Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Apr. 2014 - StB 4/14

bei uns veröffentlicht am10.04.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
S t B 4 / 1 4
vom
10. April 2014
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beihilfe zum Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der
Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschwerdeführers und seiner Verteidiger am 10. April
2014 gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 5 StPO

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2013 wird verworfen.
Der Verurteilte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe:

1
1. Der 7. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg hat den Beschwerdeführer auf Grundlage der Urteile des 4. Strafsenats desselben Gerichts vom 19. August 2005 und des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2006 (3 StR 139/06, NJW 2007, 384) am 8. Januar 2007 wegen Beihilfe zum 246fachen Mord in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu der Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt. Zwei Drittel dieser Strafe waren am 15. Januar 2014 verbüßt. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 hat das Hanseatische Oberlandesgericht es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten bleibt ohne Erfolg.
2
2. Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung kann derzeit unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB).
3
a) Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB ist die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dieses Absatzes dann zur Bewährung auszusetzen, wenn dem Verurteilten eine günstige Prognose für eine Legalbewährung in Freiheit gestellt werden kann. Dabei sind an die Erwartung künftiger Straffreiheit umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger das im Falle eines Rückfalls bedrohte Rechtsgut ist (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2003 - StB 4/03, BGHR StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 2; vom 4. Oktober 2011 - StB 14/11, NStZ-RR 2012, 8). Die vorzunehmende Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des bereits erlittenen Strafvollzugs und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kann auch bei Kapitaldelikten, schweren Sexualstraftaten oder terroristischen Verbrechen zu dem Ergebnis führen, dass die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortbar ist; die Voraussetzungen an eine positive Legalprognose dürfen auch in diesem Bereich nicht so hochgeschraubt werden, dass dem Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf vorzeitige Haftentlassung bleibt (BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2011 - StB 14/11, NStZ-RR 2012, 8). Insbesondere wenn sich ein terroristischer Straftäter im Vollzug ordnungsgemäß führt und von seiner früheren Gewaltbereitschaft glaubhaft lossagt, kann auch hier eine Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 1990 - StB 39/89, BGHR StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 1). Dazu ist es letztlich auch nicht zwingend erforderlich, dass der Verurteilte, der seine Tat während des gesamten Strafverfahrens und im Strafvollzug bestritten hat, sein strafbares Verhalten nunmehr einräumt (vgl. S/S-Stree/Kinzig, 29. Aufl., § 57 Rn. 16a mwN).
4
b) Nach diesen Maßstäben ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat - sachverständig beraten (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO) - die nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB für die Entscheidung zu berücksichtigenden Umstände einer Gesamtwürdigung unterzogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass eine hinreichend günstige Prognose für eine bedingte Entlassung des Verurteilten zum jetzigen Zeitpunkt nicht gestellt werden kann. Dem schließt sich der Senat an. Zwar liegt eine Reihe prognoserelevanter Faktoren vor, die grundsätzlich die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen könnten. Der Verurteilte ist Erstverbüßer, hat ein beanstandungsfreies Vollzugsverhalten gezeigt, im Vollzug einen beruflichen Abschluss erlangt sowie sich Gesprächen mit der Anstaltspsychologin und im Rahmen eines Kurses für Extremismusprävention gestellt. Auch verfügt er über eine stabile familiäre Entlassungssituation in Marokko. Doch lässt sich unter Berücksichtigung des kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens auch aus Sicht des Senats keine Änderung der deliktsursächlichen Persönlichkeitsanteile und der islamistisch -jihadistischen Einstellung des Verurteilten feststellen, die eng mit der abgeurteilten Tat verknüpft sind. Ausweislich der Gründe des Urteils vom 19. August 2005 nahm der Verurteilte im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der sogenannten Hamburger Zelle, die sich um Atta und weitere spätere Attentäter des 11. September 2001 gruppiert hatte, eine untergeordnete Rolle ein. Während seines Aufenthaltes in einem Ausbildungslager der Al Quaida in Afghanistan im Mai 2000, in dem er sich einer Überprüfung auf seine Verwendungsmöglichkeiten unterzog, wurde er als ungeeignet für eine Beteiligung an Anschlägen eingestuft. Das erkennende Oberlandesgericht ging davon aus, dass der Verurteilte als zu weich für ein operatives Vorgehen bewertet worden war. Es stützt sich dafür auf weitere Zeugenaussagen, die den Verurteilten als eher konflikt- scheu und um ein harmonisches Auskommen bemüht beschrieben haben. Gleichwohl hat er in Kenntnis geplanter Anschläge mit Flugzeugen, bei denen mit dem Tod vieler Menschen zu rechnen war, und trotz bestehender familiärer Verpflichtungen die festgestellten Hilfestellungen in Hamburg geleistet. Dem Gutachten und insbesondere auch den Äußerungen des Verurteilten anlässlich der Exploration durch den Sachverständigen können Hinweise auf Änderungen in der ersichtlich beeinflussbaren Persönlichkeit des Verurteilten und in seiner islamistischen Einstellung nicht entnommen werden. Vielmehr hat der Verurteilte zu seinem Aufenthalt in einem Ausbildungslager in Afghanistan, den er im Gegensatz zu seiner Tat einräumt, weiterhin behauptet, es sei ihm dabei nur um die Erfüllung religiöser Verpflichtungen gegangen. Dies hat das Oberlandesgericht mit Recht als unglaubhaft und als Indiz dafür gewertet, dass sich der Verurteilte von seiner islamistisch-jihadistischen Einstellung noch nicht gelöst hat. Damit fehlt es an hinreichenden Erkenntnissen, die es im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB verantwortbar erscheinen lassen, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Im Gegenteil besteht weiterhin die Möglichkeit, dass der Verurteilte, sollte er sich in einem entsprechenden Umfeld wiederfinden, Erwartungshaltungen Gleichgesinnter hinsichtlich einer Beteiligung an islamistisch motivierten Gewalttaten nicht verschließen wird. Angesichts der außergewöhnlichen Schwere des in seinen Dimensionen in der neueren Geschichte einmaligen Terroraktes, in dessen Vorbereitung der Verurteilte sich hat verstricken lassen, lässt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit derzeit eine bedingte Haftentlassung des Verurteilten daher nicht zu.
Becker RiBGH Dr. Schäfer befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

