Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2010 - 4 StR 304/10

published on 20/07/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2010 - 4 StR 304/10
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 304/10
vom
20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2010 nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 3. März 2010 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Schuldspruch in den Fällen II 10 und 11 der Urteilsgründe,
b) im gesamten Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen (Fälle II 1 – 5 und 9), wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen (Fälle II 6 – 8), wegen Vergewaltigung (Fall II 10) und wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (Fall II 11) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist unbegründet. Das Landgericht hat den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens rechtsfehlerfrei wegen Offenkundigkeit der Beweistatsachen abgelehnt. Die Strafkammer war daher auch nicht unter Aufklärungsgesichtspunkten gehalten, den beantragten Beweis zu erheben.
3
2. Mit der Sachrüge hat die Revision in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
4
a) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. Juni 2010 im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht, dass der Angeklagte im Fall II 10 die Geschädigte mit Gewalt zur Duldung des Geschlechtsverkehrs genötigt hat. Danach zerrte der Angeklagte die zur Tatzeit 14jährige Geschädigte vom Stuhl ins nahe Bett, zog ihr Hose und Slip nach unten und schob ihre Oberbekleidung hoch. Dann legte er sich auf sie, wogegen sie sich körperlich nicht zu wehren wusste.
5
Ob das Zerren und das Drauflegen zur Überwindung erwarteten Widerstands erfolgten, ist nicht ausdrücklich festgestellt. Dies versteht sich hier auch nicht von selbst, weil sich die Geschädigte gegen andere - vor den abgeurteilten Taten vorgenommene - sexuelle Handlungen nicht gewehrt hat. Danach musste der Angeklagte Widerstand nicht erwarten. Dass der Angeklagte den Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Geschädigten vollzogen hat, reicht für sich allein noch nicht aus.
6
b) Auch die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. im Fall II 11 der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Den Feststellungen lässt sich nicht hinreichend entnehmen, dass der Geschädigten die Fähigkeit zu sexueller Selbstbe- stimmung gefehlt hat. Allein der im Urteil hierfür angeführte, offenbar altersgemäße sexuelle Reifeprozess reicht hierfür nicht aus. Im Übrigen spricht der Gesamtzusammenhang der einzelnen Taten eher dagegen, dass die sexuellen Handlungen des Angeklagten einverständlich geschehen sind, wie es § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. voraussetzt (vgl. BGH Beschluss vom 18. April 2007 – 2 StR 589/06 – Rn. 2).
7
c) Schließlich ist auch der Strafausspruch in den Fällen II 1 - 9 der Urteilsgründe aufzuheben. Das Landgericht hat bei der Bemessung der Einzelstrafen fehlerhaft strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte vorbestraft gewesen sei. Die Taten wurden bis September 2004 begangen, also vor der ersten Vorverurteilung durch das Amtsgericht Bochum vom 30. Juni 2005. Der neue Tatrichter wird mit Blick auf § 55 StGB auch Gelegenheit haben festzustellen , ob die Vorverurteilungen erledigt sind.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Mutzbauer Bender
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorz
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage

1.
sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
2.
diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.

(3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, daß sie

1.
sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder
2.
diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
und dabei die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

(6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.