Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Juli 2014 - 4 StR 498/13

bei uns veröffentlicht am02.07.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR498/13
vom
2. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juli 2014 beschlossen:
Der Antrag des Verurteilten auf Nachholung rechtlichen Gehörs gegen den Beschluss des Senats vom 27. Februar 2014 wird zurückgewiesen. Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsbehelfs zu tragen. Von der Erhebung einer Gerichtsgebühr wird abgesehen (§ 21 GKG).

Gründe:


I.


1
Mit Beschluss vom 27. Februar 2014 hat der Senat das Verfahren auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 31. Mai 2013 gemäß § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich der Verurteilung wegen Betruges im Fall B III. 6 eingestellt und die Urteilsformel entsprechend neu gefasst. Ferner hat er das vorbezeichnete Urteil unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zurückverwiesen , soweit festgestellt worden ist, dass Ansprüche Verletzter einer Verfallserklärung entgegenstehen und der Wert des durch den Angeklagten Erlangten auf 873.068,45 € festgesetzt worden ist.

II.


2
Der nochmaligen Entscheidung des Senats liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:
3
1. Dem Verteidiger des Angeklagten war der Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 3 StPO am 9. Dezember 2013 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2013, beim Bundesgerichtshof eingegangen am selben Tage, hatte der Verteidiger in Erwiderung auf diesen Antrag die zuvor nur allgemein erhobene Sachrüge näher begründet. Bei seiner Beschlussfassung über das Rechtsmittel des Angeklagten am 27. Februar 2014 hat dem Senat dieser Schriftsatz aus nicht mehr aufklärbaren Gründen nicht vorgelegen.
4
2. Gleichwohl ist der zulässige, insbesondere rechtzeitig gestellte Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs (§ 356a StPO) im Ergebnis unbegründet.
5
a) Zwar hat der Senat den Anspruch des Verurteilten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) objektiv verletzt. Er hat den Schriftsatz des Verteidigers vom 11. Dezember 2013 mit dem Vortrag zur Sachrüge nicht zur Kenntnis genommen. Dies verhilft der Anhörungsrüge jedoch nicht zum Erfolg ; denn die unterbliebene Kenntnisnahme hat sich auf das Ergebnis der Revisionsentscheidung nicht ausgewirkt, so dass der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör nicht „in entscheidungserheblicher Weise“ verletzt worden ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 3 StR 105/10, StraFo 2011, 55; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 356a Rn. 3).
6
b) Hätte der Senat den genannten Schriftsatz vor seiner Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten zur Kenntnis genommen, wäre diesem gleichwohl der Erfolg versagt geblieben.
7
Auf Grund der erhobenen Sachrüge hatte der Senat die Gründe des angefochtenen Urteils ohnehin umfassend auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten zu überprüfen. Auch die Beanstandungen in dem Schriftsatz des Verteidigers zeigen einen solchen durchgreifenden, den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht auf. Die Auffassung des Verteidigers, Anknüpfungspunkt für den Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil des Polizeibeamten S. sei der Aufprall des Dienstfahrzeugs des Geschädigten S. auf den Pkw des Angeklagten gewesen, ist mit den Urteilsgründen nicht vereinbar. Danach hat das Landgericht im Zusammenhang mit diesem (ersten) Geschehensabschnitt ein fahrlässiges oder gar vorsätzliches Verhalten des Angeklagten in Bezug auf eine Verkehrsstraftat oder eine Körperverletzung gerade nicht als erwiesen angesehen (UA 58). Den strafrechtlichen Vorwurf leitet die Strafkammer vielmehr aus dem anschließenden, durch das versehentliche Einlegen des Rückwärtsganges durch den Angeklagten hervorgerufenen (zweiten) Kollisionsgeschehen her, bei dem das Fahrzeug des Geschädigten S. mit diesem am Steuer durch einen vom Angeklagten verursachten Aufprall ruckartig weggeschoben wurde (UA 45). Die mit der Anhörungsrüge in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen waren Gegenstand der Senatsberatung am 27. Februar 2014.
8
Dass der Angeklagte nach den Feststellungen in Panik handelte und sich dem polizeilichen Zugriff entziehen wollte, stellt die für den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erforderliche subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts hier nicht in Frage. Sein Erregungszustand erfüllt auch keines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale (vgl. BGH, Urteile vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374 und vom 30. August 2000 – 2 StR 204/00, Rn. 31, insoweit in NStZ 2001, 29 nicht abgedruckt).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

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(1) Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, werden nicht erhoben. Das Gleiche gilt für Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind. Für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.

