Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - 4 StR 397/18

bei uns veröffentlicht am10.10.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 397/18
vom
10. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:101018B4STR397.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 25. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes und wegen versuchten Totschlags, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der mit den Nebenklägern, dem A. und seiner Ehefrau, der S. , eng befreundete Angeklagte vermutete im Herbst 2017, er werde von A. im Zusammenhang mit dem Transfer seiner (des Angeklagten ) Ersparnisse in Höhe von etwa 12.000 € von Libyen nach Deutschland hintergangen. Beim Angeklagten verfestigte sich die Vorstellung, A. plane, ihn um sein Geld zu bringen. Während er den freundschaftlichen Kontakt zu den Nebenklägern äußerlich uneingeschränkt aufrecht erhielt und A. gegenüber von seinem Verdacht nichts verlauten ließ, plante er insgeheim, diesem einen „Denkzettel zu verpassen“. Am Abend des 26. November 2017 schlug der Angeklagte am Ende eines freundschaftlich verlaufenen Treffens mit den Nebenklägern in deren Wohnung dem Geschädigten A. mindestens dreimal unvermittelt mit einem von zu Hause mitgebrachten und bis dahin verborgen gehaltenen Hackmesser wuchtig auf den Kopf, bis dieser, bewusstlos und aus seinen Kopfverletzungen stark blutend, zu Boden ging. Die hinzugekommene Geschädigte S. schrie bei diesem Anblick um Hilfe, woraufhin der Angeklagte über den weiterhin bewusstlos am Boden liegenden Geschädigten A. stieg und der flüchtenden Nebenklägerin S. mit dem Hackmesser in der erhobenen Hand auf den Balkon nachsetzte. Von seiner Wut über den vermeintlichen Verrat seines Freundes A. und der Erschütterungüber seine vorangegangene Tat übermannt, schlug der Angeklagte nunmehr in einem Zustand hochgradiger affektiver Erregung der Nebenklägerin ebenfalls mit einer Kante des Hackmessers mindestens zweimal kraftvoll auf den Kopf und verletzte sie ferner mit Messerhieben am rechten Arm. Dem in der Zwischenzeit wieder zu sich gekommenen und auf den Balkon gelaufenen Nebenkläger A. gelang es, die Hand des Angeklagten mit dem Messer festzuhalten und diesen von der Nebenklägerin S. wegzuziehen. A. nahm dem Angeklagten sodann das Messer aus der Hand und führte ihn aus der Wohnung.
4
2. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe zum Nachteil beider Nebenkläger, jeweils bedingt vorsätzlich, den Tatbestand eines versuchten Tötungsdelikts (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) verwirklicht. Bei der Tat zum Nachteil des A. sei zudem das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt. Es sei von einem beendeten Versuch auszugehen, von dem der Angeklagte auch nicht strafbefreiend zurückgetreten sei. Nachdem A. schwer getroffen und bewusstlos zu Boden gesunken sei, sei dem Angeklagten die Möglichkeit bewusst gewesen, dass der Geschädigte bereits tödliche Verletzungen erlitten hatte. Beim – unbeendeten – Versuch des Totschlags zum Nachteil der Geschädigten S. fehle es an der erforderlichen Freiwilligkeit; A. habe ihn an der weiteren Tatausführung gehindert.
5
Die Strafkammer ist ferner davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (erst) im Zeitpunkt seines Angriffs auf die Geschädigte S. wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung in Gestalt eines Affekts erheblich vermindert gewesen sei.

II.


6
Die Verurteilung des Angeklagten hält in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Die Annahme des Landgerichts, die Tat zum Nachteil des Nebenklägers A. sei als beendeter Versuch eines Tötungsdelikts zu werten, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
8
a) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Je nach den Umständen des Falles ist – in engen zeitlichen Grenzen – eine Korrektur dieses Rücktrittshorizonts möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Er- kenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt. Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann ausdrücklicher Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch – vom Täter wahrgenommen – zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Tatopfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 – 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; Urteile vom 6. März 2013 – 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463; und vom 17. Juli 2014 – 4 StR 159/14, NStZ 2014, 569, 570). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, in dem das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 – 4 StR 525/00; Urteile vom 11. November 2004 – 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.; und vom 17. Juli 2014 – 4 StR 158/14 aaO mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs Erforderliche getan zu haben (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 aaO).
9
b) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht. Die Strafkammer hat deshalb keine ausreichenden Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass der von ihm niedergeschlagene Nebenklä- ger aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, sich aufrappelte, auf den Balkon lief, um seiner Frau zu helfen, und es schließlich schaffte, den Angeklagten von dieser wegzuzerren. Da sich das angefochtene Urteil zu den Vorstellungen des Angeklagten über seine Handlungsmöglichkeiten beim erneuten Auftauchen des Nebenklägers nicht verhält, bleibt offen, ob der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt weiterhin davon ausging, den Nebenkläger tödlich verletzt zu haben. Das insoweit festgestellte Geschehen konnte geeignet sein, die Vorstellung des Angeklagten , alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs Erforderliche getan zu haben, zu erschüttern. Mit Blick darauf, dass es dem Nebenkläger nach den Feststellungen letztlich gelang, sich gegen den Angeklagten zur Wehr zu setzen und ihm das Messer zu entwinden, wäre ferner zu erörtern gewesen, ob dem Angeklagten nach seiner Vorstellung überhaupt noch Handlungsmöglichkeiten zur Vollendung eines Tötungsdelikts zum Nachteil des Nebenklägers A. zur Verfügung standen. Anderenfalls hätte auch ein fehlgeschlagener Versuch in Erwägung gezogen werden müssen.
10
2. Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts zum Nachteil der Nebenklägerin S. kann nicht bestehen bleiben. Die Urteilsgründe genügen den Anforderungen nicht, die an die Darlegung und Begründung des bedingten Tötungsvorsatzes zu stellen sind.
11
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen der Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Jedoch kann insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden , dass auch das – selbstständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist. Denkbar ist daher, dass einem Täter trotz Kenntnis von der das Leben seines Opfers gefährdenden Behandlung – etwa infolge einer psychischen Beeinträchtigung – gleichwohl nicht bewusst ist, dass sein Tun zum Tod des Opfers führen kann oder dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6; Urteile vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150; vom 17. Dezember 2009 – 4 StR 424/09, NStZ 2010, 571, jeweils mwN).
12
b) Gemessen daran hat das Landgericht den Messerangriff gegen Arme und Kopf der Nebenklägerin S. zwar rechtsfehlerfrei als objektivgefährlich gewertet. Es hätte unter den hier gegebenen Umständen aber nicht ohne weiteres auf das voluntative Element des bedingten Tötungsvorsatzes schließen dürfen. Nach den Feststellungen war der Angeklagte im Zeitpunkt des Angriffs auf die Nebenklägerin in einen hochgradig affektiven Zustand abgeglitten und deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert. Auch wenn danach seine Einsicht in das Unrecht seines Tuns allgemein vorhanden war, bedurfte es besonderer Erörterung, ob er in seinem Zustand den möglichen Tod der Nebenklägerin als Folge seines Handelns gebilligt hat.
13
3. Die dargelegten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils insgesamt und erfassen deshalb auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen jeweils tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

III.


14
Der Senat bemerkt ergänzend, dass die Erwägung des Landgerichts, zu Lasten des Angeklagten falle ins Gewicht, dass die Nebenklägerin S. ihm „keinen Anlass für die Tat gegeben habe“, hier jedenfalls mit Blick auf die von der Strafkammer angenommene erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge eines Affekts rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 31. August 2017 – 4 StR 317/17, NStZ 2018, 102, 103 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Aug. 2017 - 4 StR 317/17

bei uns veröffentlicht am 31.08.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 317/17 vom 31. August 2017 in der Strafsache gegen wegen schwerer Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:310817B4STR317.17.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 317/17
vom
31. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:310817B4STR317.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 31. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 5. Januar 2017 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, das Verfahren wegen mehrerer Anklagevorwürfe eingestellt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Auf Revision des Nebenklägers hob der Senat mit Urteil vom 14. Januar 2016 das erstinstanzliche Urteil auf, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung (Fall 6 der Anklage ) freigesprochen worden war, sowie im Gesamtstrafenausspruch und soweit von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden war.
2
Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen schwerer Körperverletzung und wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.

I.


3
Das Landgericht hat bezüglich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers (Fall 6 der Anklage) nunmehr im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
4
In der Nacht vom 15. auf den 16. August 2015 befand sich der Angeklagte auf dem Weinfest in A. . Gegen 2:30 Uhr kam es dort zu einem kleineren Konflikt zwischen dem Nebenkläger und einem Bekannten des Angeklagten , dem Zeugen Z. . Dieser versetzte dem Nebenkläger einen Stoß oder leichten Schlag, was der etwas entfernt stehende Angeklagte beobachtete. Er fühlte sich durch das aggressive Verhalten seines Bekannten animiert, gleichfalls körperlich auf den Nebenkläger einzuwirken. Er nahm Anlauf, sprang in Richtung des Nebenklägers und schlug diesen mit der Faust gegen die Schläfe. Der Nebenkläger fiel hierdurch rücklings auf den asphaltierten Boden, wo er mit dem Hinterkopf aufschlug.
5
Durch den Sturz zog sich der Nebenkläger ein Schädelhirntrauma mit frontobasal beidseitiger Kontusionsblutung und eine Schädelfraktur zu. Dies führte zu einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10 F07.2), welches sich bis heute in erheblicher Weise auf das Leben des Nebenklägers auswirkt. Er leidet an einer signifikanten Einschränkung des Kon- zentrationsvermögens und der Aufmerksamkeitszuwendung, einer gesteigerten Vergesslichkeit, einer Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses, einer gesteigerten Ermüdbarkeit, einer Reduktion der Frustrations- und Belastungstoleranz sowie einem reduzierten Antriebsniveau. Zudem zeigt sich der Nebenkläger deutlich persönlichkeitsverändert, was insbesondere gekennzeichnet ist durch eine erhöhte Reizbarkeit mit teils paranoiden Zügen und durch eine Nivellierung der Emotionen. Weitere Folgeerscheinungen sind häufige, teils migräneartige Kopfschmerzen, ein Tinnitus, eine erhebliche Schädigung des Geruchssinns sowie gelegentliche Taubheitsgefühle in den Fingern und im Oberschenkel. Durch die genannten Beeinträchtigungen ist die Arbeitsfähigkeit des Nebenklägers in seinem erlernten Beruf des Ingenieurs um mehr als 50 %, seine Erwerbsfähigkeit insgesamt jedoch um weniger als 50 % reduziert, ohne dass der Strafkammer eine genauere Bezifferung möglich gewesen wäre. Für die Zukunft sind allenfalls noch geringfügige Besserungen der Symptomatik zu erwarten. Der Eintritt dieser schweren Folgen war für den Angeklagten voraussehbar.

II.


