vorgehend
Landgericht Braunschweig, 413, 01.05.3938

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 532/19
(alt: 5 StR 332/15)
vom
5. Februar 2020
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a.
ECLI:DE:BGH:2020:050220B5STR532.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 5. Februar 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 154 Abs. 2 sowie entsprechend § 354 Abs. 1 und 1b Satz 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 18. April 2019 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagten in den vier die Sortiergruppen B. , H. , L. und Y. betreffenden Fällen wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilt worden sind; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten ;
b) das vorgenannte Urteil aa) betreffend den Angeklagten H. H. im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 59 Fällen schuldig ist, und im Gesamtstrafenausspruch mit der Maßgabe aufgehoben , dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist, bb) betreffend den Angeklagten F. H. dahin geändert, dass dieser wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Die Entscheidung über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten H. H. bleibt dem für das Nachverfahren nach den §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten; der Angeklagte F. H. hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte die Angeklagten durch Urteil vom 7. November 2014 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 59 Fällen (Angeklagter H. H. ) bzw. Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 54 Fällen (Angeklagter F. H. ) jeweils unter Strafaussetzung zur Bewährung zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und zehn Monaten bzw. einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, sie im Übrigen freigesprochen und als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung drei bzw. zwei Monate der verhängten Freiheitsstrafen als vollstreckt erklärt. Mit Urteil vom 7. April 2016 hatte der Senat das Urteil auf die Revisionen der Angeklagten unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum gesamten objektiven Geschehen mit Ausnahme derjenigen zur Höhe des Schadens sowie auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch aufgehoben (5 StR 332/15, NStZ 2016, 460). Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten H. H. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 59 Fällen sowie Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in vier Fällen, den Angeklagten F. H. wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in fünf Fällen zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und zehn Monaten bzw. einem Jahr und zwei Monaten – jeweils unter Strafaussetzung zur Bewährung – verurteilt und als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sechs bzw. fünf Monate der verhängten Freiheitsstrafen als vollstreckt erklärt. Hiergegen richten sich die auf Verfahrensrügen sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel führen infolge der Teileinstellung des Verfahrens zu einer Änderung der Schuldsprüche und zur Aufhebung der Gesamtstrafen; im Übrigen sind die Revisionen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass die Angeklagten auf der Grundlage der ihnen bekannten tatsächlichen Verhältnisse die Möglichkeit erkannten, dass die Sortierer der Gruppe Ho. sowie deren Gruppenleiter als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der I. GmbH anzusehen waren, und diese Möglichkeit billigend in Kauf nahmen.
3
Hinsichtlich der die Gruppenführer B. , H. , L. und Y. betreffenden Beihilfetaten stellt der Senat das Verfahren aus verfahrensökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein.

4
Die Teileinstellung des Verfahrens hat die Änderung der Schuldsprüche, den Wegfall der verhängten Einzelfreiheitsstrafen sowie die Aufhebung der Gesamtstrafen zur Folge. Die Kompensationsentscheidungen bleiben hiervon unberüht.
5
Die gegen den Angeklagten F. H. hinsichtlich der den Gruppenführer Ho. betreffenden Beihilfetat verhängte Freiheitsstrafe von neun Monaten hat ebenso wie die Bewährungsentscheidung Bestand.
6
Betreffend den Angeklagten . H. macht der Senat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuzuweisen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. August 2017 – 4 StR 275/17, Rn. 4; vom 13. März 2014 – 4 StR 537/13, NStZ-RR 2014, 222 [Ls]).
Sander Schneider König
Berger Mosbacher
Vorinstanz:
Braunschweig, LG, 18.04.2019 - 413 Js 3938/05 5 KLs (11/16)

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2020 - 5 StR 532/19

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2020 - 5 StR 532/19

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2020 - 5 StR 532/19 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 462 Verfahren bei gerichtlichen Entscheidungen; sofortige Beschwerde


