Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 254/19
vom
14. Januar 2020
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. Januar 2020 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen
vom 12. Dezember 2018 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
ECLI:DE:BGH:2020:140120B4STR254.19.0

Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat :
Unter den gegebenen Umständen ist nicht zu besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung des § 213 Var. 2 StGB aus dem Blick verloren hat, dass auch das Vorliegen eines Versuchs Anlass für die Annahme eines minder schweren Falls sein kann (zur Prüfungsreihenfolge bei der Strafrahmenwahl vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. September 2019 – 5 StR 386/19, juris; vom 17. Oktober 2017 – 3 StR 423/17, NStZ-RR 2018, 104; vom 11. Februar 2015 – 1 StR 629/14, BGHR StGB § 213 Alt. 2 Verneinung 4).
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin Feilcke Bartel

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Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 386/19
vom
11. September 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2019:110919B5STR386.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 11. September 2019 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 3. April 2019 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat: 1. Die Schwurgerichtskammer hat zwar bei der Strafrahmenwahl nicht bedacht, dass nach ständiger Rechtsprechung in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (vgl. Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 930 mwN). Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst zu prüfen, ob die allgemeinen Milderungsgründe allein zur Annahme eines minder schweren Falles führen, da die vertypten Milderungsgründe dann für eine Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB noch nicht verbraucht sind. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn das Tatgericht danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf es seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen. Das Landgericht hat diese Prüfungsreihenfolge nicht beachtet und zudem bei Ablehnung eines minder schweren Falles gemäß § 213 2. Alt. StGB die vertypten Milderungsgründe (§ 13 Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 2 StGB) nicht ausdrücklich gewürdigt.
Der Senat schließt jedoch aus, dass der Strafausspruch auf der Wahl des nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB beruht.
2. Die unterlassene Prüfung insbesondere des Tatbestandes des § 225 StGB (vgl. zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung des § 227 StGB: Fischer, StGB, 66. Aufl., § 227 Rn. 12) belastet die Angeklagte nicht.
Mutzbauer Schneider Berger Mosbacher Hoch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 423/17
vom
17. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls
ECLI:DE:BGH:2017:171017B3STR423.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 17. Oktober 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1b StPO einstimmig
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 21. November 2016 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung nach den §§ 460, 462 StPO, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zu treffen ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 3. September 2013 verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie hiervon wegen rechtstaatswidriger Verfahrensverzögerung zwei Monate für vollstreckt erklärt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Gegen den Schuldspruch ist sachlichrechtlich nichts zu erinnern. Die Bemessung der gegen den Angeklagten verhängten Einzelstrafen lässt hingegen Rechtsfehler erkennen; hierauf beruht das Urteil indes nicht (nachfolgend 1.). Der Gesamtstrafenausspruch kann demgegenüber keinen Bestand haben (unten 2.).
3
1. Die Strafrahmenwahl erweist sich als rechtsfehlerhaft; dies hat sich allerdings nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt.
4
Die Strafkammer hat es zu Unrecht unterlassen, minder schwere Fälle nach § 244 Abs. 3 StGB aF zu prüfen. Sie hat die für den Wohnungseinbruchdiebstahl festgesetzte Strafe dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 244 Abs. 1 StGB entnommen; hinsichtlich des versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls hat sie eine doppelte Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.
5
a) Sieht das Gesetz den Sonderstrafrahmen eines minder schweren Falls vor und ist zugleich ein vertypter Milderungsgrund gegeben, so ist vorrangig der minder schwere Fall zu prüfen. Im Rahmen der dabei gebotenen Gesamtwürdigung aller strafzumessungserheblichen Umstände kann auch der vertypte Milderungsgrund - zu festgestellten sonstigen Milderungsgründen hinzutretend oder auch für sich - einen minder schweren Fall begründen. Erst wenn der Tatrichter die Anwendung des milderen Sonderstrafrahmens auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen dieses Milderungsgrundes herabgesetzten Regelstrafrahmen zugrunde legen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2015 - 1 StR 629/14, NStZ 2015, 696; vom 3. März 2015 - 3 StR 612/14, juris Rn. 7; vom 4. April 2017 - 3 StR 516/16, NStZ 2017, 524 mwN). Ist der nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen für den Angeklagten günstiger als derjenige des minder schweren Falls, ist dies in die Gesamtwürdigung miteinzubeziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 1987 - 3 StR 341/87, BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Strafrahmenwahl 4; vom 17. Juni 2010 - 5 StR 206/10, NStZ-RR 2010, 305; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 50 Rn. 5).
