Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VI ZR 174/06

bei uns veröffentlicht am13.02.2007
vorgehend
Landgericht Erfurt, 8 O 2633/01, 24.06.2005
Thüringer Oberlandesgericht, 4 U 705/05, 12.07.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 174/06
vom
13. Februar 2007
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Februar 2007 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 12. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Streitwert: 89.327,44 €

Gründe:

I.

1
1. Die Klägerin verlangt von der Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen Verbrennungen an ihren Händen, die nach einer medizinisch verordneten Bestrahlung am 9. November 1998 in der Praxis der Beklagten aufgetreten sind. Das Landgericht hat die Klage weitgehend zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten wurde das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Zur Durchführung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem am 17. Juli 2006 zugestellten Berufungsurteil hat die Klägerin am 11. August 2006 Prozesskostenhilfe beantragt. Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2006 Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Rechtsmittels abgelehnt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte am 6. November 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und legte Nichtzulassungsbeschwerde ein. Mit Schriftsatz vom 24. November 2006 beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und begründete die Nichtzulassungsbeschwerde.
2
2. Der Klägerin ist die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Rechtsmittelführer , der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der Fristwahrung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfe -gesuch entschieden werden konnte (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - XII ZB 125/05 - FamRZ 2006, 32, 33 und vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901 f.; Zöller/Greger ZPO 26. Aufl. § 233 Rn. 23 "Prozesskostenhilfe"). Das ist im vorliegenden Fall gegeben, weil der Klägerin in den Vorinstanzen Prozesskostenhilfe bewilligt worden war. Nach Ablehnung der Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde hat sie die versäumten Prozesshandlungen, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsgesuch , rechtzeitig und formgerecht nachgeholt (§§ 234, 236 ZPO).

II.

