Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2019 - 5 StR 3/19
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 17. Juli 2019 gemäß § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagten E. und Y. hat es wegen Beihilfe zur versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu Jugendstrafen von einem Jahr und neun Monaten bzw. einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es jeweils zur Bewährung ausgesetzt hat. Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten R. führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die weitergehende Revision des Angeklagten
R.
und die ebenfalls auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten E. und Y. sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.- 2
- 1. Der Strafausspruch hat betreffend den Angeklagten R. keinen Bestand, weil die Ablehnung einer Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
- 3
- a) Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 4
- Bereits wenige Tage nach der Tat wies eine Vertrauensperson die Polizei darauf hin, dass es sich bei dem Haupttäter um den gesondert Verfolgten
A.
handle. Knapp eine Woche später ging ein weiterer, inhaltsgleicher Hinweis bei der Polizei ein. Am darauffolgenden Tat stellte sich der Angeklagte R. den Strafverfolgungsbehörden und bezichtigte A. des – nicht vom Tatplanumfassten – tödlichen Einsatzes des Tatmessers. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen machte der Angeklagte R. zudem Angaben zum Verbleib des Messers, die zu dessen Auffinden führten. Darüber hinaus wurden noch vor Abschluss der Ermittlungen in einem Schriftsatz seines Verteidigers die Mitangeklagten
E.
und Y. als Mitfahrerinnen des Tatfahrzeugs benannt, was diese allerdings bereits zuvor gegenüber der Polizei eingeräumt hatten.- 5
- Das Landgericht hat diese Information nicht als wesentlich für die Tataufklärung bewertet und deshalb das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes des § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint. Hinsichtlich der Aussage zum gesondert Verfolgten A. folge dies daraus, dass dessen Tatbeteiligung den Ermittlungsbehörden schon aufgrund der genannten Hinweise bekannt gewesen sei. Betreffend die Mitangeklagten E. und Y. habe R. lediglich deren „Dabeisein“, nicht aber deren Zustimmung zur Tat und ihr Verhalten am Tatort selbst geschildert.
- 6
- b) Die Verneinung einer wesentlichen Aufklärungshilfe im Sinne des § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
- 7
- Bei der Wesentlichkeit der Aufklärungshilfe handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt (vgl. Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1044). Sie ist zu bejahen, wenn die Tat ohne den Aufklärungsbeitrag nicht oder nicht im gegebenen Umfang aufgeklärt worden wäre, die Aussage des Angeklagten jedenfalls aber eine sicherere Grundlage für die Aburteilung des Tatbeteiligten schafft, indem sie den Strafverfolgungsbehörden die erforderliche Überzeugung vermittelt, dass ihre bisherigen Erkenntnisse zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2016 – 5 StR 26/16, BGHR StGB § 46b Voraussetzungen 5 mwN). Dass Letzteres bereits für die Anwendung von § 46b StGB ausreichen kann, hat die Strafkammer nicht erkennbar bedacht.
- 8
- 2. Der Strafausspruch beruht auf dem Rechtsfehler, da der Senat trotz der durchaus maßvollen Strafe nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung eine mildere Strafe verhängt hätte.
- 9
- 3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
Mosbacher Köhler
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2019 - 5 StR 3/19
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2019 - 5 StR 3/19
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2019 - 5 StR 3/19 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist,
- 1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder - 2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann,
(2) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen:
- 1.
die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung, das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und die Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, sowie - 2.
das Verhältnis der in Nummer 1 genannten Umstände zur Schwere der Straftat und Schuld des Täters.
(3) Eine Milderung sowie das Absehen von Strafe nach Absatz 1 sind ausgeschlossen, wenn der Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 der Strafprozessordnung) gegen ihn beschlossen worden ist.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2016 beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, mit Ausnahme der Auslagen der Nebenkläger auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die den Nebenklägern durch seine Revision jeweils entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit (schwerem) Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf Sachbeanstandungen gestützten Revisionen der Angeklagten führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Im Übrigen sind sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält wegen jeweils unzureichend begründeter hinreichend konkreter Erfolgsaussicht revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
- 3
- Nach den Feststellungen des Landgerichts besteht bei dem Angeklagten G. schon seit Jahrzehnten eine schwere Abhängigkeitserkrankung infolge multiplen Substanzgebrauchs, insbesondere seit Ende der 1980er Jahre wegen des Konsums von Heroin. Zahlreiche Entgiftungsbehandlungen und Therapieversuche sowie eine regulär beendete Drogentherapie erwiesen sich als im Ergebnis erfolglos. Die bei ihm seit mehreren Jahren durchgeführte Substitutionsbehandlung ging mit regelmäßigem Beikonsum unterschiedlicher Betäubungsmittel einher. Zudem besteht bei dem Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung mit erheblichen dissozialen Anteilen.
- 4
- Der Angeklagte K. ist seit mehr als zehn Jahren drogenabhängig und konsumierte zuletzt – seit mehreren Jahren neben einer Substitutionsbehandlung und neben der Einnahme eines neuroleptischen Medikaments zur Behandlung eines Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndroms – überwiegend Amphetamin, Kokain und Heroin. Eine vom Angeklagten abgebrochene stationäre Drogentherapie und zahlreiche Entgiftungs- und Interventionsbehandlungen blieben in der Vergangenheit letztlich ohne Erfolg.
