Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 187/18
vom
20. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:200618B4STR187.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. Juni 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Siegen vom 7. Dezember 2017 wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) soweit eine Entscheidung über die Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Siegen vom 18. Mai 2016 nach Auflösung der dort gebil- deten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Seine gegen dieses Urteil gerichtete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer dem Angeklagten bei der konkreten Bestimmung der Einzelstrafe für die abgeurteilte Tat (Tatzeit: 15. Mai 2016) angelastet hat, diese „keine zwei Monate nach seiner einschlägigen Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis“ begangen zu haben (UA 10), ohne dass die Feststellungen dies belegen. Danach wurde der Angeklagte vor dem 15. Mai 2016 nur einmal, und zwar am 20. März 2015, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und anderer Delikte verurteilt (UA 5). Diese Verurteilung durch das Amtsgericht Siegen lag zum Tatzeitpunkt aber nicht weniger als zwei, sondern bereits mehr als elf Monate zurück. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer zu einer niedrigeren Einzelstrafe gelangt wäre, wenn sie von einer geringeren als der von ihr angenommenen sehr hohen Rückfallgeschwindigkeit ausgegangen wäre. Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht auch die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
3
2. Soweit das Landgericht die Prüfung der Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterlassen hat, obwohl sich diese nach den Urteilsfeststellungen zum Drogenkonsum der Angeklagten und seinen Auswirkungen aufdrängte, hält das Urteil revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
4
Nach den Feststellungen begann der Angeklagte „vor zweieinhalb Jahren“ damit, alle zwei Tage ca. 1 bis 2 Gramm Kokain und Amphetamin zu kon- sumieren. Eine einmonatige Therapie führte nicht zu einer dauerhaften Abstinenz. Das bei ihm am 15. Mai 2016 aufgefundene Rauschgift (99,81 Gramm Marihuana und 12,5 Gramm Amphetamin) war für den Eigenverbrauch bestimmt. In der ihm in diesem Zusammenhang entnommenen Blutprobe konnten Amphetamin und Kokain nachgewiesen werden. Nach seiner Inhaftierung in anderer Sache am 10. Mai 2017 litt er unter Entzugserscheinungen. Danach liegt es nahe, dass der Angeklagte einen Hang im Sinne des § 64 StGB hat, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Februar 2018 – 3 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 140 [Ls]) und der abgeurteilten Tat ein Symptomwert für diesen Hang zukommt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18, Rn. 15 f. mwN). Auch die Annahme einer hangbedingten Gefährlichkeit, insbesondere in Bezug auf Beschaffungstaten , ist danach keinesfalls fernliegend (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 StR 693/96, StV 1998, 75). Da das Landgericht bei seiner positiven Bewährungsentscheidung davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte „bereit ist, Hilfe anzunehmen und etwas gegen seinen Drogenkonsum zu unternehmen“, bestehenschließlich auch Anknüpfungspunkte für eine positive Therapieprognose im Sinne des § 64 Satz 2 StGB.
5
Der neue Tatrichter wird über die Frage der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Beachtung des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2011 – 4 StR 434/11, NStZ 2012, 463, 464) neu zu entscheiden haben. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die etwaige Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 3 StR 563/17, Rn. 9 mwN). Der Angeklagte hat die Nichtan- wendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2017 – 1 StR 367/17, Rn. 10 [insoweit in NStZ-RR 2017, 370 nicht abgedruckt]).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 645/17
vom
20. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:200218B3STR645.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 20. Februar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO einstimmig
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 12. Oktober 2017
a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist,
b) im Ausspruch über die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis dahin neu gefasst, dass die Verwaltungsbehörde angewiesen wird, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen und ihm vor Ablauf dieser Zeit das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, nicht wieder zu erteilen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt ; zudem hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, "dem Angeklagten vor Ablauf von 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen und ihm vor Ablauf dieser Zeit das Recht von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen wieder zu erteilen". Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs weist das Urteil keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Trotz der zweifelhaften Bewertung von MDMA als "harte Droge" (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 1999 - 5 StR 705/98, juris Rn. 2; zum Meinungsstand Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., Vorbem. zu §§ 29 ff. Rn. 213 mwN; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 364 mwN) hat der Strafausspruch Bestand, da die verhängte Rechtsfolge jedenfalls angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Auch die Überprüfung der Entscheidung zur Maßregel nach § 69a Abs. 1 Satz 1, § 69b Abs. 1 Satz 3, § 69 Abs. 1 StGB hat keinen Rechtsfehler ergeben; der Senat hat jedoch den Ausspruch über die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis wegen eines offensichtlichen Schreibversehens des Landgerichts neu gefasst und um das Wort "nicht" ergänzt.
