Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2018 - VIII ZR 147/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Februar 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, den Richter Prof. Dr. Achilles, die Richterin Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol
beschlossen:
Gründe:
I.
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- Die klagende Verbraucherzentrale (im Folgenden: Kläger) nimmt das beklagte Stromversorgungsunternehmen (im Folgenden: Beklagte) nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) in Anspruch, es bei Stromlieferungsverträgen mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung zu unterlassen, sieben näher bezeichnete Klauseln als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu verwenden und sich darauf bei Abwicklung derartiger Verträge zu berufen. Unter anderem geht es um die folgenden beiden Klauseln: "Die Belieferung [von Reservestromanlagen (z.B. beim Betrieb von Blockheizkraftwerken)], von Entnahmestellen mit [Notstromaggregaten und/oder] Photovoltaikanlagen, von Elektrospeicherheizungen und von Wärmepumpen wird standardmäßig durch den Energieversorger nicht angeboten ( ... ). Der Kunde kann diese beim Lieferanten jederzeit anfragen. Der Kunde ist verpflichtet, den Energieversorger im Rahmen der Vertragsanbahnung und der Vertragsdurchführung unverzüglich über das Vorliegen oder das Entstehen eines oder mehrerer Belieferungsvorbehalte zu informieren [Ziffer 1 Abs. 2 AGB - Klausel 1]. […] Künftige Neueinführungen oder Änderungen von staatlich veranlassten Preiskomponenten kann der Energieversorger frühestens zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens vollständig an den Kunden weitergeben, solange keine oder nur eine eingeschränkte Preisgarantie vereinbart wurde ( ... ). Über Anpassungen des Strompreises aufgrund der Neueinführung, Erhöhung , Abschaffung, Senkung oder Aussetzung von staatlich veranlassten Preiskomponenten wird der Energieversorger den Kunden in Textform informieren [Ziffer 8 Abs. 9 AGB - Klausel 2]."
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- Das Landgericht hat die Beklagte bis auf eine Klausel zur Unterlassung verurteilt und dabei den Streitwert antragsgemäß auf 17.500 € (2.500 € je Klausel ) festgesetzt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und sie auf die Berufung des Klägers auch noch hinsichtlich des erstinstanzlich abgewiesenen Antrags zur Unterlassung verurteilt. Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat es genauso wie das Landgericht auf 17.500 € (2.500 € je Klausel) festgesetzt. Die Revision hat es nicht zugelassen.
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- Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren in vollem Umfang weiter. Hinsichtlich der vorstehend wiedergegebenen beiden Klauseln macht sie - abweichend von der Wertfestsetzung der Vorinstanzen - eine auf jeweils 5.000 € und damit eine auf insgesamt 22.500 € zu bemessende Beschwer geltend. Dies stützt sie hinsichtlich der Klausel 1 darauf, das Verbot eines formularmäßigen Vorbehalts, Kunden nicht mit Strom beliefern zu müssen, die infolge einer bestimmten Verwendung vom sogenannten Standardlastprofil abwichen, habe branchenweite Bedeutung, weil ein solcher Vorbehalt von einer Vielzahl von Versorgungsunternehmen verwendet werde. Außerdem habe diese Klausel für diese Versorgungsunternehmen eine große wirtschaftliche Tragweite, da die Stromversorgung der darin be- zeichneten Kunden mit einem unzumutbaren Verwaltungsaufwand und Kostenrisiko verbunden sei. Hinsichtlich der Klausel 2 beruft sie sich darauf, das Verbot eines formularmäßigen Preisanpassungsrechts bei Änderung staatlich veranlasster Preiskomponenten habe branchenweite Bedeutung, weil Preisanpassungsklauseln ohne Kündigungsrecht von einer großen Zahl von Stromanbietern verwendet würden und gerade kleinere Energieversorger wie die Beklagte unabdingbar darauf angewiesen seien, den Strom kostengünstig anzubieten.
II.
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- Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie nach einer Revisionszulassung ihren Klageabweisungsantrag in vollem Umfang weiterverfolgen will, ist als unzulässig zu verwerfen, da der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO).
