Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2013 - V ZR 91/13

published on 10/10/2013 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2013 - V ZR 91/13
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Previous court decisions
Landgericht Marburg, 2 O 41/11, 21/11/2011
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 15 U 12/12, 27/02/2013

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR 91/13
vom
10. Oktober 2013
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2013 durchdie
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. Februar 2013 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 35.000 €.

Gründe:


I.

1
Die Parteien sind Eigentümer von Grundstücken in R. im Bezirk des Amtsgerichts M. . Auf dem Grundstück des Beklagten ist in Abt. II Nr. 10 eine Belastung mit folgendem Inhalt eingetragen: „DieEigentümer der Parzellen 6 Ktbl. Nr. 30 und 31, der Parz. 6 Nr. 70/25 pp., 71/26 pp. und 72/27 pp. sowie .... haben das Recht, das Grundstück Ktbl. 2 Nr. 2 als Sammelteich, dessen Unterhaltung auf gemeinschaftliche Kosten geschieht, zu benutzen und das Wasser zu ihrem Mühlenbetriebe daraus zu entnehmen. Eingetragen auf Grund der Bewilligung vom 20.09.1889 ... am 25.09.1889…“
2
Die Kläger haben im Jahre 2009 das Grundstück Blatt 1216, zu dessen Bestand die Flurstücke 70/25 und 71/26 gehören, mit der darauf befindlichen Stammsmühle erworben. Dem Mühlenbesitzer war im Jahre 1925 neben dem bereits im Wasserbuch eingetragenen alten Wasserentnahmerecht aus der Servitut ein weiteres Recht zur Ableitung des Wassers durch eine Druckrohrleitung mit einer Weite von 300 mm zum Antrieb einer Turbine für die Stammsmühle verliehen worden. Der frühere Eigentümer stellte Jahrzehnte später den Mühlenbetrieb ein und schloss die Zuleitung auf seinem Grundstück mit Beton. Im Jahre 2007 verfüllte der Beklagte den vor der Druckrohrleitung zum Grundstück der Kläger liegenden Teil des Teiches mit Schotter.
3
Die Kläger beabsichtigen, die Turbinenanlage wieder in Betrieb zu nehmen ; zu welchem Zweck ist zwischen den Parteien streitig. Sie haben von dem Beklagten verlangt, die Verfüllung am Rande des Teiches zu beseitigen und die Turbinenrohrleitung wieder mit dem Teich zu verbinden sowie künftige Beeinträchtigungen der eingetragenen Grunddienstbarkeit zu unterlassen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wollen die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

II.

4
Das Berufungsgericht meint, Ansprüche der Kläger auf Beseitigung und Unterlassung bestünden schon deshalb nicht, weil die von dem Beklagten vorgenommene Verfüllung die Grunddienstbarkeit nicht beeinträchtige. Die Kläger wollten das belastete Grundstück zu Zwecken nutzen, die der Beklagte nach dem Inhalt der Dienstbarkeit nicht zu dulden habe. Die Dienstbarkeit sei für einen Mühlenbetrieb bestellt worden; diese Zweckbestimmung gehöre zu ihrem Inhalt. Die von den Klägern beabsichtigte Gewinnung elektrischer Energie für den eigenen Gebrauch liege außerhalb des Inhalts des dinglichen Rechts.

III.

