Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2017 - 4 StR 575/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:200617B4STR575.16.0
20.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 575/16
vom
20. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
ECLI:DE:BGH:2017:200617B4STR575.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 28. Juli 2016 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
3
Soweit der Angeklagte geltend macht, das Landgericht habe sich bei der Ablehnung seines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Unrecht auf eigene Sachkunde berufen und dadurch gegen § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen, vermag er keinen Rechtsfehler aufzuzeigen. Der Antrag wurde zum Beweis der Tatsache gestellt, dass in der tatrelevanten Zeit vom Mobiltelefon des Angeklagten aktiv telefoniert und aktiv Internetverkehr betrieben worden sei. Das Landgericht hat sich die Überzeugung davon, dass im Tatzeitraum vom Mobiltelefon des Angeklagten weder eine WhatsApp-Nachricht versandt, noch ein herausgehender Anrufversuch unternommen wurde, anhand des in die Hauptverhandlung eingeführten schriftlichen Berichts über die Auswertung des Mobiltelefons des Angeklagten (sog. Extraction-Report) verschafft. Dass die darin enthaltenen Einträge ohne besondere Sachkunde verstanden werden konnten, stellt auch die Revision nicht in Frage. Bei dieser Sachlage wäre die Vernehmung eines Sachverständigen unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht (vgl. Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 322 und 68 ff.) nur dann veranlasst gewesen, wenn sie bei verständiger Würdigung möglicherweise zur Aufdeckung weiteren bisher unbekannten Tatsachenstoffs geführt hätte, durch den der Schuldvorwurf widerlegt, in Frage gestellt oder als begründet hätte erwiesen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1993 – 3 StR 446/93, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Umfang 1 [insoweit in BGHSt 40, 3 nicht abgedruckt]). Hieran fehlt es. Dafür, dass bei der Erstellung des „Extraction-Report“ im Mobiltelefon des Angeklagten gespeicherte Daten nicht erfasst worden sein könnten, gibt es keinen Anhaltspunkt. Das Vorbringen der Revision hierzu erschöpft sich darin, die Verlässlichkeit des „Extraction-Report“ pauschal in Frage zu stellen.
4
2. Der Strafausspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand, soweit das Landgericht dem zum Tatzeitpunkt im Polizeidienst tätigen Angeklagten angelastet hat, „durch die Tat“ dem Ruf der Polizei geschadet zu haben.
5
a) Diese Erwägung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil der Eintritt eines derartigen Rufschadens nicht ausreichend belegt ist.
6
Strafzumessungserhebliche Tatsachen sind in der gleichen Weise bestimmt festzustellen und zu belegen wie die Tatsachen, die für die Schuldfrage von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 – 3 StR 251/09, NStZ-RR 2009, 306; Beschluss vom 29. April 1987 – 2 StR 500/86, NStZ 1987, 405; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1274). Dem werden die schriftlichen Urteilsgründe nicht gerecht. Soweit die Strafkammer darauf abhebt, dass das „öffentlich wahrgenommene Berufsbild der Polizei“ zu einem wesentlichen Teil darauf beruhe, dass sich Po- lizeibeamte gesetzestreu verhalten, wird eine tatsächlich eingetretene Rufschädigung nicht aufgezeigt. Angesichts der Tatsache, dass sich der Angeklagte noch in der Probezeit befand, die verfahrensgegenständliche Tat außerhalb des Dienstes aus privaten Gründen beging und zum 30. September 2015 aus dem Polizeidienst entlassen wurde, hätte es dazu näherer Darlegungen bedurft.
