Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Apr. 2009 - II ZB 16/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beklagte, eine eingetragene Baugenossenschaft, hat den Kläger, der im Rahmen seiner Mitgliedschaft eine im Eigentum der Beklagten stehende Immobilie bewohnt, mit Beschluss ihres Vorstands vom 28. Februar 2007 ausgeschlossen. Der Aufsichtsrat der Beklagten hat den Ausschluss des Klägers bestätigt. Das Amtsgericht hat auf Antrag des Klägers festgestellt, dass seine Mitgliedschaft bei der Beklagten durch die Beschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrats nicht beendet wurde. Das Landgericht hat die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Beklagten durch Beschluss vom 29. August 2008 als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 € nicht übersteige. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
- 2
- Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
- 3
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO).
- 4
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, weil das Berufungsgericht in einer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise angenommen hat, dass die Berufungssumme nicht erreicht ist, und die Berufung der Beklagten deshalb rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen hat.
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- a) Die gegen den Ausschluss des Klägers aus der beklagten Genossenschaft gerichtete Klage ist - wie das Berufungsgericht noch zutreffend angenommen hat - als vermögensrechtliche Streitigkeit anzusehen. Der Zweck der Beklagten als eingetragener Genossenschaft ist - wie sich auch aus § 2 ihrer Satzung ergibt - wirtschaftlicher Natur. Dies hat zur Folge, dass ein Mitglied der Genossenschaft durch seinen Ausschluss regelmäßig in seinen vermögensrechtlichen Belangen betroffen ist (RGZ 89, 336, 337; Beuthien, GenG 14. Aufl. § 68 Rdn. 21; Schulte in Lang/Weidmüller, GenG 35. Aufl. § 68 Rdn. 40).
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- So liegt der Fall hier. Der Kläger macht mit seiner Klage keinen - den Rechtsstreit prägenden - personenrechtlichen Anspruch geltend (vgl. dazu: Senat , BGHZ 13, 5, 8; RGZ 163, 200, 202 f.), sondern verfolgt nach den - von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts lediglich das Ziel, sich die wirtschaftlichen Vorteile seiner Mitgliedschaft zu erhalten.
- 7
- b) Das Berufungsgericht hat auch - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht verkannt, dass es für die Festsetzung des Wertes der Beschwer auf das Interesse des Rechtsmittelklägers am Erfolg des Rechtsmittels ankommt. Es hat nämlich, wie sich bereits aus dem Hinweisbeschluss vom 1. Juli 2008 unzweifelhaft ergibt, als Maßstab für die Bewertung des Interesses der Beklagten an der Aufrechterhaltung des Ausschlusses des Klägers - spiegelbildlich zu dem mit der Feststellungsklage des Klägers verfolgten Interesse am Fortbestehen seiner Mitgliedschaft - im Grundsatz zutreffend den Wert des von der Ausschließung betroffenen Geschäftsanteils des Klägers herangezogen (vgl. Sen.Urt. v. 30. April 2001 - II ZR 328/00, ZIP 2001, 1734, 1735 - zur GmbH).
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- c) Entgegen der verfehlten Annahme des Berufungsgerichts übersteigt jedoch der Wert des Beschwerdegegenstandes im vorliegenden Fall die sog. Erwachsenheitssumme von 600,00 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), so dass die Berufung der Beklagten zulässig ist.
- 9
- aa) Das Berufungsgericht hat bei seiner unzutreffenden Festsetzung des Beschwerdewerts auf lediglich 600,00 € von dem ihm durch § 3 ZPO eingeräumten Ermessen rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht, weil es hierbei von der Beklagten glaubhaft gemachte, bewertungsrelevante Tatsachen außer Acht gelassen hat (Sen.Beschl. v. 28. April 2008 - II ZB 27/07, WM 2009, 329 Tz. 4 m.w.Nachw.).
- 10
- Mit seiner ausschließlich am Nennwert des Geschäftsanteils orientierten Bewertung des Genossenschaftsanteils des Klägers hat das Berufungsgericht den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Dem angefochtenen Beschluss ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht den auf seinen Hinweisbeschluss vom 1. Juli 2008 von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung gehaltenen und durch Vorlage der Bilanz für das Jahr 2007 und anderer Geschäftsunterlagen glaubhaft gemachten Vortrag, der tatsächliche Wert des Geschäftsanteils des Klägers liege erheblich über seinem Nennwert und belaufe sich unter Berücksichtigung der in der Bilanz ausgewiesenen Ergebnisrücklagen zuzüglich des zur Ausschüttung im Jahre 2008 vorgesehenen Bilanzgewinns des Jahres 2007 einschließlich seines Geschäftsguthabens auf 3.500,44 €, in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und bei der Festsetzung des Wertes der Beschwer in Erwägung gezogen hat.
