Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2018 - 4 StR 356/18

bei uns veröffentlicht am22.11.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 356/18
vom
22. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:221118U4STR356.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. November 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwältin – bei der Verkündung – als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12. Januar 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ausdrücklich abgelehnt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte , wirksam auf die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen verstieß der Angeklagte im Tatzeitraum von Juli 2015 bis August 2016 in fünf Fällen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Er litt an einer Cannabisabhängigkeit und wollte mit den Verkäufen von Marihuana und Amphetamin auch seine Sucht finanzieren. Nach der Durchsuchung seiner Wohnung am 1. August 2016 nahm er davon Abstand, weiter Marihuana oder Amphetamin zu konsumieren (UA 5).
3
Eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die sachverständig beratene Strafkammer abgelehnt. Sie geht von einem Hang im Sinne des § 64 StGB aus und bejaht auch einen „motivationalen Zusammen- hang“ zwischen dem Hang und den Taten. Ferner bestehe die Gefahr, dass der Angeklagte wiederholt Straftaten von erheblichem Gewicht „zur Finanzierung seiner Cannabisabhängigkeit“ begehe. Zwar sei die Gefahr nach den Ausführungen des Sachverständigen gering, sie könne aber nicht ausgeschlossen werden (UA 18). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei jedoch nicht verhältnismäßig, da es mildere, „gleichsam“ effektive Mittel gebe, um den An- geklagten zu therapieren. Eine ambulante Therapie, namentlich die vom Angeklagten begonnene Behandlung bei der Drogenberatung der C. , sei eine geeignete Alternative zur stationären Therapie.
4
2. Die zulässige Revision ist unbegründet.
5
a) Das Rechtsmittel ist – ungeachtet des Antrags, das Urteil „im Hinblick auf den Rechtsfolgenausspruch aufzuheben“ – auf die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB beschränkt. Denn ausweislich der Revisionsbegründung beanstandet die Staatsanwaltschaft ausschließlich die Ablehnung dieser Maßregel (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2018 – 4 StR 269/18 mwN).
6
Die Beschränkung ist wirksam (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17, Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 318 Rn. 25 i.V.m. 24).
7
b) Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt.
8
aa) Insoweit kommt es nicht darauf an, dass dem Landgericht bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung (§ 62 StGB) ein Rechtsfehler unterlaufen ist: Es hat die vom Angeklagten begonnene Therapie bei der Drogenberatung der C. lediglich in Beziehung zu einer stationären Therapie gesetzt und insoweit allein eine „geschlossene Unterbringung“ in den Blick genommen (UA 17 f.). Da das Gewicht des mit der Unterbringungsanordnung einhergehenden Eingriffs maßgeblich von der Frage der Vollstreckung der Maßregel abhängt , hätte die Strafkammer jedoch vorrangig prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 1 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 4 StR 291/10, NStZ 2010, 692).
9
bb) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten gemäß § 64 StGB hält gleichwohl im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
10
Die Feststellungen und Wertungen des Landgerichts belegen nämlich, dass die Voraussetzungen einer solchen Unterbringung nicht vorliegen: Die Strafkammer geht im Anschluss an die Ausführungen des von ihr gehörten Sachverständigen davon aus, dass die Wiederholungsgefahr gering sei, aber nicht ausgeschlossen werden könne. Für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hingegen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die „begründete“ Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straf- taten erforderlich (BGH, Urteil vom 21. September 1993 – 4 StR 374/93, NStZ 1994, 30, 31; ebenso Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 64 Rn. 12; vgl. auch BGH, Urteil vom 7. Mai 1991 – 1 StR 141/91); es muss mit einer Wiederholung „zu rechnen“ (BGH, Beschluss vom 29. August 2018 – 4 StR 248/18), dies muss „konkret (zu) besorgen“ sein (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 – 3 StR 148/08, NStZ-RR 2008, 234; OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 Ss 170/10). Die bloße Wiederholungsmöglichkeit genügt nicht (BGH, Urteil vom 21. September 1993 aaO; Urteil vom 11. Dezember 1990 – 1 StR 611/90, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; Beschluss vom 6. Dezember 1996 – 2 StR 608/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 6). Auch in der Literatur wird eine „nahe liegende“ bzw. bestimmte Wahrscheinlichkeit weiterer hangbedingter Straftaten gefordert (Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 84; MünchKomm-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 55; SSWStGB /Kaspar, 3. Aufl., § 64 Rn. 29; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 64 Rn. 5). Dem genügt eine „geringe“ Wahrscheinlichkeit nicht. Daher kommt es nicht mehr darauf an, ob die Formulierung der Strafkammer, die einerseits eine geringe Wahrscheinlichkeit feststellt, sie andererseits aber lediglich nicht ausschließen kann, nicht schon in sich widersprüchlich ist.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

