Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Okt. 2015 - 5 StR 397/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2015:2810155STR397.15.0
bei uns veröffentlicht am28.10.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 397/15
vom
28. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2015:2810155STR397.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2015 beschlossen :
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte und der Geschädigte sind Lkw-Fahrer. Nach einem Trinkgelage unter Fernfahrern auf einem Parkplatz drang der beträchtlich alkoholisierte Geschädigte in die Fahrerkabine des ebenfalls erheblich berauschten Angeklagten ein, in der dieser bereits schlief. Er griff den Angeklagten an oder verhielt sich so, dass dieser sich angegriffen fühlen konnte. Der Angeklagte schubste ihn aus dem Lkw. Der Geschädigte versuchte erneut, in den Lkw zu gelangen, wobei er möglicherweise einen Gegenstand in der Hand hielt. Der Angeklagte ergriff eine leere Bierflasche und schlug sie dem Geschädigten ge- gen den Kopf. Dieser fiel aus der Fahrerkabine in am Boden liegende Bierflaschen und zog sich Schnittverletzungen am Rücken zu. Der Angeklagte wollte die Beifahrertür schließen, was ihm aber nicht gelang. Er nahm eine neben dem Fahrersitz verstaute Eisenstange und stieg aus, weil er einen neuen Angriff fürchtete. Er ging um den Lastwagen herum. Der Geschädigte war inzwischen aufgestanden. Der Angeklagte forderte ihn auf, sich zu entfernen. Der Geschädigte ging aber auf den Angeklagten los, brachte ihn zu Boden und stürzte selbst. Er riss dem Angeklagten dabei ein Büschel Haare aus, was erhebliche Schmerzen bereitete. Die Kontrahenten kamen wieder auf die Beine. Der Angeklagte schlug dem Geschädigten die Eisenstange mit bedingtem Tötungsvorsatz zweimal auf den Kopf, so dass er mit schweren Kopfverletzungen zusammenbrach. Das Leben des Geschädigten konnte gerettet werden, nachdem der Angeklagte selbst die Rettungskräfte herbeigerufen hatte.
4
b) Die Schwurgerichtskammer hat hinsichtlich der Schläge mit der Ei- senstange eine objektive Notwehrlage angenommen. Diese seien „zur Abwehr des festgestellten Angriffs“ geeignet; eine Androhung des Einsatzes der Eisen- stange sei nicht erfolgversprechend gewesen, den „auch nach wiederholt erfolgter Abwehr weiterhin aggressiv auf ihn los gehenden“ Geschädigten hinrei- chend abzuschrecken (UA S. 14). Jedoch sei es dem Angeklagten ohne weiteres möglich gewesen, den Angriff durch Schläge gegen den Rumpf oder die Extremitäten zu beenden. Er habe daher nicht das relativ mildeste Mittel ergriffen , womit die Verteidigung nicht erforderlich im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gewesen sei.
5
2. Das Urteil kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil dem Senat aufgrund unklarer, lückenhafter und widersprüchlicher Ausführungen in den Feststellungen, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung keine Überprüfung möglich ist, ob die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten zutreffend eine Rechtfertigung wegen Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) versagt hat. Namentlich ist auch dem Zusammenhang der Urteilsgründe nicht hinreichend zu entnehmen, wie sich die „Kampflage“ unmittelbarvor den beiden Schlägen mit der Eisenstange objektiv darstellte. Während sich aus den Feststellungen nicht eindeutig ergibt, dass der Angriff nach dem beiderseitigen Aufstehen fort- dauerte, vielmehr nur von einer Angst des Angeklagten „vor weiteren Angriffen“ die Rede ist (UA S. 6), wird in der rechtlichen Würdigung auf einen „festgestellten Angriff“ bzw. auf ein aggressives „Losgehen“ des Geschädigten auf den Angeklagten abgehoben (UA S. 14 f.). Weder das eine noch das andere findet dabei in der Beweiswürdigung eine hinreichende Stütze. Die Schwurgerichtskammer beschränkt sich dort nämlich auf die Aussage, die Feststellungen zum äußeren Tatablauf beruhten „im Wesentlichen“ auf dem Geständnis des Ange- klagten (UA S. 7), ohne die Bekundungen des Angeklagten zur Situation im maßgebenden Zeitpunkt ansatzweise mitzuteilen. Art und Ausmaß der „Kampflage“ sind aber bestimmend für die Frage der Erforderlichkeit der Verteidi- gungshandlung; die Beurteilung muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung erfolgen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117).