(2) Die Entscheidung trifft das Gericht. Solange nicht das Gericht entschieden hat, können Anordnungen nach Absatz 1 im Verwaltungsweg erlassen werden. Eine im Verwaltungsweg getroffene Anordnung kann nur im Verwaltungsweg geändert werden.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 105/10
vom
4. August 2010
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. August 2010 beschlossen:
Der Antrag des Verurteilten auf Nachholung rechtlichen Gehörs gegen den Beschluss des Senats vom 11. Mai 2010 wird zurückgewiesen. Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsbehelfs zu tragen. Von der Erhebung der Gerichtsgebühr wird abgesehen (§ 21 GKG).

Gründe:

1
1. Mit Beschluss vom 11. Mai 2010 hat der Senat die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 17. Dezember 2009 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Dabei hat ihm der Schriftsatz des vor dem Landgericht aufgetretenen Verteidigers, Rechtsanwalt P. , vom 18. Dezember 2009, mit dem dieser die Revision eingelegt und mit der allgemeinen Sachrüge begründet hatte, ebenso vorgelegen wie der Schriftsatz von Rechtsanwalt Dr. en jur. (BOL) K. vom 29. März 2010, mit dem dieser die Revision "weiter" begründet und einzelne sachlichrechtliche Beanstandungen erhoben hatte. Der Schriftsatz vom 23. März 2010, mit dem sich Rechtsanwalt Dr. en jur. (BOL) K. beim Landgericht gemeldet und ebenfalls mit Einzelausführungen die Verletzung sachlichen Rechts gerügt hatte, war hingegen nicht zum Senat gelangt, da das Landgericht eine Weiterleitung zu den wegen der Revision versandten Akten erst zwei Monate verspätet veranlasst hatte. Er ist erst nach Erlass der Revisionsentscheidung beim Bundesgerichtshof eingegangen.
2
Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2010 hat der Verurteilte durch seinen neuen Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und eine Gegenvorstellung gegen die Revisionsentscheidung erhoben.
3
2. Die beantragte Wiedereinsetzung ist schon deshalb ausgeschlossen, weil das Verfahren durch die Sachentscheidung des Revisionsgerichts nach § 349 Abs. 2 StPO rechtskräftig abgeschlossen ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 44 Rn. 1, § 349 Rn. 25 mwN). Der Wiedereinsetzungsantrag ist indes als Antrag auf nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 356a StPO) auszulegen. Denn der Verurteilte rügt, der Senat habe bei seiner Entscheidung seinen Revisionsvortrag nicht zur Kenntnis genommen.
4
Der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs ist zulässig. Der Verteidiger des Verurteilten hat ihn binnen einer Woche ab Zugang der Mitteilung des Senats gestellt, dass sein Schriftsatz erst nach der Verwerfung der Revision hier eingegangen sei (§ 356a Satz 2 und 3 StPO).
5
3. Der Antrag ist im Ergebnis unbegründet:
6
Zwar hat der Senat den Anspruch des Verurteilten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) objektiv verletzt. Er hat den Schriftsatz vom 23. März 2010 mit dem Vortrag zur Sachrüge nicht zur Kenntnis genommen, weil sich dieser nicht bei den ihm vorliegenden Akten befand. Dies verhilft der Anhörungsrüge jedoch nicht zum Erfolg; denn die unterbliebene Kenntnisnahme hat sich auf das Ergebnis der Revisionsentscheidung nicht ausgewirkt, so dass der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör hierdurch nicht "in entscheidungserheblicher Weise" verletzt worden ist (vgl. Meyer-Goßner, aaO § 356a Rn. 3).
7
Hätte der Senat den Schriftsatz vom 23. März 2010 vor seiner Entscheidung über die Revision zur Kenntnis genommen, wäre dem Rechtsmittel gleichwohl der Erfolg versagt geblieben. Die Beanstandungen zeigen, soweit sie nicht im Schriftsatz vom 29. März 2010 wiederholt und daher schon vor der Senatsentscheidung erörtert worden sind, keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Verurteilten auf: Dass der Verurteilte den Teleskopschlagstock nicht selbst geführt hat, hat ihm das Landgericht bei der Strafzumessung ausdrücklich zugute gehalten (UA S. 24). Die vermisste Untersuchung, ob es sich dabei um eine Waffe oder einen frei käuflichen Gegenstand gehandelt hat, war schon deshalb nicht geboten, weil der Teleskopschlagstock dem strafrechtlichen Waffenbegriff unterfällt (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 250 Rn. 4a mwN). Der Senat hätte daher über die Revision des Verurteilten im Ergebnis nicht anders entschieden als geschehen.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 204/00
vom
30. August 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. August
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Niemöller,
Detter,
Rothfuß,
Hebenstreit
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 10. Juni 1999 mit den Feststellungen - ausgenommen denjenigen zum äußeren Tathergang - aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.