6
Entsprechendes gilt, wenn - wie hier bezüglich des versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls - mehrere vertypte Milderungsgründe vorliegen. Bejaht der Tatrichter unter Heranziehung eines dieser Milderungsgründe einen minder schweren Fall, so steht jeder weitere Milderungsgrund für eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB zur Verfügung (vgl. zum Ganzen MüKoStGB/Miebach/Maier, 3. Aufl., § 46 Rn. 104 ff.; Schäfer/Sander/van Gemmeren , Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1107 ff.).
7
Diese Grundsätze hat die Strafkammer nicht beachtet. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht zu minder schweren Fällen.
8
b) Jedoch ist auszuschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung des § 244 Abs. 3 StGB aF mildere Einzelstrafen verhängt hätte (s. § 337 Abs. 1 StPO); denn sie hat den jeweils zugrunde gelegten Strafrahmen unter Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB den Angeklagten begünstigend fehlerhaft bestimmt:
9
aa) Hinsichtlich des Wohnungseinbruchdiebstahls ist in den Urteilsgründen mitgeteilt, der "einfach gemilderte Strafrahmen" des § 244 Abs. 1 StGB sehe eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und siebenMonaten (anstelle - rechnerisch zutreffend - einer solchen von bis zu sieben Jahren und sechs Monaten) vor. Für den versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl ist der Strafrah- men bei "doppelter Strafmilderung" mit "Geldstrafe oder … Freiheitsstrafe ... bis zu drei Jahren und sechs Monaten" (anstatt - richtigerweise - einer Freiheits- strafe von bis zu fünf Jahren und sieben Monaten [und zwei Wochen]) angegeben.
10
bb) Hiernach hat sich die fehlerhafte Strafrahmenwahl auf das konkrete Strafmaß - Freiheitsstrafe von zwei Jahren für den Wohnungseinbruchdiebstahl sowie Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten für den versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl - nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Dabei ist für beide Taten auszuschließen, dass die Strafkammer auch ohne Hinzuziehung eines vertypten Strafmilderungsgrundes minder schwere Fälle angenommen hätte.
11
Der für den Wohnungseinbruchdiebstahl angewendete Strafrahmen liegt hinsichtlich des Mindestmaßes zwei Monate unter und hinsichtlich des Höchstmaßes sieben Monate über demjenigen des § 244 Abs. 3 StGB aF (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren). Trotz der etwas höheren Obergrenze hätte die Strafkammer keine mildere Einzelstrafe verhängt, wenn sie von einem minder schweren Fall ausgegangen wäre. Eingedenk der in den Urteilsgründen angeführten gewichtigen strafschärfenden Strafzumessungsumstände folgt dies daraus, dass die Strafkammer von einer niedrigeren Untergrenze ausgegangen ist und die Strafe der unteren Hälfte des Strafrahmens entnommen hat.
12
Der für den versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl angewendete Strafrahmen erweist sich als für den Angeklagten insgesamt günstiger gegenüber der Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 244 Abs. 3 StGB aF mit einfacher Strafrahmenverschiebung im Sinne des § 49 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren und neun Monaten).
13
2. Die Urteilsgründe zur Gesamtstrafenbildung leiden an einem Darstellungsmangel , weil sie sich nicht zur Rechtskraft und zum Vollstreckungsstand einer Vorverurteilung des Angeklagten verhalten.
14
Der Angeklagte hatte die beiden abgeurteilten Taten am 6. Juli 2012 und am 7. August 2012 begangen, noch bevor das Amtsgericht Bremen ihn am 18. September 2012 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 8 € verurteilt hatte. Damit kommt in Betracht, dass diese Geldstrafe und die in dem angefochtenen Urteil festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nachträglich auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen sind. Das hätte zur Folge, dass der Vorverurteilung vom 18. September 2012 - zumindest teilweise - Zäsurwirkung für die in dem Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 3. September 2013 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils fünf Monaten zukäme, mit denen die Strafkammer nachträglich eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet hat. Jedenfalls eine der dort abgeurteilten Taten beging der Angeklagte nach dem 18. September 2012; Weiteres ist in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt.
15
Durch die möglicherweise rechtsfehlerhaft gebildete Gesamtstrafe ist der Angeklagte auch beschwert. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts führte eine Gesamtstrafenbildung mit der Geldstrafe aus der Vorverurteilung vom 18. September 2012 nicht zwangsläufig zu einem größeren Gesamtstrafübel. Denn entweder könnte die mit Urteil vom 3. September 2013 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung unangetastet bleiben; oder die ihr zugrundeliegenden Einzelstrafen müssten teilweise in diese neue Gesamtstrafenbildung miteinbezogen werden, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gesamtstrafübel zusammengenommen zwei Jahre und zehn Monate nicht übersteigt.