5
Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten aufzuheben, weil das Berufungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
6
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 64, 1, 12; 87, 1, 33). Daraus folgt zwar nicht, dass die Gerichte jedes Vorbringen der Parteien in den Entscheidungsgründen ausdrücklich bescheiden müssten (BVerfGE 88, 366, 375); geht ein Gericht aber auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies grundsätzlich auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (BVerfGE 47, 182, 189; 86, 133, 146). Da Art. 103 Abs. 1 GG einen Anspruch darauf gewährt, sich vor einer gerichtlichen Entscheidung sowohl zum Sachverhalt als auch zur Rechtslage zu äußern, gelten die vorstehenden Maßstäbe für beide Aspekte (BVerfG, Beschluss vom 14. August 2013 - 1 BvR 3157/11, juris Rn. 14).
7
Hiernach hat das Berufungsgericht das Verfahrensgrundrecht der Kläger dadurch verletzt, dass es ihr Vorbringen über das Bestehen eines selbständigen Abwehranspruchs analog § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB aus einem dem früheren Mühlenbesitzer verliehenen Wasserrecht nicht beschieden hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde verweist zur Begründung ihrer Rüge zutreffend auf das Vorbringen der Kläger gegenüber dem Berufungsgericht, in dem diese unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 15. März 2001 - III ZR 154/00, BGHZ 147, 125 ff.) und des Oberlandesgerichts Celle (NJW 1966, 1758 f.) ausgeführt haben, dass ihnen neben der Grunddienstbarkeit eine wasserrechtliche Befugnis zustehe, auf Grund derer ebenso eine Beseitigung der Störung verlangt werden könne. Auf diesen Vortrag über das Bestehen eines nach §§ 46 ff. des Preußischen Wassergesetzes (PrWG) im Jahre 1925 verliehenen, trotz Einstellung des Mühlenbetriebs fortbestehenden und mit dem Erwerb des Grundstücks auf die Kläger übergegangenen Wasserrechts und die sich daraus ergebenden Ansprüche ist das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen mit keinem Wort eingegangen.
8
2. Das übergangene Vorbringen ist entscheidungserheblich. Die Kläger hätten gegen den Beklagten einen Anspruch auf Beseitigung der Verfüllung und auf Verbindung der Turbinenrohrleitung mit dem Sammelteich, wenn ihnen das dem damaligen Mühlenbesitzer verliehene Wasserrecht zustünde.
9
Die nach §§ 46 ff. PrWG verliehenen Rechte sind nämlich von jedermann zu beachtende absolute Rechte, die Abwehr und Schadensersatzansprüche nach §§ 1004, 823 BGB begründen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1975 - VI ZR 43/74, NJW 1976, 46; Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht , 3. Aufl., Rn. 1069). Von dem Bestehen eines verliehenen Wasserbenutzungs - und Wasserleitungsrechts wäre hier auf Grund der Eintragungen im Wasserbuch auszugehen. Diese erzeugen zwar nach § 87 Abs. 4 WHG keine rechtsbegründende oder rechtsändernde Wirkung, aber eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen des gebuchten Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 1978 - III ZR 151/76, Warn 1978, Nr. 222; BVerwGE 37, 103, 104), so dass es Sache des Beklagten wäre, gegen die Richtigkeit der Eintragungen im Wasserbuch sprechende Tatsachen vorzutragen.
10
3. Der Rechtsstreit ist auch nicht im Hinblick auf einen Abwehranspruch aus der Grunddienstbarkeit (§§ 1027, 1004 BGB) entscheidungsreif, da die Kläger nicht dargelegt haben, dass die Aufschüttung, deren Beseitigung sie verlangen, auch eine Beeinträchtigung des „alten“ Wasserrechts darstellt.
11
a) Der Betrieb einer Turbine über eine eigens dafür angelegte Druckleitung (statt eines Wasserrades an einem Mühlgraben) führte bei kleineren Gewässern (Sammelteich) in der Regel zu einer Veränderung des Wasserablaufverhaltens , welche die Rechte der anderen Nutzungsberechtigten an dem Gewässer beeinträchtigte. Das für die Turbine erforderliche Wasserbezugsrecht ging damit über ein durch eine Servitut gesichertes Recht zur Wasserentnahme (zu dem Inhalt der Wasserservituten: Endemann, Das ländliche Wasserrecht , S. 60, 64) hinaus und bedurfte unter Geltung des Preußischen Wassergesetzes der Verleihung eines geänderten Benutzungsrechts (Holtz-KreutzSchlegelberger , Das Preußische Wassergesetz, 3. und 4. Aufl., § 379 Anm. 6.d., S. 587).
12
b) Der Umstand, dass 1925 ein solches Wasserrecht verliehen worden ist, sowie dessen - aus der in Ablichtung vorgelegten Verleihungsurkunde ersichtlicher - Inhalt sprechen dafür, dass es sich hier ebenso verhalten hat. Anderes ist jedenfalls nicht festgestellt. Dann aber ist der von den Klägern verfolgte Beseitigungsanspruch allein aus dem verliehenen Wasserrecht begründet, so dass es auf die den Inhalt der Wasserservitut betreffende Frage (zu deren Auslegung nach dem früheren Recht: Senat, Urteil vom 24. Juni 1964 - V ZR 162/61, BGHZ 42, 63, 66) nicht ankommt, ob das als Grunddienstbarkeit anzusehende Recht nur für die Zwecke eines bestimmten Mühlenbetriebs bestellt war (speziell zu dieser Frage: Holtz-Kreutz-Schlegelberger, aaO, S. 588 mwN aus der damaligen Rechtsprechung).