1. Das Landgericht hat beide Angeklagten des versuchten Totschlags schuldig gesprochen; die Angeklagte S. hat es zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten W. zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts; sie erstrebt die Verurteilung beider Angeklagten wegen vollendeten Mordes. Das Rechtsmittel hat überwiegend Erfolg.
2. Das Landgericht hat im wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt : Die beiden Angeklagten, die damals 17-jährige R. S. und ihr seinerzeit 20 Jahre alter Freund Sa. W. , lebten zusammen in einem kleinen Haus, das ihnen R. s Pflegemutter zur Verfügung gestellt hatte; sie selbst bewohnte mit weiteren Pflegekindern, darunter der 15-jährigen J. K. , ein größeres Haus in der Nähe. Zwischen der Angeklagten und J. traten im Laufe der Zeit Spannungen auf. Die Angeklagte nahm es J. insbesondere übel, daß diese der Pflegemutter R. s Schwangerschaft offenbart und sie einmal zu Unrecht verdächtigt hatte, der Pflegemutter 20,00 DM gestohlen zu haben; sie sann daher auf eine Gelegenheit, J. eine "gründliche Abreibung" zu verpassen. Diese Gelegenheit bot sich, als die Pflegemutter ein Sängerfest im Dorf besuchte und J. in deren Haus allein war. Die Angeklagte ging am Abend zu ihr, traf sie an und begann einen Streit. Die beiden Frauen rauften sich in den Haaren. Die Angeklagte schlug dabei J. zu Boden und brachte ihr mit einem Klappmesser insgesamt 16 Stichverletzungen bei. Anfangs stach sie ihr in den Bauch und in den Rücken. Mit weiteren Stichen fügte sie ihr Verletzungen an den Armen, der linken Hand und am Halse zu. Schließlich versetzte sie ihr "in Tötungsabsicht" mehrere wuchtige Messerstiche ins Gesicht, von denen einer das Nasenbein zertrümmerte, ein anderer den Oberkiefer durchtrennte und drei Zähne herausbrach. Beim letzten Stich blieb das Messer so fest im Gesicht stecken, daß die Angeklagte es nicht mehr herausziehen konnte. J. lebte zwar noch, war aber so zugerichtet, daß die Angeklagte sie für tot hielt. Anschließend lief die Angeklagte nach Hause und berichtete ihrem Freund, dem Angeklagten, sie habe J. erstochen. Beide kehrten dar-
aufhin zum Tatort zurück, um die Spuren der Tat zu beseitigen. Während die Angeklagte draußen blieb, drang der Angeklagte in das Haus ein und fand dort J. , die mit blutüberströmtem Kopf regungslos auf dem Rücken lag. Da sie Geräusche von sich gab, die sich wie ein Röcheln anhörten, nahm der Angeklagte zutreffend an, daß sie noch lebe. Er zog ihr das Messer aus dem Gesicht , wusch sich die Hände und suchte nach einem Gegenstand, um die - wie er annahm - bereits Sterbende zu töten. Mit einer beidhändig gehaltenen Wasserflasche schlug er auf ihren Kopf ein, so daß ihr Stirnbein zersplitterte. Das röchelähnliche Geräusch hielt jedoch an - J. war noch nicht tot. Der Angeklagte legte daraufhin eine Jeansjacke über ihr Gesicht, warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie und würgte sie dann. Danach versuchte er, ihren Körper aus dem Zimmer zu schaffen, gab dies jedoch alsbald wieder auf. J. starb "entweder infolge der - möglicherweise den Sterbevorgang verkürzenden - Schläge mit der Wasserflasche oder aber nach diesen" (Schlägen) "infolge der Messerstiche durch Verbluten".