16
Über die Gesamtstrafe ist daher nochmals zu befinden, wobei der Senat von der durch § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, die Entscheidung dem Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuzuweisen. Dabei wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer zu beachten haben, dass insoweit der Vollstreckungsstand der gegen den Angeklagten ergangenen früheren Urteile zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils (21. November 2016) maßgeblich (s. nur BGH, Beschlüsse vom 5. Juli 2011 - 3 StR 188/11, juris Rn. 5; vom 10. Januar 2017 - 3 StR 497/16, NStZ-RR 2017, 169) und im Fall einer vom Ersturteil abweichenden Gesamtstrafenbildung auch Augenmerk auf das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu richten ist (zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276).
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 6 2 9 / 1 4
vom
11. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Februar 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten L. M. wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 28. Juli 2014 im Strafausspruch , auch soweit es den Angeklagten B. M. betrifft , aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Nach Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten der Angeklagten hat das Landgericht sie wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von jeweils vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte L. M. mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, der auf den Mitangeklagten zu erstrecken ist.
2
1. a) Nach den Feststellungen der Strafkammer entwickelten sich im Sommer 2011 Streitigkeiten zwischen den Angeklagten und dem Geschädigten.
Als die angeklagten Brüder ihn im September 2011 auf ihrem Nachhauseweg sahen, fassten sie deswegen den Entschluss, ihm aufzulauern und ihm sodann eine Abreibung zu verpassen. In Umsetzung dieses Vorhabens passten sie ihn an einem Straßenübergang ab. Sie stiegen aus ihrem Fahrzeug aus, wobei der Angeklagte B. M. mit Kenntnis seines Bruders einen hölzernen Knüppel mit sich führte, und setzten dem Geschädigten nach. Nachdem sie ihn eingeholt hatten, schubste der Angeklagte L. M. den Geschädigten gezielt in Richtung seines Bruders, des Angeklagten B. M. . Dieser versetzte ihm mindestens zwei mit großer Wucht geführte Schläge auf den Kopf. Beide Angeklagte nahmen dabei den Tod des Geschädigten billigend in Kauf. Aufgrund der Schläge erlitt der Geschädigte zwei Schädelfrakturen, die eine akute Lebensgefahr auslösten, und eine offene Wunde am Kopf. Aufgrund dieser Verletzungen kam er zu Fall. Er stürzte auf sein Gesicht, wodurch er sich eine Kiefer- und Jochbeinfraktur sowie Schürfwunden im Gesicht zuzog. Die Angeklagten, die erkannten, dass die Kopfverletzungen tödlich sein konnten (UA S. 8), flüchteten.
3
b) Das Landgericht hat sich vor allem im Hinblick auf die bei den Schlägen aufgewandte "ganz erhebliche Krafteinwirkung" vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei beiden Angeklagten überzeugt. Es ist daher vom versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in den Begehungsvarianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB ausgegangen.
4
Im Rahmen der Strafzumessung hat es - für beide Angeklagte gleichlautend - zunächst geprüft, ob ein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung vorliegt, einen solchen aber auch wegen der besonderen Rohheit der Tatausführung abgelehnt. Sodann hat es das Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags nach "§ 213 StGB" geprüft, dies aber ebenfalls abgelehnt. Dabei hat es sowohl auf die Schwere der Verletzungen und die psychischen Folgen für den Geschädigten abgestellt, als auch auf die schon bei der Prüfung der Voraussetzungen des minder schweren Falls der Körperverletzung erörterten Aspekte. Sodann hat es den Strafrahmen gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Bei den dann folgenden Zumessungserwägungen innerhalb des so gefundenen Strafrahmens hat es auch den "geänderten Schuldspruch berücksichtigt".
5
2. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, auch soweit es sich vom Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz überzeugt hat, weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe den bedingten Tötungsvorsatz auf den "Bewusstseinszustand bei dem anschließenden Unterlassen" gegründet und rechtsfehlerhaft nicht die Voraussetzungen einer Unterlassensstrafbarkeit geprüft, geht sie fehl. Denn als Tathandlung knüpft das Landgericht an die Schläge mit dem Knüppel, mithin an aktives Tun, an. Auf diesen Zeitpunkt bezieht es auch die Prüfung des Wissens- und Willenselements des bedingten Vorsatzes. Das unmittelbare Nachtatverhalten, das Zurücklassen des auf dem Boden liegenden, ersichtlich erheblich verletzten Geschädigten, hat es lediglich bei der für die Prüfung erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36,1, 9 f.; vom 21. Dezember 2011 - 1 StR 400/11, NStZ-RR 2012, 105 und vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.) eingestellt.
