Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Jan. 2018 - 5 StR 613/17

bei uns veröffentlicht am09.01.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 613/17
vom
9. Januar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:090118B5STR613.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Januar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. August 2017
a) im Fall II.3 der Urteilsgründe eingestellt; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last,
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln entfällt,
c) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwanzig Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwölf Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision ist teilweise begründet.
2
1. Mit der Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 hat das Landgericht nicht ausschließbar gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) verstoßen. Die Feststellungen zum Ankauf von Haschisch und Kokain für den Weiterverkauf in den Fällen II.1 und 2 in Verbindung mit den Feststellungen zur Sicherstellung derartiger Betäubungsmittel im Fall II.3 legen nahe, dass die aufgefundenen Drogen aus dem Bestand des Haschischs und Kokains der Fälle II.1 und 2 stammen. Dies zugrundegelegt, ist das Geschehen im Fall II.3 schon als Handeltreiben mit Betäubungsmitten in nicht geringer Menge abgeurteilt , weswegen es nicht abermals, hier als Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, geahndet werden darf. Der Senat schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine anderweitige Bewertung rechtfertigen. Infolgedessen war das Verfahren hinsichtlich dieses Falls einzustellen und der Schuldspruch abzuändern.
3
2. Die Einstellung des Verfahrens bedingt den Fortfall der Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten. Gleichwohl kann der Gesamtstrafausspruch bestehen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass die Strafkammer angesichts der Vielzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.
4
3. Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der mittellose, einschlägig vorbestrafte Angeklagte schon seit etwa dem 14. Lebensjahr eine Vielzahl unterschiedlicher Betäubungsmittel. Im Alter von 28 Jahren begann er mit dem regelmäßigen Kokainkonsum, gelegentlich unterbrochen durch die Einnahme von Amphetamin. Vor seiner Festnahme, an die sich nach Haftverschonung eine kurzzeitige Entgiftung anschloss, nahm er jeden Tag bis zu einem Gramm Kokain zu sich. Darüber hinaus rauchte er insbesondere im Tatzeitraum täglich bis zu acht Gramm Cannabis. Dem für den Handel bestimmten Cannabis entnahm der Angeklagte Teilmengen für den Eigenkonsum.
6
Ausgehend hiervon begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht das Vorliegen eines Hangs gemäß § 64 StGB verneint hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. Mai 2017 – 1 StR 163/17) ist für die Annahme eines Hangs eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren. Bereits die vom psychiatrischen Sachverständigen auf der Grundlage der vorgenannten Feststellungen diagnostizierte Abhängigkeitserkrankung von Cannabis drängt zu der Annahme, dass der Angeklagte eine solche Neigung hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. April 2016 – 3 StR 566/15 Rn. 6; vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15 Rn. 14). Angesichts dessen hätte das Merkmal des Hangs nicht allein mit der nicht näher begründeten Erwägung abgelehnt werden dürfen, der Drogenkonsum „spiegele lediglich seine unstete Lebensführung mit einem unstrukturierten Freizeitverhalten“ (UA S. 24), sondern hätte eingehender Prüfung bedurft.
7
Da auch die weiteren Voraussetzungen der Unterbringung des therapiewilligen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sein können, bedarf die Sache insoweit – unter abermaliger Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung.