II.

Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Schuldspruch weist Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf; sie betreffen bei der Angeklagten S. die Annahme eines nur versuchten Tötungsverbrechens und die Vorsatzform, außerdem bei beiden Angeklagten die Verneinung von Mordmerkmalen. 1. Was die Verurteilung der Angeklagten S. angeht, so ergibt die rechtliche Prüfung:

a) Zu Unrecht hat die Jugendkammer die Angeklagte nur eines versuchten statt eines vollendeten Tötungsverbrechens schuldig gesprochen. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Zwar sei jeder der "Tatbeiträge" der Angeklagten für sich genommen geeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen - doch habe sich nicht feststellen lassen, "ob der Tod durch Verbluten allein durch die von der Angeklagten S. gesetzten Messerstiche eingetreten ist oder aber die Schläge mit der Wasserflasche den von ihr in Gang gesetzten Kausalverlauf unterbrochen haben". Daher sei nach dem Zweifelssatz zugunsten jedes Angeklagten zu unterstellen, daß sein Tatbeitrag nicht den Tod herbeigeführt habe (UA S. 133). Dem kann nicht gefolgt werden. Die Jugendkammer hat damit den strafrechtlich maßgebenden Ursachenbegriff verkannt. Ursächlich ist jede Bedingung , die den Erfolg herbeigeführt hat; dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Anders verhält es sich allerdings , wenn ein späteres Ereignis ihre Wirkung beseitigt und unter Eröffnung einer neuen Kausalreihe den Erfolg allein herbeiführt. Dagegen schließt es die Ursächlichkeit des Täterhandelns nicht aus, daß ein weiteres Verhalten, sei es des Täters, sei es des Opfers, sei es auch Dritter, an der Herbeiführung des Erfolgs mitgewirkt hat (st. Rspr. und h.M. im Schrifttum, zusammenfassende Darstellung mit zahlreichen Nachweisen in BGHSt 39, 195, 197 f). Ursächlich bleibt das Täterhandeln selbst dann, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf denselben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist. Auch dies entspricht gefestigter
Auffassung in Rechtsprechung (vgl. die Nachweise in BGH aaO) und Schrifttum (Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. vor § 13 Rdn. 11; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. vor § 13 Rdn. 18 a; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 13 ff Rdn. 77; Rudolphi in SK-StGB vor § 1 Rdn. 49; Jeschek in LK 11. Aufl. vor § 13 Rdn. 58; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT 10. Aufl. § 14 Rdn. 33 ff, 36; Maurach/Zipf, Strafrecht AT Teilband 1, 7. Aufl. § 18 IV Rdn. 61 ff). Demgemäß ist wegen vollendeten Tötungsverbrechens auch zu bestrafen, wer jemanden mit Tötungsvorsatz niedergeschossen und dadurch einen Dritten dazu veranlaßt hat, dem Verletzten den "Gnadenschuß" zu geben (OGHSt 2, 352, 354 f; BGH bei Dallinger MDR 1956, 526; Jähnke in LK 10. Aufl. § 212 Rdn. 3). Soweit der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einer älteren, vereinzelt gebliebenen Entscheidung (BGH NJW 1966, 1823) zu einem Ergebnis gelangt ist, das hiermit in Widerspruch steht (Hertel NJW 1966, 2418; Kion JuS 1967, 499; Jähnke aaO Fußn. 3), kann schon zweifelhaft sein, ob in der Begründung dieses Urteils überhaupt eine abweichende Rechtsauffassung zum Ausdruck gekommen ist; Ausführungen desselben Senats in einer jüngeren Entscheidung (BGH NJW 1989, 2479 f) machen jedenfalls deutlich, daß er eine solche Rechtsauffassung nicht oder zumindest nicht mehr vertritt. Für eine Anfrage nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG besteht daher kein Anlaß. Danach hat die Angeklagte durch die Messerstiche den Tod J. s verursacht. Daran ändert es nichts, daß der später zum Tatort gekommene Angeklagte dem Opfer durch Schläge mit der Wasserflasche weitere Verletzungen zugefügt hat, die gleichfalls geeignet waren, den Tod herbeizuführen. Es kommt nicht darauf an, ob die Messerstiche oder die Schläge mit der Wasserflasche jeweils für sich genommen den Tod des Opfers bewirkt hätten oder
J. erst infolge des Zusammenwirkens der ihr von beiden Angeklagten beigebrachten Verletzungen gestorben ist. Die Angeklagte hat mit den von ihr geführten Messerstichen jedenfalls eine Bedingung für den Tod des Opfers gesetzt; denn ohne diese, ihr von der Angeklagten beigebrachten Verletzungen wäre es nicht dazu gekommen, daß der Angeklagte eingriff und - an das Handeln seiner Freundin anknüpfend - J. mit der Wasserflasche auf den Kopf schlug, um das von der Angeklagten begonnene Tötungswerk zu vollenden. Für die Annahme, der Angeklagte habe mit seinen Schlägen die todesursächliche Wirkung der von seiner Freundin gesetzten Messerstiche beseitigt und stattdessen einen neuen, davon unabhängig zum Tod führenden Kausalverlauf in Gang gesetzt, ist hiernach kein Raum. Die strafrechtliche Haftung der Angeklagten im Sinne eines vollendeten Tötungsverbrechens entfällt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten. Eine solche Abweichung ist zwar zu bejahen, soweit zugunsten der Angeklagten unterstellt werden muß, daß die dem Tatopfer vom Angeklagten W. zugefügten Verletzungen den Eintritt des Todes beschleunigt haben. Abweichungen vom vorgestellten Kausalverlauf sind jedoch rechtlich bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen (BGHSt 38, 32, 34 mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum). So liegt es hier. Der Tod des Opfers ist nicht etwa Folge einer außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegenden Verkettung unglücklicher Umstände, bei der eine Haftung der Angeklagten für den Erfolg ausscheiden würde. Die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf ist vielmehr unwesentlich und rechtfertigt auch keine andere Bewertung der Tat.

