Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Dez. 2010 - 5 StR 421/10

published on 09/12/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Dez. 2010 - 5 StR 421/10
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate
5 StR 421/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 9. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Dezember 2010

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. März 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung , zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
2
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer nahm der mehrfach einschlägig vorbestrafte, homosexuell-pädophile und mit dem HI-Virus infizierte Angeklagte im Juni 2009 über einen Zeitraum von mehr als zwei Tagen sexuelle Handlungen mit dem 13-jährigen D. vor (Oralverkehr an dem Jungen; Reiben des Glieds am Anus des Jungen; Penetration und orale Stimulation des Angeklagten durch den Jungen, letztere unter Verwendung eines Kondoms). Für dieses Tatgeschehen verhängte die Strafkammer eine Einzelstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Des Weiteren wurde der Angeklagte zu zwei Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und neun Monaten verurteilt, weil er einen zehn- und einen elfjährigen Jungen mehrfach an deren unbedeckte Geschlechtsteile gefasst hatte.
3
Der Angeklagte wendet sich gegen diese Verurteilung und macht die Verletzung formellen und sachlichen Rechts geltend. Die Revision hat hinsichtlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
4
2. Die Unterbringung nach § 66 Abs. 2 StGB, dessen formelle Voraussetzungen gegeben sind, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts. Daher müssen die Urteilsgründe nachvollziehbar erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen das Tatgericht von seiner Ermessensbefugnis Gebrauch gemacht hat (BGH, Beschluss vom 28. September 1990 – 5 StR 414/90, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 4; Beschluss vom 4. Januar 1994 – 4 StR 718/93, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 5 m.w.N.). Dabei müssen sie die nach den Zweckvorstellungen der Vorschrift erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigen.
5
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer hat wesentliche Umstände nicht erwogen, die gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung sprechen können. Sie lässt vor allem unberücksichtigt, dass der Angeklagte bislang praktisch nicht therapiert wurde , was nunmehr bei für ihn erstmaligem Vollzug einer längeren Freiheitsstrafe zu erwarten ist.
6
Darüber hinaus hat sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt , dass die an D. – einverständlich – vorgenommenen sexuellen Handlungen nach ihrer Intensität und dem Grad ihrer Eignung, schwerwiegende seelische Schäden beim Opfer hervorzurufen, nicht nur von den beiden übrigen abgeurteilten Taten, sondern auch von denjenigen Taten deutlich abweichen, derentwegen der Angeklagte vorbestraft ist. Insoweit kam es allenfalls zu Berührungen der geschädigten Jungen an deren unbedeckten Geschlechtsteilen und gelegentlich zum Onanieren vor den Kindern. Schwere Tatfolgen bei den Geschädigten wurden nicht festgestellt. Der Angeklagte wendete nie Gewalt an, sondern nutzte von ihm geschaffene „spielerische“ Situationen aus, um die sexuellen Handlungen an den Jungen vorzunehmen. Reagierten die Kinder ablehnend, ließ er von ihnen ab. Diese Gesichtspunkte sind von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung des Ausmaßes der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr. Sie hätten deshalb bei der Ausübung des Ermessens bedacht werden müssen. Die Einschätzung der Strafkammer, dass „unter Berücksichtigung der hohen Zahl der Opfer in der Vergangenheit und den drei Opfern der hier zu beurteilenden Taten“ die Anordnung der Sicherungsverwahrung unerlässlich und verhältnismäßig sei, betont einseitig zulasten des Angeklagten diesen Teilaspekt seiner bislang begangenen Taten.
7
Bei dem hier vorliegenden Ermessensfehler bedurfte es keiner Aufhebung von Feststellungen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.