Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Mai 2002 - 5 StR 119/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten Z wegen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Den Mitangeklagten S hat es freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg. Aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist die Beweisantragsrüge unzulässig; die Aufklärungsrüge sowie die Sachrüge, soweit sie den Schuldspruch betrifft, insbesondere die sachlichrechtlichen Einwendungen gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung, sind unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Hingegen hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die Strafrahmenwahl des Tatrichters, der die Strafe dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Das Schwurgericht hat übersehen, daß nach den von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des Totschlages gemäß der ersten Alternative des § 213 StGB anzunehmen waren.
Noch vertretbar hat das Schwurgericht trotz des heftigen Streits zwischen dem Angeklagten und dem späteren Opfer G , dem Ehemann seiner verstorbenen Großmutter, keine vom Angeklagten unverschuldete schwere Beleidigung angenommen, wenngleich G den Streit durch seine nach den Urteilsfeststellungen unberechtigte Weigerung auf Herausgabe dem Angeklagten gehörender Gegenstände hervorgerufen hatte. Das Schwurgericht hat es indes unterlassen, darüber hinaus die folgende weitere Besonderheit des unmittelbaren Vortatgeschehens zu berücksichtigen: G , der im Verlaufe des Streits außer sich geraten war, ergriff plötzlich ein mit Blech beschlagenes Brett, um damit auf den Angeklagten loszugehen. Dieser rechtswidrige Angriff G s auf den Angeklagten wurde vom Mitangeklagten durch Nothilfe verhindert, indem er G mit einer Eisenstange einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte, infolgedessen dieser das Brett fallen ließ und zu Boden ging. In dieser Situation entriß der Angeklagte dem Nothelfer die Eisenstange; er erschlug damit das Opfer durch heftige, mit direktem Tötungsvorsatz geführte Schläge auf den Kopf und stieß schließlich dem Sterbenden ein Messer in die Brust. Der Angeklagte war hierbei zuletzt “kreidebleich, zitterte am ganzen Körper und sonderte Speichel ab” (UA S. 19).
Nach den rechtsfehlerfreien Erwägungen des Schwurgerichts im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der gefährlichen Körperverletzung des Mitangeklagten war der dem Totschlag vorangegangene rechtswidrige Angriff auf den Angeklagten angesichts der Feststellungen zu den körperlichen Kräften des auûer sich geratenen G und zur Massivität jenes Angriffs als Miûhandlung im Sinne der ersten Alternative des § 213 StGB zu werten. Möglicherweise hat das Schwurgericht, das insoweit keine näheren Erörterungen angestellt hat, nicht bedacht, daû es hierfür keines Körperverletzungserfolges bedarf (BGHR StGB § 213 Alt. 1 Miûhandlung 4 und 5). Aus den festgestellten Begleitumständen zur Geschehensabfolge ergibt sich ohne weiteres, daû zugunsten des Angeklagten anzunehmen war, daû er durch diese Miûhandlung als gravierende Steigerung des zuvor verbal geführten heftigen Streits, die gleichsam “das Faû zum Überlaufen brachte” (vgl. BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 5), zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde. Angesichts der Rechtswidrigkeit des Angriffs des Opfers auf den Angeklagten war, zumal vor dem Hintergrund der Streitentstehung, eine eigene Schuld des Angeklagten an der Provokation auszuschlieûen.
2. Demgemäû hätte bei der Strafzumessung der Strafrahmen aus § 213 StGB zugrundegelegt werden müssen. Dieser Strafrahmen wäre zudem angesichts einer dem Angeklagten unbedenklich zugebilligten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund krankhafter seelischer Störung – hervorgerufen durch seinen gestörten Hormonhaushalt bei mittelgradiger Alkoholisierung vor dem Hintergrund starker emotionaler Belastung (UA S. 48 f.) – gemäû §§ 21, 49 Abs. 1 StGB weiter zu mildern gewesen.
Auf die von der Revision vorgebrachten nicht unerheblichen Bedenken gegen die Verneinung einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit unter dem Gesichtspunkt des Affekts kommt es bei dieser Sachlage letztlich nicht an. Schuldunfähigkeit scheidet, wie die Revision nicht verkennt , aus. Ein Affekt liegt bei einem minder schweren Fall des Totschlags nach der ersten Alternative des § 213 StGB regelmäûig vor; er ist daneben, selbst wenn er den Grad einer tiefgreifenden Bewuûtseinsstörung erreichte, kaum weiter besonders strafzumessungsrelevant. So läge bei nur affektbe- dingter erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit ± anders als bei der hier angenommenen krankhaften seelischen Störung ± sogar eine nochmalige Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eher fern (vgl. BGH NStZ 1986, 71; BGHR StGB § 213 Alt. 2 Gesamtwürdigung 2). 3. Danach erübrigt sich eine Aufhebung von Feststellungen nach § 353 Abs. 2 StPO. Der neue Tatrichter wird allein auf der Grundlage sämtlicher bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ± die allenfalls durch weitergehende widerspruchsfreie Feststellungen ergänzt werden dürfen ± aus dem gemäû § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 213 StGB eine neue mildere Strafe zu verhängen haben.
Diese wird gleichwohl im Blick auf das gravierende Tatbild eher dem oberen als dem unteren Bereich dieses Strafrahmens zu entnehmen sein. Allerdings bestünden gegen eine erneute Anlastung früherer Aussagen des Angeklagten zum Nachteil des rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten angesichts des weiteren Aussageverhaltens des Angeklagten und der sonstigen den Mitangeklagten betreffenden Sach- und Beweislage durchgreifende Bedenken.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.