3
2. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abzusehen, begegnet hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte "nach seinen Angaben" zunächst gelegentlich und seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes vor etwa eineinhalb Jahren zunehmend Kokain, gelegentlich auch Heroin und vermehrt Alkohol, ohne dass es "zu einer verfestigten Regelmäßigkeit gekommen sei". In finanziell bedrängter Lage nutzte er seine Kontakte in die Betäubungsmittelszene, um sich als Kurier an einem größeren Betäubungsmittelgeschäft zu beteiligen. Nachdem er am Morgen des Tattages Heroin , Kokain und Alkohol "in den für ihn üblichen Bereichen" konsumiert hatte, transportierte er am Nachmittag - unter dem Einfluss der Rauschmittel, indes ohne erhebliche Beeinträchtigung seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit - im Kofferraum seines PKW 1.703,5 g einer MDMA-Zubereitung mit einem Wirkstoffanteil von 369 g MDMA-Base und 1.924,75 g Haschisch mit einem Wirkstoffanteil von ca. 273 g THC aus den Niederlanden über die Grenze in das Bundesgebiet, wo die Drogen gewinnbringend verkauft werden sollten. Über eine zum Führen des Kraftfahrzeugs erforderliche Fahrerlaubnis verfügte der Angeklagte nicht. Nach seiner Inhaftierung stellte er "nach eigenen Angaben" den Konsum von Rauschmitteln ein; ernsthafte Entzugserscheinungen habe er nicht gehabt.
5
Die Strafkammer hat - ohne einen Sachverständigen beizuziehen - einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln verneint und hierzu ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der "weitgehend vage gebliebenen Angaben des Angeklagten" dazu nicht mehr als eine bloße Neigung zum Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum erkennbar sei.
6
b) Zu dem Konsumverhalten des Angeklagten fehlt es bereits an hinreichenden Feststellungen. Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem besorgen, dass es seiner Entscheidung ein fehlerhaftes Verständnis des Begriffs "Hang" im Sinne des § 64 StGB zugrunde gelegt hat.
7
aa) Hinsichtlich des Rauschmittelkonsums des Angeklagten sind die Feststellungen lückenhaft, weil das Urteil insoweit lediglich mitteilt, wie sich der Angeklagte dazu eingelassen hat; es fehlt indes an einer Darlegung, von welchem Ausmaß des Konsums sich die Strafkammer überzeugt hat. Auch im Rahmen der Begründung der Maßregelentscheidung verweist die Strafkammer nur auf die weitgehend vage gebliebenen Angaben des Angeklagten und darauf , dass er diese auf Nachfrage nicht habe ergänzen wollen, ohne hinreichende eigene Feststellungen zu treffen.
8
bb) Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 - 1 StR 587/16, juris Rn. 9; vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15, juris Rn. 7; Urteile vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210; vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10). Wenngleich erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annah- me eines Hangs aus (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15, juris Rn. 6; vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen (BGH, Beschlüsse vom 12. April 2012 - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271; vom 30. März 2010 - 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216). Er setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen , wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (BGH, Beschluss vom 7. Januar2009 - 5 StR 586/08, NStZ-RR 2009, 137).