7
b) Die straferschwerende Heranziehung einer (möglichen) Rufschädigung der Polizei begegnet aber auch mit Blick auf § 46 Abs. 2 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
aa) Mit dieser Erwägung knüpft die Strafkammer ersichtlich an die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB aufgeführten verschuldeten Auswirkungen der Tat an. Zwar können als strafzumessungserheblich grundsätzlich auch solche für den Täter voraussehbare Tatfolgen Berücksichtigung finden, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem strafbaren Verhalten stehen und außerhalb des eigentlichen Tatbereichs liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 – 3 StR 190/02, NStZ 2002, 645; Beschluss vom 16. März 1993 – 4 StR 602/92, NStZ 1993, 337, mwN; siehe dazu auch BGH, Beschluss vom 29. August 2006 – 1 StR 285/06, NStZ-RR 2006, 372). Da aber die Schwere der Tat und der Grad der persönlichen Schuld des Täters die Grundlage der Strafzumessung bilden (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1952 – 2 StR 675/51, BGHSt 3, 179; Urteil vom 4. August 1965 – 2 StR 282/65, BGHSt 20, 264, 266), muss in diesen Fällen als weitere Voraussetzung hinzutreten, dass diese Auswirkungen geeignet sind, das Tatbild zu prägen und die Bewertung der Schuldschwere zu beeinflussen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 1993 – 4 StR 602/92, NStZ 1993, 337 mwN). Der Senat kann offen lassen, ob es sich zudem auch um Folgen handeln muss, die in den Schutzbereich der strafrechtlichen Norm fallen, deren Verletzung dem Täter vorgeworfen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 1993 – 4 StR 602/92, NStZ 1993, 337 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 46 Rn. 34; Eschelbach in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 46 Rn. 105; Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 46 Rn. 26a; hinsichtlich des Schutzzweckzusammenhangs anders [nicht tragend] BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 – 3 StR 190/02, NStZ 2002, 645 [Voraussehbarkeit reicht aus] m. abl. Anm. Meier, StV 2003, 443; kritisch dazu auch Theune in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 156).
9
Eine derartige Prägung der Tat durch die Zugehörigkeit des Angeklagten zur Polizei ist hier nicht dargetan. Die dem Angeklagten zugeschriebenen negativen Folgen für den Ruf der Polizei berühren weder das Gewicht seiner Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung, noch lassen sie Rückschlüsse auf den Grad seiner persönlichen Schuld zu.
10
bb) Schließlich lässt diese Wendung auch besorgen, die Strafkammer habe den Umstand, dass der Angeklagte zur Tatzeit Polizeibeamter war, straferschwerend berücksichtigt. Dies wäre ebenfalls rechtsfehlerhaft. Unter dem Gesichtspunkt des Maßes der Pflichtwidrigkeit (§ 46 Abs. 2 StGB) kann die berufliche Stellung eines Angeklagten nur dann strafschärfend herangezogen werden, wenn sich aus ihr besondere Pflichten ergeben, deren Verletzung gerade im Hinblick auf die abzuurteilende Tat Bedeutung hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 1999 – 1 StR 668/98; NJW 2000, 154, 157; Beschluss vom 29. April 1987 – 2 StR 500/86, NStZ 1987, 405, 406; siehe auch BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2016 – 2 StR 386/16, NJW 2017, 1491; Beschluss vom 6. Februar 2002 – 2 StR 489/01, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 19; Urteil vom 28. Januar 1998 – 3 StR 575/96, NJW 1998, 1234, 1237 [insoweit in BGHSt 44, 4 nicht abgedruckt]). Dies ist hier aber ersichtlich nicht der Fall.
11
Der Senat vermag nicht gänzlich auszuschließen, dass das Landgericht ohne die beanstandete Erwägung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 251/09
vom
2. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 2. Juli
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 11. Dezember 2008 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen kam es von Mitte des Jahres 2001 bis Ende des Jahres 2005 an nicht näher bestimmbaren Tagen zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf den am 28. April 1995 geborene F. , von denen fünf individualisierbar waren; diese sind Gegenstand der Verurteilung. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung sowohl bei den Einzelstrafen als auch bei der Gesamtstrafe zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass der Junge zu Beginn der Übergriffe gerade eingeschult und damit noch sehr jung gewesen sei. Die Übergriffe hätten sich, was ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, über einen sehr langen Zeitraum hingezogen.