(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b d

Strafprozeßordnung - StPO | § 460 Nachträgliche Gesamtstrafenbildung


Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 55 des Strafgesetzbuches) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2020 - 5 StR 532/19 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2020 - 5 StR 532/19 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2017 - 4 StR 275/17

bei uns veröffentlicht am 01.08.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 275/17 vom 1. August 2017 in der Strafsache gegen alias: wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2017:010817B4STR275.17.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgeric

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. März 2014 - 4 StR 537/13

bei uns veröffentlicht am 13.03.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR537/13 vom 13. März 2014 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 13. März 2014 ge

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Apr. 2016 - 5 StR 332/15

bei uns veröffentlicht am 07.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 332/15 vom 7. April 2016 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a. ECLI:DE:BGH:2016:070416U5STR332.15.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgericht

Referenzen

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 55 des Strafgesetzbuches) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen.

(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b des Strafgesetzbuches), die Aufhebung des Vorbehalts der Einziehung und die nachträgliche Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes (§ 74f Absatz 1 Satz 4 des Strafgesetzbuches), die nachträgliche Anordnung der Einziehung des Wertersatzes (§ 76 des Strafgesetzbuches) sowie für die Verlängerung der Verjährungsfrist (§ 79b des Strafgesetzbuches).

(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte zu hören. Das Gericht kann von der Anhörung des Verurteilten in den Fällen einer Entscheidung nach § 79b des Strafgesetzbuches absehen, wenn infolge bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß die Anhörung nicht ausführbar ist.

(3) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Unterbrechung der Vollstreckung anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 55 des Strafgesetzbuches) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen.

(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b des Strafgesetzbuches), die Aufhebung des Vorbehalts der Einziehung und die nachträgliche Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes (§ 74f Absatz 1 Satz 4 des Strafgesetzbuches), die nachträgliche Anordnung der Einziehung des Wertersatzes (§ 76 des Strafgesetzbuches) sowie für die Verlängerung der Verjährungsfrist (§ 79b des Strafgesetzbuches).

(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte zu hören. Das Gericht kann von der Anhörung des Verurteilten in den Fällen einer Entscheidung nach § 79b des Strafgesetzbuches absehen, wenn infolge bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß die Anhörung nicht ausführbar ist.