3
Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt erfolglos.
4
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie wirft keine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage auf, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann noch berühren andere Auswirkungen des Rechtsstreits die Interessen der Allgemeinheit in besonderem Maße (vgl. BGHZ 151, 221, 223; BGHZ 152, 182, 191). Es handelt sich vielmehr um einen nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall. Das Berufungsurteil bedarf auch keiner Korrektur zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch eignet sich die Sache zur Fortentwicklung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
5
1. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich die Beklagte in Umkehr der Beweislast analog § 282 BGB a.F. (nunmehr § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) vom Vorwurf des Verschuldens entlasten muss. Wegen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Bestrahlung und den Verbrennungen ist anzunehmen , dass die Hautschäden der Klägerin durch eine überhöhte Strahlendosis in der Praxis der Beklagten verursacht worden sind. Hierbei handelt es sich um den Gefahrenbereich, der von der Beklagten voll beherrscht wird. Dementsprechend trägt in Anwendung des Rechtsgedankens des § 282 BGB a.F. die Beweislast für die Fehler- und Verschuldensfreiheit die Behandlungsseite (vgl. Senatsurteile vom 11. Oktober 1977 - VI ZR 110/75 - VersR 1978, 82 und vom 24. Januar 1995 - VI ZR 60/94 - VersR 1995, 539, 540; OLG Hamm, VersR 1980, 1030 mit Nichtannahme-Beschluss des Senats vom 8. Juli 1980 - VI ZR 1/80; Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht 5. Aufl. B 214). Als ihr günstig wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen nicht. Soweit sie angreift, dass das Berufungsgericht sich unter Würdigung der Umstände des Falles davon überzeugt hat, dass die Beklagte ein schuldhafter Sorgfaltsverstoß nicht trifft, bleibt sie erfolglos. Die der Auffassung des Berufungsgerichts zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen begegnen keinen durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken. Auch ist der vom Berufungsgericht angelegte objektive Sorgfaltsmaßstab bei Röntgenbehandlungen nicht zu beanstanden.
6
2. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine Haftung nur in Betracht kommt, wenn die Beklagte es zu verantworten hätte, dass sich das Bestrahlungsgerät entweder nicht in einem ordnungsgemäßen technischen Zustand befunden hat oder das Gerät nicht ordnungsgemäß bedient und überwacht worden ist. Dass im Regelfall die Sicherheit der Patienten bei der Behandlung aufgrund der Konstruktion des Geräts gewährleistet ist, zieht auch die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Zweifel. Es ist nicht zu beanstanden , dass das Berufungsgericht darüber hinaus unter den Umständen des Streitfalls bis zu dem Vorfall mit der Klägerin weitere Schutzvorkehrungen durch die Beklagte für nicht geboten gehalten hat. Die Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sch. , K. , Ko. und Prof. Dr. Se. stützen die Auffassung des Berufungsgerichts. Danach ist das Gerät mit einer automatischen Spannungskontrolle ausgestattet, die bei Nichtübereinstimmung von gewählter Spannungsstufe und Filtereinstellung die Strahlung blockiert. Die zulässigen und möglichen Kombinationen von Röhrenhochspannung und Filter sind über die Software dergestalt untrennbar miteinander verbunden, dass sie bei der Bedienung nicht geändert werden und somit auch manuell keine Kombinationen erzeugt werden können, die einen Strahlen- schaden verursachen könnten. Entgegen der Behauptung der Nichtzulassungsbeschwerde haben weder der Sachverständige Prof. Dr. Sch. noch der Zeuge Kr. , deren Angaben vor dem Landgericht Erfurt im Parallelverfahren M. gegen J. (Az.: 4 O 981/00) im Einverständnis der Parteien zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden sind, bekundet, dass die Blockierung des Gerätes jemals vor dem Unfall versagt hätte. Erfolglos rügt deshalb die Nichtzulassungsbeschwerde einen Verstoß gegen das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs.1 GG, weil das Berufungsgericht dies außer Acht gelassen habe. Der Strahlenschutzbeauftragte Kr. bekundete, dass es zwar zu Fehleinstellungen kommen könne, dann das Gerät jedoch eine Fehlermeldung mache und keine Strahlung mehr abgebe. Diese Angaben bestätigte der sachverständige Zeuge Ka. dahingehend , dass er anlässlich einer Begutachtung eine fehlerhafte Filterstellung provoziert habe; dies sei ihm jedoch nur gemeinsam mit dem Hersteller gelungen, weil hierbei in das Softwareprogramm des Geräts eingegriffen werden müsste. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. hat erklärt, dass es zwar Fehlermeldungen mit Toleranzunterschieden der Überwachungskanäle gegeben habe, es sei jedoch jedes Mal die Freigabe der Strahlung blockiert worden.
7
Waren aber Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit der eingebauten Fehlerkontrolle durch das Gerät ersichtlich nicht gegeben, begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte bis zum Unfall der Klägerin für eine visuelle Kontrolle der ordnungsgemäßen Filterwahl vor jeder Bestrahlung , wie sie von der zuständigen Behörde nach den Vorfällen ab dem 7. Dezember 1998 angeordnet worden ist, keine Veranlassung hatte und dazu auch nicht verpflichtet war, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch der Sachverständige Dr. Wu. , auf dessen Äußerungen sich die Nichtzulassungsbeschwerde stützt, fordert eine solche Sorgfalt nicht. Zwar hat er für notwendig erachtet, dass die Beklagte bei der Durchführung der Bestrahlungs- vorbereitung die korrekt zu verwendenden Zubehörteile visuell überprüft. Hierbei könnte es sich um Zubehör wie beispielsweise den Tubus handeln. Doch ist damit nicht gesagt, dass eine besondere visuelle Kontrolle auch des durch das Gerät automatisch eingelegten Filters vor jeder Bestrahlung durchzuführen ist, obwohl die Fehlerkontrolle des Geräts zuverlässig und wirksam funktioniert und auch keine Anhaltspunkte für einen Gerätefehler gegeben sind.
8
3. Die Haftung der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen , dass der Beweis für die Ursächlichkeit der Bestrahlung für die Verbrennungen der Klägerin nachträglich durch eine verspätete Meldung des Unfalls bei der Aufsichtsbehörde, Veränderungen am Bestrahlungsgerät und eine unzureichende Dokumentation der Vorfälle vereitelt worden sei. Auch wenn die Meldung des Unfalls bei der Aufsichtsbehörde nicht unverzüglich erfolgt sein sollte, was die Beklagte allerdings unter Beweisantritt in Abrede stellt, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf, welche Nachteile für die Durchsetzung des von der Klägerin behaupteten Anspruchs aus der Verzögerung entstanden sein könnten. Zwar erfolgte der Einbau eines weiteren Sicherheitskreises im Gerät der Beklagten, doch ist unstreitig, dass die zuständige Aufsichtsbehörde davon Kenntnis hatte und dies befürwortete, um weitere Schadensfälle zu vermeiden. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. konnte das Berufungsgericht annehmen, dass diese Maßnahme die Begutachtung des Gerätes nicht beeinflusst hat. Der zweite Sicherheitskreis konnte ohne weiteres wieder entfernt und der ursprüngliche Zustand des Geräts wiederhergestellt werden. Die im Beschwerdeverfahren aufgestellte Behauptung, Techniker der Firma W. hätten weitere Eingriffe am Gerät vorgenommen, wodurch der Fehler verschleiert worden sei, ist neuer Tatsachenvortrag und im Revisionsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen. Sie entbehrt zudem ersichtlich tatsächlicher Anhaltspunkte.
9
4. Schließlich begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Berufungsgericht im Fall der Klägerin festgestellt hat, dass die Behandlungsdaten vor der Bestrahlung richtig in den Computer des Röntgengerätes eingegeben wurden und die von der Klägerin erlittenen Schäden nicht durch die Benutzung eines falschen Tubus verursacht worden sein können. Diese Feststellungen werden gestützt durch das von der Beklagten nicht veränderbare Eingabeprotokoll und die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. Se. .
10
Nach alledem hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Müller Greiner Diederichsen Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Erfurt, Entscheidung vom 24.06.2005 - 8 O 2633/01 -
OLG Jena, Entscheidung vom 12.07.2006 - 4 U 705/05 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung