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Strafgesetzbuch - StGB | § 62 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit


Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

Strafgesetzbuch - StGB | § 67b Aussetzung zugleich mit der Anordnung


(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßrege

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 269/18
vom
8. November 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:081118U4STR269.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. November 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 7. November 2017
a) in den Gesamtstrafenaussprüchen gegen die Angeklagten R. und T. und
b) im Strafausspruch gegen den Angeklagten B.
mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen schweren Raubes unter Auflösung einer Gesamtstrafe und Einbeziehung der Strafen aus drei Vorverurteilungen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten B. hat es wegen schweren Raubes die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Den Angeklagten T. hat es des schweren Raubes und des Wohnungseinbruchdiebstahls schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung der Strafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Schließlich hat es gegen alle Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, beanstandet die Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten R. und T. sowie den von der Strafkammer bei der Bemessung der Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten B. vorgenommenen Härteausgleich.
2
Die Revisionen haben Erfolg.

I.


3
1. Nach den Feststellungen begingen die drei Angeklagten am 20. August 2014 gemeinschaftlich einen schweren Raub. Der Angeklagte T. verübte des Weiteren am 12. Mai 2016 einen Wohnungseinbruchdiebstahl. Nach dem 20. August 2014 traten sämtliche Angeklagten mehrfach mit weiteren Verurteilungen strafrechtlich in Erscheinung.
4
a) Gegen den Angeklagten R. verhängte das Amtsgericht Hagen am 29. Juni 2015 wegen Diebstahls, versuchten Diebstahls und Körperverletzung die Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es für drei Jahre zur Bewährung aussetzte. Wegen eines am 21. August 2014 begangenen Diebstahls wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Arnsberg am 10. September 2015 zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt, die er durch Ratenzahlung teilweise bezahlte. Schließlich erkannte das Amtsgericht Dortmund mit Strafbefehl vom 10. April 2017 wegen eines weiteren am 16. Dezember 2016 verübten Diebstahls auf die Geldstrafe von 80 Tagessätzen. Die Vollstreckung dieser Geldstrafe ist bislang zurückgestellt.
5
b) Den Angeklagten B. verurteilte das Amtsgericht Arnsberg am 8. September 2014 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach dem Widerruf der Vollstreckungsaussetzung verbüßte der Angeklagte einen Teil der Strafe vom 26. September 2017 bis 2. November 2017. Die Reststrafe wurde im Zuge der jährlichen Weihnachtsamnestie erlassen. Am 7. April 2015 und 7. Dezember 2015 erkannte das Amtsgericht Arnsberg gegen den Angeklagten wegen Körperverletzung bzw. unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Nötigung jeweils auf Geldstrafen zu 60 Tagessätzen, die durch Vollstreckung der jeweiligen Ersatzfreiheitsstrafen erledigt sind.
6
c) Gegen den Angeklagten T. verhängte das Amtsgericht Arnsberg mit Strafbefehl vom 9. Oktober 2014 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen die Freiheitsstrafe von drei Monaten und setzte die Vollstreckung zur Bewährung aus. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wurde die Vollstreckung nach § 35 BtMG zurückgestellt. Schließlich verurteilte das Amts- gericht Arnsberg den Angeklagten am 30. November 2015 wegen Sachbeschädigung zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen, die durch Ratenzahlung erledigt ist.
7
2. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten R. wegen der Raubtat am 20. August 2014 eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt und unter Einbeziehung der Einzelstrafen von vier Monaten und zweimal drei Monaten aus der Entscheidung des Amtsgerichts Hagen vom 29. Juni 2015, der Geldstrafe von 60 Tagessätzen aus der Entscheidung des Amtsgerichts Arnsberg vom 10. September 2015 und der Geldstrafe von 80 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 10. April 2017 eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten gebildet.
8
Gegen den Angeklagten B. hat es auf die Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt, wobei es für die infolge Erledigung nicht mehr mögliche Einbeziehung der drei Strafen aus den Entscheidungen des Amtsgerichts Arnsberg vom 8. September 2014, 7. April 2015 und 7. Dezember 2015 in eine nachträgliche Gesamtstrafe einen Härteausgleich von drei Monaten vorgenommen hat.
9
Schließlich hat die Strafkammer gegen den Angeklagten T. Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten für die Raubtat am 20. August 2014 und acht Monaten für den Wohnungseinbruchdiebstahl am 12. Mai 2016 verhängt und aus diesen Einzelstrafen und der Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Arnsberg vom 9. Oktober 2014 die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Für die durch Bezahlung erledigte Geldstrafe von 40 Tagessätzen aus dem Erkenntnis des Amtsge- richts Arnsberg vom 30. November 2015 hat es bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe einen Härteausgleich von einem Monat gewährt.