6
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
7
a) Sollte das nunmehr entscheidende Tatgericht zu dem Ergebnis gelangen , dass der durch den Geschädigten verübte Angriff im maßgebenden Zeitpunkt unverändert fortdauerte, wird in Übereinstimmung mit den Erwägungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts und der dort zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu erörtern sein, aus welchem Grund bei Schlägen gegen den Rumpf oder die Extremitäten des Geschädigten sicher mit einer endgültigen Beendigung des Angriffs zu rechnen gewesen sein könnte. Dieser im angefochtenen Urteil eingenommenen Sicht könnte widerstreiten, dass sich der Geschädigte unter anderem durch einen Schlag mit einer Bierflasche gegen den Kopf und die durch den Angeklagten vor dem beiderseitigen Niederstürzen offen geführte Eisenstange von weiteren Angriffshandlungen nicht hatte abhalten lassen.
8
b) Für den Fall, dass es abermals zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen sollte, wird zu prüfen sein, ob wegen des hier offensichtlich erfüllten Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB eine (weitere) Strafrahmenverschiebung vorzunehmen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 mwN).
Schneider Dölp König
Berger Bellay

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Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

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(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 311/12
vom
21. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
, zu Ziffer 2. auf dessen Antrag, und des Beschwerdeführers am
21. November 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 19. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Nebenklägers H. gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. Der Nebenkläger H. hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision; der Nebenkläger H. begehrt mit der Sachrüge die Verurteilung des Ange- klagten wegen versuchten Totschlags. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung des Nebenklägers H. hat keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Auf das Rechtsmittel des Angeklagten war das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen der zur Tatzeit 22 Jahre alte Angeklagte und sein Freund K. H. , die beide von dunklerer Hautfarbe sind, am 21. Mai 2011 gegen 0.30 Uhr auf dem Gelände der Fachhochschule W. auf die Geschädigten G. und H. . Der Angeklagte und K. H. saßen auf einer Bank und tranken Alkohol, G. und H. befanden sich auf dem Rückweg von einer Tankstelle, wo sie für eine in den nahe gelegenen Schrebergärten stattfindende Grillfeier Grillkohle und Bier gekauft hatten. Es entwickelte sich aus einer Distanz von etwa 10 Metern eine Diskussion zwischen G. und K. H. , in deren Verlauf G. zu diesem sagte "Du fühlst dich wohl cool, Nigger". Als K. H. "Verpisst Euch!" erwiderte, begab sich G. zu der Sitzbank. Während der verbalen Auseinandersetzung oder kurz zuvor hatte der Geschädigte H. einen Anruf von einem weiteren Partyteilnehmer erhalten, dem H. mitteilte, dass es noch Ärger mit zwei auf einer Bank sitzenden Personen geben könne, auf den sie sich aber nicht einlassen würden; Hilfe sei nicht nötig. K. H. und der Angeklagte missverstanden das Telefonat allerdings dahingehend, dass H. Hilfe herbeirief. Deshalb telefonierte K. H. mit einem Freund, um diesen als Verstärkung herbeizurufen. Noch während dieses Gespräches erhielt er von G. , der von großer Statur war (2,00 m, 100 kg), einen Schubs oder Stoß gegen die Brust. Nicht ausschließbar versetzte G. dem K. H. auch Faustschläge, die dieser erwiderte. Nunmehr schlug auch der Geschädigte H. auf K. H. ein, der sich zwar wehrte, jedoch bald zu Boden ging. Der Angeklagte, der seinem Freund helfen wollte, zog zu diesem Zweck aus seiner Bauchtasche ein Einhandmesser mit einer Klingenlänge von knapp 7 cm, das er für etwaige Auseinandersetzungen mit sich führte, klappte es auf und begab sich