(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Zivilprozessordnung - ZPO | § 236 Wiedereinsetzungsantrag


(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. (2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragste

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 282 Schadensersatz statt der Leistung wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2


Verletzt der Schuldner eine Pflicht nach § 241 Abs. 2, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn ihm die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist.

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 125/05
vom
26. Oktober 2005
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Oktober 2005 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Dr. Ahlt und Dose

beschlossen:
1. Der Klägerin wird als Beschwerdeführerin für das Verfahren der Rechtsbeschwerde Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Prof. Dr. Nirk beigeordnet. 2. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 30. Mai 2005 aufgehoben. Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Berufung sfrist und der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Beschwerdewert: 3.682 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten um Kindesunterhalt, den die Klägerin für die seit der Trennung bei ihr lebenden gemeinsamen Kinder in Prozessstandschaft für diese geltend macht.
2
Das Amtsgericht hat die Klage wegen krankheitsbedingt fehlender Leistungsfähigkeit des Beklagten abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 24. Januar 2005 zugestellt worden. Mit Antrag vom 24. Februar 2005 hat sie Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens begehrt. Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin nebst Anlagen beigefügt. Mit Beschluss vom 4. April 2005, der Klägerin zugestellt am 11. April 2005, hat das Berufungsgericht die begehrte Prozesskostenhilfe versagt. Am 22. April 2005 hat die Klägerin Berufung eingelegt, diese zugleich begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Außerdem hat sie Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 4. April 2005 erhoben. Das Berufungsgericht hat die Gegenvorstellung mit Beschluss vom 26. April 2005 zurückgewiesen. Mit weiterem Beschluss vom 30. Mai 2005 hat es den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung auf Kosten der Klägerin verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist.
4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
5
Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht bei der Versagung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen ist und deswegen ein Fall der Divergenz vorliegt. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Wiedereinsetzung in die schuldlos versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung.
7
a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist einer Partei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann zu gewähren, wenn sie innerhalb der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch eingebracht hat und vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, dass ihr Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt werde (Senatsbeschlüsse vom 23. Februar 2000 - XII ZB 221/99 - NJW-RR 2000, 1387 m.w.N. und vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - zur Veröffentlichung bestimmt). Das ist hier der Fall.
8
Im Ansatz geht das Berufungsgericht allerdings zutreffend von einer Obliegenheit der Klägerin zur Vorlage der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus. Für den Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO zwingend vor, dass sich der Antragsteller zur Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I 3001, abgedruckt bei Zöller/Philippi ZPO 25. Aufl. § 117 Rdn. 15) eingeführten Vordrucks bedienen muss. Ein Antragsteller kann deshalb grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er rechtzeitig (vor Ablauf der Rechtsmittelfrist) einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck zu den Akten gereicht hat (Senatsbeschluss vom 19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548; BGH Beschlüsse vom 26. September 2002 - I ZB 20/02 - FamRZ 2003, 89 und vom 10. November 1998 - VI ZB 21/98 - VersR 1999, 1123). Einen solchen Vordruck hatte die Klägerin, bezogen auf ihre eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse, vor Ablauf der Berufungsfrist eingereicht und ihm zum Beleg auch die erforderlichen Anlagen beigefügt (vgl. Senatsbeschluss vom 31. August 2005 aaO).
9
b) Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Berufungsgerichts musste die Klägerin mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht zugleich Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der minderjährigen Kinder einreichen. Der Senat hat inzwischen entschieden, dass im Rahmen einer nach § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft erhobenen Klage auf Kindesunterhalt für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des klagenden Elternteils und nicht auf diejenigen der betroffenen Kinder abzustellen ist (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2005 - XII ZB 242/03 - FamRZ 2005, 1164, 1166 f.). Auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kinder kam es mithin für die Beurteilung der Prozesskostenarmut nach § 115 ZPO nicht an. Deswegen konnte die Klägerin nach Vorlage der Erklärung über ihre eigenen Einkom- mens- und Vermögensverhältnisse mit entsprechenden Nachweisen davon ausgehen, dass ihr die beantragte Prozesskostenhilfe bewilligt würde.
10
Die Klägerin war somit schuldlos gehindert, Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil einzulegen und diese zu begründen. Diese Verhinderung ist erst nach Ablauf einer angemessenen Überlegungsfrist entfallen (Senatsbeschluss vom 26. Mai 1993 - XII ZB 70/93 - FamRZ 1993, 1428 f.; BGH Beschluss vom 10. November 1998 aaO m.w.N.), die mit Zustellung des Beschlusses vom 4. April 2005 am 11. April 2005 begann. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Berufung hat die Klägerin mit ihrem am 22. April 2005 eingegangenen Schriftsatz deswegen gewahrt. Eine Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist ist hier nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch ohne Antrag möglich, weil die Klägerin innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist mit der Berufungsbegründung auch diese versäumte Handlung nachgeholt hat.
11
c) Die Verwerfung der Berufung als unzulässig steht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist nicht entgegen, weil dem Beschluss des Berufungsgerichts mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung insoweit die Grundlage entzogen und er damit gegenstandslos geworden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 aaO 792 m.w.N.).
Hahne Sprick Weber-Monecke Ahlt Dose
Vorinstanzen:
AG Fürstenwalde, Entscheidung vom 19.01.2005 - 10 F 342/02 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 30.05.2005 - 10 UF 40/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 116/05
vom
31. August 2005
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Berufungsverfahrens
sind innerhalb der Berufungsfrist neben der Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse auch entsprechende Belege
beizufügen.

b) Einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des
Rechtsmittels Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand nur zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit
der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichend nachgewiesener
Bedürftigkeit rechnen musste.

c) Hat eine Partei die Berufungsfrist versäumt, weil sie nach ihren persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht oder nur teilweise aufbringen kann, ist die Fristversäumung auch dann
unverschuldet, wenn der vollständige Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist, sondern bis zum Ablauf der
Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO eingegangen ist, und die Fristversäumung
nicht auf einem Verschulden beruht.
BGH, Beschluss vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - OLG Naumburg
AG Halle-Saalkreis
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. August 2005 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke, den Richter
Fuchs, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
1. Den Klägern wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Naumburg vom 23. März 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. 2. Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Naumburg vom 23. März 2005 aufgehoben, soweit ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert worden ist. Den Klägern wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts HalleSaalkreis vom 18. Januar 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Beklagt e zu tragen.
Wert: 4.323 €

