Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2016 - 5 StR 48/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:080616B5STR48.16.0
bei uns veröffentlicht am08.06.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 48/16
vom
8. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:080616B5STR48.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 2016 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Juni 2015 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Teilfreispruch im Übrigen wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung und wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sowie mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Der Erörterung bedarf nur die durch den Angeklagten erhobene Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO.
2
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
3
Während der vom 7. Januar bis 10. Juni 2015 an insgesamt 13 Verhandlungstagen durchgeführten Hauptverhandlung legte die Verteidigung des Angeklagten am 27. März 2015 eine Haftbeschwerde ein, mit der sie die Aufhebung , hilfsweise die Außervollzugsetzung des gegen den Angeklagten vollstreckten Haftbefehls erstrebte. Sie begründete dies damit, dass die Verhand- lungsführung durch die Strafkammer dem in Haftsachen geltenden Zügigkeitsgebot nicht genüge.
4
In seiner Stellungnahme gegenüber dem Kammergericht vom 27. April 2015 führte der Vorsitzende aus, er habe vor dem Hauptverhandlungstag vom 27. April 2015 mehrfach darauf hingewiesen, dass aus Sicht der Kammer die Beweisaufnahme annähernd vollständig durchgeführt sei und etwaige Beweisanträge möglichst zeitnah gestellt werden sollten. Nach dem von der Strafkammer vorgestellten Ablauf hätte die Beweisaufnahme am Hauptverhandlungstag vom 27. April 2015 geschlossen und die Plädoyers entgegengenommen werden sollen. Wegen von der Verteidigung an diesem Verhandlungstag angekündigter Beweisanträge habe die Sitzung jedoch unterbrochen werden müssen und könne erst im Mai fortgesetzt werden. Mit Beschluss des Kammergerichts vom 30. April 2015 wurde die Haftbeschwerde verworfen.
5
Am 30. April 2015 lehnte der Angeklagte die Mitglieder der Strafkammer und die Schöffen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er machte namentlich geltend, dass der Vorsitzende gegenüber dem Kammergericht Verlauf und Stand der Verhandlung inhaltlich unzutreffend wiedergegeben habe, um einen andernfalls zu erwartenden Erfolg der Haftbeschwerde zu vermeiden. In dessen Stellungnahme angesprochene Hinweise auf einen bevorstehenden Abschluss der Beweisaufnahme seien vor dem 27. April 2015 nicht gegeben worden. Die Sache sei an diesem Tag auch nicht entscheidungsreif gewesen. In der genannten Sitzung erfolgte Teileinstellungen nach § 154 Abs. 2 StPO zeigten aus der Sicht des Angeklagten darüber hinaus, dass alle Mitglieder der Strafkammer sowie die Schöffen eine zeitnahe Prozesserledigung einer sachgemäßen Aufklärung vorzögen. Die Richtigkeit seines Vortrags machte der Angeklagte unter anderem durch anwaltliche Versicherungen seiner Verteidigerin- nen sowie der Verteidigung des Mitangeklagten und durch dienstliche Äußerungen der Kammermitglieder glaubhaft.
6
In seiner Erklärung zum Befangenheitsgesuch hielt der Vorsitzende an seiner Darstellung des Verhandlungsverlaufs fest. Die Beisitzer sowie die beiden Schöffen stellten eine eigene Befangenheit in Abrede, verhielten sich zum Stand der Hauptverhandlung am 27. April 2015 jedoch nicht. Das Befangenheitsgesuch wurde ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter mit Beschluss vom 18. Mai 2015 als unbegründet zurückgewiesen.
7
2. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
8
a) Allerdings ist das Befangenheitsgesuch auch eingedenk des insoweit geltenden strengen Maßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2015 – 5StR 303/15 Rn. 3; Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 5; vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 6, jeweils mwN) rechtzeitig angebracht worden. Der Antrag wurde während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung zwischen den Verhandlungstagen vom 27. April und 13. Mai 2015 drei Tage nach Kenntniserlangung von dem geltend gemachten zentralen Befangenheitsgrund am 27. April 2015 gestellt. Im Blick auf die dem inhaftierten Angeklagten zuzubilligende Überlegungsfrist einschließlich einer Beratung mit seinen Verteidigerinnen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 25 Rn. 8 mwN), die unwidersprochen erst am 29. April 2015 stattfinden konnte, ist dem in § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO normierten Unverzüglichkeitsgebot vorliegend entsprochen.
9
b) Jedoch hat der Angeklagte den Wahrscheinlichkeitsbeweis für eine aus sachfremden Gründen erfolgte falsche Unterrichtung des Kammergerichts durch den Vorsitzenden nicht erbracht. Der Vorsitzende ist dem Vorwurf unzu- treffenden Sachvortrags entgegengetreten. Der Senat hat zu diesem Punkt im Freibeweisverfahren dienstliche Äußerungen der Beisitzer sowie der Schöffen eingeholt. Darin liegt im Blick darauf, dass sich diese trotz der Glaubhaftmachung der Verteidigung betreffend den Vorwurf unrichtigen Vorbringens des Vorsitzenden in ihren Stellungnahmen zum Befangenheitsgesuch nicht geäußert hatten, keine Einführung neuer Beweismittel, die im Revisionsverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht in Betracht kommt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 13. Juli 1966 – 2 StR 157/66, BGHSt 21, 85, 88; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 338 Rn. 27; krit. LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 338 Rn. 64 mwN; weitergehend KK/Gericke, 7. Aufl., § 338 Rn. 63). Während ein Beisitzer und ein Schöffe keine Erinnerung mehr an die ein Jahr zurückliegenden Vorgänge hatten, bestätigen die dienstlichen Äußerungen des Berichterstatters sowie des anderen Schöffen – wieauch die Äußerung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft – die inhaltliche Richtigkeit der Stellungnahme des Vorsitzenden. Umstände, die die Richtigkeit deren Vortrags durchgreifend zu erschüttern vermögen, sind dem Vorbringen der Verteidigung nicht zu entnehmen. Damit ist der gegen den Vorsitzenden insoweit geltend gemachte Befangenheitsgrund nicht hinreichend wahrscheinlich. Der Grundsatz, dass im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist, gilt insoweit nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 352). Das Befangenheitsgesuch ist mithin zu- treffend abgelehnt worden, weswegen die Strafkammer ordnungsgemäß besetzt gewesen ist.
10
c) Auch hinsichtlich des Befangenheitsgrunds gegen sämtliche Mitglieder der Strafkammer sowie der Schöffen wegen der vorgenommenen Teileinstellungen ist gegen die Ausführungen im Ablehnungsbeschluss rechtlich nichts zu erinnern.
Sander Dölp König
Berger Feilcke

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(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Die Ablehnung eines erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision bis zum Beginn des Vortrags des Berichterstatters, zulässig. Ist die Besetzung des Gerichts nach § 222a Absatz 1 Satz 2 schon vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden, so muss das Ablehnungsgesuch unverzüglich angebracht werden. Alle Ablehnungsgründe sind gleichzeitig vorzubringen.

(2) Im Übrigen darf ein Richter nur abgelehnt werden, wenn

1.
die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, erst später eingetreten oder dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekanntgeworden sind und
2.
die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird.
Nach dem letzten Wort des Angeklagten ist die Ablehnung nicht mehr zulässig.