6
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
7
1. Die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Nebenkläger in eine geistige Krankheit verfallen ist (§ 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB), nicht dagegen in Siechtum (2. Var.) oder eine geistige Behinderung (5. Var.).
8
a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen das Vorliegen einer geistigen Krankheit im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 4. Var. StGB.
9
Da § 226 StGB allein die Folgen für das Tatopfer in den Blick nimmt, ist eine an medizinischen Kriterien orientierte Auslegung des Begriffs der geistigen Krankheit angezeigt, wonach im Ausgangspunkt sämtliche krankheitswertige Schäden an der psychischen Gesundheit erfasst werden (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 226 Rn. 13, MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 40; ders., JuS 2008, 1060, 1063). Dagegen widerspräche es dem Sinn und Zweck der Vor- schrift, den Begriff der „geistigen Krankheit“ inhaltlich an dem enger gefassten Merkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB auszurichten , da hier allein die tatbezogene Schuldfähigkeit des Täters in Rede steht (anders jedoch: NK-StGB/Paeffgen/Böse, 5. Aufl., § 226 Rn. 35; SK-StGB/ Wolters, 8. Aufl., 141. Lfg., § 226 Rn. 15; Jäger, JuS 2000, 31, 38 – dagegen Fischer, aaO, § 226 Rn. 13). Das bei dem Nebenkläger diagnostizierte organische Psychosyndrom – welches nach der ICD-10-Klassifikation als psychische Krankheit eingeordnet wird (vgl. auch Hoff/Sass in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 2, 2010, S. 52 ff.) – ist als krankheitswertiger psychischer Schaden somit vom Tatbestand erfasst.
10
Das bei dem Nebenkläger festgestellte Krankheitsbild weist auch den im Rahmen von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Schweregrad auf.
11
Aus dem Wortlaut der Vorschrift („verfallen“) und einem Vergleich zu den sonstigen Tatbestandsvarianten des § 226 StGB ergibt sich, dass die geistige Krankheit nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend sein darf (Fischer, aaO, § 226 Rn. 10; LK-StGB/Hirsch, 12. Aufl., § 226 Rn. 22; MüKo-StGB/ Hardtung, aaO, § 226 Rn. 35 + 40; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Stree, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 7 – vgl. zur entsprechenden Auslegung des Begriffs der „geistigen Behinderung“: BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, NStZ 2009, 284; vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, NStZ 2017, 282). Angesichts der gravierenden Folgen des sich nachhaltig auf verschiedene Lebensbereiche des Nebenklägers auswirkenden und zudem überdauernden Psychosyndroms sind diese Voraussetzungen erfüllt.
12
b) Die Strafkammer hat die Tatbestandsvariante des Siechtums im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 2. Var. StGB dagegen tragfähig verneint, da ausweislich des angefochtenen Urteils nicht zu erwarten ist, dass sich das Krankheitsbild des Nebenklägers verschlechtert, er nach wie vor zu eigenständiger Lebensführung in der Lage ist und seine allgemeine Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 % gemindert ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 522/96, StV 1997, 188; Beschluss vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Siechtum 1).
13
c) Für die zusätzliche Annahme einer geistigen Behinderung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3, 5. Var. StGB ist ebenfalls kein Raum, da hierunter nur solche Störungen der Gehirntätigkeit fallen, die nicht bereits – wie hier – als geistige Krankheit zu qualifizieren sind (BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, aaO; vom 31. August 2016 – 4 StR 340/16, aaO; SSWStGB /Momsen/Momsen-Pflanz, 3. Aufl., § 226 Rn. 22).
14
2. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
15
Zwar hat das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumes- sung rechtsfehlerhaft angelastet, dass „kein vernünftiger Anlass für die Tat“ bestanden und sich diese „quasi zufällig gegen einen völlig fremden Passanten“ gerichtet habe. Dass das Opfer keinen Anlass zur Tat geboten hat, darf jedoch – als Fehlen eines Strafmilderungsgrundes – nicht strafschärfend berücksichtigt werden (BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2017 – 3 StR 106/17, juris Rn. 3; vom 15. September 2015 – 2 StR 21/15, NStZ-RR 2016, 40). Überdies hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, dass die Impulskontrolle des an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leidenden Angeklagten bei Tatbegehung in schuldfähigkeitsrelevanter Weise beeinträchtigt war in Form einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen jedoch dann nicht uneingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie ihre Ursache in einem psychischen Defekt finden, der seinerseits die Tatschuld mindert (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2003 – 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362; vom 21. August 1991 – 2 StR 447/90, NStZ 1991, 581; Fischer, aaO, § 46 Rn. 27 mwN).
16
Angesichts der weiteren – bei der Strafzumessungsentscheidung der Strafkammer ersichtlich im Vordergrund stehenden – erheblichen Strafschärfungsgründe , insbesondere des Umstands, dass der Angeklagte mehrfach einschlägig vorbestraft ist und bei Tatbegehung unter zwei laufenden Bewährungen stand, kann der Senat jedoch ausschließen, dass die Höhe der moderat bemessenen Einzelstrafe (zwei Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe) auf der genannten rechtlich bedenklichen Erwägung beruht.
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist urlaubsbedingt abwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Sost-Scheible
Franke Quentin