Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Sept. 2011 - IX ZB 133/10

published on 22/09/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Sept. 2011 - IX ZB 133/10
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Amtsgericht Augsburg, 7 IN 439/07, 06/08/2009
Landgericht Augsburg, 71 T 1948/10, 07/06/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 133/10
vom
22. September 2011
in dem Insolvenzverfahren
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, den Richter Raebel, die Richterin Lohmann, den Richter
Dr. Pape und die Richterin Möhring
am 22. September 2011

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom 7. Juni 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:


1
Über das Vermögen des Schuldners ist am 24. April 2007 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Im Schlusstermin am 17. Dezember 2008 haben die weiteren Beteiligten zu 2 und zu 3 (fortan: Gläubiger) Versagung der Restschuldbefreiung beantragt, weil der Schuldner im Insolvenzverfahren unrichtige und unvollständige Angaben zu einzelnen Vermögensgegenständen gemacht habe. Sie haben zu Protokoll erklärt, dass der Schuldner den Kundenstamm seines Unternehmens unentgeltlich an S. B. weitergegeben , einen Ausgleichsanspruch aus einem Leasingvertrag verschwiegen, Möbel und Büroinventar ohne Gegenleistung der S. B. überlassen und hochwertige Armbanduhren der Insolvenzmasse vorenthalten habe. Zur Glaubhaftmachung haben sie auf eine Erklärung vom 14. Dezember 2008 Bezug genommen. Hierbei handelt es sich um ein Anlagenkonvolut von etwa 140 Seiten, das sie zu den Akten gereicht haben. Der Schuldner hat erwidert, er werde sich nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt, der zunächst Akteneinsicht nehmen müsse, zum Versagungsantrag äußern. Mit Anwaltsschriftsatz vom 13. März 2009 hat er den Sachvertrag der Gläubiger unter Darlegung von Einzelheiten bestreiten lassen.
2
Mit Beschluss vom 6. August 2009 hat das Insolvenzgericht den Versagungsantrag der Gläubiger zurückgewiesen, weil Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nicht im Schlusstermin glaubhaft gemacht worden seien; die Erklärungen zu Protokoll und die eingereichten Unterlagen genügten insoweit nicht, weil sie sich nur auf den objektiven Tatbestand bezögen. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubiger hat das Landgericht am 7. Juni 2010 den Beschluss des Insolvenzgerichts aufgehoben und die Sache an das Insolvenzgericht zurückverwiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Schuldner am 6. Juli 2010 Rechtsbeschwerde eingelegt. Nachdem der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf die vorliegende Rechtsbeschwerde die Verfahrensakten angefordert hatte, hat das Insolvenzgericht am 15. Juli 2010 den Versagungsantrag der Gläubiger erneut zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Gläubiger zu 2 ein als "Widerspruch" bezeichnetes Rechtsmittel eingelegt.
3
Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts und die Zurückweisung der sofortigen Beschwerden der Gläubiger erreichen, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, weiter hilfsweise die Feststellung, dass das Rechtsbe- schwerdeverfahren erledigt ist. Der Gläubiger zu 1 ist sämtlichen Anträgen entgegen getreten.

II.


4
1. Der Beschluss des Insolvenzgerichts vom 15. Juli 2010 hat nicht zu einer Erledigung des Rechtsbeschwerdeverfahrens geführt. Das Insolvenzgericht hat in einer Rechtssache entschieden, die bei ihm nicht, sondern beim Rechtsbeschwerdegericht anhängig war. Eine insolvenzrechtliche Beschwerdeentscheidung wird, sofern nicht ihre sofortige Wirksamkeit angeordnet ist, erst mit der Rechtskraft wirksam (§ 6 Abs. 3 InsO). Deshalb kann der Anspruch in der Beschwerdeentscheidung vom 7. Juni 2010 jedenfalls solange keine Wirkungen entfalten, wie über die gegen die Beschwerdeentscheidung gerichtete fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Schuldners noch nicht entschieden ist. Trifft das Insolvenzgericht - aus welchen Gründen auch immer - trotzdem eine Sachentscheidung, entbehrt dies jeder gesetzlichen Grundlage. Sie ist deshalb nicht nur rechtswidrig, sondern nichtig.
5
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 289 Abs. 2, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
6
a) Das Beschwerdegericht hat gemeint, eine Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen des Versagungsgrundes des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO sei entbehrlich gewesen, nachdem der Schuldner sich im Schlusstermin nicht zu den tatsächlichen Behauptungen der Gläubiger geäußert, insbesonde- re diese nicht bestritten habe, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre.
7
b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Grundsätzlich hat sich der Schuldner im Schlusstermin zu zulässigen Versagungsansträgen zu erklären (vgl. § 290 Abs. 1 InsO sowie BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 - IX ZB 185/08, WM 2009, 619 Rn. 9 f; vom 10. Februar 2011 - IX ZB 237/09, WM 2011, 839 Rn. 6). Nachträgliche Erklärungen des Schuldners sind jedoch nur dann ausgeschlossen, wenn dieser rechtzeitig auf die Folgen des unentschuldigten Fernbleibens oder der Nichterklärung zu Versagungsanträgen hingewiesen worden ist (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011, aaO Rn. 7 ff). Das ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Der Schuldner ist weder in der Ladung zum Schlusstermin noch im Termin selbst darauf hingewiesen worden, dass die angekündigte schriftliche Stellungnahme als verspätet behandelt werden würde.

III.


8
Der angefochtene Beschluss kann folglich keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Das Beschwerdegericht wird den Vortrag beider Parteien unter Berücksichtigung der oben zitierten Senatsrechtsprechung neu zu würdigen haben.
Kayser Raebel Lohmann
Pape Möhring

Vorinstanzen:
AG Augsburg, Entscheidung vom 06.08.2009 - 7 IN 439/07 -
LG Augsburg, Entscheidung vom 07.06.2010 - 71 T 1948/10 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde a

(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen. (2) Die Beschwerdefrist beginn
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Annotations

(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.

(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.

(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.

Im Fall der Einstellung des Insolvenzverfahrens kann Restschuldbefreiung nur erteilt werden, wenn nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse nach § 209 verteilt worden ist und die Einstellung nach § 211 erfolgt.

(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.

(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.

(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Die Restschuldbefreiung ist durch Beschluss zu versagen, wenn dies von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet hat, beantragt worden ist und wenn

1.
der Schuldner in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283c des Strafgesetzbuchs rechtskräftig zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist,
2.
der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden,
3.
(weggefallen)
4.
der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, daß er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet oder ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat,
5.
der Schuldner Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten nach diesem Gesetz vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat,
6.
der Schuldner in der nach § 287 Absatz 1 Satz 3 vorzulegenden Erklärung und in den nach § 305 Absatz 1 Nummer 3 vorzulegenden Verzeichnissen seines Vermögens und seines Einkommens, seiner Gläubiger und der gegen ihn gerichteten Forderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat,
7.
der Schuldner seine Erwerbsobliegenheit nach § 287b verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt; dies gilt nicht, wenn den Schuldner kein Verschulden trifft; § 296 Absatz 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(2) Der Antrag des Gläubigers kann bis zum Schlusstermin oder bis zur Entscheidung nach § 211 Absatz 1 schriftlich gestellt werden; er ist nur zulässig, wenn ein Versagungsgrund glaubhaft gemacht wird. Die Entscheidung über den Versagungsantrag erfolgt nach dem gemäß Satz 1 maßgeblichen Zeitpunkt.

(3) Gegen den Beschluss steht dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger, der die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hat, die sofortige Beschwerde zu. Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.