(3) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Unterbrechung der Vollstreckung anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 332/15
vom
7. April 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:070416U5STR332.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 6. April und 7. April 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Bundesanwalt , Staatsanwältin als Gruppenleiterin als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt St. als Verteidiger des Angeklagten H. H. ,
Rechtsanwalt Sander als Verteidiger des Angeklagten F. H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 7. April 2016 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 7. November 2014 aufgehoben. Die Feststellungen zum gesamten objektiven Geschehen mit Ausnahme derjenigen zur Höhe des Schadens bleiben bestehen ; insoweit werden die Revisionen verworfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten H. H. betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils unter Strafaussetzung zur Bewährung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 59 Fällen (Angeklagter H. H. ) bzw. Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 54 Fällen (Angeklagter F. H. ) zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und zehn Monaten bzw. einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und sie im Übrigen freigesprochen. Als Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat es drei bzw. zwei Monate der verhängten Freiheitsstrafen als vollstreckt erklärt.
2
Gegen das Urteil richten sich die auf Sach- und Verfahrensrügen gestützten Revisionen der Angeklagten, die jeweils mit der Sachrüge im tenorierten Umfang Erfolg haben, sowie die zu Ungunsten des Angeklagten H. H. eingelegte, auf den Strafausspruch beschränkte und in diesem Umfang erfolgreiche Revision der Staatsanwaltschaft.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Angeklagte H. H. war seit Mai 2000 faktischer Geschäftsführer der I. H. GmbH (zukünftig: I. H. ). Am 2. März 2004 wurde er förmlich zum alleinvertretungsberechtigten (zunächst Mit-)Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt. Diese war im Jahr 1999 von den beiden Angeklagten und ihrer Mutter als Nachfolgerin eines zuvor vom Vater der Angeklagten seit den 1950er Jahren einzelkaufmännisch geführten und später auf die Mutter übertragenen Unternehmens gegründet worden, das innerhalb der Familie weitergegeben werden sollte. Nach einer Einarbeitungs- und Übergangszeit sollte das Unternehmen vom Angeklagten H. H. geführt werden und dessen Existenzgrundlage bilden. Der Angeklagte F. H. sollte an dem wirtschaftlichen Wert des Unternehmens teilhaben.
5
Die I. H. stand im geschäftlichen Kontakt zu mehreren Gruppen von südkoreanischen und chinesischen Kükensortierern („Chicken-Sexer“), die jeweils von erfahrenen, schon seit Jahren in Deutschland lebenden Sortierern, unter anderem von den Zeugen B. , Y. , Ha. , Ho. und L. , geführt wurden. Sie kümmerte sich unter anderem um die ausländerrechtlichen Belange der Sortierer. Aufenthaltserlaubnisse wurden von dem zuständigen Landkreis jeweils unter der Bedingung erteilt, dass die Sortierer eine selbständige Erwerbstätigkeit im Rahmen eines Agenturvertrages für die I. H. ausüben würden.
6
Aufgabe der Sortierer war es, Küken möglichst frühzeitig nach dem Schlüpfen nach Geschlecht zu trennen, da je nach Geflügelart und -rasse das wirtschaftliche Interesse des Auftraggebers nur auf Tiere eines Geschlechts (insbesondere Legehennen) gerichtet war. Jede Sortiergruppe war für bestimmte Brütereien tätig. Die Verträge über die Erbringung der Sortierleistungen hatten die Gruppenführer B. , Y. , Ha. , Ho. und L. jeweils selbst abgeschlossen. Gegenüber den Brütereien, in denen die Gruppe Ho. tätig war, hatte sich die I. H. zu Sortierleistungen verpflichtet. Die Rechnungen gegenüber den Brütereien stellten – je nachdem, wer den Sortiervertrag abgeschlossen hatte – entweder die Gruppenführer oder dieI. H. . Soweit die Gruppenführer Rechnungen stellten, zogen sie diese auch ein und überwiesen sodann den Rechnungsbetrag abzüglich einer eigenen Provision an die I. H. , die von den Gruppenführern zum Monatsende auch Aufstellungen über die Sortierleistungen jedes Sortierers der Gruppe und die hierfür jeweils bei den Brütereien abgerechneten Preise erhielt. Die monatliche Abrechnung und Auszahlung an die Sortierer nach jeweiliger Sortierleistung erfolgte durch die I. H. , die ebenfalls einen Teil des Rechnungsbetrages als Provision abzog. Ferner behielt sie entsprechend einer mit dem Finanzamt getroffenen Vereinbarung Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls auch Kirchensteuer ein und führte diese ab. Insoweit konnte nicht ausgeschlossen werden, dass beide Angeklagte aufgrund entsprechender Auskünfte ihres Vaters davon ausgingen, dass die Besteuerung der Sortiervergütungen im Wege eines Lohnsteuerab- zugs Ergebnis einer „individuellen, von Praktikabilitätserwägungen getragenen Sondervereinbarung“ mit dem Finanzamt war (UA Rn. 36). Sozialversiche- rungsbeiträge wurden für die Sortierer nicht abgeführt.
7
2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die in den Sortiergruppen B. , Y. , Ha. , Ho. und L. tätigen Sortierer sowie der ZeugeHo. selbst Arbeitnehmer waren und der Sozialversicherungspflicht unterlagen. Hinsichtlich Ho. und der Sortierer seiner Gruppe sei die I. H. die Arbeitgeberin gewesen. Als Arbeitgeber der anderen Sortierer seien deren jeweilige Gruppenführer anzusehen. Insoweit sei jedoch die I. H. von diesen (auch) mit der Leistung der Sozialversicherungsbeiträge ausdrücklich beauftragt worden (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Für die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen habe daher der Angeklagte H. H. gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB als vertretungsberechtigtes Organ strafrechtlich wie der Arbeitgeber einzustehen.
8
Nachdem er nach einer Einarbeitungsphase im Mai 2000 mit den Verhältnissen der I. H. vertraut gewesen sei, habe der Angeklagte H. H. es unterlassen, jeweils monatlich Beitragsnachweise für die Sortierer einzureichen und die Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung für die Beitragsmonate April 2000 bis Dezember 2002 in Höhe von ca. 860.000 Euro abzuführen. Für die Beitragsmonate ab Januar 2003 bis Februar 2005 habe er unvollständige Beitragsnachweise entweder selbst eingereicht oder deren Einreichung geschehen lassen, so dass Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 1.400.000 Euro nicht eingefordert worden seien.
9
Der Angeklagte F. H. habe seinen Bruder dabei spätestens ab Ende September 2000 unterstützt, indem er auch gegenüber den Sozialversicherungen in verschiedenen Schriftstücken die tatsächlichen Rechts- beziehungen zu den Sortierern durch eine „unrichtige, eine strikte Selbständigkeit vorgebende Darstellung“ verschleiert (UA Rn. 75) und den Angeklagten H. H. jeweils in seinem Entschluss bestärkt habe, die Beiträge nicht abzuführen und keine die Sortierer ausweisenden Beitragsnachweise einzureichen (UA Rn. 292).
10
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass beiden Angeklagten allerdings die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Es sei angesichts einer über 20-jährigen, von den Behörden niemals beanstandeten Vorgeschichte der ent- sprechenden Geschäftspraxis „nicht konstruiert oder lebensfremd“, dass die Angeklagten geglaubt hätten, „es habe mit der Einordnung der Sortierer als Selbständige seine Richtigkeit“ (UA Rn. 273, 282). Dieser Irrtum sei jedoch vermeidbar gewesen, da sie durch Einschaltung der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund oder bei Einholung der Auskunft eines fachkundigen Rechtsanwalts zutreffend darüber informiert worden wären, dass die Tätigkeit der Sortierer als abhängiges Beschäftigungsverhältnis einzuordnen sei.