II.


10
Die die Angeklagten R. und T. betreffenden Revisionen sind wirksam auf die jeweiligen Gesamtstrafenaussprüche beschränkt.
11
Das Rechtsmittel bezüglich des Angeklagten B. richtet sich gegen den Strafausspruch. Zwar hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift auch die Revision hinsichtlich des Angeklagten B. ausdrücklich auf den Gesamtstrafenausspruch beschränkt. Die Bedeutung dieser Erklärung ist aber bereits deshalb unklar, weil das Landgericht gegen diesen Angeklagten nicht auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hat. Sie ist zudem nicht mit den weiteren Ausführungen in der Antragsschrift in Einklang zu bringen, mit denen sich der Generalbundesanwalt gegen den von der Strafkammer vorgenommenen Härteausgleich bei der Bemessung der für die Raubtat verhängten Freiheitsstrafe wendet. Auch die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft hat in ihrer Revisionsbegründung unter anderem die fehlende Nachvollziehbarkeit des gewährten Härteausgleichs beanstandet. Die bei sich widersprechenden Ausführungen zum Angriffsziel zur Bestimmung der Reichweite des Revisionsangriffs gebotene Auslegung der Rechtsmittelerklärungen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88; Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 StR528/13, NJW 2014, 871; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 9 f. mwN) ergibt, dass sich die den Angeklagten B. betreffende Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch richtet. Diese Beschränkung ist wirksam.

III.


