Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Nov. 2019 - 5 StR 530/19
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften in sieben Fällen sowie wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von der es vier Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für bereits vollstreckt erklärt hat. Die dagegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung formellen sowie materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit einer Verfahrensrüge den aus der Be- schlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Während der Schuldspruch von den rechtsfehlerfreien Feststellungen getragen wird, führt die Revision des Angeklagten mit der Rüge einer Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zur Aufhebung des Strafausspruchs.
- 3
- 1. In der Hauptverhandlung wurde die Öffentlichkeit während der Vernehmung des Angeklagten zur Sache ausgeschlossen, weil zu erwarten sei, dass hierbei Umstände aus dem Intimbereich des Opfers und des Angeklagten zur Sprache kommen würden, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen sowohl des Opfers als auch des Angeklagten verletzen könnten. Der Angeklagte machte danach Angaben zur Sache. Bei den Schlussanträgen und beim letzten Wort des Angeklagten war die Öffentlichkeit hergestellt.
- 4
- 2. Es liegt ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor. Nach dieser Vorschrift wäre die Öffentlichkeit während der Schlussanträge zwingend auszuschließen gewesen, nachdem Teile der Hauptverhandlung zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten. Die Regelung des § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der vom Angeklagten erhobenen Rüge dabei nicht entgegen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180 mit Anmerkung Arnoldi).
- 5
- a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann allerdings der Schuldspruch nicht beruhen. Angesichts des vollumfänglichen Geständnisses des Angeklagten sowie der Bildaufnahmen seiner Taten kann der Senat ausschließen, dass der Verteidiger oder der Angeklagte in nichtöffentlichen Schlussvorträgen noch Erhebliches hätten vorbringen können, das den Schuldspruch hätte infrage stellen können.
- 6
- b) Dagegen kann der Strafausspruch auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist möglich, dass jedenfalls der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Trotz der durch den Generalbundesanwalt zutreffend als überaus maßvoll bezeichneten Strafen kann ein Beruhen des Strafausspruchs auf den Verfahrensfehler nicht völlig ausgeschlossen werden. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
- 7
- 3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen werden durch den Verfahrensfehler nicht berührt. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen.
Mosbacher Köhler
Vorinstanz:
Leipzig, LG, 06.06.2019 - 437 Js 32598/15 jug 2 KLs
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.
(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.
(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.
(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.
Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen auch die Entscheidungen, die dem Urteil vorausgegangen sind, sofern es auf ihnen beruht. Dies gilt nicht für Entscheidungen, die ausdrücklich für unanfechtbar erklärt oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Die Rüge einer Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG hat zum Strafausspruch Erfolg.
- 3
- 1. In der Hauptverhandlung, die am 4. Dezember 2014 begann, wurde die Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung von Zeugen und des Angeklagten mehrfach durch Gerichtsbeschluss gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GVG ausgeschlossen. Bei den Schlussanträgen war die Öffentlichkeit hergestellt. Es befanden sich auch Zuhörer im Sitzungssaal.
- 4
- Da Teile der Hauptverhandlung zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben, wäre indes nach der zwingenden Vorschrift des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG – auch ohne entsprechenden Antrag – die Öffentlichkeit während der Schlussanträge auszuschließen gewesen. Es liegt daher ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor, der mit Wirkung vom 1. September 2013 durch Art. 2 StORMG (Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1805) eingeführt wurde und der zurzeit der Hauptverhandlung galt.
- 5
- 2. Der Angeklagte ist insoweit auch anfechtungsbefugt. Die Regelung des § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der erhobenen Rüge nicht entgegen.
- 6
- Gemäß § 171b Abs. 5 GVG sind zwar Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 unanfechtbar und damit der revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen. Dies betrifft aber nur die inhaltliche Überprüfung der gerichtlichen Ausschließungsanordnung darauf, ob die in § 171b Abs. 1 und 2 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorliegen (vgl. zu § 171b Abs. 3 GVG a.F., BGH, Urteil vom 21. Februar 1989 – 1 StR 786/88, BGHR GVG § 171b Abs. 1 Dauer 1; Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 275). Damit ist es dem Revisionsgericht zwar verwehrt, die Begründung einer nach § 171b GVG ergangenen Entscheidung inhaltlich zu überprüfen (vgl. Wickern in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 171b GVG, Rn. 25), nicht gehindert ist es dagegen, die generelle Befugnis für den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung des Anklagesatzes zu prüfen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11; BGHSt 57, 273, 275).
- 7
- Nichts anderes kann gelten, wenn nur der Vorsitzende in einem Verfahrensabschnitt vor Anbringung der Schlussanträge (zu diesem Zeitpunkt rechtsfehlerfrei , weshalb eine Beanstandung nach § 238 StPO nicht in Betracht kommt) die Wiederherstellung der Öffentlichkeit angeordnet hat und das Gericht – wie vorliegend – weiterverhandelt und überhaupt keine Entscheidung über die Öffentlichkeit des Verfahrens getroffen hat (so schon zutreffend BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14, Beck RS 2014, 19859 – nicht tragend). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das erkennende Gericht nach dem Gesetzeswortlaut ("ist die Öffentlichkeit auszuschließen") keinen Beurteilungsspielraum hatte. Einer Anfechtbarkeit durch den Angeklagten steht auch nicht entgegen, dass die Vorschrift in erster Linie dem Opferschutz geschuldet ist. Denn § 171b GVG dient insgesamt dem Schutz der Privatsphäre, auch des Angeklagten als Subjekt des Verfahrens (vgl. BGH, aaO). Dies zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem u.a. mehrmals die Öffentlichkeit auch auf Antrag des Angeklagten ausgeschlossen wurde, weil Umstände aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommen sollten.
- 8
- 3. Wie die Revision und der Generalbundesanwalt zutreffend ausführen, ist zwar der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO nicht gegeben, weil diese Vorschrift bei einer unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – 1 StR 212/14, Beck RS 2014, 19859 mwN). Durchgreifend ist aber der relative Revisionsgrund (§ 337 StPO).
- 9
- a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann angesichts der insoweit geständigen Einlassung des Angeklagten und der ansonsten gegebenen klaren Beweislage ausschließen , dass der Verteidiger oder der Angeklagte in nicht-öffentlichen Schlussvorträgen insoweit noch Erhebliches hätten bekunden können. Soweit die Strafkammer dem Angeklagten unter Berücksichtigung der übrigen Beweisergebnisse hinsichtlich seiner sexuellen Orientierung nicht gefolgt ist, bleibt der Schuldspruch davon unberührt.
- 10
- b) Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe sowie die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls der Angeklagte , wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden , Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten.
- 11
- Die Öffentlichkeit wurde in der Hauptverhandlung mehrfach auf Antrag des Angeklagten nach § 171b Abs. 1 GVG ausgeschlossen, weil im Rahmen seiner geständigen Einlassung Umstände aus seiner Intimsphäre, namentlich seiner Sexualsphäre zur Sprache kamen. Bereits aus diesem Grund besteht die begründete Annahme, dass der Angeklagte über seine Einlassung hinaus in seinem letzten Wort weitere sich zu seinen Gunsten auswirkende Umstände angesprochen hätte, wenn er nicht der besonderen Belastung der öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt gewesen wäre. Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel