Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2003 - 4 StR 490/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und Vergewaltigung zu lebenslanger Freiheitsstrafe (als Gesamtstrafe) verurteilt und die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt. Es hat außerdem dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß 15 Jahre der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte die Halbschwester seiner Ehefrau erdrosselt, um die zuvor von ihm begangene Vergewaltigung des Tatopfers zu verdecken. Das Landgericht hat für den Mord auf lebenslange , für die Vergewaltigung auf sechs Jahre Freiheitsstrafe als Einzelstrafe erkannt. Es hat bei beiden Taten nicht auszuschließen vermocht, daß die Hemmungsfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholgenusses im Zusammenwirken mit einer Persönlichkeitsstörung erheblich vermindert war (§ 21 StGB). Gleichwohl hat die Strafkammer von der danach gegebenen Möglichkeit, den jeweiligen Strafrahmen gemäß § 49 Abs. 1 StGB zu mildern, weder beim Mord noch bei der Vergewaltigung Gebrauch gemacht. Zur Begründung hat das Landgericht bei beiden Straftaten maßgeblich darauf abgestellt, der Angeklagte sei wegen Gewaltdelikten, die er unter Alkoholeinfluß begangen habe, vorverurteilt gewesen. Ihm sei deshalb vorzuwerfen, daß er sich, "noch frei in seinen Entscheidungen" , entschlossen habe, wieder zu trinken. Seinen Zustand habe er in Kenntnis seiner Gefährlichkeit gerade Frauen gegenüber herbeigeführt. Diese Begründung begegnet in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt werden, wenn der Täter schon früher unter Alkoholeinfluß straffällig geworden ist und deshalb wußte oder sich dessen hätte bewußt sein können, daß er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3, 6, 9 und 14 m.w.N.). Allerdings dürfen dem vermindert schuldfähigen Täter solche Taten nicht schulderhöhend angerechnet werden, mit deren Begehung er aufgrund des Ausmaßes und der Intensität seiner bisher unter Alko-
holeinwirkung begangenen Straftaten nicht rechnen konnte (BGHSt 35, 143, 145; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 6 und 14).
Weitere Voraussetzung für eine Versagung der Strafrahmenmilderung ist, daß dem Angeklagten die Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies kommt in der Regel dann nicht in Betracht, wenn der Täter alkoholkrank ist oder wenn der Alkohol den Täter zumindest weitgehend beherrscht, wenn also in der aktuellen Alkoholaufnahme kein schulderhöhender Umstand gesehen werden kann (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 19; BGH NStZ-RR 1999, 12).
Daß diese Voraussetzungen hier vorliegen, hat das Landgericht nicht ausreichend festgestellt.
Es hätte hierzu zunächst der näheren Darlegung der Straftaten bedurft, die nach Überzeugung der Strafkammer zur Tatzeit auf eine alkoholbedingt erhöhte Gewaltbereitschaft des Angeklagten insbesondere Frauen gegenüber schließen lassen. Allein die pauschale Feststellung, der Angeklagte sei bereits früher unter Alkoholeinfluß straffällig geworden und wegen Raubes und Körperverletzung sowie wegen versuchten (schweren) Diebstahls bereits vorbestraft gewesen, vermag dies nicht zu belegen. Soweit die Strafkammer davon ausgeht, es sei vor den hier abgeurteilten Taten "schon zweimal vorgekommen , daß der Angeklagte alkoholisiert seine Ehefrau vergewaltigt" habe (UA 8), fehlt es ebenfalls an der Mitteilung von Einzelheiten zu den Umständen dieser Taten, insbesondere zum Ausmaß der vom Angeklagten angewandten Gewalt und zum Grad seiner Alkoholisierung. Die beiden massiven Sexualdelikte, derentwegen der Angeklagte in den Jahren 1993 und 1997 verurteilt wurde, be-
ging er erst nach den hier ausgeurteilten Straftaten. Diese Taten können deshalb bei der Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB keine Berücksichtigung finden.
Nach den getroffenen Feststellungen liegt es zudem nahe, daß dem Angeklagten der Alkoholkonsum nur eingeschränkt zum Vorwurf gemacht werden kann, weil er zur Tatzeit alkoholkrank war. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, daß der Angeklagte bereits im Alter von 15 Jahren begann, regelmäßig Alkohol zu trinken und sich bei ihm schon früh das "Vollbild einer Alkoholkrankheit" ausbildete. Er hatte sich zu einem jungen Erwachsenen mit selbstunsicherer Persönlichkeit entwickelt, der sich unter Alkoholeinfluß stärker fühlte. Das Trinken gehörte zu seinem Leben. Die sachverständig beratene Strafkammer ist deshalb zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte sei zur Tatzeit alkoholabhängig gewesen.
Angesichts dieser Umstände durfte sich das Landgericht nicht darauf beschränken festzustellen, der Angeklagte habe sich am Tattag zum Alkoholkonsum entschlossen, als er "noch frei in seiner Entscheidung war". Es hätte sich vielmehr ausdrücklich damit auseinandersetzen müssen, ob angesichts seiner Alkoholabhängigkeit in der Alkoholaufnahme überhaupt ein Umstand gesehen werden kann, der es rechtfertigt, von der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB abzusehen.
Schließlich wird das Urteil auch nicht den erhöhten Anforderungen gerecht , die an die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung zu stellen sind, wenn, wie hier beim Mord, allein die Wahl zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe besteht. In einem solchen Fall müssen besondere erschweren-
de Umstände vorliegen, um die mit den Voraussetzungen des § 21 StGB verbundene Schuldminderung so auszugleichen, daß die gesetzliche Höchststrafe verhängt werden darf (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18 m.w.N.). Es fehlt insoweit bereits an der gebotenen Gesamtabwägung aller für und gegen den Täter sprechenden schuldrelevanten Umstände (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 24).
2. Demgemäß muß für beide Taten die Strafe neu zugemessen werden. Die Aufhebung des Strafausspruchs erfaßt zwangsläufig auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld des Angeklagten (§ 57 a StGB).
Daß sich der Angeklagte im Tatzeitpunkt in einem Zustand befunden hat, in dem seine Einsichtsfähigkeit gefehlt hat oder seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben war, kann der Senat angesichts der getroffenen Feststellungen ausschließen.
3. Der Senat hat auch den Maßregelausspruch aufgehoben, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, über den Rechtsfolgenausspruch gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen insgesamt neu zu entscheiden. Darüber hinaus wird hinsichtlich der rechtlich bedenklichen Feststellungen zum Vorliegen eines Hanges, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und zu der rechtsfehlerhaften Anordnung des Vorwegvollzugs der Strafe (vgl. insoweit BGHSt 37, 160) auf
die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 25. November 2002 verwiesen.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.