b) Rechtsfehlerhaft ist es ferner, daß die Kammer bei der rechtlichen Bewertung des Handelns der Angeklagten nur bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat; in den Urteilsgründen heißt es dazu, ihr Vorsatz sei "bei Beginn der Stiche in den Kopf zumindest in der Form des dolus eventualis - eines bewußten Inkaufnehmens des Todes - vorhanden" gewesen (UA S. 132). Dies steht in Widerspruch zu der Feststellung, daß die Angeklagte bei den letzten, in das Gesicht geführten Stichen "in Tötungsabsicht", also mit direktem Vorsatz , gehandelt hat (UA S. 32).
c) Darüber hinaus hält auch die Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Jugendkammer hat hierzu ausgeführt, es habe zwar nahe gelegen, "aus der brutalen Vorgehensweise" der Angeklagten "beim Setzen der Messerstiche ins Gesicht - in ihren Augen eine besondere Demütigung - auf niedrige Beweggründe zu schließen"; hierfür spreche auch "die in der Bezeichnung der Getöteten als Fotze zum Ausdruck kommende Verachtung". Niedrige Beweggründe seien jedoch "bei Würdigung der Gesamtumstände, wie schon in der Beweiswürdigung ausgeführt", nicht sicher feststellbar (UA S. 132). Diese Ausführungen reichen nicht aus, um erkennbar zu machen, ob die tatrichterliche Beurteilung insoweit frei von Rechtsfehlern ist. Das gilt schon deshalb, weil die Kammer keine Feststellungen zum Tötungsmotiv der Angeklagten getroffen hat. Die Sachverhaltsschilderung der Urteilsgründe enthält hierzu nichts. Mitgeteilt wird darin zwar, aus welchem Grund sich die Angeklagte entschloß, J. am Tatabend aufzusuchen (UA S. 30: "... mit ihr einmal unter vier Augen über die 'verpetzte Schwangerschaft' und die Verdächtigung wegen der 20,00 DM zu sprechen", weitergehend zuvor
UA S. 27: "... J. einmal bei sich bietender Gelegenheit ... eine gründliche Abreibung ... zu geben"). Welche Tatantriebe die Angeklagte aber dazu bestimmt haben, den Entschluß zur Tötung zu fassen, ist nicht festgestellt. Die Kammer beruft sich allerdings auf eine "Würdigung der Gesamtumstände" , die sie "schon in der Beweiswürdigung" vorgenommen haben will. Doch geht diese Verweisung ins Leere. Denn im beweiswürdigenden Abschnitt der Urteilsgründe finden sich zwar einzelne Zusatzfeststellungen, denen Bedeutung für den Schluß auf das Tötungsmotiv zukommen kann (UA S. 118: "eine Art Bestrafungsaktion"; UA S. 124: "Bestrafungsaktion"; UA S. 120: "Vergeltungsaktion" ; "Verärgerung und Abneinung"; UA S. 119: "Verdruß", "Ä rger", "Haßgefühle") - diese werden aber weder dort noch an anderer Stelle unter dem Gesichtspunkt des Tötungsmotivs gewürdigt. Daß die Kammer im Rahmen der rechtlichen Wertung die Brutalität der Tötungshandlung und die im Gebrauch eines Schimpfworts zum Ausdruck gebrachte Verachtung des Opfers als mögliche Anhaltspunkte für das Vorliegen niedriger Beweggründe erwogen hat, belegt nicht, daß sie die gebotene Gesamtwürdigung angestellt hätte. Diese muß Vorgeschichte, Anlaß und Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließen (BGHSt 35, 116, 127; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 11, 39), sich mithin auf alle äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren erstrecken (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 23, 24, 31). In die Würdigung wäre hier vor allem die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Angeklagten und dem späteren Tatopfer einzubeziehen gewesen, ihre sich daraus entwickelnde innere Einstellung zu J. , für die der beweiswürdigende Teil der Urteilsgründe zahlreiche Anhaltspunkte bietet, nicht zuletzt auch die Ä ußerung der Ange-