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Strafgesetzbuch - StGB | § 57 Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe


(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der

Strafprozeßordnung - StPO | § 454 Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung


(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten un

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Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Okt. 2011 - StB 14/11

bei uns veröffentlicht am 04.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS ___________ StB 14/11 vom 4. Oktober 2011 in dem Strafvollstreckungsverfahren gegen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Apr. 2014 - StB 4/14.

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2020 - StB 3/20

bei uns veröffentlicht am 06.02.2020

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS StB 3/20 vom 6. Februar 2020 in dem Strafvollstreckungsverfahren gegen wegen Werbens um Mitglieder für eine ausländische terroristische Vereinigung u.a. hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung d

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2018 - StB 33/17

bei uns veröffentlicht am 11.01.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS StB 33/17 vom 11. Januar 2018 in dem Strafvollstreckungsverfahren gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a. hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen di

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(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
___________
StB 14/11
vom
4. Oktober 2011
in dem Strafvollstreckungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Oktober 2011 gemäß § 454
Abs. 3 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 StPO beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. August 2011 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hatte gegen den Verurteilten am 15. Juli 2008 wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit dem Versuch der Beteiligung an einem Mord eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verhängt. Durch den angefochtenen Beschluss hat es das Oberlandesgericht erneut - wie schon zuvor am 12. Mai 2010 - abgelehnt, den Rest dieser Freiheitsstrafe nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht; denn dieses durfte dem Verurteilten die Reststrafenbewährung nicht versagen, ohne sich zuvor gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO wiederum sachverständig beraten zu lassen.
2
1. Nach der genannten Vorschrift holt das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art (hier: § 129b Abs. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie §§ 211, 30 StGB) zur Bewährung auszusetzen und nicht auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen. Die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung hatte das Oberlandesgericht vor seiner Entscheidung vom 12. Mai 2010 für gegeben erachtet, denn es hatte ein entsprechendes Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L. eingeholt und in seine Erwägungen einbezogen. Vor diesem Hintergrund hätte es die Aussetzung der Verbüßung des Strafrestes zur Bewährung nur dann ohne erneute Anhörung eines Sachverständigen ablehnen dürfen, wenn das damals erstattete Gutachten wegen der Kürze der seither verstrichenen Zeit noch eine verlässliche Entscheidungsgrundlage geboten hätte und insbesondere keine neuen Umstände hervorgetreten wären, die grundsätzlich geeignet sein könnten, die Legalprognose für den Verurteilten positiv zu beeinflussen (so gerade auch die vom Oberlandesgericht herangezogenen Beschlüsse des OLG Rostock vom 20. August 2002 - 1 Ws 336/02, NJW 2003, 1334, 1335 und des Thüring. OLG vom 3. Dezember 1999 - 1 Ws 366/99, NStZ 2000, 224).
3
Beides war hier nicht der Fall. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 9. August 2011 waren seit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 8. Februar 2010 ein Jahr und sechs Monate und seit dessen mündlicher Anhörung vom 11. Mai 2010 nahezu ein Jahr und drei Monate vergangen, in denen durch den weiteren Strafvollzug resozialisierend auf den Verurteilten eingewirkt worden war. In dieser Zeit hatte der Verurteilte außerdem an einem Gruppentraining zur Förderung der sozialen Kompetenzen teilgenommen, das er nach der Bewertung der Kursleiterinnen positiv und mit sehr gutem Erfolg absolviert hatte. Außerdem steht er nunmehr in regelmäßigem Kontakt zu einem ehrenamtlichen Betreuer der Straffälligenhilfe, der ihm Unterstützung nach seiner Haftentlassung zugesagt hat. Bei dieser Sachlage hat das Oberlandesgericht den ihm durch § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO eingeräumten Beurteilungsspielraum (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2000 - StB 1/00, BGHR StPO § 454 Gutachten 3) überschritten, indem es die erneute Ablehnung der Reststrafenbewährung maßgeblich wieder auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L. vom 8. Februar 2010 stützte (BA S. 5), ohne zuvor diesen oder einen anderen Sachverständigen zu den neuen prognoserelevanten Umständen zu hören. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 8. Juni 2000 - 2 Ws 281-282/00, NStZ-RR 2000, 317, 318; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juni 2003 - 2 Ws 99/03, Justiz 2004, 123, 124).
4
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
5
Das Oberlandesgericht führt in dem angefochtenen Beschluss unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 12. Mai 2010 zwar zutreffend aus, dass die Anforderungen an eine positive Legalprognose im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB umso höher angesetzt werden müssen, je gewichtiger die Rechtsgüter sind, die bei einem möglichen Rückfall des entlassenen Verurteilten verletzt oder gefährdet würden (BGH, Beschluss vom 25. April 2003 - StB 4/03, BGHR StGB § 57 Abs. 1 Erprobung 2). Diese dürfen indes auch nicht so hoch geschraubt werden, dass dem wegen eines Kapitalverbrechens oder eines Organisationsdelikts im Sinne der §§ 129a, 129b StGB Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf eine vorzeitige Haftentlassung bleibt. Insbesondere darf die Ablehnung der Reststrafenbewährung nicht auf Umstände gestützt werden, auf die der Verurteilte keinen Einfluss hat. Daher wird das Oberlandesgericht nunmehr zu beachten haben, dass einer Arbeitsaufnahme des Verurteilten nach Haftentlassung gerade sein Eintrag im Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 entgegensteht. Sollten sonstige prognoserelevante Umstände der Aussetzung des Vollzugs der Reststrafe zur Bewährung nicht entgegenstehen, wird sie dem Verurteilten daher nicht mit Hinweis darauf versagt werden können, wegen der fehlenden Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme bestehe die Gefahr seiner Rückkehr in sein früheres Umfeld "im Umkreis muslimischer Moscheen" und der dortigen Aufnahme in eine islamistischterroristische Gruppe. Becker Pfister Menges

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten unzulässig ist, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt sind zu hören. Der Verurteilte ist mündlich zu hören. Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten kann abgesehen werden, wenn

1.
die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe befürworten und das Gericht die Aussetzung beabsichtigt,
2.
der Verurteilte die Aussetzung beantragt hat, zur Zeit der Antragstellung
a)
bei zeitiger Freiheitsstrafe noch nicht die Hälfte oder weniger als zwei Monate,
b)
bei lebenslanger Freiheitsstrafe weniger als dreizehn Jahre
der Strafe verbüßt hat und das Gericht den Antrag wegen verfrühter Antragstellung ablehnt oder
3.
der Antrag des Verurteilten unzulässig ist (§ 57 Abs. 7, § 57a Abs. 4 des Strafgesetzbuches).
Das Gericht entscheidet zugleich, ob eine Anrechnung nach § 43 Abs. 10 Nr. 3 des Strafvollzugsgesetzes ausgeschlossen wird.

(2) Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes

1.
der lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen oder
2.
einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art auszusetzen und nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen.
Das Gutachten hat sich namentlich zu der Frage zu äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, daß dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Der Sachverständige ist mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Das Gericht kann von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen absehen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

(3) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist sofortige Beschwerde zulässig. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

(4) Im Übrigen sind § 246a Absatz 2, § 268a Absatz 3, die §§ 268d, 453, 453a Absatz 1 und 3 sowie die §§ 453b und 453c entsprechend anzuwenden. Die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes wird mündlich erteilt; die Belehrung kann auch der Vollzugsanstalt übertragen werden. Die Belehrung soll unmittelbar vor der Entlassung erteilt werden.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.