3
Diese strafschärfenden Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, denn sie sind durch die getroffenen Feststellungen nicht belegt. Das Landgericht vermochte die innerhalb des angegebenen Zeitraums von immerhin viereinhalb Jahren bestimmbaren und abgeurteilten Straftaten zeitlich nicht näher einzugrenzen. Es durfte deshalb bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten weder davon ausgehen, dass diese Übergriffe bereits kurz nach Beginn der Schulzeit des F. begonnen hatten, noch dass sie sich über einen langen Zeitraum erstreckten. Die Begründung des Landgerichts wird auch nicht durch die pauschale Feststellung weiterer, nicht angeklagter sexueller Übergriffe des Angeklagten auf den Jungen getragen. Zwar ist es grundsätzlich zulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte noch sonstige - bisher nicht abgeurteilte - Straftaten begangen hat; dies gilt allerdings nur, wenn diese Taten prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (vgl. BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 2; BGH NStZ-RR 2004, 359 Nr. 37). Diesen Anforderungen genügen die nur rudimentären Angaben der Strafkammer nicht; ihnen lässt sich ins- besondere eine die Erwägungen zur Strafzumessung stützende zeitliche Einordnung der weiteren Übergriffe nicht entnehmen.
4
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch insgesamt auf den rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben. Der Senat weist für die Bildung der neuen Gesamtstrafe darauf hin, dass der Seriencharakter von Taten im Allgemeinen einen eher engeren Zusammenzug der Einzelstrafen nahe legt; wird die Einsatzstrafe dennoch deutlich erhöht, so bedürfen die dafür maßgeblichen Gründe näherer Darlegung.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Mayer

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 190/02
vom
4. Juli 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Juli 2002 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2001 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: 1. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten gewertet, daß drei Frauen durch die Taten des Angeklagten "in ihrem psychischen Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt" worden sind. Der Verurteilung u. a. wegen Diebstahls, Unterschlagung und wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 18 Fällen liegt zugrunde, daß der Angeklagte sich jeweils zuerst das Vertrauen und die Zuneigung dieser Frauen erschlich, ihnen teilweise eine dauerhafte Bindung, gar eine Eheschließung versprach, was in einem Fall sogar dazu führte, daß die Geschädigte die eigene Berufstätigkeit aufkündigte; sodann brachte er Scheckformulare der Frauen an sich, verfälschte sie und nutzte sie zur Bezahlung von Waren oder zur Auszahlung von Geld an sich selbst. In einem Fall täuschte er der Geschädigten , nachdem diese den Verlust der Schecks und die Belastung ihres Kontos bemerkt hatte, erfolgreich vor, er werde sich mit anwaltlicher Hilfe um die Aufklärung des Sachverhalts und Rückgewinnung des Geldes bemühen. Bei dieser Sachlage muûte der Angeklagte mit den festgestellten psychischen Beeinträchtigungen der Opfer (Enttäuschung, Verzweiflung, Sorge um die Auswirkungen der Taten auf das Vermögen) rechnen. Sie können als verschuldete , weil voraussehbare Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 1 bis 3; BGH NStZ 1986, 85).
Es kommt nicht darauf an, ob die Folgen in den Schutzbereich der strafrechtlichen Normen fallen, deren Verletzung dem Angeklagten vorgeworfen wird (vgl. Schäfer, Die Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 321 ff. unter Hinweis auf die die Entscheidung nicht tragenden Erwägungen in BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 6). Der Senat hätte Bedenken gegen eine solche, die Strafzumessung einengende Auslegung des § 46 Abs. 2 StGB. Er hält für Tatfolgen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem strafbaren Verhalten stehen und auûerhalb des eigentlichen Tatbereichs liegen, das Abgrenzungskriterium der Voraussehbarkeit der Tatfolge weiterhin für ausreichend.