klagten gegenüber einer Zeugin, "die", nämlich J. , "werde sie mal umbringen" (UA S. 120). Der Erörterung hätte insbesondere bedurft, ob und gegebenenfalls inwieweit die feindseligen Gefühle und Empfindungen, welche die Angeklagte gegenüber J. hegte, als Beweggründe der Tötung wirksam geworden und vor dem Hintergrund der sie auslösenden Anlässe zu werten sind. Eine solche Gesamtwürdigung fehlt. Sie war hier auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Angeklagte den Tötungsentschluß nach den Feststellungen erst im Laufe der heftigen körperlichen Auseinandersetzung, also spontan gefaßt hat; denn dies braucht der Bejahung niedriger Beweggründe nicht entgegenzustehen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11; BGH, Urt. v. 19. Juli 2000 - 2 StR 96/00; zu den dann gesteigerten Prüfungsanforderungen vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16 und 31; BGH, Urt. v. 11. Januar 2000 - 1 StR 505/99). 2. Die Verurteilung des Angeklagten W. weist ebenfalls Rechtsfehler auf.
a) Die Annahme eines nur versuchten Tötungsverbrechens ist bei ihm allerdings rechtlich nicht zu beanstanden. Auf die Beurteilung seiner Tat hat sich der Rechtsfehler, der die Bewertung der Ursächlichkeit des Handelns der Angeklagten S. betrifft, nicht ausgewirkt. Gleiches gilt für die von der Kammer offenbar vorausgesetzte, aber unrichtige Annahme, der Tod des Opfers könne - alternativ - nur entweder dem einen oder dem anderen Angeklagten als von ihm verursachter Handlungserfolg zurechenbar sein (UA S. 36, 129, 133). Denn die Kammer hat jedenfalls nicht verkannt, daß der Angeklagte den Tod J. s verursacht und mithin ein vollendetes Tötungsverbrechen begangen hätte, wenn durch sein Handeln der Eintritt des - womöglich ohnehin
schon nahenden - Todes nur noch beschleunigt worden wäre (BGHSt 7, 287 f; 21, 59, 61; BGH NStZ 1981, 218 f; 1985, 26 f; BGH StV 1986, 59, 200; BGH StGB vor § 1/Kausalität, Angriffe, mehrere 1; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 212 Rdn. 3). Den Urteilsausführungen ist zu entnehmen, daß sie eine den Todeseintritt beschleunigende Wirkung der vom Angeklagten gegen den Kopf J. s geführten Schläge nicht festzustellen vermochte. Dies kommt in der Tatschilderung des Urteils dadurch zum Ausdruck, daß dort diesen Schlägen nur eine den Sterbevorgang "möglicherweise" verkürzende Wirkung zuerkannt wird (UA S. 36), und gründet sich auf die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverstänigen, der - wie das Urteil ebenfalls mitteilt - erklärt hatte, durch die Schläge "könne" auch eine deutlich verkürzte Lebenserwartung bewirkt worden sein (UA S. 128 unten). Wenn die Kammer sich hiernach außerstande gesehen hat, eine Beschleunigung des Todeseintritts als Folge der mit der Wasserflasche geführten Schläge festzustellen, so liegt darin auch kein selbständiger, der Beweiswürdigung anhaftender Rechtsfehler. Weder widerspricht das Ergebnis - wie die Revision meint - Erfahrungssätzen, noch weisen die Urteilsausführungen zu diesem Punkt - wie sie ebenfalls rügt - Lükken auf. Die Bezugnahme auf das vorbereitende schriftliche Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen ist im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge unzulässig, ganz abgesehen davon, daß der zitierte Abschnitt des Gutachtens für die Deutung, der Sachverständige habe eine Beschleunigung des Todeseintritts als Folge der Schläge für gesichert erachtet, nichts hergibt. Konnte die Kammer aber nicht ausschließen, daß J. auch ohne das Eingreifen des Angeklagten zur selben Zeit gestorben wäre, zu der ihr Tod tatsächlich eintrat, dann mußte sie nach dem Zweifelssatz von dieser Möglichkeit ausgehen und durfte den Angeklagten - wie geschehen - nur wegen eines versuchten Tötungsverbrechens verurteilen.