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- 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich der Streitwert in Verfahren nach dem UKlaG allein nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung der gesetzwidrigen AGB-Bestimmung, nicht hingegen nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Klauselverbots. Der Wert einer angegriffenen Klausel wird dabei regelmäßig in einer Größenordnung bemessen , von der auch die Vorinstanzen bei ihrer Wertbemessung ausgegangen sind. Auf diese Weise sollen Verbraucherschutzverbände vor Kostenrisiken bei der Wahrnehmung der ihnen im Allgemeininteresse eingeräumten Befugnisse zur Bereinigung des Rechtsverkehrs von unwirksamen AGB möglichst geschützt werden. Das gilt in gleicher Weise für die nach § 3 ZPO zu schätzende Beschwer der in der Vorinstanz unterlegenen Partei, und zwar nicht nur für die Beschwer eines Verbraucherschutzverbandes, sondern auch für die Bemessung der Beschwer des im Unterlassungsprozess unterlegenen Verwenders (BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - VIII ZR 160/14, juris Rn. 5; vom 20. September 2016 - VIII ZR 239/15, juris Rn. 5; vom 19. Januar 2017 - III ZR 296/16 juris Rn. 4; vom 23. Februar 2017 - III ZR 390/16, juris Rn. 4; jeweils mwN).
- 6
- Anhand dieser Grundsätze bemisst die vom Bundesgerichtshof gebilligte Rechtspraxis, an der sich im Streitfall auch die Vorinstanzen orientiert haben, in derartigen Verfahren den Wert je angegriffener (Teil-)Klausel für den Regelfall auf eine Größenordnung von 2.500 € (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - IV ZR 208/11, NJW 2013, 875 Rn. 21; vom 20. September 2016 - VIII ZR 239/15, aaO; vom 19. Januar 2017 - III ZR 296/16, aaO Rn. 5; vom 23. Februar 2017 - III ZR 390/16, aaO Rn. 6; jeweils mwN). Diese Regelfallbetrachtung schließt es allerdings nicht von vornherein aus, der herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer Klausel für die betroffenen Verkehrskreise im Einzelfall ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung über die Wirksamkeit einer bestimmten Klausel nicht nur für deren Verwender und die Vertragspartner, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es dabei um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird (BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - VIII ZR 160/14, aaO Rn. 6; vom 5. Februar 2015 - I ZR 106/14, juris Rn. 6; vom 20. September 2016 - VIII ZR 239/15, aaO Rn. 6; vom 23. Februar 2017 - III ZR 390/16, aaO; jeweils mwN).
- 7
- 2. An einem solchen Ausnahmefall fehlt es im Streitfall jedoch.
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- a) Der Klausel 1 kommt die für eine abweichende Wertfestsetzung erforderliche große wirtschaftliche Tragweite schon deshalb nicht zu, weil das Berufungsgericht der Beklagten das Recht, bestimmte Haushaltskunden von einer Belieferung auszuschließen, nicht von vornherein hat absprechen wollen. Es hat vielmehr im Kern nur beanstandet, die Beklagte habe durch eine eher versteckte Verwendung der Belieferungsausschlüsse im sogenannten Kleinge- druckten den Kunden, statt ihn darüber in klarer und verständlicher Weise zu informieren, über ihr auf den ersten Blick uneingeschränktes Angebot getäuscht. Damit geht es aber bei dem ausgesprochenen Klauselverbot nicht um die formularmäßige Zulässigkeit der vertraglichen Regelung in ihrem materiellen Gehalt schlechthin. Es geht dabei vielmehr - auch wenn das Berufungsgericht diesen Begriff nicht gebraucht hat - um Fragen der bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen erforderlichen Transparenz, gleich ob man diese im Streitfall etwa am Maßstab des § 305c Abs. 1 BGB oder des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB beurteilen wollte.
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- Betrifft der Verbotskern - wie im Streitfall - aber letztlich nur die intransparente Klauselgestaltung, liegt eine verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage von großer wirtschaftlicher Tragweite, die zu einer Wertheraufsetzung Anlass geben könnte, regelmäßig nicht vor. Denn in solch einem Fall ist der AGB-Verwender nicht gehindert, die materiell-rechtlich gewünschte Regelung künftig weiterhin formularmäßig zu verwenden, sofern er etwa durch zusätzliche Hinweise oder Hervorhebungen die zur Aufklärung eines (potentiellen) Vertragspartners erforderliche Transparenz herstellt. Die vom Berufungsgericht der Sache nach behandelte Frage einer Klauseltransparenz hat vielmehr in aller Regel nur für die im jeweiligen Einzelfall gewählte Klauselfassung oder die Einbettung der Klausel in den Gesamtzusammenhang des konkret verwendeten Formulars Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2014 - VIII ZR 160/14, aaO).
- 10
- Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde war deshalb für die Wertfestsetzung auch der unter Hinweis auf entsprechende Klauseln von Mitbewerbern gehaltene Vortrag der Beklagten in den Instanzen, wonach Klauseln mit derartigen Belieferungsausschlüssen durchaus branchenüblich seien, für die Wertfestsetzung nicht erheblich. Dementsprechend kommt es auch auf die von der Nichtzulassungsbeschwerde erstmals angeführten weiteren Klau- selbeispiele nicht an. Zudem zeigt - wie die Beschwerdeerwiderung mit Recht bemerkt - die Nichtzulassungsbeschwerde schon nicht auf, dass die einschlägige Branche in beachtlicher Zahl in ihrer für die Transparenzfrage maßgeblichen Gesamtgestaltung gleiche oder gleichartige Ausschlussklauseln wie die Beklagte verwendet, und dass zu den hier streitigen Fragen eine über vereinzelte Streitigkeiten hinausgehende branchenweite Kontroverse besteht.