2. Die Abfassung des Urteils gibt dem Senat Anlaû zu der Bemerkung, daû die Verständlichkeit der Urteilsgründe dadurch gefördert würde, wenn die rechtliche Würdigung der verschiedenen (hier insgesamt sechs) Tatkomplexe in derselben Reihenfolge erfolgt, in der sie zuvor festgestellt wurden, und dabei ebenfalls Ordnungszahlen verwendet werden.
Winkler Miebach Pfister von Lienen Becker

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BESCHLUSS
1 StR 285/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Strafvereitelung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung
der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts München II vom 19. Dezember 2005 Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 13. April
und 2. Mai 2006, mit denen die Revision des Angeklagten gegen
das vorbezeichnete Urteil als unzulässig verworfen worden
ist, werden aufgehoben.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil
wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
G r ü n d e :
I .
1 Hinsichtlich der Wiedereinsetzung und der Aufhebung der Verwerfungsbeschlüsse
verweist der Senat auf die Ausführungen der Generalbundesanwältin
in ihrem Antrag vom 12. Juni 2006.
II.
2 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Strafvereitelung zur Freiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf eine Verfahrensrüge
und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet
im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere auch die von der
Kammer vorgenommene Strafzumessung ist frei von Rechtsfehlern.
3 1. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Mitangeklagte F. in der
Nacht vom 28. auf den 29. Juni 2004 H. mit mehreren Hammerschlägen
auf den Kopf getötet und dessen Geldbörse an sich genommen. Der
Angeklagte sowie die Mitangeklagten B. und M. kamen noch in der
Tatnacht überein, zu Gunsten des F. einen alkoholbedingten Treppensturz
vorzutäuschen. Als dem Angeklagten Bedenken kamen, drohte M.
ihm, wenn er „etwas“ sage, werde er „einen Kopf kürzer“ gemacht. In der
Folgezeit berichteten der Angeklagte und B. gegenüber der Polizei dementsprechend
von einem Treppensturz, während M. wahrheitswidrig angab
, nichts mitbekommen zu haben. Das Tötungsdelikt blieb deshalb zunächst
unentdeckt. In der Nacht vom 30. auf den 31. August 2004 töteten die Mitangeklagten
F. und Br. sodann gemeinschaftlich E. , indem sie
ihm die Kehle durchschnitten; anschließend nahmen sie auch dessen Geldbörse
an sich.
4 Die Kammer hat bei der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt,
dass es zu einem zweiten Raubmord kam. Denn das weitere Tötungsdelikt hat
sie auch als Folge der Strafvereitelungstaten - kollusiv begangen durch Vortäuschen
eines Unfalls - gewertet. Das Urteil führt hierzu aus (bezüglich M.
): Wäre „der Mord an H. nicht vertuscht worden, wäre E. mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch am Leben“; und (bezüglich
des Angeklagten und Batov): „Der durch die Strafvereitelung verursachte ‚Schaden
’, dass es zu einem zweiten Mord unter Beteiligung desselben Täters gekommen
war, konnte durch das spätere Abrücken von der Darstellung als Unfall
nicht wieder gut gemacht werden“ (UA S. 67).
5 2. Gegen die Wertung der Kammer bestehen keine Bedenken. Nach
§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB können verschuldete Auswirkungen der Tat bei der
Strafzumessung berücksichtigt werden. Insoweit kommt es darauf an, ob die
Tatfolgen voraussehbar waren (vgl. BGH NStZ 2005, 156, 157; Tröndle/Fischer,
StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 34). Nicht erforderlich ist, dass der Angeklagte sie in
allen Einzelheiten voraussehen konnte; es genügt, dass sie in ihrer Art und ihrem
Gewicht im Wesentlichen erkennbar waren (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2
Tatauswirkungen 3, 4; BGH, Beschluss vom 6. Mai 1998 - 2 StR 638/97 - Umdr.