9
Eine die aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe in den Blick nehmende Gesamtwürdigung lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Zudem lässt die Erwägung , bei dem Angeklagten sei (aufgrund seiner Angaben) nicht mehr als eine "bloße Neigung zum Betäubungsmittel- und Alkoholmissbrauch" erkennbar geworden , besorgen, dass die Strafkammer rechtsirrig die nach der mitgeteilten Einlassung des Angeklagten naheliegende eingewurzelte Neigung, immer wieder harte Drogen (Kokain und Heroin) sowie Alkohol zu konsumieren, als nicht ausreichend erachtet hat. Dieser hat (unwiderlegt) angegeben, seit längerer Zeit und seit eineinhalb Jahren zunehmend Rauschmittel konsumiert zu haben, und stand - positiv festgestellt - auch zum Tatzeitpunkt "in den für ihn üblichen Bereichen" unter dem Einfluss von Kokain, Heroin und Alkohol. Angesichts dieses Konsumverhaltens erscheint der Angeklagte ersichtlich sozial gefährdet und - wie das Fahren unter Einfluss von Rauschmitteln und die Kuriertätigkeit zeigen - gefährlich. Demgegenüber kommt dem vom Landgericht hervorgehobenen Fehlen ernsthafter Probleme oder Entzugserscheinungen in der Untersuchungshaft nur eingeschränkte Aussagekraft zu; soweit auf die Abstinenz des Angeklagten nach der Inhaftierung abgestellt wird, ist überdies nicht ersichtlich, dass diese als vom Angeklagten ausgehend zu werten ist und der Annahme eines Hangs entgegensteht.
10
c) Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil im Hinblick auf die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Angesichts dessen, dass der Angeklagte sich in finanziellen Schwierigkeiten befand, ist es wahrscheinlich, dass er die Taten jedenfalls auch begangen hat, um den mitgeteilten Eigenkonsum befriedigen zu können; der erforderliche symptomatische Zusammenhang liegt daher nahe. Die Begehung weiterer Betäubungsmitteldelikte ist nach dem geschilderten Konsumverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt bezüglich einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel für den bisher nicht therapierten Angeklagten.
11
3. In der neuen Verhandlung wird die Vernehmung eines Sachverständigen erforderlich sein (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO).
Becker Spaniol Tiemann
Berg Hoch
15
Im Hinblick darauf, dass die Anlasstat bereits dann Symptomwert für den Hang hat, wenn dieser neben anderen Ursachen zu ihr beigetragen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1996 - 2 StR 470/96, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1; vom 13. September 2011 - 3 StR 277/11, juris Rn. 8; MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 40), liegt es nahe, dass das betäubungsmittelbedingte Absinken der Hemmschwelle für die Deliktsbegehung den symptomatischen Zusammenhang zu begründen vermag. Ohne nähere Erläuterung scheinen die Ausführungen zur Strafzumessung und zur Maßregel nach § 64 StGB widersprüchlich.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 434/11
vom
20. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und auf Antrag des Beschwerdeführers am 20. September 2011
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 25. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kammer des Landgerichts Frankenthal zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen, in weiterer Tateinheit mit versuchtem schweren Raub, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision macht der Angeklagte einen Verstoß gegen § 246a StPO geltend und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Nachprüfung des Schuld-, und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

I.


2
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat das Landgericht ohne sachverständige Hilfe verneint, weil es das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 Satz 1 StGB nicht festzustellen vermochte. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass es an hinreichenden Erkenntnissen über die Trinkgewohnheiten des Angeklagten fehle. Zwar habe der Angeklagte schon Straftaten in alkoholisiertem Zustand begangen, doch spreche vieles dafür, dass der Angeklagte lediglich bei gelegentlichen Alkoholeskapaden zu aggressiven Übergriffen neige. Auch seine berufliche und familiäre Integration stünden der Annahme eines Hanges entgegen.

II.


3
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat, begegnen schon deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil - wie die Revision zu Recht rügt - entgegen § 246a Satz 2 StPO kein Sachverständiger hinzugezogen wurde.