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- b) Hinsichtlich der Klausel 2 ist ebenfalls eine von den Vorinstanzen abweichende Wertfestsetzung nicht veranlasst. Ungeachtet dessen, dass der Senat die für die AGB-rechtliche Beurteilung dieser Klausel maßgebliche Rechtsfrage kurz nach Beschwerdeeinlegung durch Urteil vom 5. Juli 2017 (VIII ZR 163/16, NJW-RR 2017, 1206 Rn. 11 ff.) in dem vom Berufungsgericht angenommenen Sinne höchstrichterlich geklärt hat, ist es insoweit auch schon zu dem nach § 4 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO für die Berechnung des Werts der Beschwer maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung nicht um eine äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage von großer wirtschaftlicher Tragweite gegangen, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten worden ist. Zur vermeintlichen wirtschaftlichen Bedeutung der Rechtsfrage hatte sich die Beklagte in ihrem Instanzvorbringen lediglich auf eine vereinzelte, die erforderliche Tragweite aber bei Weitem nicht belegende Klauselgestaltung des Versorgers V. bezogen. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde entsprechende Klauselgestaltungen weiterer Versorger vorträgt, um erstmalig einen höheren, die Rechtsmittelbeschwer erreichenden Wert geltend zu machen, kann sie mit diesem neuen Tatsachenvortrag im jetzigen Verfahrensstadium jedoch nicht mehr gehört werden (BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2013 - I ZA 11/12, juris Rn. 2; vom 29. Juli 2014 - II ZR 73/14, juris Rn. 10; vom 1. Juni 2016 - I ZR 112/15, juris Rn. 9; jeweils mwN).
- 12
- Ebenso wenig war die hinsichtlich der im Streit stehenden Klausel aufgeworfene Rechtsfrage in einer Weise äußerst umstritten, dass über ihre Beantwortung zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten worden ist. In der Instanzrechtsprechung hatte die Frage damals lediglich das Oberlandesgericht Düsseldorf in seinem die erste Instanz bestätigenden Urteil vom 5. Juli 2016 (RdE 2016, 485) entscheiden müssen, welches seinerseits Gegenstand des die Revision zurückweisenden Senatsurteils vom 5. Juli 2017 (VIII ZR 163/16, aaO) war. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde zum Beleg einer Umstrittenheit der Rechtsfrage auf zwei in der Kommentarliteratur vertretene Gegenpositionen verweist, bleibt das inhaltliche Gewicht der genannten Äußerungen dahinter derart weit zurück, dass von einer äußerst umstrittenen Rechtsfrage nicht die Rede sein kann. Zudem zeigt die Beschwerde nicht auf, dass über den vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedenen Rechtsstreit hinaus weitere Streitverfahren, noch dazu mit divergierenden Ergebnissen, geführt worden seien. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass über die bei der Klausel 2 zu beurteilende Frage zum maßgeblichen Zeitpunkt vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen in einer Weise gestritten worden ist, die zu einer Anhebung des Wertes der Beschwer Anlass geben könnte.
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- c) Schließlich kann - wie die Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung mit Recht geltend macht - die Beklagte mit ihrem Begehren, den Wert der Beschwer abweichend von den Wertfestsetzungen der Tatsacheninstanzen auf einen Wert von über 20.000 € zu bemessen, auch deshalb nicht durchdringen, weil sie damit erstmals im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde hervorgetreten ist, ohne zuvor gegen die bis dahin getroffenen Wertfestsetzungen Einwendungen erhoben zu haben. Denn auch einem Beklagten, der - wie hier - die Streitwertfestsetzungen in den Vorinstanzen weder beanstandet noch sonst glaubhaft gemacht hat, dass bereits in der Vorinstanz für die Festlegung des Streitwerts maßgebliche Umstände, die dort vorgebracht worden sind, nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, ist es in aller Regel versagt, sich im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erstmals erreichenden Wert zu berufen (BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - VIII ZR 160/14, aaO Rn. 7; vom 1. Juni 2016 - I ZR 112/15, aaO). Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Fetzer Dr. Bünger Kosziol
LG Köln, Entscheidung vom 27.07.2016 - 26 O 505/16 -
OLG Köln, Entscheidung vom 05.05.2017 - 6 U 132/16 -
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Annotations
Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.
(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
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mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.