S. 4).
6 Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass für den Angeklagten die
Gefahr einer weiteren schweren Gewalttat nicht außerhalb des Vorhersehbaren
lag. Schon das Tatbild des ersten Mordes an H. ließ es hier ohne weiteres
für möglich erscheinen, dass sich eine solche oder ähnliche Tat wiederholen
könnte. F. hatte H. in Anwesenheit von Br. getötet, ohne
dass es, wie der Angeklagte selbst wahrgenommen hatte, zuvor zu einem Streit
oder einer ernsthaften Auseinandersetzung gekommen war (UA S. 29 f.). Der
Angeklagte konnte ersichtlich nicht davon ausgehen, dass die Ursache für die
Tat - etwa im Sinne einer Beziehungstat - gerade in der Person des H.
begründet war. Vielmehr war ihm bewusst, dass F. ein finanzielles Motiv
hatte. Vor dem Hintergrund, dass F. und Br. am Monatsende üblicherweise
in Geldnot waren (UA S. 48), antwortete der Angeklagte bei einer polizeilichen
Vernehmung auf die Frage, was er über die Todesfälle denke: „Die
haben damals mitgekriegt, dass der (H. ) eine Riesennachzah-
lung bekommen hat und dann war´s Ende des Monats“ (UA S. 33). Darüber
hinaus ist den Urteilsfeststellungen zu entnehmen, dass der Angeklagte F.
und Br. auch tatsächlich für gefährlich hielt. Dies folgt aus den Angaben
des Angeklagten zu den Gründen, weswegen er F. anfänglich entlastet
habe. Nach den Urteilsfeststellungen äußerte er sich im Ermittlungsverfahren
und in der Hauptverhandlung insbesondere wie folgt: Er sei doch nicht „lebensmüde“
; er habe keine Lust, ein Messer in den Rücken zu bekommen; „die
Russen“ würden zusammen halten (UA S. 24). Daher ergab sich die Möglichkeit
einer weiteren schweren Gewalttat für den Angeklagten zum einen aus der
Gefährlichkeit des F. , zum anderen daraus, dass Anlässe für weitere Taten
abzusehen waren; denn der Beweggrund für die erste Tat, die Geldnot,
pflegte am Monatsende regelmäßig wiederzukehren.
7 Das Prinzip der Selbstverantwortung schließt die Würdigung der Tatfolge
hier nicht aus (in vergleichbarem Sinne mit Blick auf die Schutzrichtung der verletzten
Strafvorschrift G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 325
m.w.N.), sodass es darauf, dass der zweite Raubmord auf einem autonomen
Willensentschluss von F. und Br. beruhte, für die Strafzumessung
nicht ankommt.
Wahl Boetticher Kolz
Hebenstreit Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 190/02
vom
4. Juli 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Juli 2002 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2001 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: 1. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten gewertet, daß drei Frauen durch die Taten des Angeklagten "in ihrem psychischen Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt" worden sind. Der Verurteilung u. a. wegen Diebstahls, Unterschlagung und wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 18 Fällen liegt zugrunde, daß der Angeklagte sich jeweils zuerst das Vertrauen und die Zuneigung dieser Frauen erschlich, ihnen teilweise eine dauerhafte Bindung, gar eine Eheschließung versprach, was in einem Fall sogar dazu führte, daß die Geschädigte die eigene Berufstätigkeit aufkündigte; sodann brachte er Scheckformulare der Frauen an sich, verfälschte sie und nutzte sie zur Bezahlung von Waren oder zur Auszahlung von Geld an sich selbst. In einem Fall täuschte er der Geschädigten , nachdem diese den Verlust der Schecks und die Belastung ihres Kontos bemerkt hatte, erfolgreich vor, er werde sich mit anwaltlicher Hilfe um die Aufklärung des Sachverhalts und Rückgewinnung des Geldes bemühen. Bei dieser Sachlage muûte der Angeklagte mit den festgestellten psychischen Beeinträchtigungen der Opfer (Enttäuschung, Verzweiflung, Sorge um die Auswirkungen der Taten auf das Vermögen) rechnen. Sie können als verschuldete , weil voraussehbare Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 1 bis 3; BGH NStZ 1986, 85).
