Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2012 - IX ZB 275/11

bei uns veröffentlicht am19.07.2012
vorgehend
Amtsgericht Dortmund, 259 IN 45/11, 03.06.2011
Landgericht Dortmund, 9 T 370/11, 20.09.2011
Landgericht Dortmund, 9 T 371/11, 20.09.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 275/11
vom
19. Juli 2012
in dem Insolvenzeröffnungsverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 19. Juli 2012

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 20. September 2011 wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:


1
Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf. Deshalb kann dahinstehen , ob hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht.
2
1. Der Schuldnerin ist es verwehrt, eine fehlende Glaubhaftmachung der Forderung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO) zu rügen, auf die der Eröffnungsantrag der Gläubigerin gestützt ist. Sie hat diese Forderung ausgeglichen und damit unstreitig gestellt. Bei dieser Sachlage ist eine Glaubhaftmachung entbehrlich (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rn. 3; vom 9. Februar 2012 - IX ZB 188/11, Rn. 6; HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 14 Rn. 12).

3
2. Soweit die Beschwerde die Aufrechterhaltung des Eröffnungsantrags durch die Gläubigerin nach Begleichung der Forderung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 InsO) im Blick auf ein fehlendes Rechtsschutzinteresse beanstandet, wird der geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Die Rechtsbeschwerde setzt sich dabei auch nicht mit der Erwägung des Gesetzgebers auseinander, Fiskus und Sozialversicherungsträger hätten ein gravierendes Interesse, ein insolventes Unternehmen an einer weiteren Tätigkeit zu hindern und Klarheit über seine Zahlungsfähigkeit zu erlangen, weil sie aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht die Möglichkeit hätten, die Verbindung zu dem Schuldner einseitig zu beenden (BT-Drucks. 17/3030, S. 42). Der außerdem beanstandete Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt nicht vor. In- soweit kann es sich allenfalls um einen nicht in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG fallenden Subsumtionsfehler handeln (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 214/10, WM 2011, 1087 Rn. 13).
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer

Vorinstanzen:
AG Dortmund, Entscheidung vom 03.06.2011 - 259 IN 45/11 -
LG Dortmund, Entscheidung vom 20.09.2011 - 9 T 370/11, 9 T 371/11 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Insolvenzordnung - InsO | § 14 Antrag eines Gläubigers


(1) Der Antrag eines Gläubigers ist zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Der Antrag wird nicht allein dadurch unzulässig, dass

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(1) Der Antrag eines Gläubigers ist zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Der Antrag wird nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird.

(2) Ist der Antrag zulässig, so hat das Insolvenzgericht den Schuldner zu hören.

(3) Wird die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung erfüllt, so hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn der Antrag als unbegründet abgewiesen wird. Der Schuldner hat die Kosten auch dann zu tragen, wenn der Antrag eines Gläubigers wegen einer zum Zeitpunkt der Antragstellung wirksamen nichtöffentlichen Stabilisierungsanordnung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz abgewiesen wird und der Gläubiger von der Stabilisierungsanordnung keine Kenntnis haben konnte.

3
Das 1. Beschwerdegericht hat keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt , der von der Senatsrechtsprechung zu den an die Glaubhaftmachung der Forderung des antragstellenden Gläubigers (§ 14 InsO) zu erhebende Anforderungen abweicht. Es hat insbesondere den Grundsatz des Beschlusses vom 13. Juni 2006 (IX ZB 214/05, NZI 2006, 590, 591 Rn. 9) zitiert, dass als Mindestanforderung an die Glaubhaftmachung die Vorlage der Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaiger Steueranmeldungen zu verlangen sei, aber gemeint , im vorliegenden Fall eine Ausnahme machen zu können, weil das Finanzamt die ausstehenden Steuern genau beschrieben und die Schuldnerin sich lediglich auf Erlassanträge und Gegenansprüche berufen habe, über die bis zum Zeitpunkt der Entscheidung weder die Finanzbehörden noch das Finanzgericht mit Bestandskraft entschieden hätten. Das ist grundsätzlich möglich. Unstreitige Tatsachen - hier: die Steuerfestsetzungen in den aufgeführten Steuerbescheiden - brauchen nicht glaubhaft gemacht zu werden (§ 294 ZPO). Streit besteht über die von der Schuldnerin erhobenen Einwände. Deren Berechtigung kann das Insolvenzgericht unabhängig davon nicht prüfen, ob die Bescheide vorgelegt werden oder nicht.
6
a) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt den schriftlichen Antrag eines Gläubigers oder des Schuldners (§ 13 InsO) sowie einen Eröffnungsgrund (§§ 16, 17 InsO) voraus. Beide Voraussetzungen waren hier im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2006 - IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 8 ff) erfüllt. Der Schuldner war zahlungsunfähig (§ 17 InsO). Ein schriftlicher Antrag der Gläubigerin lag ebenfalls vor. Die Forderungen der Gläubigerin waren im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses schließlich nicht vollständig erfüllt. Entgegen der Ansicht des Schuldners hatte das Beschwerdegericht nicht zu prüfen, ob das Insolvenzgericht im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses von einer ausreichenden Glaubhaftmachung der Forderungen der Gläubigerin ausgehen durfte. Entscheidend war vielmehr, ob das Beschwerdegericht selbst die Forderung für ausreichend glaubhaft gemacht hielt; denn gemäß § 571 Abs. 2 und 3 ZPO hat das Beschwerdegericht auch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zu berücksichtigen. Der Schuldner hat nicht in Abrede gestellt, dass die weiteren Forde- rungen in Höhe von insgesamt 9.648,79 € im Zeitpunkt der Eröffnung des Insol- venzverfahrens offen standen. Wie der Senat bereits entschieden hat, kann der antragstellende Gläubiger, dessen Forderung im Eröffnungsverfahren getilgt wird, seinem Antrag weitere Forderungen unterlegen (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, NZI 2004, 587, 588 mwN; vgl. auch BT-Drucks. 17/3030, S. 42 zu Nr. 1).

(1) Der Antrag eines Gläubigers ist zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Der Antrag wird nicht allein dadurch unzulässig, dass die Forderung erfüllt wird.

(2) Ist der Antrag zulässig, so hat das Insolvenzgericht den Schuldner zu hören.

(3) Wird die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung erfüllt, so hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn der Antrag als unbegründet abgewiesen wird. Der Schuldner hat die Kosten auch dann zu tragen, wenn der Antrag eines Gläubigers wegen einer zum Zeitpunkt der Antragstellung wirksamen nichtöffentlichen Stabilisierungsanordnung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz abgewiesen wird und der Gläubiger von der Stabilisierungsanordnung keine Kenntnis haben konnte.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

13
Das Beschwerdegericht hat das Vorbringen der Schuldnerin, eine Veräußerung von Betriebsvermögen sei ohne die Gefahr einer Rückforderung von Fördergeldern oder Investitionszulagen in Betracht gekommen, ausweislich der Entscheidungsgründe zur Kenntnis genommen. Es hat sich dieser Rechtsansicht jedoch nicht angeschlossen. Bei dieser Sachlage ist den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG genügt. Das Prozessgrundrecht gibt keinen Anspruch darauf, dass sich das Gericht mit Vorbringen einer Partei in der Weise auseinandersetzt , die sie selbst für richtig hält. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt auch keine Pflicht des Gerichts, der von einer Partei vertretenen Rechtsansicht zu folgen (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2008 - IX ZR 62/07, DStRE 2009, 328 Rn. 5 mwN).