in Richtung der anderen Beteiligten. G. , der das Messer nicht bemerkt hatte, wendete sich nunmehr dem Angeklagten zu und schlug auch diesem ins Gesicht, während H. auf den am Boden liegenden K. H. eintrat. Als H. von dem inzwischen bewusstlosen K. H. abließ und sich zusammen mit G. dem Angeklagten zuwenden konnte, stach dieser, um den Angriff zu beenden, zunächst drei Mal mit Verletzungsvorsatz auf G. ein, der zwei Stiche in das rechte Bein und einen in die linke Gesäßrückseite erlitt. Unmittelbar darauf versetzte der Angeklagte dem Geschädig ten H. mit bedingtem Tötungsvorsatz einen Stich in die linke Brust. H. lief von dem Angeklagten weg und wählte um 0.40 Uhr einen Notruf. Der Angeklagte erkannte, dass er H. noch nicht tödlich verletzt hatte, setzte ihm aber trotz bestehender Möglichkeit nicht nach, da er mit der Abwehr der beiden Angreifer sein vorrangiges Ziel erreicht hatte.
3
G. erlitt durch die Stiche in den Oberschenkel eine Verletzung der großen Beinarterie und der großen Beinvene, die zu einer starken Blutung führte ; er verstarb wegen des Blutverlustes innerhalb weniger Minuten an Kreislaufversagen. H. erlitt eine lebensgefährliche Verletzung der Lunge, konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden.
4
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr bzw. Nothilfe abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Das Landgericht ist der Ansicht, dass zwar eine Notwehr- bzw. Nothilfelage vorgelegen habe, das Vorgehen des Angeklagten aber keine erforderliche Verteidigung im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gewesen sei. Der Angeklagte habe den Einsatz des Messers gegenüber den unbewaffneten Angreifern vorher androhen müssen. Bei der notwendigen Prüfung der konkreten Kampflage sei zwar zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich zwei Angreifern gegenüber gesehen habe, von denen ihm zumindest einer körperlich deutlich überlegen gewesen sei. Auch habe aus seiner Sicht nach dem Telefonat von H. in absehbarer Zeit das Hinzutreten weiterer Personen auf Seiten der Angreifer gedroht. Auf der anderen Seite sei aber zu bedenken, dass auch dem Angeklagten die Geringfügigkeit des Anlasses der Auseinandersetzung nicht entgangen sei und er deshalb keinen Anhaltspunkt für eine Steigerung der Aggressionen für den Fall des Androhens des Messereinsatzes gehabt habe, er insbesondere nicht mit einer Entwaffnung und der anschließenden Zufügung schwerwiegender Verletzungen habe rechnen müssen. Aus der Vorgeschichte, die sich allein zwischen K. H. und G. abgespielt habe, seien zudem keine Anzeichen für besondere Aggressionen der Geschädigten gerade gegen den Angeklagten erkennbar gewesen.
6
b) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12 mN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH NJW 1989, 3027; NStZ 1983, 117). Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, dann ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; der Angegriffene muss sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist (Senat NStZ 2012, 272, 274). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH NStZ 1996, 29 f.; BGHSt 26, 256, 258). Dies setzt aber voraus, dass eine solche Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12 mwN); dabei ist auch zu berücksichtigen , ob dem Angegriffenen genügend Zeit zur Wahl des Abwehrmittels und zur Abschätzung der Lage zur Verfügung stand (vgl. BGH NStZ 2012, 272, 274). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Dabei dürfen angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen die Androhung eines Messereinsatzes keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12).
7
c) Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit der Messerstiche nicht gerecht. Für die Annahme des Landgerichts , dass der Angeklagte durch ein Androhen des Messereinsatzes seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht verschlechtert hätte, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage.