b) Dagegen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht rechtsfehlerhaft; das Urteil beruht insoweit auf einem Beweiswürdigungsmangel. Die Kammer hat hierzu im Rahmen der rechtlichen Wertung lediglich ausgeführt, eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten habe "bei verständiger Würdigung des Gesamtgeschehens nicht als bestimmender Faktor seines Vorgehens festgestellt werden" können (UA S. 133). Dies entspricht der Sachverhaltsschilderung des Urteils insofern, als Feststellungen zum Tötungsmotiv fehlen. Der Beweggrund, von dem der Angeklagte sich bei seinem Vorgehen leiten ließ, bleibt offen. Soweit festgestellt ist, daß er, nachdem er J. das Messer aus dem Kopf gezogen, sich die Hände gewaschen und das Zimmer wieder betreten hatte, einen Gegenstand suchte, um das vom Opfer herrührende "Geräusch zu beenden und die in seinen Augen sterbende J. zu töten" (UA S. 34), belegt dies allein den Tötungsvorsatz, gibt aber keine Auskunft über das Tötungsmotiv. Das gilt auch für die inhaltsgleiche, im beweiswürdigenden Teil des Urteils enthaltene Feststellung, wonach der Angeklagte lediglich noch versuchte, "dem Ganzen ein Ende zu setzen" (UA S. 131), und ebenso für deren Grundlage, nämlich die Erklärung des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 6. August 1998, er habe J. den Kehlkopf einzudrücken versucht, "weil er es habe beenden wollen" (UA S. 68). Weshalb die Kammer gemeint hat, das Tötungsmotiv des Angeklagten nicht feststellen zu können, ist jedoch nicht erklärt. Eine Begründung hierfür fehlt. Die Frage nach dem Beweggrund bleibt unerörtert. Die Beweiswürdigung ist insofern lückenhaft. Denn es gab erörterungsbedürftige Umstände, die dafür sprechen konnten, daß der Angeklagte das von seiner Freundin begonnene
Tötungswerk fortgeführt hat, um sie vor der Entdeckung ihrer Straftat zu schützen : Einerseits war er selbst J. nicht feindlich gesonnen und hatte dazu auch keinen eigenen, in seiner Person liegenden Grund. Andererseits stand er zu der Angeklagten, mit der er zusammenlebte, in einem engen, auf Liebe gegründeten Verhältnis, das gegenseitige Hilfe in schwierigen Situationen erwarten ließ. Als die Angeklagte ihm nach ihrer Rückkehr vom Hause der Pflegemutter erzählt hatte, sie habe J. erstochen, überlegte er demgemäß, "wie er seiner Freundin in dieser Situation helfen" könne, und ging mit ihr zum Tatort zurück, "um die Tatspuren zu vernichten" (UA S. 33). Diese in der Sachverhaltsschilderung enthaltene Feststellung kehrt im Strafzumessungsteil der Urteilsgründe wieder und ist dort in die Worte gefaßt, der Angeklagte habe "R. v or Entdeckung bewahren und für sich als seine Freundin erhalten" wollen (UA S. 142). Freilich bezieht sich dies auf einen Zeitpunkt, in dem der Angeklagte glaubte, J. s ei bereits tot; doch lag angesichts dieser seiner Motivation die Folgerung nahe, daß derselbe Beweggrund ihn dann auch dazu bestimmt hat, die Tötung des schwerverletzt aufgefundenen Opfers zu vollenden. Diesen Schluß scheint die Kammer im übrigen selbst gezogen zu haben; denn im beweiswürdigenden Abschnitt der Urteilsgründe heißt es, "im zweiten Handlungsteil" habe der Angeklagte "vorrangig eine Hilfsaktion für seine Freundin" durchgeführt (UA S. 118). "Hilfsaktion" für die Angeklagte konnte in diesem Zusammenhang aber nur ein Handeln sein, durch das sie vor der Entdeckung ihrer Tat geschützt werden würde - eine andere Deutung kommt nicht in Betracht. Ein Indiz, das in die nämliche Richtung weist, bot schließlich auch das Einlassungsverhalten des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, das - wie das Urteil in breiter Darstellung der polizeilichen Vernehmungen deutlich macht - über weite Strecken von dem entschiedenen Bemühen geprägt war, die Al-
leinschuld am Tode J. auf sich zu nehmen, um die Überführung und Bestrafung der Angeklagten zu verhindern. Mit diesen Umständen, die für die Bejahrung der Verdeckungsabsicht sprechen konnten, hätte sich die Kammer auseinandersetzen müssen. Daß dies unterblieben ist, begründet einen Beweiswürdigungsmangel und damit einen Rechtsfehler.