Es kommt nicht darauf an, ob die Folgen in den Schutzbereich der strafrechtlichen Normen fallen, deren Verletzung dem Angeklagten vorgeworfen wird (vgl. Schäfer, Die Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 321 ff. unter Hinweis auf die die Entscheidung nicht tragenden Erwägungen in BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 6). Der Senat hätte Bedenken gegen eine solche, die Strafzumessung einengende Auslegung des § 46 Abs. 2 StGB. Er hält für Tatfolgen, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem strafbaren Verhalten stehen und auûerhalb des eigentlichen Tatbereichs liegen, das Abgrenzungskriterium der Voraussehbarkeit der Tatfolge weiterhin für ausreichend.
2. Die Abfassung des Urteils gibt dem Senat Anlaû zu der Bemerkung, daû die Verständlichkeit der Urteilsgründe dadurch gefördert würde, wenn die rechtliche Würdigung der verschiedenen (hier insgesamt sechs) Tatkomplexe in derselben Reihenfolge erfolgt, in der sie zuvor festgestellt wurden, und dabei ebenfalls Ordnungszahlen verwendet werden.
Winkler Miebach Pfister von Lienen Becker

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 386/16
vom
25. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Die strafschärfende Erwägung, ein wegen Landfriedensbruch und gefährlicher
Körperverletzung verurteilter Asylbewerber habe durch seine Tat das Ansehen
der in Deutschland lebenden Asylbewerber stark geschädigt und einer positiven
Einstellung der Bevölkerung gegenüber anwesenden Asylsuchenden und anderen
Ausländern entgegengewirkt, ist rechtsfehlerhaft.
BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2016 - 2 StR 386/16 - LG Meiningen
wegen Landfriedensbruch
ECLI:DE:BGH:2016:251016B2STR386.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO, § 357 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 7. April 2016, auch soweit es die Angeklagten A. und B. betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.
2
1. Das Landgericht hat zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er "das Ansehen der Asylbewerber in Deutschland stark beschädigt und damit einer positiven Einstellung der Bevölkerung gegenüber anwesenden Asylsuchenden und anderen Ausländern entgegengewirkt" habe. Diese moralisieren- de Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie macht den Angeklagten zu Unrecht verantwortlich für die Vorurteile Dritter und lässt zudem besorgen, die Strafkammer habe den Umstand, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Asylsuchenden handelt, straferschwerend berücksichtigt; das wäre nicht statthaft (vgl. BGH StV 1991, 105). Die Stellung als Asylbewerber als solche kann eine Erhöhung der Strafe grundsätzlich nicht begründen; denn aus ihr ergibt sich keine gesteigerte Pflicht, keine Gewalttaten zu begehen (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 13; BGH, Beschluss vom 7. Juli 1998 - 5 StR 297/98). Etwas anderes gilt zwar dann, wenn die Tat durch die Ausländereigenschaft des Täters oder seine Stellung als Asylbewerber in einer für die Schuldgewichtung erheblichen Weise geprägt wird (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 13). Auch wenn es sich bei der Tat um eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Asylsuchenden in einer Flüchtlingsunterkunft handelte, liegt die Annahme eines solchen Ausnahmefalls nicht auf der Hand.
3
2. In gleicher Weise wie bei dem Angeklagten hat das Landgericht auch bei den nicht revidierenden Mitangeklagten A. und B. berücksichtigt , dass sie das Ansehen der Asylbewerber in Deutschland beschädigt haben, bei dem Angeklagten B. zudem, dass er mit seiner Tat einer positiven Einstellung der Bevölkerung gegenüber anwesenden Asylsuchenden und Ausländern entgegenwirkte. Aus diesem Grund war die Aufhebung auf diese Mitangeklagten zu erstrecken (§ 357 StPO). Fischer Krehl Ott Zeng Bartel

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.