Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Jan. 2008 - 5 StR 549/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den wegen schweren Raubes angeklagten Revisionsführer wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und mit anderweitig verhängten Strafen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten erkannt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
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- 1. Das Landgericht hat sich seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten – nach Ausfall einer vom Tatopfer angegebenen Tatzeugin, der das Landgericht nicht geglaubt hat – allein durch die als glaubhaft bewertete Aussage des Opfers gebildet, dessen Anzeige eines schweren Raubes freilich nicht zur Verurteilung geführt hat. Der Verteidiger des – schweigenden – Angeklagten hat am Ende der eintägigen Beweisaufnahme unter anderem mit zwei Anträgen darauf abgezielt, die Angaben des Belastungszeugen zum Tatgeschehen und zum Tatort in Zweifel zu ziehen. Ausgehend vom Inhalt zweier in den Akten befindlicher ärztlicher Atteste, die Erklärungen des Verletzten enthielten, er sei nicht auf offener Straße – wie vom Verletzten bei seiner Zeugenaussage angegeben –, sondern „in einer Pizzeria mit einem Krückstock geschlagen worden“, hat der Verteidiger nach Präzisierung in einer Gegenvorstellung die Vernehmung des bestimmt benannten Inhabers der Pizzeria und eines attestierenden Arztes als Zeugen beantragt, dass der Belastungszeuge in der Pizzeria verletzt worden sei bzw. gegenüber dem Arzt erklärt habe, er sei in der Pizzeria geschlagen worden.
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- Diese Anträge hat das Landgericht abgelehnt: Bezüglich des Inhabers der Pizzeria handele es sich um eine bloße Behauptung ins Blaue hinein; bezüglich des Arztes könne es als wahr unterstellt werden, „dass sich der Geschädigte in der Sprechstunde bei Dipl.-med. … so äußerte, dass dieser verstehen konnte, der Geschädigte sei in einer Pizzeria … mit einem Krückstock geschlagen worden“.
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- 2. Die Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Arztes ist verfahrensfehlerhaft.
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- Es handelt sich um einen Beweisantrag, weil über eine bestimmte Äußerung einer bestimmten Person Aufklärung begehrt worden ist (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 16; BGH StV 2005, 254, 255). Die Behandlung des Antrags wird indes den Anforderungen nicht gerecht, die an eine Ablehnung eines Beweisantrags gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 7. Variante StPO zu stellen sind.
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- Eine Wahrunterstellung muss die behaupteten Tatsachen in ihrem wirklichen Sinn und vollen Inhalt ohne jede Einschränkung oder Verschiebung oder sonstige Änderung erfassen (BGH NJW 1968, 1293; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 33; BGH NStZ 2003, 101). Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat die auf eine alternative Bekundung des Tatopfers zur Tatausführung und zum Tatort abzielende Äußerung mit Hinweisen auf nicht etwa offensichtlich vorliegende Artikulations- oder Verständigungsprobleme ohne Angabe tatsächlicher Anhaltspunkte hierfür – etwa aus der Zeugenaussage des Opfers – derart relativiert, dass die Beweisbehauptung in der Sache als völlig bedeutungslos behandelt wurde. Damit hat das Landgericht eine vereinfachte Ablehnung des Beweisantrags als bedeutungslos gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO praktiziert, ohne den Angeklagten ausreichend über die Tatsachen zu informieren, welche die Annahme einer Bedeutungslosigkeit gerechtfertigt hätten (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 26; BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 – 5 StR 272/07 Rdn. 6).
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- Der Angeklagte hat entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts sein Rügerecht nicht dadurch verwirkt, dass er die fehlerhafte Verbescheidung in der Hauptverhandlung hingenommen hat. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass auch Verteidiger verpflichtet sind, Missverständnissen des Gerichts über den Umfang der von ihnen gestellten Anträge entgegenzutreten (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Rügerecht 2; § 244 Abs. 6 Beweisantrag 3, 30, 42; BGH wistra 2007, 259, 260). Hier liegt indes kein Missverständnis des Gerichts über tatsächliche Umstände , sondern eine mangelhafte Ablehnung eines Beweisantrags vor. Dem Verteidiger obliegt keine allgemeine Hinweispflicht zur Einhaltung der Rechtmäßigkeit des Verfahrens (vgl. zu Art und Umfang der Pflichten des Verteidigers Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. vor § 137 Rdn. 1 und 2). Ein Sonderfall (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 42) liegt nicht vor.
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- 3. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob der Verteidiger wegen seiner Darlegung, er halte es für möglich, dass der Inhaber der Pizzeria zur Tatzeit anwesend war, vom Landgericht zu Unrecht der Spekula- tion bezichtigt worden ist (Revisionsbegründung S. 2; vgl. BGHSt 46, 53, 55; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 25). Ein Verfahrensmangel liegt freilich auch insoweit nahe.
Brause Schaal
Brause Schaal
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
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eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.