Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Nov. 2018 - IX ZR 81/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Prof. Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
am 15. November 2018
beschlossen:
Der Streitwert wird auf 210.785,62 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- Die Beschwerde deckt keinen durchgreifenden Zulassungsgrund auf.
- 2
- 1. Zwar kann der Würdigung des Berufungsgerichts nicht beigetreten werden, eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) sei nicht hinreichend dargelegt, weil nicht festgestellt werden könne, ob die Schuldnerin einen wesentlichen Teil ihrer Verbindlichkeiten nicht habe bezahlen können. Dieser Rechtsfehler ist indessen nicht entscheidungserheblich.
- 3
- a) Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - IX ZR 95/14, WM 2015, 1202 Rn. 12).
- 4
- aa) Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden , bedarf es einer darüber hinausgehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder einer Unterdeckung von mindestens 10 v.H. nicht (BGH, aaO Rn. 13).
- 5
- bb) Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten kann eine Zahlungseinstellung begründen. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 12). Ein weiteres Indiz für eine Zahlungseinstellung kann in der Nichtzahlung sowie der schleppenden Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (BGH, aaO Rn. 15) oder Steuerforderungen (BGH, aaO Rn. 16) erblickt werden. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, kann regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt ausgegangen werden (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 28). Eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 21). Schließlich können gegen den Schuldner betriebene Vollstreckungsverfahren die Schlussfolgerung der Zahlungseinstellung nahelegen (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, aaO Rn. 17). Verwirklichen sich mehrere ge- wichtige Beweisanzeichen, ermöglicht dies die Bewertung, dass eine Zahlungseinstellung vorliegt (BGH, aaO Rn. 18).
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- cc) Vor diesem Hintergrund kann eine Zahlungseinstellung nicht allein deswegen abgelehnt werden, weil es an Feststellungen dazu fehlt, ob ein erheblicher Teil der fälligen Verbindlichkeiten nicht beglichen wurde. Scheidet dieses Indiz einer Zahlungseinstellung aus, kann diese vielmehr aus sonstigen, im konkreten Streitfall einschlägigen Beweisanzeichen gefolgert werden. Bei dieser Sachlage verbietet es sich, allein mangels Darlegung des Verhältnisses der fälligen Verbindlichkeiten zu den Gesamtverbindlichkeiten eine Zahlungseinstellung abzulehnen. Diese Würdigung liefe auf die Notwendigkeit der Erstellung einer Liquiditätsbilanz hinaus, die in Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gerade entbehrlich ist (BGH, aaO Rn. 10; Urteil vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 12).
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- b) Dieser Rechtsfehler ist indessen nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat eine Zahlungsunfähigkeit auch aus der Erwägung abgelehnt , dass der Schuldnerin nach den Feststellungen des von dem vormaligen Insolvenzverwalter erstellten Eröffnungsgutachtens im fraglichen Zeitraum ein Kreditrahmen von 1.937.000 € sowie ein weiterer Darlehensrahmen von 2 Mio. € offen gestanden hatte. Bei dieser Sachlage war die Schuldnerin imstande , mit Hilfe eines sofort abrufbaren Kredits ihren fälligen Verbindlichkeiten zu genügen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2011 - IX ZR 32/10, Rn. 4; Urteil vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, WM 2016, 974 Rn. 31). Die Rüge der Beschwerde, im April 2011 hätten Verbindlichkeiten der Schuldnerin von 14.450.000 € lediglich liquide Mittel von 1.440.000 € gegenüber gestanden, bezieht sich nicht auf den hier maßgeblichen Anfechtungszeitraum. Dass die Kreditmittel ausreichten, um während des Anfechtungszeitraums die laufenden Verbindlichkeiten abzudecken, wird von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen. Insoweit scheidet jedenfalls eine Verletzung des allein geltend gemachten Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) aus.
- 8
- 2. Kann eine Zahlungsunfähigkeit nicht festgestellt werden, scheidet die geltend gemachte Deckungsanfechtung aus § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO aus. Bei dieser Sachlage kann auch das für die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO maßgebliche Indiz der beiderseits erkannten Zahlungsunfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 - IX ZR 104/13, WM 2013, 2231 Rn. 11) nicht greifen. Auf die Anwendung des § 142 InsO kommt es folglich nicht an.
Vorinstanzen:
LG Aschaffenburg, Entscheidung vom 01.09.2016 - 13 O 485/14 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 23.03.2018 - 3 U 177/16 -
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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat,
- 1.
wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder - 2.
wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
(2) Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.
(3) Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.
(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.
(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.
(1) Eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, ist nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Absatz 1 bis 3 gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner unlauter handelte.
(2) Der Austausch von Leistung und Gegenleistung ist unmittelbar, wenn er nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgt. Gewährt der Schuldner seinem Arbeitnehmer Arbeitsentgelt, ist ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt. Der Gewährung des Arbeitsentgelts durch den Schuldner steht die Gewährung dieses Arbeitsentgelts durch einen Dritten nach § 267 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gleich, wenn für den Arbeitnehmer nicht erkennbar war, dass ein Dritter die Leistung bewirkt hat.