- 11
- bb) Unter Berücksichtigung dieses Vortrags überstieg der Wert der Beschwer die Erwachsenheitssumme von 600,00 €. Zwar bemisst sich die Beschwer - ebenso wie der Streitwert - bei einem Streit um den Ausschluss eines Mitglieds aus der Genossenschaft, sofern dieser - wie hier - vermögensrechtlicher Natur ist, in der Regel nach der Höhe des Geschäftsguthabens des ausgeschlossenen Mitglieds (Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG 3. Aufl. § 68 Rdn. 39; Schulte in Lang/Weidmüller aaO Rdn. 40), weil dieses zumeist den tatsächlichen Wert des Anteils des Ausgeschiedenen widerspiegelt. Hier war jedoch eine andere Bewertung deshalb geboten, weil sich aus dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beklagten als Berufungsführerin ein höherer wirtschaftlicher Wert des Geschäftsanteils des Klägers ergibt. Denn schon allein im Hinblick auf die in der - von der Beklagten vorgelegten - Bilanz für das Jahr 2007 ausgewiesenen Ergebnisrücklagen von mehr als 8 Millionen € übersteigt der wirtschaftliche Wert des Anteils des Klägers sowohl den Nennwert seines Anteils als auch den Betrag seines Geschäftsguthabens (594,00 €) deutlich. Auch wenn das ausgeschiedene Genossenschaftsmitglied nach § 73 Abs. 2 Satz 3 GenG grundsätzlich keinen Anspruch auf Beteiligung an den Rücklagen hat - es sei denn, dass die Satzung einen solchen Anspruch ausdrücklich vorsieht (§ 73 Abs. 3 GenG) -, ändert dies nichts daran, dass ein Genosse jedenfalls während seiner Mitgliedschaft, um deren Fortbestehen die Parteien streiten, an diesem Wert beteiligt ist.
- 12
- Zudem ist die Berufungssumme aber auch wegen des zur Ausschüttung im Jahr 2008 vorgesehenen Bilanzgewinns des Jahres 2007 erreicht.
- 13
- 3. Die Sache ist demnach an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sich nunmehr im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels mit der Frage der Wirksamkeit des Ausschlusses des Klägers befassen kann.
AG Duisburg, Entscheidung vom 30.04.2008 - 53 C 2974/07 -
LG Duisburg, Entscheidung vom 29.08.2008 - 13 S 129/08 -
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Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Gründe, aus denen ein Mitglied aus der Genossenschaft ausgeschlossen werden kann, müssen in der Satzung bestimmt sein. Ein Ausschluss ist nur zum Schluss eines Geschäftsjahres zulässig.
(2) Der Beschluss, durch den das Mitglied ausgeschlossen wird, ist dem Mitglied vom Vorstand unverzüglich durch eingeschriebenen Brief mitzuteilen. Das Mitglied verliert ab dem Zeitpunkt der Absendung der Mitteilung das Recht auf Teilnahme an der Generalversammlung oder der Vertreterversammlung sowie seine Mitgliedschaft im Vorstand oder Aufsichtsrat.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.
(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder - 2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.
(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.
(1) Nach Beendigung der Mitgliedschaft erfolgt eine Auseinandersetzung der Genossenschaft mit dem ausgeschiedenen Mitglied. Sie bestimmt sich nach der Vermögenslage der Genossenschaft und der Zahl ihrer Mitglieder zum Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft.
(2) Die Auseinandersetzung erfolgt unter Zugrundelegung der Bilanz. Das Geschäftsguthaben des Mitglieds ist vorbehaltlich des Absatzes 4 und des § 8a Abs. 2 binnen sechs Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft auszuzahlen. Auf die Rücklagen und das sonstige Vermögen der Genossenschaft hat das Mitglied vorbehaltlich des Absatzes 3 keinen Anspruch. Reicht das Vermögen einschließlich der Rücklagen und aller Geschäftsguthaben zur Deckung der Schulden der Genossenschaft nicht aus, hat das ehemalige Mitglied von dem Fehlbetrag den ihn betreffenden Anteil an die Genossenschaft zu zahlen, soweit es im Falle des Insolvenzverfahrens Nachschüsse an die Genossenschaft zu leisten gehabt hätte; der Anteil wird nach der Kopfzahl der Mitglieder berechnet, soweit nicht die Satzung eine abweichende Berechnung bestimmt.
(3) Die Satzung kann Mitgliedern, die ihren Geschäftsanteil voll eingezahlt haben, für den Fall der Beendigung der Mitgliedschaft einen Anspruch auf Auszahlung eines Anteils an einer zu diesem Zweck aus dem Jahresüberschuss zu bildenden Ergebnisrücklage einräumen. Die Satzung kann den Anspruch von einer Mindestdauer der Mitgliedschaft abhängig machen sowie weitere Erfordernisse aufstellen und Beschränkungen des Anspruchs vorsehen. Absatz 2 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(4) Die Satzung kann die Voraussetzungen, die Modalitäten und die Frist für die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens abweichend von Absatz 2 Satz 2 regeln; eine Bestimmung, nach der über Voraussetzungen oder Zeitpunkt der Auszahlung ausschließlich der Vorstand zu entscheiden hat, ist unwirksam.