Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2003 - VI ZR 389/02


Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Die Kläger waren als polnische Staatsbürger mosaischen Glaubens im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert. In den Jahren zwischen 1942 und 1945 mußten sie in dem Werkkomplex Ausschwitz-Monowitz der Beklagten Zwangsarbeit leisten, ohne dafür eine Vergütung zu erhalten. Sie verlangen von der Beklagten Schadensersatz bzw. den Wert ihrer Arbeitsleistung, die sie nach dem indexierten üblichen Lohn deutscher Arbeiter in der Zeit bis 1945 bemessen. Zusätzlich begehren sie ein Schmerzensgeld von je 10.000 DM für die ihnen widerfahrene Behandlung seitens der Beklagten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil den Ansprüchen § 16 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" entgegenstehe und die Ansprüche im übrigen verjährt seien. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Zwar seien die Ansprüche der Kläger trotz Entschädigungsleistungen nach dem BEG nicht auf die leistenden Bundesländer übergegangen. Auch könne dahinstehen, ob die Kläger auf ihre Ansprüche nach dem Abkommen zwischen der Beklagten und der Conference on Jewish Material Claims against Germany Inc. vom 6. Februar 1957 gegen den Erhalt von Zahlungen verzichtet hätten. Die Ansprüche der Kläger seien ferner nicht vollen Umfangs verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist sei zwar gemäß Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens nur bis zum Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrages vom 12. September 1990 gehemmt gewesen; hinsichtlich der Ansprüche aus unerlaubter Handlung sei daher Verjährung eingetreten. Dagegen seien Ansprüche der Kläger auf Ausgleich nach Bereiche-rungsrecht - in Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts- hofs - nicht verjährt. Diese Ansprüche seien aber deshalb ausgeschlossen, weil § 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 die Kläger auf Ansprüche gegen die nach diesem Gesetz errichtete Stiftung beschränke und weitergehende Ansprüche gegen Unternehmen ausschließe. Zum selben Ergebnis führe die Anwendung von § 1 Abs. 3 des Gesetzes über den Aufruf der Gläubiger der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung vom 27. Mai 1957. Die Kläger, die ihre Ansprüche mit der Revision in vollem Umfang weiterverfolgen wollen, wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ist statthaft (§ 26 Nr. 8 EGZPO ) und zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, denn ein Grund zur Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) liegt nicht vor. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht eine grundsätzliche Bedeutung der Fragen, ob § 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung , Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (- BGBl. I 1263; künftig: EVZ-StiftG) und § 1 Abs. 3 Gesetz über den Aufruf der Gläubiger der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung vom 27. Mai 1957 (- BGBl. I 569; künftig: Aufrufgesetz) verfassungsgemäß sind. Dem kann nicht zugestimmt werden.Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat eine Sache, die eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, welche sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (vgl. BGH, Beschluß vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 101/02 - NJW 2003, 831 m.w.N.). Sinn des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist es aber nicht, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu einer Frage herbeizuführen, die sich in einer Bestätigung der angegriffenen Entscheidung erschöpft. Vielmehr ist eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage auch dann nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits entschieden ist (vgl. BGH, Beschluß vom 20. November 2002 - IV ZR 197/02 – NJW-RR 2003, 352). Eine grundsätzliche Bedeutung kommt daher dem vorliegenden Fall nicht zu, denn das Berufungsgericht hat aus revisionsrechtlicher Sicht beanstandungsfrei entschieden.
a) Zu § 16 Abs. 1 EVZ-StiftG hat bereits der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Beschluß vom 30. November 2000 - III ZB 46/00 - NJW 2001, 1069, 1070) dargelegt, daß der Gesetzgeber den in dieser Bestimmung enthaltenen Anspruchsausschluß unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG geprüft (BTDrs. 14/3206 S. 17 f.) und in seine Überlegungen einbezogen hat, daß an die Stelle vermeintlicher Ansprüche gegen vielerorts nicht mehr existierende Anspruchsgegner eine angemessen ausgestattete Stiftung trete, die auch denjenigen Personen offenstehe, deren früherer "Arbeitgeber" nicht mehr haftbar gemacht werden könne. Dem schließt sich der Senat an. Die Vorschrift ist nach Ansicht des entscheidenden Senats nicht verfassungswidrig. Sie beinhaltet keinen Verzicht auf durchsetzbare erworbene Ansprüche, sondern verschafft dem "Zwangsarbeiter" an Stelle eines in aller Regel verjährten Anspruchs gegen einen häufig nicht mehr existenten Schuldner einen leicht durchsetzbaren Anspruch gegen die ausreichend ausgestattete Stiftung. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1976 – 1 BvL 19,
20/75, 1 BvR 148/75 – BVerfGE 42, 263, 293 ff. – Contergan). Hiernach ist die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Anderenfalls müßte jeder mit der angeblichen Verfassungswidrigkeit einer im gegebenen Fall anwendbaren Vorschrift begründeten Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzliche Bedeutung zukommen.