II.


11
Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge im tenorierten Umfang Erfolg.
12
Im Ausgangspunkt hat sich das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon überzeugt, dass die I. H. Arbeitgeberin des Zeugen Ho. und der von ihm geführten Sortierer war und dass die Sortierer der Gruppen B. , Y. , Ha. und L. jeweils Arbeitnehmer ihrer Gruppenführer waren. Auch gegen die Annahme der (faktischen) Geschäftsführereigenschaft des Angeklagten H. H. und seiner Unterstützung durch den Angeklagten F. H. ist rechtlich nichts zu erinnern.
13
Indes hat das Landgericht zu Unrecht eine ausdrückliche Beauftragung der I. H. nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB hinsichtlich der Sortiergruppen von B. , Y. , Ha. sowie L. angenommen (dazu Ziffer 1). Auch gegen die Annahme der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken (dazu Ziffer 2).
14
1. Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, die I. H. habe gegenüber den Sortiergruppen B. , Y. , Ha. und L. mit der Auszahlung der Löhne auch alle damit verbundenen Pflichten des Arbeitgebers übernommen , hat es die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB in rechtsfehlerhafter Weise bejaht.
15
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der ausdrücklichen Beauftragung im Wesentlichen darauf gestützt, dass nach den – teils schriftlichen, teils mündlichen Vereinbarungen – die I. H. für die „kaufmännische Abwicklung“ zuständig gewesen sei. Die Beteiligten hätten darunter nicht lediglich eine rechnerische Aufspaltung des von den Sortiergruppen jeweils erwirtschafteten Gesamtbetrages auf die Teilleistungen eines jeden Sortierers verstanden; vielmehr seien damit sämtliche Maßnahmen gemeint gewesen, die zur ordnungsgemäßen Entlohnung der Sortierer notwendig gewesen seien. Bei der Lohnzahlung handele es sich um eine grundlegende Arbeitgeberpflicht aus einem Beschäftigungsverhältnis. Die I. H. habe in jahrzehntelanger Praxis Lohnsteuer errechnet und abgeführt. Bereits dies erweise, dass sie auch die Erfüllung der an die Lohnzahlung geknüpften Abgabepflichten übernommen habe. Sie habe diese Aufgabe in eigener Verantwortung für die Zeugen B. , Y. , Ha. und L. wahrgenommen. Dies schlage sich darin nieder, dass sie nicht nur die Einzelabrechnungen erstellt habe, sondern sich die erforderlichen Summen habe überweisen lassen, um sie sodann aus dem eigenen Vermögen den Sortierern zuzuwenden; auch die Steuern habe sie im eigenen Namen abgeführt (UA Rn. 220 ff.).
16
b) An die Beauftragung im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB sind indes strenge Anforderungen zu stellen, da hierdurch eine persönliche Normadressatenstellung des Beauftragten begründet wird, die ihm (strafbewehrt) die Er- füllung betriebsbezogener Pflichten überbürdet. Die Beauftragung muss daher zweifelsfrei erfolgen und ausreichend konkret sein, damit für den Beauftragten das Ausmaß der von ihm zu erfüllenden Pflichten eindeutig erkennbar ist (BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – 5 StR 363/12, BGHSt 58, 10, 12 f. mwN). Eine diesen rechtlichen Maßstäben entsprechende Beauftragung legt das angefochtene Urteil nicht hinreichend dar.
17
aa) Schon der Begriff der „kaufmännischen Abwicklung“ ist nicht eindeu- tig und lässt erheblichen Interpretationsspielraum offen. Dessen Verwendung ist deshalb grundsätzlich nicht geeignet, eine strafbewehrte Pflicht zu begründen.
18