12
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben in vollem Umfang Erfolg. Sowohl die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten R. und T. als auch der Härteausgleich bei der den Angeklagten B. betreffenden Strafzumessung begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13
1. Nach der Vorschrift des § 55 StGB ist unter Anwendung der §§ 53 und 54 StGB nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein bereits rechtskräftig Verurteilter vor Erledigung der gegen ihn erkannten Strafe wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Diese Regelung soll ihrem Grundgedanken nach sicherstellen, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach den §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren, sodass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Dezember 1954 – 3 StR 189/54, BGHSt 7, 180, 181; Beschlüsse vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; vom 9. November 2010 – 4 StR 441/10, StV 2011, 158; Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 2). Hierbei kommt es maßgeblich allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf die verfahrensrechtliche Situation an (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, aaO; vom 22. Februar 2012 – 4 StR 22/12, wistra 2012, 221). Folgen der Beendigung der neu abgeurteilten Tat mehrere Verurteilungen des Täters nach, ist bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe von der frühesten nicht erledigten Verurteilung auszugehen. Dieser Verurteilung kommt regelmäßig – von hier nicht vorliegenden Ausnahmekonstellationen abgesehen – eine Zäsurwirkung zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. November 2003 – 2 StR 394/03, NStZ-RR 2004, 137; vom 28. Juli 2006 – 2 StR 215/06, NStZ 2007, 28; vom 11. April 2018 – 4 StR 53/18 Rn. 4; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 55 Rn. 11 mwN).
14
2. Nach diesen Grundsätzen können die Gesamtstrafenaussprüche gegen die Angeklagten R. und T. nicht bestehen bleiben.
15
a) Hinsichtlich des Angeklagten R. hat das Landgericht neben der Freiheitsstrafe für die am 20. August 2014 begangene Raubtat zu Recht die (Einzel-)Strafen aus den Entscheidungen des Amtsgerichts Hagen vom 29. Juni 2015 und des Amtsgerichts Arnsberg vom 10. September 2015 zur Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe herangezogen, weil sämtliche Taten vor dem noch nicht erledigten Erkenntnis des Amtsgerichts Hagen vom 29. Juni 2015 beendet wurden. Dagegen besteht hinsichtlich der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 10. April 2017 – wie die Strafkammer ausweislich der Urteilsgründe selbst erkannt hat – keine Gesamtstrafenlage. Denn die dort abgeurteilte Tat wurde erst am 16. Dezember 2016 und damit nach der zäsurbildenden Entscheidung des Amtsgerichts Hagen vom 29. Juni 2015 begangen. Die Geldstrafe von 80 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 10. April 2017 hätte daher bestehen bleiben müssen. Dies hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge, die, da der Angeklagte durch die Einbeziehung der Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe beschwert ist, auch zugunsten des Angeklagten wirkt.
16
b) Bei dem Angeklagten T. hat die Strafkammer übersehen, dass der Wohnungseinbruchdiebstahl am 12. Mai 2016 zeitlich nach der noch nicht erledigten Verurteilung durch das Amtsgericht Arnsberg vom 9. Oktober 2014 erfolgte. Sie hätte daher die für den Wohnungseinbruchdiebstahl verhängte Freiheitsstrafe von acht Monaten nicht in die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe einbeziehen dürfen. Ferner war – selbst für den Fall, dass die Verurteilungen durch das Amtsgericht Arnsberg vom 9. Oktober 2014 und 30. November 2015 untereinander gesamtstrafenfähig waren – kein Härteausgleich veranlasst, weil die Geldstrafe durch Zahlung erledigt worden ist (vgl. BGH, Urteile vom 5. November 2013 – 1 StR 387/13, StraFo 2014, 30; vom 15. September 2004 – 2 StR 242/04; vom 2. Mai 1990 – 3 StR 59/89, NStZ 1990, 436).
17
3. a) Bezüglich des Angeklagten B. hat das Landgericht zutreffend von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen. Denn die drei der abgeurteilten Raubtat zeitlich nachfolgenden Verurteilungen durch das Amtsgericht Arnsberg sind sämtlich erledigt und entfalten daher keine Zäsurwirkung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, aaO; Fischer, StGB, aaO Rn. 10 mwN). Auch der Erlass einer Strafe im Gnadenwege führt zur Erledigung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Dezember 2009 – StB 51/09, NStZ 2010, 445, 448; Rissing-van Saan in LK-StGB, aaO Rn. 23).
18
b) Die Erwägungen der Strafkammer zu dem für die unterbliebene Gesamtstrafenbildung zu gewährenden Härteausgleich halten indes einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
19
Scheitert eine nach § 55 Abs. 1 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt , verjährt oder erlassen ist, so fordert eine darin liegende Härte einen angemessenen Ausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 29. Juli 1982 – 4 StR 75/82, BGHSt 31, 102, 103; vom 23. Januar 1985 – 1 StR 645/84, BGHSt 33, 131, 132; vom 30. April 1997 – 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80). Bezugspunkt für den zu gewährenden Här- teausgleich ist die Gesamtstrafenbildung, wie sie ohne die eingetretene Erledigung der früheren Verurteilungen vorzunehmen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2011 – 5 StR 301/11, StV 2012, 596). Für die Bemessung des Härteausgleichs ist der Tatrichter daher gehalten, sich Klarheit über die ohne Berücksichtigung der Erledigung an sich gegebene Gesamtstrafenlage zu verschaffen. Das Landgericht hat mit Blick auf sämtliche Strafen aus den drei Erkenntnissen des Amtsgerichts Arnsberg vom 8. September 2014, 7. April 2015 und 7. Dezember 2015 einen Härteausgleich von drei Monaten gewährt. Dies wäre im Ansatz nur zutreffend, wenn die drei Verurteilungen untereinander gesamtstrafenfähig gewesen sind, weil alle Taten vor dem 8. September 2014 beendet wurden. Ob dies der Fall ist, lässt sich auf der Grundlage der Urteilsgründe , welche sich zu den Tatzeiten der jeweils abgeurteilten Taten nicht verhalten , nicht abschließend beurteilen.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke
14
Die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB ist ein für eine selbständige Nachprüfung geeigneter Urteilsteil und damit ein Beschwerdepunkt, auf den ein Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden kann (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Dementsprechend ist für Rechtsmittel des Angeklagten anerkannt, dass dieser die Nichtanwendung des § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff ausnehmen kann (BGH aaO BGHSt 38, 362, 363 mwN; van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl., Band 2, § 64 Rn. 128 mwN). Nichts anderes gilt für ein zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (vgl. aber van Gemmeren aaO § 64 Rn. 125 mit Fn. 511). Liegen – wie regelmäßig bei der Entscheidung über die Maßregel des § 64 StGB – die Voraussetzungen der Trennbarkeit von den übrigen Urteilsteilen vor, stehen keine sonstigen rechtlichen Gründe einem wirksamen Ausnehmen der Überprüfung der Ablehnung einer Unterbringung vom Rechtsmittelangriff entgegen. Solche folgen vor allem nicht aus Schutzerwägungen zugunsten des Angeklagten, denn dieser ist allein durch die Anordnung der stationären Maßregel, nicht aber durch deren Unterbleiben beschwert (BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2016 – 3 StR 6/16, NStZ-RR 2016, 169 f. und vom 29. Juni 2016 – 1 StR 254/16, StV 2017, 592, 594).

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 291/10
vom
20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes unter Einbeziehung des Urteils (richtig: der Strafe aus dem Urteil) des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Dezember 2009 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen richtet sich die wirksam mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg ; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Entscheidung der Strafkammer, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
Die Strafkammer hat die Voraussetzungen des § 64 StGB für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bejaht. Gleichwohl hat sie unter Verweis auf § 62 StGB von einer Anordnung der Maßregel abgesehen. Die im Rahmen der Bewährungsentscheidung erteilte Weisung, wonach der Angeklagte sich einer Entziehungskur zu unterziehen und die diesbezüglichen Anstrengungen binnen vier Monaten nach Rechtskraft des Urteils dem Gericht unter Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht nachzuweisen habe, sei als mildere Möglichkeit anzusehen, um den Angeklagten ohne die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu therapieren und zukünftig ohne Drogen auskommen zu lassen. Der Angeklagte, der es in der Vergangenheit sogar mit einer ambulanten Therapie geschafft habe, längere Zeit drogenfrei zu leben, habe die dringende Notwendigkeit erkannt, sein Suchtproblem zu lösen, und bereits ernsthafte Anstrengungen unternommen, einen Therapieplatz zu erhalten. Es bestehe daher keine Notwendigkeit, den Angeklagten den besonderen Belastungen des geschlossenen Maßregelvollzugs auszusetzen.
4
Abgesehen davon, dass die Begründung des Landgerichts jegliche Auseinandersetzung mit dem Gewicht der Anlasstat und der Bedeutung der von dem Angeklagten infolge seines Hangs zu erwartenden Taten vermissen lässt, halten diese Ausführungen einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil die Strafkammer im Rahmen ihrer Verhältnismäßigkeitserwägungen von einer zu vollstreckenden Maßregel ausgegangen ist, ohne die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB geprüft zu haben.
5
Nach der Vorschrift des § 62 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen oder zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind die in der Norm als Bezugspunkte der Prüfung genannten Kriterien in einer Gesamtbetrachtung zusammenfassend zu würdigen und zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs in Beziehung zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1971 - 2 StR 82/71, BGHSt 24, 134, 135; Urteil vom 6. Juni 2001 - 2 StR 136/01, NJW 2001, 3560, 3562).
6
Da das Gewicht des mit der Unterbringungsanordnung einhergehenden Eingriffs maßgeblich von der Frage der Vollstreckung der Maßregel abhängt, hätte die Strafkammer vorrangig prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 1 StGB vorliegen. Nach dieser Norm, mit welcher gerade dem Bedürfnis Rechnung getragen werden soll, den Vollzug einer angeordneten Unterbringung zu vermeiden, wenn der Zweck der Maßregel durch mildere Maßnahmen erreicht werden kann (vgl. MünchKommStGB/Veh § 67b Rdn. 1), ist mit der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Als besonderer Umstand im Sinne des § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB kommen auch Therapiebereitschaft und Bemühungen zur Aufnahme einer stationären Suchtbehandlung jedenfalls dann in Betracht, wenn die mit der Führungsaufsicht nach § 67b Abs. 2 StGB gegebenen Überwachungsmöglichkeiten und die Aussicht eines im Falle eines Weisungsverstoßes drohenden Widerrufs der Vollstreckungsaussetzung eine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass sich der Angeklagte der beabsichtigten, die Gefahr weiterer Taten ausschließenden Entwöhnungsbehandlung unterzieht (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 154/01, RuP 2002, 192; Beschluss vom 22. März 1988 - 4 StR 97/88, BGHR StGB § 67b Abs. 1 besondere Umstände 2).
7
2. Die Frage der Unterbringung nach § 64 StGB bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5).
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Mutzbauer Bender