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über Kindesunterhalt. Die Kläger sind die ehelichen Kinder des Beklagten aus dessen Ehe mit ihrer Mutter. Die Ehe wurde mit Urteil des Familiengerichts Halle-Saalkreis vom 28. Januar 1998 geschieden. Zuvor hatten die Eltern im Scheidungsverbundverfahren einen gerichtlichen Vergleich u.a. über den Kindesunterhalt geschlossen. Mit ihrer am 12. Februar 2004 beim Familiengericht eingegangenen Abänderungsklage begehren die Kläger eine Abänderung des geschuldeten Kindesunterhalts auf die Regelbeträge (Ost). Der Beklagte hat mit seiner Widerklage eine Herabsetzung des Kindesunterhalts beantragt. Das Amtsgericht hat sowohl die Klage als auch die Widerklage abgewiesen, weil von den Parteien keine wesentlichen Veränderungen der maßgebenden Verhältnisse dargelegt seien. Das Urteil ist den Klägern am 27. Januar 2005 zugestellt worden. Mit einem am 28. Februar 2005 (Montag) per Fax eingegangenen Antrag haben die Kläger Prozesskostenhilfe für eine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil begehrt. Dem Antrag lagen Erklärungen beider Kläger sowie ihrer Mutter über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie eine vollständige und unterzeichnete Berufungsbegründung bei. Weitere Belege waren dem Antrag nicht beigefügt; sie gingen erst mit dem Original des Antrags am 1. März 2005 (Dienstag) ein. Auf einen Hinweis des Gerichts vom 2. März 2005, der bei den Klägern am 7. März 2005 einging, wonach das Prozesskostenhilfegesuch nicht vollständig innerhalb der Berufungsfrist eingegangen sei, haben
die Kläger am 17. März 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass der zuverlässigen Rechtsanwaltsgehilfin W. ihres Prozessbevollmächtigten im Rahmen der allgemeinen Kanzleiorganisation sowie durch weitere konkrete Anweisung aufgegeben worden sei, dem per Fax zu übersendenden Prozesskostenhilfeantrag außer den Vordrucken über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die weiteren Belege beizufügen. Von der sonst stets zuverlässigen Rechtsanwaltsgehilfin sei außerdem eine abschließende Ausgangskontrolle anhand des Fristenkalenders durchzuführen, die sich auch auf die Vollständigkeit der abgegangenen Schriftsätze erstrecke. Eine solche Ausgangskontrolle habe die Rechtsanwaltsgehilfin auch durchgeführt. Allerdings habe sie sowohl bei der Versendung des Telefax als auch bei der späteren Fristenkontrolle übersehen, dass die dem Original bereits beigefügten Anlagen nicht auch per Fax versandt worden seien. Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2005 die beantragte Wiedereinsetzung abgelehnt und den Klägern deswegen auch Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren versagt. Der Beschluss wurde den Klägern am 29. März 2005 zugestellt. Mit Schriftsätzen vom gleichen Tag haben die Kläger erneut Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt sowie unbedingt Berufung eingelegt und diese mit weiterem am 29. März 2005 (Dienstag nach Ostern) eingegangenen Schriftsatz erneut begründet. Mit ihrer Rechtsbeschwerde wenden sich die Kläger gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht die von den Klägern für eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist vorgetragenen Gründe mit unzutreffenden Erwägungen übergangen und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung. 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Wiedereinsetzung in die schuldlos versäumte Berufungsfrist.
a) Die Kläger haben die Berufung nicht bereits rechtzeitig innerhalb der Berufungsfrist des § 517 ZPO eingelegt. Zwar haben sie am letzten Tag der Berufungsfrist gemeinsam mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe eine mit vollem Rubrum versehene und unterschriebene Berufungsbegründung eingereicht; im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Rechtsbeschwerde ist dieser Schriftsatz aber nicht zugleich als Berufungsschrift aufzufassen.