8
Soweit dem Angeklagten von der Kammer entgegengehalten wird, wegen der von ihm erkannten Geringfügigkeit des Anlasses der Auseinandersetzung habe es aus seiner Sicht keinen Anhaltspunkt einer Eskalation für den Fall des Androhens des Messereinsatzes gegeben, lässt dies die gebotene Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen vermissen, die sich aus den Feststellungen ergeben. Die Geringfügigkeit des Anlasses sagt für sich bereits nichts darüber aus, wie bedrohlich die Situation für den Angeklagten im Zeitpunkt seiner Verteidigungshandlungen tatsächlich war. Sie ist hierfür aber vor allem angesichts der konkreten Kampflage ohne Aussagekraft. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Geschädigten, von denen die Tätlichkeiten ausgingen, den K. H. bereits so geschlagen und getreten hatten, dass dieser bewusstlos am Boden lag. Als sie sich nunmehr dem Angeklagten zuwandten , lag es bei einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse aus Sicht des Angeklagten nahe, dass sie nunmehr auch ihn durch Schläge und Tritte schwer verletzen würden. Das Landgericht hat nicht in seine Überlegungen aufgenommen, dass das trotz der Geringfügigkeit des Anlasses an den Tag gelegte, in hohem Maße aggressive Verhalten der Geschädigten gegen K. H. gegen die Annahme spricht, dass die vorherige Androhung des Messereinsatzes durch den Angeklagten dazu geeignet gewesen wäre, den Angriff auf ihn endgültig abzuwehren.
9
Dies gilt umso mehr, als der Geschädigte G. dem Angeklagten bereits einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte und der Angeklagte davon ausging, dass auf Seiten der Angreifer in absehbarer Zeit weitere Personen hinzutreten würden. Mit Rücksicht auf die körperliche Überlegenheit der Angreifer sowie ihre personelle, sich aus Sicht des Angeklagten alsbald verstärkende Übermacht fehlt es deshalb auch an einer hinreichenden Grundlage für die Auffassung der Kammer, der Angeklagte habe für den Fall der Androhung des Messereinsatzes nicht mit einer Entwaffnung und der anschließenden Zufügung schwerwiegender Verletzung rechnen müssen.
10
Darüber hinaus findet die Erwägung des Landgerichts, es seien keine Anzeichen für besondere Aggressionen der Geschädigten gerade gegen den Angeklagten erkennbar gewesen, in den Feststellungen keine hinreichende Grundlage. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass G. dem Angeklag- ten, ohne das Messer bemerkt zu haben, bereits vor den ersten mit Verteidigungswillen geführten Messerstichen mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte und sich die beiden Geschädigten dem Angeklagten zuwandten, nachdem sie zuvor bereits K. H. bis zur Bewusstlosigkeit traktiert hatten. Die genannten, vom Landgericht auch in diesem Zusammenhang nichterwogenen Umstände sprachen objektiv und aus der Perspektive des Angeklagten dafür, dass sich die Aggressionen der Geschädigten in gleicher Weise wie zuvor gegen K. H. nunmehr gegen ihn richten würden.
11
Unter diesen Umständen hatte die Drohung, das Messer einzusetzen, keine so hohe Erfolgsaussicht, dass dem Angeklagten das Risiko des Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zuzumuten war.
12
Letztlich hat das Landgericht den Aspekt, dass unabhängig davon, ob der nicht angedrohte Messereinsatz eine erforderliche Notwehrhandlung des Angeklagten zu seiner eigenen Verteidigung war, hierin eine erforderliche Nothilfehandlung zu Gunsten seines Freundes K. H. lag, überhaupt nicht in seine rechtlichen Erwägungen einbezogen.
13
3. Der Senat kann nicht nach § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden. Mit Rücksicht auf die in den Urteilsgründen zum Ausdruck kommende, nicht eindeutige Beweislage sowie dort erwogene Sachverhaltsalternativen kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine neue Ver- handlung noch weitere Feststellungen zu erbringen vermag, die einen Schuldspruch rechtfertigen.