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 248/18
vom
29. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2018:290818B4STR248.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. August 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 22. Februar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen hielten sich der unter dem Einfluss von Amfetamin stehende Angeklagte und der Nebenkläger am 20. August 2017 ge- meinsam in der Wohnung des Angeklagten auf. Dabei kam es zu „Provokationen“ seitens des Nebenklägers, bei denen er den Angeklagten unter anderem einen „Spasti“ nannte. Der zunehmend erregte Angeklagte forderte den Neben- kläger daraufhin auf, seine Wohnung zu verlassen. Als der Nebenkläger dieser Aufforderung nicht unmittelbar nachkam und sagte, „halt die Fresse, sonst klatsch ich Dir eine“, stach ihm der Angeklagte ein Küchenmesser mit einer spitzen, etwa 10 Zentimeter langen und scharfen Klinge unterhalb der linken Achsel seitlich in den Oberkörper. Damit wollte der Angeklagte den Nebenkläger dazu bringen, seine Wohnung zu verlassen, ohne ihm lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen. Der Nebenkläger erlitt eine sechs Zentimeter tiefe Stichwunde mit Eröffnung der linken Brusthöhle. In der Folge kam es zu einem Pneumothorax. Konkrete Lebensgefahr bestand nicht.
3
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 und Nr. 5 StGB gewertet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des vorangegangenen Amfetaminkonsums bei Tatbegehung im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war.
4
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil dem Landgericht bei der Wahl des Strafrahmens und der konkreten Strafbemessung Rechtsfehler unterlaufen sind.
6
aa) Die Strafkammer hat die Strafe dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB hat sie unter Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung an- gestellten Erwägungen abgelehnt und besonders auf die Schwere der Verletzung des Nebenklägers hingewiesen.
7
Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft, weil sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt hat, ob hier mit Blick auf das Tatvorgeschehen die Voraussetzungen des § 213 Alternative 2 StGB gegeben sind. Zwar führt dies bei Körperverletzungsdelikten – anders bei Tötungsdelikten – noch nicht zwingend zur Annahme eines minder schweren Falls, doch ist dessen Zubilligung regelmäßig geboten, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, Rn. 26; Beschluss vom 27. März 2012 – 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277; Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 mwN; siehe auch Beschluss vom 15. Dezember 2016 – 3 StR 417/16, Rn. 4). Daran gemessen reicht es nicht aus, dass das Landgericht durch seine Bezugnahme auf die bei der konkreten Strafbemessung angestellten Erwägungen auch die dort angesprochene ohne nähere Bewertung erwähnte Provokation des Nebenklägers pauschal bei der Strafrahmenwahl mit herangezogen hat.
8
Rechtsfehlerhaft ist es vorliegend auch, dass sich die Strafkammer nicht erkennbar damit auseinandergesetzt hat, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB unter Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB zu bejahen war (zur Prüfungsreihenfolge vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2017 – 3 StR 516/16, NStZ 2017, 524 mwN). In diesem Fall hätte sich eine deutlich niedrigere Strafrahmenobergrenze ergeben.
9
bb) Schließlich ist auch zu beanstanden, dass das Landgericht dem Angeklagten bei der konkreten Strafzumessung und durch die allgemeine Bezugnahme auch bei der Strafrahmenwahl die Verwirklichung von zwei Varianten des § 224 Abs. 1 StGB angelastet hat. Denn in Bezug auf den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass der Angeklagte die Umstände erkannt hat, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit seines Tuns für das Leben des Nebenklägers in der konkreten Situation ergab (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173; Urteil vom 29. Januar 1952 – 1 StR 767/51, BGHSt 2, 160, 163; st. Rspr.). Dies versteht sich hier auch nicht von selbst. Zwar hat der Angeklagte objektiv eine lebensgefährliche Gewalthandlung begangen, doch ist das Landgericht mit Rücksicht auf die Amfetaminintoxikation und die Übermüdung des Angeklagten an anderer Stelle (bei der Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes ) selbst davon ausgegangen, dass er sich der Gefährlichkeit seines Handelns möglicherweise nicht in vollem Umfang bewusst war (UA 15). Unter diesen Umständen hätte es im Hinblick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – andersals bei dem gleichzeitig bejahten § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB – näherer Ausführungen zur subjektiven Tatseite bedurft.
10
b) Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann nicht bestehen bleiben.
11
Zwar hat das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen das Vorliegen eines Hangs und eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Tatbegehung bejaht. Das Vorliegen einer hangbedingten Gefährlichkeit ist aber nicht hinreichend belegt. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft. Die von ihm begangene Gewalttat geht maßgeblich auf eine Provokation des Nebenklägers zurück. Auch wenn die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr allein durch die Anlasstat begründet werden kann und durch eine hangbedingte schwere Gewalttat regelmäßig hinreichend belegt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2006 – 5 StR 31/06, NStZ-RR 2006, 204 [Ls] mwN), hätte es hier mit Rücksicht auf die festgestellte Provokationslage und den sich daraus ergebenden besonderen Situationsbezug näherer Ausführungen dazu bedurft, warum mit einer Wiederholung zu rechnen ist. Die allgemeine Erwägung der Strafkammer, wonach die Ausgangsbedingungen der Tat jederzeit reproduzierbar seien, reicht dafür nicht aus, zumal es nach den Feststellungen auch schon in der Vergangenheit zu kleineren Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger gekommen war und sich beide auch noch zwei Tage vor der Tat gestritten hatten, ohne dass der Angeklagte deshalb gewalttätig geworden wäre (UA 4).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 148/08
vom
8. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Mai 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 23. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 29 Fällen, davon in 22 Fällen in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige, unter Einbeziehung einer vorangegangenen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 16 Fällen, davon in 10 Fällen in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige, unter Einbeziehung einer weiteren Vorstrafe eine gesonderte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verhängt. Gegen die- ses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die die Verletzung materiellen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel ist im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit es sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet.
3
Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit die Strafkammer die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB mit der Begründung abgelehnt hat, es sei nach den festgestellten Anlass- und Vortaten nicht zu befürchten, dass der Angeklagte infolge seines Hanges zum Drogenmissbrauch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde.
4
Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift vom 10. April 2008 ausgeführt: "Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Unterbringung nach § 64 StGB abgelehnt hat, halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Zwar geht die Jugendkammer zutreffend davon aus, dass nur die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten die Anordnung der Maßregel rechtfertigt. Eine solche Gefahrenprognose aber ist hier sicher zu begründen. Die getroffenen Feststellungen lassen gewichtige Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, die über den Erwerb kleiner Rauschgiftmengen hinausgehen (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 5), konkret besorgen. Denn angesichts der bestehenden Drogenabhängigkeit wird der Angeklagte sich auch künftig die für seinen Drogenkonsum erforderlichen erheblichen Geldmittel zu verschaffen suchen. Seine Taten zeigen deutlich, dass er zu diesem Zweck das unerlaubte Handeltreiben mit - zum Teil an der Grenze zur nicht geringen Menge liegenden - Betäubungsmitteln und auch die Abgabe von Drogen an Minderjährige in Kauf nimmt. Die Annahme, solche Taten seien nicht erheblich im Sinne von § 64 StGB, obwohl es sich im Fall des § 29a BtMG sogar um einen Verbrechenstatbestand handelt und auch das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Betäubungsmitteln mit Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr bedroht ist (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG), geht von einem rechtlich nicht mehr vertretbaren Maßstab aus."
5
Dem schließt sich der Senat an.
6
Zu den in der Strafzumessung enthaltenen Wendungen, dem Angeklagten sei der Drogenhandel dadurch erleichtert worden, dass durch die Festnahme anderer Dealer eine "Marktlücke" entstanden sei, und dass er durch sein Geständnis den Abnehmern erspart habe, vor Gericht aussagen zu müssen, bemerkt der Senat, dass derartige Erwägungen zu Gunsten des Angeklagten ersichtlich den durch § 46 StGB aufgestellten Rahmen zulässiger Strafzumessungserwägungen verlassen; der Angeklagte ist dadurch jedoch nicht beschwert.
Becker Pfister Kolz Hubert Schäfer