- 5
- Angesichts dieser ungünstigen Umstände hätten die für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte einer eingehenderen Darlegung und Abwägung bedurft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 2014 – 5 StR 454/14, und vom 1. März 2016 – 5 StR 7/16). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, wenn es hinsichtlich des Angeklagten G. lediglich auf dessen Therapiemotivation und die eigeninitiativ in der Untersuchungshaft – bei fortbestehendem Beikonsum – begonnene Substitutsreduktion und betreffend den Angeklagten K. allein auf die von diesem in der Vergangenheit gezeigten „Ressourcen“ für eine gewinnbringende Therapieteil- nahme verweist.
- 6
- Hinzu kommt, dass auch deswegen nicht beurteilt werden kann, ob überhaupt eine tragfähige Basis für eine konkrete Erfolgsaussicht der Therapie im Maßregelvollzug besteht, weil bei beiden Angeklagten Feststellungen zur voraussichtlichen Therapiedauer fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2015 – 5StR 79/15). Die Maßregelfrage bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
- 7
- 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten sind unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
- 8
- a) Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat zur Revision des Angeklagten G. :
- 9
- Das Landgericht hat betreffend diesen Angeklagten eine mögliche Strafrahmenmilderung nach § 46b StGB nicht ausdrücklich erwogen, obwohl nach den Urteilsfeststellungen hierzu Anlass bestand. Denn dieser Angeklagte hat im Rahmen seiner zweiten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung Angaben zur Beteiligung des Mittäters K. und zu dessen Tatbeiträgen gemacht. Der Senat kann jedoch dem den Gang der Ermittlungen und die übrigen Beweiserkenntnisse umfassend schildernden Urteil hinreichend sicher entnehmen, dass jedenfalls keine wesentliche Aufklärungshilfe (§ 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) vorliegt.
- 10
- Bei der Wesentlichkeit der Aufklärungshilfe handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt (vgl. Schäfer/Sander/ van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1044). Sie ist zu bejahen , wenn die Tat ohne den Aufklärungsbeitrag nicht oder nicht im gegebenen Umfang aufgeklärt worden wäre, die Aussage des Täters jedenfalls aber eine sicherere Grundlage für die Aburteilung des Tatbeteiligten schafft, indem sie den Strafverfolgungsbehörden die erforderliche Überzeugung vermittelt, dass ihre bisherigen Erkenntnisse zutreffen (vgl. zu § 31 BtMG; BGH, Beschluss vom 22. August 1995 – 4 StR 422/95, BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 27 mwN; siehe auch MüKo-StGB/Maier, 2. Aufl., § 46b Rn. 61; BeckOKStGB /von Heintschel-Heinegg, 29. Edition, § 46b Rn. 14).
- 11
- Gemessen an diesem rechtlichen Maßstab war die vom Angeklagten G. geleistete Aufklärungshilfe nicht wesentlich. Denn für die Täterschaft des Mitangeklagten K. lagen bereits tragfähige Beweiserkenntnisse vor, deren Überzeugungskraft nicht von einer Bestätigung durch den Angeklagten G. abhing. Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet zunächst der mit dem Opfer seit Jahren bekannte Angeklagte K. in den Blick der Ermittlungsbehörden und wurde festgenommen, nachdem das auf Videoaufnahmen einer Überwachungskamera identifizierte Tatfahrzeug vor seiner Wohnung entdeckt worden war (UA S. 17). Er brüstete sich kurze Zeit später in der Untersuchungshaftanstalt gegenüber einem Mitgefangenen unter Offenbarung von Täterwissen, was dieser der Staatsanwaltschaft mitteilte (UA S. 18). Auch hatte der Angeklagte K. im Vorfeld der Tat versucht, zwei Zeugen für den Überfall als Mittäter anzuwerben (UA S. 8).
- 12
- Dass durch die Angaben des Angeklagten G. einzelne Verletzungshandlungen dem Angeklagten K. zugeordnet werden konnten, bedeutet im Vergleich dazu keinen wesentlichen Aufklärungsbeitrag mehr. Denn diese standen aufgrund objektiver Umstände ohnehin fest und waren dem Angeklagten K. nach den übrigen Beweiserkenntnissen jedenfalls im Wege mittäterschaftlicher Zurechnung (§ 25 Abs. 2 StGB) anzulasten. Darüber hinaus hatte der Angeklagte K. einer Zeugin eigenhändige Misshandlungen des Opfers eingestanden (UA S. 28 Mitte). Zudem ist durch Profilabdrücke seiner Stiefel erwiesen, dass er mindestens drei kraftvolle Fußtritte gegen das Opfer vollführt hat, nämlich die Tritte, die diesem den Oberschenkelknochen und den Oberarmschaft brachen, sowie ein Tritt gegen den Kopf (UA S. 26 f.).
- 13
- b) Es beschwert die Angeklagten nicht, dass das Landgericht das Mordmerkmal der Grausamkeit nicht in den Blick genommen und nicht erkennbar geprüft hat, ob sich aus der Tat eine besondere Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB) ergibt.
König Feilcke
(1) Wenn der Täter einer Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist,
- 1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder - 2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann,
(2) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen:
- 1.
die Art und den Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung, das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und die Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, sowie - 2.
das Verhältnis der in Nummer 1 genannten Umstände zur Schwere der Straftat und Schuld des Täters.
(3) Eine Milderung sowie das Absehen von Strafe nach Absatz 1 sind ausgeschlossen, wenn der Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 der Strafprozessordnung) gegen ihn beschlossen worden ist.