Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2000 - 5 StR 323/00
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren (Einzelstrafen: sechs Jahre) verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat lediglich in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das Vorgehen des Angeklagten ist entgegen der Auffassung des Landgerichts als eine einzige Tat im Rechtssinne, nicht als zwei in Tatmehrheit stehende Taten zu bewerten. Nach der Rechtsprechung kann eine natürliche Handlungseinheit ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn es um die Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Personen geht. Die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit ist in derartigen Fällen dann gerechtfertigt, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene (BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit – Entschluß, einheitlicher 1 und 9). Ein solcher Ausnahmefall kann namentlich bei mehreren Schüssen auf zwei Personen innerhalb weniger Sekunden ohne jegliche zeitliche Zäsur vorliegen (BGHR vor § 1/natürliche Handlungseinheit – Entschluß, einheitlicher 2 und 5).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Nach den Feststellungen feuerte der Angeklagte im Abstand von wenigen Sekunden „ohne Vorwarnung aus einer Nahdistanz von ungefähr einem Meter in Combatschützenstellung , beide Hände an der Waffe, leicht zusammengekauert je einmal in Richtung Bauch-Brustbereich auf die Zeugen K und T , die bei seinem erneuten Eintreffen von ihren Plätzen aufgestanden waren. Danach lief er aus dem Lokal ...“ (UA S. 11). Daß er nach dem ersten Schuß einen Stellungswechsel vornahm oder aufgrund eines neu gefaßten Entschlusses handelte, ist nicht festgestellt und nach der Sachlage auch nicht feststellbar. Insbesondere belegen die vom Generalbundesanwalt herangezogenen Urteilsausführungen zur rechtlichen Würdigung (UA S. 59) nicht, daß der Angeklagte entgegen den eindeutigen Feststellungen zum Sachverhalt nach dem ersten Schuß die Combatschützenstellung wechselte und eine andere Schußhaltung einnahm.
Die Vorschrift des § 265 StPO steht der Ä nderung des Schuldspruchs nicht entgegen; der Angeklagte hätte sich gegen den Vorwurf, die Delikte tateinheitlich begangen zu haben, nicht anders als geschehen verteidigen können. Die Ä nderung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der Einzelstrafen nach sich. Die von der Strafkammer festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe kann aber als Einzelstrafe bestehen bleiben. Das Unrecht der Tat und die Schuld des Angeklagten werden nämlich durch die geänderte rechtliche Bewertung der Konkurrenzverhältnisse nicht berührt (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Februar 2000 – 2 StR 615/99 – m.w.N.).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.
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a) in den Schuldsprüchen dahin, daß die Angeklagte Mo. A. der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, schwerem Raub und Bedrohung und der Angeklagte Mi. A. der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, schwerem Raub, Freiheitsberaubung und Bedrohung schuldig sind,
b) in den Strafaussprüchen dahin, daß bei beiden Angeklagten das Wort "Gesamtfreiheitsstrafe" jeweils durch das Wort "Freiheitsstrafe" ersetzt wird.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte Mo. A. wegen gefährlicher Körperverletzung, sexueller Nötigung in zwei Fällen, schweren Raubes und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren, den Angeklagten Mi. A. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, sexueller Nötigung in zwei Fällen, schweren Raubes, Freiheitsberaubung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und hinsichtlich beider Angeklagter die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Deren Revisionen haben nur insoweit Erfolg, als sie zu einer Berichtigung des Schuldspruchs führen, im übrigen sind sie im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der allgemeinen Sachrüge ergibt nämlich einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten lediglich insoweit, als das Landgericht Tatmehrheit zwischen den verwirklichten Handlungen angenommen hat. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen stehen aber diese im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).
Nach den Feststellungen befanden sich die Opfer die ganze Zeit über in einer ununterbrochenen Zwangslage, die durch das Versperren der Wohnung, die wiederholten Mißhandlungen und die andauernden Bedrohungen geprägt wurde. In einem solchen Fall ist von einer tateinheitlichen Begehung sämtlicher Straftaten im Rahmen eines zusammengehörigen, durch ein gemeinsames
subjektives Element verbundenen Tuns auszugehen (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 7 und 10).
Der danach erforderlichen Schuldspruchänderung steht die Vorschrift des § 265 StPO nicht entgegen, da nicht zu ersehen ist, wie sich die Angeklagten gegen den Vorwurf durchweg tateinheitlicher Tatbestandsverwirklichungen anders hätten verteidigen sollen und können als geschehen.
Die Ä nderung des Schuldspruchs führt zwar zum Wegfall der Einzelstrafen, sie läßt aber den Unrechts- und Schuldgehalt der Gesamttat unberührt. Die bisherige Gesamtstrafe kann daher jeweils als neue Einzelstrafe bestehen bleiben (§ 354 StPO; vgl. BGH NStZ 1996, 296; BGH, Beschlüsse vom 3. April 1998 – 2 StR 95/98; vom 30. Juni 1998 – 1 StR 293/98 und vom 13. Oktober
1998 – 4 StR 315/98). Der Senat kann - auch unter Berücksichtigung der rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen - ausschließen, daß das Tatgericht auf eine geringere Freiheitsstrafe als die bisherige Gesamtstrafe erkannt hätte.
Jähnke Niemöller Detter Bode Otten