6
Einen Rücktritt vom Versuch des Totschlags hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint und das Vorliegen einer tateinheitlich begangenen gefährli- chen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) ohne Rechtsfehler bejaht.
7
Auch steht § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO der - gegenüber dem Vorverfahren (jeweils Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung) - Verschärfung des Schuldspruchs nicht entgegen. Das in dieser Vorschrift enthaltene Verbot der Schlechterstellung bei Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten entspricht dem Regelungsgehalt der § 331, § 358 Abs. 2 StPO (BGH, Urteil vom 29. November 1972 - 2 StR 498/72, MDR 1973, 191 bei Dallinger; MeyerGoßner , StPO, 57. Aufl., § 373 Rn. 13). Danach richtet sich das Verbot nicht gegen eine ungünstigere Beurteilung der Schuldfrage (RG, Urteil vom 25. Juni 1925 - II 166/25, RGSt 59, 291, 292; BGH, Urteil vom 14. Oktober 1959 - 2 StR 291/59, BGHSt 14, 5, 7 und vom 13. Februar 1985 - 3 StR 525/84, NStZ 1986, 206, 209 bei Pfeiffer/Miebach).
8
3. Jedoch kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
9
a) Das Landgericht hat die gebotene Prüfungsreihenfolge nicht beachtet. Sieht das Gesetz einen minder schweren Fall vor und ist - wie hier gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben , muss bei der Strafrahmenwahl zunächst vorrangig geprüft werden, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zuerst auf die allgemeinen Milderungsgründe abzustellen. Vermögen sie die Annahme eines minder schweren Falls allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere ) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind auch die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die Bewertung einzubeziehen.
Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (BGH, Beschluss vom 8. August 2012 - 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7, 8; Urteil vom 28. Februar 2013 - 4 StR 430/12; Beschlüsse vom 8. Juli 2014 - 2 StR 144/14 und vom 5. August 2014 - 3 StR 138/14).
10
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Indem das Landgericht für die Verneinung eines minder schweren Falls lediglich allgemeine Strafzumessungsgründe gewürdigt hat, hat es die Prüfung versäumt, ob nicht wegen Vorliegens des vertypten Milderungsgrundes nach § 23 Abs. 2 StGB ein sonstiger minder schwerer Fall des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB vorliegt, der einen dem Angeklagten günstigeren Strafrahmen eröffnet.
11
b) Die über die Bezugnahme in die Prüfung auch des minder schweren Falls des Totschlags eingestellte Berücksichtigung der besonderen Rohheit der Tatausführung begegnet hier im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB Bedenken. Das Landgericht erläutert den strafschärfend berücksichtigten Umstand nicht näher. Sollte es hiermit - was nahe liegt - allein den erheblichen Kraftaufwand bei Beibringung der Verletzungen erfasst haben, wäre damit ein den Tötungsvorsatz maßgeblich begründender Faktor und die zur Umsetzung dieses Vorsatzes erforderliche Gewalt nochmals nachteilig berücksichtigt.
12
c) Der Senat kann weder ausschließen, dass das Landgericht von einem anderen Strafrahmen ausgegangen wäre, noch dass es dann zu niedrigeren Strafen gelangt wäre.
13
4. Nach § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung auf den nicht revidierenden Mitangeklagten B. M. zu erstrecken, denn insoweit beruht die Zumessung der Freiheitsstrafe auf demselben sachlich-rechtlichen Mangel.
14
5. Die Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deswegen bestehen bleiben. Die neu entscheidende Strafkammer ist jedoch nicht gehindert , ergänzende Feststellungen zu treffen, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
15
6. Für das neu zuständige Tatgericht weist der Senat auf Folgendes hin:
16
Gemäß § 52 Abs. 2 StGB ist die Strafe bei Tateinheit der Vorschrift zu entnehmen, die die schwerste Strafe androht. Dies ist aber hier § 212 StGB, selbst bei Annahme eines minder schweren Falls würde nichts anderes gelten. Vorangestellte Erörterungen zur Annahme eines minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung sind daher nicht veranlasst.
17
Eine Berücksichtigung des gegenüber dem ersten Urteil geänderten Schuldspruchs erfolgt bereits über die Wahl des schwereren Strafrahmens. Weitere strafzumessungsrelevante Umstände in diesem Zusammenhang wären inhaltlich auszufüllen.
Rothfuß Cirener Radtke
Mosbacher Fischer

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.