Nach der Rechtsprechung des Senats wahrt ein innerhalb der Berufungs - oder der Berufungsbegründungsfrist eingegangener Schriftsatz die erforderlichen Förmlichkeiten, auch wenn er zulässigerweise mit einem Prozesskostenhilfegesuch verbunden wurde. Zwar muss der Rechtsmittelführer in solchen Fällen alles vermeiden, was den Eindruck erweckt, er wolle eine (künftige) Prozesshandlung nur ankündigen und sie von der Gewährung der Prozesskostenhilfe abhängig machen. Wenn aber die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder an eine Berufungsbegründung erfüllt sind und der entsprechende Schriftsatz auch unterschrieben wurde, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554 und vom 22. Juni 2005 - XII ZB 34/04 - zur Veröffentlichung bestimmt). Das ist hier hinsichtlich der Einlegung der Berufung indes der Fall. Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2005 haben die Kläger Prozesskostenhilfe für "das beabsichtigte Berufungsverfahren" begehrt. Sie haben damit deutlich gemacht, dass die Einlegung der Berufung von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig sein sollte. Die vollständige Berufungsbegründung haben die Kläger lediglich beigefügt, um die Erfolgsaussicht des Antrags auf Prozesskostenhilfe zu belegen. An einer Berufung fehlt es auch deswegen, weil sich aus dem Schriftsatz, der zwar die Förmlichkeiten des § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erfüllt, nicht die Erklärung ergibt, dass gegen das amtsgerichtliche Urteil schon Berufung eingelegt werden sollte (§ 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist einer Partei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann zu gewähren, wenn sie innerhalb der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch einge-
bracht hat und vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, dass ihr Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt werde (Senatsbeschluss vom 23. Februar 2000 - XII ZB 221/99 - NJW-RR 2000, 1387 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Allerdings geht das Berufungsgericht zu Recht von einer Obliegenheit der Kläger zur Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus. Für den Regelfall schreibt § 117 Abs. 4 ZPO zwingend vor, dass sich der Antragsteller zur Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des durch die Verordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I 3001, abgedr. bei Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 117 Rdn. 15) eingeführten Vordrucks bedienen muss. Ein Antragsteller kann deshalb grundsätzlich nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er rechtzeitig (vor Ablauf der Rechtsmittelfrist) einen ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck zu den Akten gereicht hat (Senatsbeschluss vom 19. Mai 2004 - XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548; BGH, Beschlüsse vom 26. September 2002 - I ZB 20/02 - FamRZ 2003, 89 und vom 10. November 1998 - VI ZB 21/98 - VersR 1999, 1123). Einen solchen Vordruck hatten sowohl die minderjährigen Kläger (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 der VO vom 17. Oktober 1994) als auch die sorgeberechtigte Mutter rechtzeitig eingereicht. Auf der Grundlage der am letzten Tag der Berufungsfrist per Fax eingegangenen Unterlagen konnten die Kläger gleichwohl nicht mit einer Bewilligung der Prozesskostenhilfe rechnen, weil die Erklärung ihrer Mutter über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unvollständig war. Denn auch die sorgeberechtigte Mutter ist den Klägern prozesskostenvorschusspflichtig und ein geschuldeter Vorschuss bildet einsetzbares Vermögen der Kinder im Sinne des § 115 ZPO (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 4. August 2004 - XII ZA
6/04 - FamRZ 2004, 1633, 1634 f.). Deswegen waren auch die Einkommensund Vermögensverhältnisse der Mutter vollständig zu belegen, was nach § 117 Abs. 2 ZPO auch die Vorlage entsprechender Belege innerhalb der Berufungsfrist einschließt (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - IX ZA 8/03 - FamRZ 2004, 99 f.). Das war hier schon deswegen erforderlich, weil sich aus der Erklärung der Mutter zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht ergab, ob ihr Bankguthaben das sogenannte Schonvermögen überstieg.