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mainz vom 21. Mai 2010 wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden dem Angeklagten auferlegt (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Mainz verurteilte den Angeklagten am 19. November 2009 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Mainz die Entscheidung am 21. Mai 2010 dahin abgeändert, dass sie den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt hat. Hiergegen hat der Verteidiger Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht.

II.

2

Das zulässige Rechtsmittel ist als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO).

3

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat keinen Anlass gesehen, das Urteil aufzuheben, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist. Neben den übrigen in § 64 StGB genannten Voraussetzungen der Unterbringung kommt deren Anordnung nur dann in Betracht, wenn die Gefahr der Begehung künftigererheblicher rechtswidriger Taten besteht. Die Gefahr des Erwerbs kleinerer Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum, wie sie aus der von der Strafkammer abgeurteilten Tat herzuleiten sein mag, rechtfertigt für sich allein die Maßregel noch nicht. Vielmehr bedarf es hierzu der konkreten Besorgnis gewichtigerer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Eine solche Gefahr sieht der Senat hier aber selbst unter Mitberücksichtigung der vorausgegangenen Verurteilungen des Angeklagten vom 17. Oktober 2001 und 18. März 2008 wegen weiterer – nicht allzu schwerwiegender – Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht. Die Vorschrift des § 64 StGB eröffnet nicht allgemein die Unterbringung eines Täters schon allein wegen dessen Behandlungsbedürftigkeit. Die Maßregel ist vielmehr eingebettet in das strafrechtliche System der Maßregeln von Besserung und Sicherung und daher zusätzlich abhängig von der künftigen Entwicklung des Angeklagten als Straftäter und den von ihm ausgehenden Gefahren (vgl. BGH in NStZ-RR 1996, 257, in NStZ-RR 2008, 234, in NStZ 1994, 280 sowie in BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 3 und 5; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 64 Rdnr. 15 und 16). Nach den aufgeführten Kriterien drängte sich vorliegend eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB nicht auf.

4

Aber selbst wenn im Einzelfall der Sachverhalt Anlass bietet, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu prüfen, und der Tatrichter die Prüfung gleichwohl fehlerhaft unterlässt, führt ein solcher den Angeklagten nicht beschwerender Rechtsfehler grundsätzlich nur dann zur Aufhebung des Urteils, wenn den Gründen zu entnehmen ist, dass die neue Hauptverhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Unterbringung führen wird (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1993 – 1 StR 326/93 –). Das ist hier indes nicht der Fall.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.