Becker RiBGH Dr. Appl befindet sich im Schmitt Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Eschelbach Ott

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

5 StR 4/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
17. März 2011, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt B.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt S.
alsNebenklägervertreter,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juli 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch aufgrund der zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel führt allerdings mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte den Nebenkläger mit zwei Bierflaschen aus Glas (0,33 I) auf den Hinterkopf, wobei eine Flasche zerbrach. Der Nebenkläger konnte den Angeklagten zunächst abdrängen. Der Angeklagte ging jedoch sofort wieder auf den Neben- kläger los. Mit dem scharfkantigen Hals der zerbrochenen Bierflasche schlug und stach er mehrfach in Richtung des Halses und des Kopfs des Nebenklägers. Er verursachte glattrandige Verletzungen im Bereich des linken Ohrs mit einer fast vollständigen Abtrennung des linken Ohrläppchens und mehrere , teils schlitzartige und in einem Fall bis ins Unterhautfettgewebe reichende glattrandige Verletzungen an der linken Halsseite, die nur wenige Zentimeter von der Halsschlagader bzw. der Halsvene entfernt waren; der Angriff war deswegen lebensbedrohend (UA S. 7, 14). Nur durch das Eingreifen weiterer Gäste und des Sicherheitsdienstes konnte er von weiteren Verletzungshandlungen abgehalten werden.
3
2. Die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des Zusammenwirkens einer alkoholischen Beeinflussung (maximale Blutalkoholkonzentration : 1,26 ‰), von Übermüdung und einer ängstlich gereizten Grundstimmung infolge von Nachstellungen und Provokationen von Seiten des Nebenklägers im Vorfeld sowie unmittelbar vor der Tat nicht ausschließbar erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei. Sie hat die Strafe dem in § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB normierten minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls sei dabei nur unter Berücksichtigung und Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB gerechtfertigt.
4
3. Der Strafausspruch hat aufgrund der Nichtabhandlung der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB keinen Bestand.
5
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten ungeachtet des festgestellten, für sich nicht massiven Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten und seine Freundin unmittelbar vor Tatbegehung (UA S. 6) angesichts des vorangegangenen nachhaltigen Nachstellungsverhaltens des Nebenklägers (UA S. 4 f.) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 213 Rn. 5 a.E. mN zur st. Rspr.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig gebietet (vgl. zu § 226 Abs. 2 StGB aF: BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1991 – 5 StR 6/91, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 2; vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; siehe auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; ferner jeweils mwN: Fischer, aaO, § 224 Rn. 15; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 224 Rn. 15). Sofern der Erregungszustand über den in § 213 StGB umschriebenen hinausgeht und zu einer von dieser Vorschrift nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Verstoß gegen § 50 StGB eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1976 – 1 StR 482/76; Beschlüsse vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; vom 6. November 1985 – 2 StR 590/85, NStZ 1986, 115; vom 30. Juli 2008 – 2 StR 270/08, NStZ 2009, 91, 92; vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10).
6
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Allerdings gehen die beiden Milderungsgründe nach §§ 213 und 21 StGB mit der durch die Provokation verursachten affektiven Erregung des Angeklagten auf dieselbe Wurzel zurück. Dies kann einer nochmaligen Strafrahmenmilderung entgegenstehen, obliegt aber der Prüfung des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10; Schneider in MK, § 213 Rn. 28 mwN; noch weiter einschränkend Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 14).
7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine nochmalige Strafrahmenverschiebung vorgenommen oder aus dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht sowie konsequent diesen Umstand und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des nur unwesentlich vorbelasteten Angeklagten bei der allgemeinen Strafzumessung zu seinen Gunsten bewertet hätte.
8
c) Das neue Tatgericht wird bei der erneuten Straffindung insbesondere im Blick auf die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB das gesamte relevante Vorverhalten des Nebenklägers und dessen Einfluss auf die Tatbegehung des Angeklagten umfassend aufzuklären und zudem erneut Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen.
Raum Schaal Schneider König Bellay