Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2008 - 5 StR 617/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO Erfolg.
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- 1. Das Landgericht hat sich im Wesentlichen aufgrund der Aussage der Nebenklägerin von den folgenden Feststellungen überzeugt:
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- Der Angeklagte und die Nebenklägerin hatten im Herbst 2006 eine intime Beziehung, die jedoch schon nach kurzer Zeit endete, nachdem der Angeklagte zu seiner Lebenspartnerin zurückgekehrt war. Am 17. Dezember 2006 überredete der Angeklagte die Nebenklägerin nachts zu einem Spaziergang. In einem Waldstück umklammerte er sie plötzlich und zog sie an den Haaren, um von ihr sexuelle Handlungen zu erzwingen. Aus Angst vor weiteren Gewaltanwendungen kam die Nebenklägerin den Aufforderungen des Angeklagten nach und führte bei ihm Oralverkehr durch; auch ließ sie sowohl Vaginal- als auch Analverkehr über sich ergehen. Durch den für die Nebenklägerin ungewohnten Analverkehr war es zu blutenden Verletzungen gekommen, so dass die „Unterhose voll Blut“ war. Am Abend des darauffolgenden Tages erstattete die Nebenklägerin Anzeige.
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- 2. Zur Untermauerung der Einlassung des Angeklagten, es sei bei dem Spaziergang nur zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen gekommen und Analverkehr habe nicht stattgefunden, hatte die Verteidigung beantragt , ein Sachverständigengutachten zur Untersuchung der am 18. Dezember 2006 sichergestellten Unterhose der Nebenklägerin einzuholen. Es solle bewiesen werden, dass sich an der Unterhose keine Blutspuren befinden, die „eine unfreiwillige und gewaltsame Durchführung des Geschlechtsverkehrs und das Eindringen des Gliedes in den After der Nebenklägerin bestätigen“. Zur Begründung ist angeführt worden, dass die Nebenklägerin angegeben habe, nach der Tat im Afterbereich stärker geblutet zu haben. Eine Auswertung der Spuren habe bisher nicht stattgefunden. Der Gutachter werde feststellen , dass keine „derartigen Spuren, wie von der Nebenklägerin behauptet, an dem Slip vorhanden sind“. Das Landgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, das Beweismittel sei ungeeignet, da man anhand von Blutspuren keine Aussage zur Freiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs machen könne.
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- 3. Mit dieser Begründung durfte das Landgericht den Beweisantrag nicht ablehnen.
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- Das Landgericht hat den Beweisantrag nicht erschöpfend gewürdigt, indem es dessen Inhalt nur auf die Erweisbarkeit der Freiwilligkeit der sexuellen Handlungen reduziert hat. Denn der Beweisantrag richtete sich nach seinem Inhalt und Sinn ersichtlich auch darauf, dass sich an der Unterhose überhaupt kein Blut befindet. Diese Deutung ergibt sich bereits aus der benannten Beweistatsache, dass die Unterhose keine Blutspuren aufweist, die ein Eindringen des Gliedes in den After belegen, und wird zudem durch die Ausführungen zur Begründung des Beweisantrags gestützt.
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- Zu dieser Beweisfrage – dem Vorliegen von Blutspuren – wird sich ein Sachverständiger voraussichtlich angesichts des zur Verfügung stehenden Beweismittels gutachterlich äußern können. Damit ist das beantragte Beweismittel aber nicht völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 4. Variante StPO. Denn dieser Ablehnungsgrund setzt voraus, dass das Gericht ohne Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit dem angebotenen Beweismittel das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 13 und 15). Der beantragte Sachverständigenbeweis ist aber geeignet, die unter Beweis gestellte Tatsache, dass sich an der Unterhose entgegen der Aussage der Nebenklägerin kein Blut befindet, zu klären und die weitere Beweistatsache, dass kein Analverkehr stattgefunden hat, mehr oder weniger wahrscheinlich zu machen. Deshalb durfte das Landgericht den Beweisantrag nicht wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels zurückweisen (vgl. hierzu BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 6).
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- Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler. Hätte die Untersuchung der Unterhose ergeben, dass diese keine Blutspuren trägt, wäre die Aussage der Nebenklägerin zu den Folgen des erzwungenen Analverkehrs unter Umständen widerlegt. Dies wäre geeignet, ihre Aussage zur Unfreiwilligkeit der sexuellen Handlungen in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Im Urteil legt das Landgericht seiner Beweiswürdigung das Gegenteil der unter Beweis gestellten Behauptung zugrunde (UA S. 23, 33).
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- Aufgrund der Formulierung des Beweisantrags ist die Annahme eines nachvollziehbaren Missverständnisses des Gerichts über tatsächliche Umstände in dem den Antrag ablehnenden Beschluss nicht gerechtfertigt, wonach vor Erhebung einer Revisionsrüge die Beseitigung eines gerichtlichen Missverständnisses im Wege der Gegenvorstellung im Sinne von BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 30 gefordert gewesen wäre (vgl. BGH, Be- schluss vom 9. Januar 2008 – 5 StR 549/07; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. Vor § 137 Rdn. 1 f.).
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- 4. Der Senat merkt Folgendes an:
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- Allein das Gebot der beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen vermag es nicht zu rechtfertigen, dem Angeklagten bei Erkrankung der Pflichtverteidigerin ohne sein Einverständnis einen zweiten, nicht eingearbeiteten Pflichtverteidiger zu bestellen, um so mit einem besonders wichtigen Teil der Beweisaufnahme – der Vernehmung des psychiatrischen Sachverständigen – fortfahren zu können.
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- Das neue Tatgericht wird auch in den Blick zu nehmen haben, ob die besondere Wehrhaftigkeit der Geschädigten als Trägerin des braunen Karate -Gürtels möglicherweise der Plausibilität ihrer Angaben über ihre hilflose Lage entgegensteht.
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
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eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.