III.

1. Das Urteil ist daher mit den Feststellungen aufzuheben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die Feststellungen zum äußeren Tathergang, soweit sie die Kammer in den Urteilsgründen von UA S. 30 bis 36 (beginnend mit der Überschrift "Das engere Tatgeschehen" und endend vor der Überschift "Geschehen nach der Tat") dokumentiert hat; das erscheint angebracht, weil nach diesen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen in Verbindung mit der rechtlichen Wertung durch den Senat bereits abschließend geklärt ist, daß die Angeklagte S. eine vollendete Tötung, der Angeklagte W. dagegen nur einen Tötungsversuch zu verantworten hat. Soweit die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten W. wegen vollendeten Tötungsverbrechens erstrebt, hat ihr Rechtsmittel keinen Erfolg. 2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) bei keinem der beiden Angeklagten eine Grundlage in den bisherigen Feststellungen findet; von den akut wirksamen und latent vorhandenen Störfaktoren , die nach Meinung des Sachverständigen und der ihm folgenden Kammer die Schuldfähigkeit der Angeklagten beeinträchtigt haben sollen (bei der Angeklagten S. ein "vorübergehender Impulskontrollverlust", bei
dem Angeklagten W. Unreife, geringe Konfliktverarbeitungsfähigkeit, Streß und Panik), erfüllt keiner eines der in § 20 StGB bezeichneten Eingangsmerkmale. Jähnke Niemöller Detter Rothfuß Hebenstreit