bb) Zudem hat das Landgericht bei der Bestimmung des Verständnisses der Beteiligten von diesem Begriff nicht berücksichtigt, von welchem rechtlichen Status der Sortierer die Beteiligten im Tatzeitraum ausgegangen sind. Da es den Angeklagten Irrtümer hinsichtlich der Einordnung der Sortierer als Selb- ständige zugesteht, kann nicht angenommen werden, dass sie unter „kaufmännischer Abwicklung“ auch die Auskehrung der Sozialversicherungsbeiträge ver- standen. Wenn – was nicht fern liegt – die Gruppenführer ebenfalls rechtsirrig davon ausgingen, dass die Sortierer selbständig tätig seien, bestand auch für sie keine Veranlassung, die I. H. mit der Abführung der – aus ihrer Sicht – nicht geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge zu beauftragen.
19
cc) Ferner bleibt unklar, aus welchem „Topf“ die Beiträge des Arbeitge- bers zur Sozialversicherung hätten gezahlt werden sollen. Die Urteilsgründe hätten sich zu dieser Frage verhalten müssen.
20
2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Angeklagten „durch Nachfrage bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung oder durch Einholung von Rat eines auf dem Gebiet des Sozialrechts fachkundigen Rechtsanwalts“ zutreffend darüber informiert worden wären, dass abhängige Beschäftigungsverhältnisse vorlagen (UA Rn. 273). Diese Annahme – die insbesondere für den Zeugen Ho. und die Sortierer seiner Gruppe als Arbeitnehmer der I. H. (noch) rechtlich relevant ist – ist jedoch nicht hinreichend belegt; die Beweiswürdigung ist insoweit lückenhaft.
21
Nach den Darlegungen des Landgerichts ist der Irrtum der Angeklagten „angesichts der Komplexität der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Wertung, die auch nicht dem Kernbereich des Strafrechts zuzurechnen ist, sondern einem von unbestimmten Rechtsbegriffen und wertenden Betrachtungen geprägten, vergleichsweise weniger scharf konturierten Bereich des Sozial- rechts, nicht völlig unverständlich oder gar Ausdruck von Rechtsblindheit“, zumal „die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit der Sortierer sich aufgrund der strikt leistungs- bzw. mengenabhängigen Vergütung ohne jede zeitbezogene Grundkomponente und ohne Zahlungen bei Krankheit oder Urlaub durchaus erheblich von einem typischen, herkömmlichen Beschäftigungsverhältnis“ un- terschieden habe (UA Rn. 298). Aus dem Umstand, dass die geschädigten Sozialversicherungsträger trotz umfassender Kenntnis der Gegebenheiten bis zum Zeitpunkt des Urteils „keinerlei Bemühungen entfaltet haben, die rückständigen Beiträge einzufordern oder entsprechende Forderungen zu sichern“, hat das Landgericht den Schluss gezogen, dass „den zuständigen Stellen die sozialrechtliche Bewertung der Stellung der Kükensortierer noch so unsicher erschien bzw. erscheint, dass sie (sozial- oder zivil-)rechtliche Schritte bislang für zu riskant erachtet haben, denn bei der Höhe der Rückstande wäre ein tatenloses Zuwarten über mehr als acht Jahre seit Anklageerhebung anderenfalls schlech- terdings unverständlich“ (UA Rn. 300).
22
Vor diesem Hintergrund versteht sich die Vermeidbarkeit des vom Landgericht angenommenen Verbotsirrtums nicht von selbst. Dass die Angeklagten sich nicht um kompetente Beratung bemüht und mithin ihrer Erkundigungspflicht nicht genügt haben, reicht zur Begründung der Vermeidbarkeit ihres Verbotsirrtums nicht aus. Erforderlich ist vielmehr darüber hinaus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft in dem durch das Landgericht angenommenen Sinn geführt hätte (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 – 1 StR477/89, BGHSt 37, 55, 67; BayObLG, NJW 1989, 1744; OLG Celle, NJW 1977, 1644; MüKoStGB/Joecks, 2. Aufl., § 17 Rn. 65; KK-OWiG/Rengier, 4. Aufl., § 11 Rn. 97 ff.; Göhler/Gürtler, OWiG, 16. Aufl., § 11 Rn. 28; jeweils mwN). Mit dieser Frage hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen, zumal es selbst über mehrere Seiten hinweg den rechtlichen Status der Sortierer erörtert und einer eingehenden Prüfung unterzogen hat.