c) Den Klägern ist aber trotz der verspätet eingegangenen Anlagen zum Antrag auf Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu bewilligen , weil sie diese Frist schuldlos versäumt und die Wiedereinsetzung fristund formgerecht beantragt haben (§§ 234, 236 ZPO). Sie konnten deswegen gleichwohl - wie schon in erster Instanz - mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechnen. Denn selbst wenn ein vollständiger Prozesskostenhilfeantrag nicht innerhalb der Berufungsfrist eingegangen ist, bleibt es bei einer unverschuldeten Versäumung der Berufungsfrist, sofern auch der verspätete Eingang des Prozesskostenhilfeantrags unverschuldet ist und innerhalb der Frist des § 234 ZPO nachgeholt wird (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2002 - IX ZA 10/01 - NJW 2002, 2180 f.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Als die Kläger mit Zugang des gerichtlichen Hinweises vom 2. März 2005 davon Kenntnis erlangten, dass dem am letzten Tag der Berufungsfrist per Telefax eingegangenen Antrag auf Prozesskostenhilfe zwar die Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, nicht aber die weiteren Anlagen beigefügt waren, waren diese bereits mit dem Originalantrag beim Berufungsgericht eingegangen. Der verspätete Eingang des vollständigen Prozesskostenhilfeantrags ist auch nicht auf ein Verschulden der Kläger zurückzuführen. Denn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts trifft sie weder ein
eigenes noch ein ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Anwaltsverschulden. Ein zurechenbares Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger scheidet aus. Der vollständige Antrag auf Prozesskostenhilfe nebst Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und entsprechenden Anlagen lag nach dem Inhalt seiner eidesstattlichen Versicherung schon am 28. Februar 2005 unterzeichnet vor; auch die sofortige Übersendung an das Berufungsgericht hatte er konkret angeordnet. Dafür spricht auch, dass der vollständige Antrag im Original schon am Folgetag bei Gericht eingegangen ist. Den Prozessbevollmächtigten der Kläger trifft auch kein Organisationsverschulden , weil er den rechtzeitigen Zugang des Schriftsatzes nebst allen Anlagen beim Berufungsgericht durch seine allgemeine Büroorganisation und eine weitere konkrete Einzelanweisung hinreichend sichergestellt hatte. Auch die Ausgangskontrolle hat er entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so organisiert, dass anhand des Einzelnachweises eine unvollständige Übermittlung fristgebundener Schriftsätze auffallen musste (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2004 - XII ZB 27/03 - FamRZ 2004, 1549, 1550). Wenn die Rechtsanwaltsfachangestellte des Prozessbevollmächtigten gleichwohl sowohl bei der Übersendung als auch bei der Fristenkontrolle fehlerhaft handelte, was nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen zuvor noch nicht geschehen und deswegen auch nicht zu erwarten war, kann das kein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten begründen. Die Kläger konnten deswegen trotz des ursprünglich unvollständigen Antrags mit der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe rechnen, was als unverschuldete Fristversäumung eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist ermöglicht.
d) Die Kläger haben die Wiedereinsetzung innerhalb der 14-tägigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO seit Versagung der Prozesskostenhilfe beantragt
und mit der Berufung die versäumten Handlungen gleichzeitig nachgeholt (zum Fristbeginn nach Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe vgl. Senatsbeschluss vom 26. Mai 1993 - XII ZB 70/93 - FamRZ 1993, 1428 f.). Hinsichtlich der Berufungsbegründung bedarf es einer Wiedereinsetzung nicht, weil diese rechtzeitig am 29. März 2005 und somit innerhalb der Begründungsfrist bei Gericht eingegangen ist.

III.

Der Senat weist darauf hin, dass der Beschluss des Berufungsgerichts, soweit Prozesskostenhilfe versagt wurde, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich formelle, aber keine materielle Rechtskraft erlangt (BGH, Beschluss vom 3. März 2004 - IV ZB 43/03 - FamRZ 2004, 940, 941; Senatsbeschluss vom 10. März 2005 - XII ZB 19/04 - FamRZ 2005, 788). Durch den Beschluss sind die Kläger deswegen nicht gehindert, erneut Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu beantragen, zumal der frühere Antrag
lediglich mit Hinweis auf die versagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt worden ist.
Hahne Weber-Monecke Fuchs Vézina Dose

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

Verletzt der Schuldner eine Pflicht nach § 241 Abs. 2, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn ihm die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

Verletzt der Schuldner eine Pflicht nach § 241 Abs. 2, kann der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn ihm die Leistung durch den Schuldner nicht mehr zuzumuten ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)