Mutzbauer Sander Schneider
Dölp RiBGH Prof. Dr. König ist infolge Sonderurlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 163/17
vom
22. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:220517B1STR163.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 2. November 2016 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderweitigen rechtskräftigen Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg hat.
2
1. Aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigten Gründen bleibt der Angriff der Revision auf den Schuldspruch erfolglos.
3
2. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch schon auf die Sachrüge hin keinen Bestand haben.
4
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat keinen Hang im Sinne des § 64 StGB festgestellt und deswegen die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt. Hierfür hat es darauf abgestellt, dass die Sachverständige bei dem Angeklagten kein Abhängigkeitssyndrom zu diagnostizieren vermochte, da weder Entzugssymptome dokumentiert, noch Organschäden erkennbar seien. Da aber im Einklang mit den vom Angeklagten geschilderten Trinkgewohnheiten eine gewisse Toleranzentwicklung erkennbar sei, liege ein schädlicher Gebrauch von Alkohol vor. An einem Hang fehle es dennoch, da „die Zeit des problematischen – allein auf den Angaben des Ange- klagten beruhenden – Alkoholkonsums vergleichsweise kurz gewesen sei und eine klinische Vorgeschichte unabhängig von strafrechtlichen Bezügen fehle“. Die Einengung der Interessen des Angeklagten auf den Alkoholkonsum sei zudem noch nicht soweit ausgeprägt, dass von einer eingewurzelten intensiven Neigung gesprochen werden könne. Zwar sei die berufliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten „möglicherweise beeinträchtigt“, sein soziales Umfeld sei aber durch den Alkoholkonsum jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen, da er zu Hause keinen Alkohol getrunken habe. Auch gebe es keine Anzeichen einer Verwahrlosung oder eines Kontrollverlustes über den Konsum, er habe vielmehr immer wieder kurzzeitig auf Alkohol verzichten können.
5
b) Diese Ausführungen lassen – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis des Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist und enthalten keine hinreichende und widerspruchsfreie Abwägung aller maßgeblichen Umstände zur Beurteilung des Vorliegens eines Hanges. Hierfür ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben , wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 1StR 219/16, NStZ-RR 2017, 7; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271).
6
Hieran gemessen begegnen die Ausführungen des Landgerichts durchgreifenden Bedenken. Denn es fehlt eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem Trinkverhalten des Angeklagten und der sich hieraus für ihn ergebenden Konsequenzen. Hierzu hätte über den – für sich genommen zudem unklaren und mit den Feststellungen in einem gewissen Spannungsverhältnis stehenden – Hinweis auf die vergleichsweise kurze Zeit des problematischen Konsums wegen folgender Umstände Anlass bestanden:
7
So steigerte der Angeklagte ausweislich der Feststellungen bereits knapp zwei Jahre vor der Tat seinen schon etliche Jahre andauernden regelmäßigen Alkoholkonsum weiter. Infolge seines Trinkverhaltens ließ er sich mehrfach krankschreiben und blieb unentschuldigt seinem Ausbildungsplatz fern, was zu einer Kündigung wegen unentschuldigter Fehlzeiten führte. Nach dieser Kündigung steigerte sich der Alkoholkonsum erneut. Ende September 2015, also etwa ein halbes Jahr vor der Tat, beging der deutlich alkoholisierte Angeklagte eine gefährliche Körperverletzung. Auch den folgenden Arbeitsplatz verlor er wenige Wochen vor der hiesigen Tat ebenfalls wegen unentschuldigter und verspätet angezeigter Fehlzeiten. Diese Fehlzeiten gingen darauf zurück, dass der Angeklagte wegen des nächtlichen Alkoholkonsums und dem damit einhergehenden Freizeitverhalten Schwierigkeiten mit dem Aufstehen hatte. Schließlich wies der Angeklagte etwa zwei Stunden nach der Tat eine Blutalkoholkonzentration von 2,12 Promille auf.
8
Die Ausführungen zu „jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigt[en]“ Be- ziehungen zum sozialen Umfeld und zu seiner Fähigkeit zum kurzzeitigen Verzicht lassen vor diesem Hintergrund zudem besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Maßstab für die Annahme des Hanges ausgegangen ist. So kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit , Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15 und vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschluss vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Dies gilt umso mehr, als hier das Landgericht von einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit ausgegangen ist, diese trotz zweimaligen Arbeitsplatzverlustes aber nicht als gewichtig genug eingestuft hat. Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204; vgl. auch Fischer, StGB, 64. Aufl., § 64 Rn. 7a).
9
c) Da auch die übrigen Voraussetzungen zur Anordnung der Maßregel des § 64 StGB nicht fernliegen, konnte die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen Bestand haben. Dass nur der die Nichtanwendung des § 64 StGB ausdrücklich als rechtsfehlerhaft beanstandende Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
10
d) Ausnahmsweise kann vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass der Rechtsfehler sich auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
11
„Die rechtsfehlerhaften Ausführungen zum Hang berühren auch den Strafausspruch, da das Landgericht maßgeblich aufgrund der selbstverschuldeten Alkoholintoxikation von einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen hat …“.
12
Dem kann sich der Senat letztlich nicht verschließen. Zwar wird in der Regel auszuschließen sein, dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte (vgl. hierzu BGH,Urteile vom 15. März 2016 – 1 StR 526/15 Rn. 28, StV 2017, 29 und vom 28. April 2014 – 1 StR 594/14 Rn. 23). Hier besteht aber eine vom Landgericht durch einen Verweis hergestellte Verknüpfung zwischen den vom Rechtsfehler behafteten Ausführungen zum Vorliegen eines Hanges und der Strafrahmenwahl. Denn das Landgericht hat trotz Vorliegens einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit von der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung keinen Gebrauch gemacht. Hierfür hat es – auf dem Boden der aktuellen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) – darauf abgestellt, dass es für den Angeklagten voraussehbar war, dass sich sein Risiko der Begehung von Gewaltstraftaten unter Alkoholkonsum erhöht und er sich „uneingeschränkt vorwerfbar“ betrun- ken hat. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ausführungen zum Hang hat es ausgeschlossen, dass der Angeklagte „alkoholkrank war oder aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weit beherrschenden Hangs trank“. Graf Jäger Bellay Cirener Radtke
6
b) Diese äußerst knappen Ausführungen lassen zunächst besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein solcher liegt nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4). Im Hinblick auf die von der Strafkammer als gegeben angesehene Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten liegt es indes ausgesprochen nahe, dass der Angeklagte eine derartige Neigung hat. Dem steht auch nicht ohne Weiteres entgegen, dass er trotz seiner Abhängigkeit von Cannabinoiden in der Lage war, die abgeurteilten Straftaten zu begehen.
14
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8; vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199; vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271; vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12 und vom 30. Juli 2013 – 2 StR 174/13). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (BGH, Beschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198).

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.