Bundesgerichtshof Beschluss, 09. März 2010 - 4 StR 640/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge für schuldig befunden und deshalb gegen ihn eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.
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- 1. Nach den Feststellungen überließ der Angeklagte den anderweitig Verfolgten W. A. und S. Sch. einen ihm gehörenden Pkw VW Golf in Kenntnis davon, dass diese das Fahrzeug zum Transport von zum Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland verwenden würden. Am 7. August 2008 führten A. und Sch. 3.657 g Heroingemisch (Wirkstoffmenge: 2.150 g) und 138 g Kokaingemisch (Wirkstoffmenge: 110 g) nebst ca. 4,5 kg Streckmittel, die jeweils in Hohlräumen des vom Angeklagten zur Verfügung gestellten VW Golf versteckt waren, von den Niederlanden nach Deutschland ein. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten - für sich gesehen rechtsfehlerfrei - als Beihilfehandlung gewertet. Zur Haupttat hat es im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausgeführt: „Die für eine Beihilfehandlung erforderliche Haupttat liegt in der von den Zeugen A. und Sch. begangenen Tat, festgestellt durch das rechtskräftige Urteil 29 KLs 34 Js 468/08 AK 76/08, welches im Schuldspruch Bindungswirkung entfaltet“. A. und Sch. waren in diesem Urteil auf Grund des Tatgeschehens vom 7. August 2008 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge (A. ) bzw. wegen Beihilfe hierzu (Sch. ) verurteilt worden.
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- 2. Die Annahme einer Bindungswirkung des früheren Urteils hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Feststellungen rechtskräftiger Urteile zu früheren Tatgeschehen einschließlich der Beweistatsachen, die in einem späteren Verfahren von Bedeutung sein können, binden den neu entscheidenden Tatrichter nicht (BGHSt 43, 106, 107 f.; Senat, Beschl. vom 17. Juni 2008 - 4 StR 77/08, NStZ 2008, 685; Meyer-Goßner 52. Aufl. Einl. Rdn. 170 m.w.N.). Das Landgericht hätte sich daher in Bezug auf das Tatgeschehen vom 7. August 2008 – ohne Bindung an das frühere Urteil – eine eigene Überzeugung verschaffen müssen. Feststellungen aus früheren rechtskräftigen Strafurteilen können zwar gegebenenfalls im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die neue Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden; der neue Tatrichter darf sie jedoch nicht ungeprüft übernehmen (BGH aaO).
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- 3. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils. Die neu erkennende Strafkammer wird auch zu prüfen haben, ob mit der durch Urteil des Amtsgerichts Meschede vom 31. März 2009 gegen den Angeklagten verhängten Geldstrafe nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden ist (§ 55 StGB). Dies wäre der Fall, wenn – wozu sich das Urteil nicht verhält – diese Strafe zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils noch nicht erledigt war. Die zur Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen werden zudem Anlass geben, die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) einer Prüfung zu unterziehen.
Ernemann Franke
Annotations
(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.
(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.