b) Im Ergebnis Gleiches gilt für die von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachte, aber nicht näher begründete Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 3 Aufrufgesetz. Hinzu kommt, daß das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler davon ausgeht, daß die Ansprüche der Kläger weder verbriefte Schulden noch Ansprüche sind, die aus den Unterlagen der Gesellschaft ersichtlich sind oder waren oder sonst der Gesellschaft bekannt sind oder waren. Soweit aus heutiger Sicht Entgeltansprüche von "Zwangsarbeitern" grundsätzlich anzuerkennen sind, waren sie zur Zeit der Verkündung des Aufrufgesetzes und des Ablaufs der Ausschlußfrist weder verbrieft noch aus den Unterlagen der Gesellschaft (etwa als fällige Lohnforderungen) ersichtlich oder der Gesellschaft bekannt. Umstände oder Vortrag der Kläger, aus denen Gegenteiliges zu entnehmen wäre, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf. Fahrlässige Unkenntnis (bloßes Kennenmüssen) genügt nach dem Wortlaut, aber auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht, um eine Ausnahme von dem Erlöschenstatbestand zu schaffen. 2. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde - ausgehend von einer angenommenen Verfassungswidrigkeit der §§ 16 Abs. 1 EVZ-StiftG, 1 Abs. 3 AufrufG - eine grundsätzliche Bedeutung der Frage der Verjährung im Hinblick auf die vom Berufungsgericht vertretene, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende Ansicht annimmt, kann ihr gleichfalls nicht gefolgt werden. Allerdings vermag die von einer der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs abweichende Entscheidung eines Berufungsgerichts die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu begründen, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen dargetan werden (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02 - NJW 2003, 65, 66, demnächst BGHZ 152, 182 ff., und vom 25. Juli 2002 - V ZR 118/02 - VersR 2003, 342, 343 - jeweils m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend. Die Frage der Verjährung von Ansprüchen der Kläger, zu der das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichen will, war für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erheblich. Sie könnte allenfalls im Rahmen der Prüfung eines Verfassungsverstoßes von §§ 16 Abs. 1 EVZ-StiftG, 1 Abs. 3 AufrufG Bedeutung erlangen. Insoweit sieht der entscheidende Senat jedoch keine Veranlassung zu einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 48, 125, 127). 3. Nach allem liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vor. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist daher auf Kosten der Kläger zurückzuweisen (§§ 100 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO). Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

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(1) Zur Beschleunigung der Abwicklung der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung haben die Abwickler der Gesellschaft deren Gläubiger aufzufordern, ihre Ansprüche anzumelden; in der Aufforderung haben sie auf die Auflösung der Gesellschaft und auf die Folgen der Nichtanmeldung sowie darauf hinzuweisen, daß durch die Anmeldung die Verjährung der Ansprüche nicht unterbrochen wird. In der Aufforderung ist ein Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu dem die Anmeldung spätestens zu erfolgen hat.
(2) Die Aufforderung ist dreimal in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. Zwischen der letzten Bekanntmachung der Aufforderung im Bundesanzeiger und dem in der Aufforderung für die Anmeldung bestimmten spätesten Zeitpunkt müssen mindestens sechs Monate liegen.
(3) Nicht rechtzeitig angemeldete Ansprüche erlöschen mit dem Ablauf der Frist. Dies gilt nicht, wenn es sich um Ansprüche aus verbrieften Schulden oder um Ansprüche handelt, die aus den Unterlagen der Gesellschaft ersichtlich sind oder waren oder sonst der Gesellschaft bekannt sind oder waren.
(1) Leistungen aus Mitteln der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherung sowie deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht im Sinne von § 11 können nur nach diesem Gesetz beantragt werden. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen. Das gilt auch, soweit etwaige Ansprüche kraft Gesetzes, kraft Überleitung oder durch Rechtsgeschäft auf einen Dritten übertragen worden sind.
(2) Jeder Leistungsberechtigte gibt im Antragsverfahren eine Erklärung ab, dass er vorbehaltlich der Sätze 3 bis 5 mit Erhalt einer Leistung nach diesem Gesetz auf jede darüber hinausgehende Geltendmachung von Forderungen gegen die öffentliche Hand für Zwangsarbeit und für Vermögensschäden, auf alle Ansprüche gegen deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sowie auf gegen die Republik Österreich oder österreichische Unternehmen gerichtete Ansprüche wegen Zwangsarbeit unwiderruflich verzichtet. Der Verzicht wird mit dem Erhalt einer Leistung nach diesem Gesetz wirksam. Die Entgegenahme von Leistungen für Personenschäden gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 oder Satz 2 oder 5 bedeutet nicht den Verzicht auf Leistungen nach diesem Gesetz für Versicherungs- oder für sonstige Vermögensschäden gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder Satz 4 und umgekehrt. Satz 1 gilt nicht für Forderungen aus nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen, die ausländische Mutterunternehmen mit Sitz außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs von 1937 begangen haben, ohne dass diese einen Zusammenhang mit dem deutschen Tochterunternehmen und dessen Verstrickung in nationalsozialistisches Unrecht haben konnten. Satz 1 gilt auch nicht für etwaige Ansprüche auf Herausgabe von Kunstwerken, sofern der Antragsteller sich verpflichtet, diesen Anspruch in Deutschland oder dem Land, in dem das Kunstwerk weggenommen worden ist, geltend zu machen. Dieser Verzicht umfasst auch den Ersatz von Kosten für die Rechtsverfolgung, soweit § 9 Abs. 12 nichts anderes vorsieht. Das Verfahren wird im Einzelnen durch die Satzung geregelt.
(3) Weitergehende Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgenregelungen gegen die öffentliche Hand bleiben hiervon unberührt.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.
(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.
(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.