III.


23
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft zulasten des Angeklagten H. H. ist ebenfalls begründet.
24
Soweit die Staatsanwaltschaft die Annahme eines (vermeidbaren) Verbotsirrtums rügt, lassen die Ausführungen des Landgerichts einen Erörterungsmangel erkennen. Das Landgericht ist zu dem Schluss gekommen, dem Angeklagten H. H. sei nicht zu widerlegen, dass er trotz Kenntnis der für die Sozialversicherungspflicht der Kükensortierer maßgeblichen Um- stände „geglaubt“ habe, es handele sich bei ihnen nicht um Arbeitnehmer, son- dern um Selbständige (UA Rn 270 f.). Er sei sich allerdings bewusst gewesen, dass seine rechtliche Bewertung „nicht unproblematisch und zweifelsfrei“ gewe- sen sei (UA Rn 272). Unter diesen Umständen hätte das Landgericht erörtern müssen, ob bei dem Angeklagten eine bedingte Unrechtseinsicht vorlag, die bereits einen Verbotsirrtum ausschließen würde (vgl. BGH, Urteile vom 3. April 2008 – 3 StR 394/07, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 8; vom 13. Dezember 1995 – 3 StR 514/95, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 11 Irrtum 1; Beschlüsse vom 24. Februar 2011 – 5 StR 514/09, BGHSt 56, 174, 182; vom 23. Dezember 1952 – 2 StR 612/52, BGHSt 4, 1, 4). Eine solche würde allerdings erfordern , dass der Angeklagte nicht nur mit der Möglichkeit rechnete, sein Verhalten könnte verboten sein, sondern diese Möglichkeit in derselben Weise wie beim bedingten Vorsatz in seinen Willen aufnahm (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 1995 – 3 StR 514/95, aaO). Dies wird das neue Tatgericht insbesondere mit Blick auf die unternehmensbedrohenden Rechtsfolgen einer mehrjährigen Verletzung der Beitragspflicht zu prüfen haben.

