Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Feb. 2012 - IX ZB 188/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 596.306,96 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Am 22. November 2010 beantragte die weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Gläubigerin) wegen rückständiger Entwässerungsgebühren, Abfallgebühren, Säumniszuschläge und Mahngebühren in Höhe von insgesamt 33.187,37 € die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Der weitere Beteiligte zu 2 wurde zunächst zum Gutachter, dann zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Er erstattete am 16. Februar 2011 ein Gutachten, nach welchem fälligen Verbindlichkeiten von 1.165.800,63 €- darunter die For- derung der Gläubigerin, die sich mittlerweile auf mindestens 43.500 € erhöht hatte - liquide Mittel von 6.805,69 € gegenüber standen. Der Inhalt des Gutachtens war mit dem Schuldner besprochen worden.
- 2
- Am 18. Februar 2011, 11.00 Uhr, ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Der Schuldner hat sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt und dazu vorgetragen, dass die Forderungen, welche dem Antrag zugrunde lagen, am 17. Februar 2011 und am 18. Februar 2011 um 7.56 Uhr durch Zahlungen eines Dritten beglichen worden waren. Die Gläubigerin hat den Eingang der Zahlungen bestätigt, jedoch auf die noch offenen Forderungen von insgesamt 9.648,79 € hingewiesen; auf Nachfrage des Gerichts hat sie erklärt, sie betrachte die noch offenen Forderungen ebenfalls als Gegenstand des Insolvenzantrags und werde keine Erledigungserklärung abgeben. Der Schuldner hat nicht bestritten, dass die weiteren Forderungen bestanden.
- 3
- Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses und die Abweisung des Eröffnungsantrags der Gläubigerin erreichen.
II.
- 4
- Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 1, §§ 6, 7 InsO aF, Art. 103 f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
- 5
- 1. Die Rechtsbeschwerde beanstandet eine Verletzung des Grundrechts des Schuldners auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Sie meint, dem Schuldner hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, auch die weiteren Forderungen der Gläubigerin vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu begleichen oder begleichen zu lassen. Dies trifft indes nicht zu.
- 6
- a) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt den schriftlichen Antrag eines Gläubigers oder des Schuldners (§ 13 InsO) sowie einen Eröffnungsgrund (§§ 16, 17 InsO) voraus. Beide Voraussetzungen waren hier im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2006 - IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 8 ff) erfüllt. Der Schuldner war zahlungsunfähig (§ 17 InsO). Ein schriftlicher Antrag der Gläubigerin lag ebenfalls vor. Die Forderungen der Gläubigerin waren im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses schließlich nicht vollständig erfüllt. Entgegen der Ansicht des Schuldners hatte das Beschwerdegericht nicht zu prüfen, ob das Insolvenzgericht im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses von einer ausreichenden Glaubhaftmachung der Forderungen der Gläubigerin ausgehen durfte. Entscheidend war vielmehr, ob das Beschwerdegericht selbst die Forderung für ausreichend glaubhaft gemacht hielt; denn gemäß § 571 Abs. 2 und 3 ZPO hat das Beschwerdegericht auch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zu berücksichtigen. Der Schuldner hat nicht in Abrede gestellt, dass die weiteren Forde- rungen in Höhe von insgesamt 9.648,79 € im Zeitpunkt der Eröffnung des Insol- venzverfahrens offen standen. Wie der Senat bereits entschieden hat, kann der antragstellende Gläubiger, dessen Forderung im Eröffnungsverfahren getilgt wird, seinem Antrag weitere Forderungen unterlegen (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, NZI 2004, 587, 588 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 17/3030, S. 42 zu Nr. 1).
- 7
- b) Die Insolvenzordnung sieht nicht vor, dass dem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Gelegenheit gegeben werden muss, die dem Antrag zugrunde liegende Forderung zu begleichen. Die Rechtsbeschwerde weist nicht nach, dass in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung oder in der Literatur abweichende Ansichten vertreten werden.
- 8
- c) Das Verfahrensgrundrecht des Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wurde nicht verletzt. Das Beschwerdegericht hat das Vorbringen des Schuldners vollständig zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Dass es zu einem anderen als dem vom Schuldner für richtig gehaltenen Ergebnis gelangt ist, berührt nicht den Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG.
- 9
- 2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.
Vorinstanzen:
AG Mannheim, Entscheidung vom 18.02.2011 - 1 IN 636/10 -
LG Mannheim, Entscheidung vom 20.05.2011 - 4 T 30/11 -
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(1) Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, so steht dem Antragsteller und, wenn die Abweisung des Antrags nach § 26 erfolgt, dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(2) Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(3) Sobald eine Entscheidung, die den Eröffnungsbeschluß aufhebt, Rechtskraft erlangt hat, ist die Aufhebung des Verfahrens öffentlich bekanntzumachen. § 200 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. Die Wirkungen der Rechtshandlungen, die vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber vorgenommen worden sind, werden durch die Aufhebung nicht berührt.
(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.
(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.
(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Insolvenzverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag eröffnet. Antragsberechtigt sind die Gläubiger und der Schuldner. Dem Antrag des Schuldners ist ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen. Wenn der Schuldner einen Geschäftsbetrieb hat, der nicht eingestellt ist, sollen in dem Verzeichnis besonders kenntlich gemacht werden
- 1.
die höchsten Forderungen, - 2.
die höchsten gesicherten Forderungen, - 3.
die Forderungen der Finanzverwaltung, - 4.
die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie - 5.
die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung.
- 1.
der Schuldner Eigenverwaltung beantragt, - 2.
der Schuldner die Merkmale des § 22a Absatz 1 erfüllt oder - 3.
die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wurde.
(2) Der Antrag kann zurückgenommen werden, bis das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag rechtskräftig abgewiesen ist.
(3) Ist der Eröffnungsantrag unzulässig, so fordert das Insolvenzgericht den Antragsteller unverzüglich auf, den Mangel zu beheben und räumt ihm hierzu eine angemessene Frist ein.
(4) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates für die Antragstellung durch den Schuldner ein Formular einzuführen. Soweit nach Satz 1 ein Formular eingeführt ist, muss der Schuldner dieses benutzen. Für Verfahren, die von den Gerichten maschinell bearbeitet, und für solche, die nicht maschinell bearbeitet werden, können unterschiedliche Formulare eingeführt werden.
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt voraus, daß ein Eröffnungsgrund gegeben ist.
(1) Die Beschwerde soll begründet werden.
(2) Die Beschwerde kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. Sie kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
(3) Der Vorsitzende oder das Beschwerdegericht kann für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln eine Frist setzen. Werden Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht innerhalb der Frist vorgebracht, so sind sie nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Verfahrens nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.
(4) Ordnet das Gericht eine schriftliche Erklärung an, so kann diese zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden, wenn die Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden darf (§ 569 Abs. 3).
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.