IV.

13
Der Wert der Beschwer ist nach den durch ein Gutachten belegten Ausführungen der Kläger zu den Werten des Grundstücks - mit und ohne Grunddienstbarkeit - auf 35.000 € anzusetzen. Die abweichende Wertfestsetzung der Vorinstanzen kann - entgegen den Ausführungen der Erwiderung - für das Revisionsgericht schon deshalb nicht verbindlich sein, weil sie auf einer falschen Rechtsgrundlage beruhte. Auch bei Streitigkeiten über Ansprüche nach §§ 1027, 1004 BGB ist der Wert nicht nach § 3 ZPO, sondern nach § 7 ZPO festzusetzen, wenn - wie hier - der Bestand der Grunddienstbarkeit im Streit ist (vgl. KG, OLG 31, 73; MünchKomm-ZPO/Wöstmann, 3. Aufl., § 3 Rn. 5; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 7 Rn. 7).
Stresemann Czub Brückner Weinland Kazele
Vorinstanzen:
LG Marburg, Entscheidung vom 21.11.2011 - 2 O 41/11 -
OLG Frankfurt in Kassel, Entscheidung vom 27.02.2013 - 15 U 12/12 -
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
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published on 15/03/2001 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL III ZR 154/00 Verkündet am: 15. März 2001 F r e i t a g Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja -------------
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Über die Gewässer sind Wasserbücher zu führen.

(2) In das Wasserbuch sind insbesondere einzutragen:

1.
nach diesem Gesetz erteilte Erlaubnisse, die nicht nur vorübergehenden Zwecken dienen, und Bewilligungen sowie alte Rechte und alte Befugnisse, Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen nach § 68,
2.
Wasserschutzgebiete,
3.
Risikogebiete und festgesetzte Überschwemmungsgebiete.
Von der Eintragung von Zulassungen nach Satz 1 Nummer 1 kann in Fällen von untergeordneter wasserwirtschaftlicher Bedeutung abgesehen werden.

(3) Unrichtige Eintragungen sind zu berichtigen. Unzulässige Eintragungen und Eintragungen zu nicht mehr bestehenden Rechtsverhältnissen sind zu löschen.

(4) Eintragungen im Wasserbuch haben keine rechtsbegründende oder rechtsändernde Wirkung.

Wird eine Grunddienstbarkeit beeinträchtigt, so stehen dem Berechtigten die in § 1004 bestimmten Rechte zu.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Wird eine Grunddienstbarkeit beeinträchtigt, so stehen dem Berechtigten die in § 1004 bestimmten Rechte zu.

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Der Wert einer Grunddienstbarkeit wird durch den Wert, den sie für das herrschende Grundstück hat, und wenn der Betrag, um den sich der Wert des dienenden Grundstücks durch die Dienstbarkeit mindert, größer ist, durch diesen Betrag bestimmt.