Sander Schneider Dölp
König Feilcke

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 55 des Strafgesetzbuches) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen.

(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b des Strafgesetzbuches), die Aufhebung des Vorbehalts der Einziehung und die nachträgliche Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes (§ 74f Absatz 1 Satz 4 des Strafgesetzbuches), die nachträgliche Anordnung der Einziehung des Wertersatzes (§ 76 des Strafgesetzbuches) sowie für die Verlängerung der Verjährungsfrist (§ 79b des Strafgesetzbuches).

(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte zu hören. Das Gericht kann von der Anhörung des Verurteilten in den Fällen einer Entscheidung nach § 79b des Strafgesetzbuches absehen, wenn infolge bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß die Anhörung nicht ausführbar ist.

(3) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Unterbrechung der Vollstreckung anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

4
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuzuweisen. Eine Verweisung in das Beschlussverfahren kann auch dann erfolgen, wenn – wie hier – im Revisionsverfahren eine Einzelstrafe durch Einstellung in Wegfall kommt und nur deshalb über die Gesamtstrafe neu zu befinden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2014 – 4 StR 537/13, NStZ-RR 2014, 222).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR537/13
vom
13. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 13. März 2014 gemäß
§ 154 Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen 11 bis 14 der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 21. Juni 2013
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung in drei Fällen, der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, und der Körperverletzung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Nötigung, schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten und die Revision der Nebenklägerin gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen.
4. Die Entscheidung über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten bleibt dem für das Nachverfahren nach den §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sieben Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, und wegen Körperverletzung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von dem Vorwurf zweier weiterer Vergewaltigungen hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich mit einer Verfahrensrüge und mit der Sachrüge gegen seine Verurteilung. Die mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision der Nebenklägerin richtet sich gegen den Freispruch und die Verurteilung wegen vorsätzlicher statt gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen. Nach der aus der Beschlussformel ersichtlichen Teileinstellung hat das Rechtsmittel des Angeklagten nur zum Gesamtstrafenausspruch Erfolg; im Übrigen ist es ebenso wie das Rechtsmittel der Nebenklägerin unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Auf den Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen 11 bis 14 der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist.
3
2. Der Wegfall der für diese Taten verhängten Einzelstrafen von zweimal einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe, einem Jahr und zehn Monaten Freiheitsstrafe und zwei Jahren Freiheitsstrafe berührt die Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Zwar könnte auch angesichts der Höhe der Einsatzstrafe, die drei Jahre beträgt, und der weiteren zehn Einzelstrafen von zwei Jahren und drei Monaten, einem Jahr und sechs Monaten, dreimal einem Jahr und drei Monaten, zehn Monaten, neun Monaten, acht Monaten und zweimal sechs Monaten die Gesamtfreiheitsstrafe durchaus angemessen sein; jedoch kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die Strafkammer ohne Verurteilung des Angeklagten in den genannten Fällen eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
4
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuzuweisen. Eine Verweisung auf das Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO kann auch dann erfolgen, wenn - wie hier - im Revisionsverfahren eine oder mehrere Einzelstrafen durch Einstellung in Wegfall kommen und nur deshalb über die Gesamtstrafe neu zu befinden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2013 - 1 StR 390/13; Beschluss vom 16. November 2004 - 4 StR 392/04, NStZ 2005, 223).
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin