist, wonach Erfüllungsort für eine Werklohnforderung regelmäûig der Ort des Bauwerks ist. Das vorlegende Oberlandesgericht Dresden hält es hingegen mit dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit für unvereinbar, eine Verweisung als willkürlich anzusehen, die auf einer vertretbaren Mindermeinung beruht, mag diese auch zahlenmäûig wenig Befürworter haben.
III. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Alsfeld.
1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäû § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Weiûwasser als auch das Amtsgericht Alsfeld haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.
2. Das Amtsgericht Alsfeld ist örtlich zuständig. Der Verweisungsbeschluû des Amtsgerichts Weiûwasser ist gemäû § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Verweisungsbeschluû nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, daû der Beschluû inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt vor, wenn dem Beschluû jede rechtliche Grundlage fehlt (Sen.Beschl. v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273). Dies ist auch dann der Fall, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständig erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45, 49; vgl. auch Sen.Beschl. v. 23.1.1996 - X ZB 3/95, MDR 1996, 1032).
Bei Anlegung dieser Maûstäbe ist der Verweisungsbeschluû des Amtsgerichts Weiûwassers nicht willkürlich. Das Amtsgericht Weiûwasser ist in se inem Verweisungsbeschluû zwar von einer Rechtsauffassung abgewichen, die sowohl vom Bundesgerichtshof als auch von zahlreichen Oberlandesgerichten vertreten wird. Dies vermag den Vorwurf der Willkür indes schon deshalb nicht zu begründen, weil dem deutschen Recht eine Präjudizienbindung grundsätzlich fremd ist, eine bloûe Abweichung von einer höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung kann daher nicht schon allein aus diesem Grunde als willkürlich in diesem Sinne angesehen werden. Es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. Sen.Beschl. v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273; BayObLG, Beschl. v. 22.7.1986 - Allg. Reg. 88/85, MDR 1987, 59; OLG Celle, Beschl. v. 15.11.2001 - 4 AR 79/01,
OLGRep. Celle 2002, 11; KG, Beschl. v. 10.2.1999 - 28 AR 13/99, KGRep. Berlin 1999, 242; OLG Brandenburg, Beschl. v. 8.3.2001 - 1 AR 7/01, OLGRep. Brandenburg 2001, 247, 249).
Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das Amtsgericht Weiûwasser hat sich mit der herrschenden Auffassung auseinandergesetzt und kurz begründet, warum es diese für nicht zutreffend hält. Es hat zudem mehrere Entscheidungen von Landgerichten zitiert, die ebenfalls seiner Auffassung sind. Seine Entscheidung mag rechtlich unzutreffend sein. Willkürlich ist sie nicht.
Einer weitergehenden Ausdehnung des Willkür-Begriffs vermag sich der Senat nicht anzuschlieûen. Allerdings haben die eingangs zitierten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Schleswig und Naumburg zum Teil auch in der Literatur Zustimmung gefunden. Die ihnen zugrunde liegende Rechtsauffassung wird dort als geeignetes Mittel angesehen, um einer miûbräuchlichen Anwendung der Verweisungsmöglichkeit des § 281 ZPO Einhalt gebieten zu können (Zöller/Greger, 23. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 17; vgl. auch Musielak/Foerste, 3. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 17). Selbst wenn dies zuträfe, stünde die damit verbundene Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit aber in keinem Verhältnis zu dem angestrebten Ziel. Sofern es zu einer miûbräuchlichen Anwendung von Verfahrensvorschriften kommt, muû diese im Einzelfall festgestellt und unterbunden werden. Es ginge hingegen zu weit, eine Entscheidung
schon deshalb als willkürlich anzusehen, weil sie von einer als herrschend bezeichneten Auffassung abweicht (ebenso Womelsdorf, MDR 2001, 1161 f.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 60. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 39; vgl. auch MünchKomm.ZPO/Prütting, 2. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 54; Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 30).
Melullis Jestaedt Scharen
Keukenschrijver Mühlens

Die Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszuges wird ferner dadurch begründet, dass der Beklagte, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt. Dies gilt nicht, wenn die Belehrung nach § 504 unterblieben ist.