4
Nach § 246a Satz 2 StPO ist ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und seine Behandlungsaussichten zu vernehmen, wenn das Gericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erwägt. Diese durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatri- schen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I. S. 1327) neu geschaffene Vorschrift ist § 454 Abs. 2 Satz 1 StPO nachgebildet und trägt nach dem Willen des Gesetzgebers in erster Linie der zugleich vorgenommenen Umwandlung von § 64 StGB in eine Soll-Vorschrift Rechnung (BTDrucks. 16/1344, S. 17; 16/5137 S. 11; 16/1110, S. 25). Danach ist der Tatrichter auch weiterhin grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverständigen anzuhören , wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist (Löwe/Rosenberg-Becker, StPO, 26. Aufl., § 246a, Rn. 8; Berg in BeckOK, StPO, § 246a, Rn. 2). Von dieser Verpflichtung ist er allerdings dann befreit, wenn er die Maßregelanordnung nach § 64 StGB allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist (BTDrucks. 16/1344, S. 17; 16/5137 S. 11; Löwe/Rosenberg-Becker, StPO, 26. Aufl., § 246a, Rn. 8; KK-Fischer, 6. Aufl., § 246a, Rn. 2). Ob darüber hinaus von einer Begutachtung auch dann abgesehen werden darf, wenn eine grundsätzlich in Betracht kommende Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht in Erwägung gezogen wird, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht auf der Hand liegt (vgl. BT-Drucks. 16/1110, S. 25; BT-Drucks. 16/1344, S. 17; SK-StPO/Frister, § 246a, Rn. 6; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 246a, Rn. 3; a.A. BT-Drucks. 16/5137, S. 11; Löwe/ Rosenberg-Becker, StPO, 26. Aufl., § 246a, Rn. 8; Berg in BeckOK, StPO, § 246a, Rn. 2; Schneider NStZ 2008, 68, 70), braucht der Senat nicht zu entscheiden.
5
Das Landgericht hat die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB im Einzelnen erörtert und damit konkret in Erwägung gezogen. Dabei hat es die Annahme eines Hanges unter anderem mit der Begründung verneint, dass kei- ne ergiebigen Erkenntnisse über die Trinkgewohnheiten des Angeklagten gewonnen werden konnten. Seine Negativentscheidung beruht damit weder auf einem sicheren Ausschluss einer hinreichenden Erfolgsaussicht kraft eigener Sachkunde, noch auf einer Ausübung des durch § 64 StGB eingeräumten Ermessens. Kann über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine im Raum stehende Maßregelanordnung nach § 64 StGB keine Klarheit gewonnen werden, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Tatrichters zur Beurteilung des Zustands des Angeklagten nicht ausreichen, ist die Beiziehung eines Sachverständigen nach § 246a Satz 2 StPO geboten. Dabei gehört es auch zu den Aufgaben des Sachverständigen, durch eine entsprechende Befragung des Angeklagten im Rahmen der Exploration und die Auswertung - gegebenenfalls noch herbeizuschaffenden - Aktenmaterials Defizite des Gerichts bei der Tatsachenfeststellung auszugleichen (vgl. Rössner in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 1, S. 410 f.).
6
Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB auf diesem Rechtsfehler beruht.
Ernemann Cierniak Franke
Bender Quentin

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

9
Zu den weiteren Anordnungsvoraussetzungen oder Ausschlussgründen verhält sich das landgerichtliche Urteil nicht. Über die Frage der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert die etwaige Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO, vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5); sie haben die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 367/17
vom
23. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:230817B1STR367.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 23. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 25. Januar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und zehn Monaten verurteilt und von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ge2 mäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil zu besorgen ist, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
3
1. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige hat bei dem Angeklagten einen Missbrauch im Sinne eines schädlichen Gebrauchs von Alkohol diagnostiziert, der die Schwelle zum Abhängigkeitssyndrom (noch) nicht erreiche. Im Falle des Aufstauens unverarbeiteter Eindrücke bewirke der Alkohol bei ihm eine Mobilisierung der Gefühle. Dies begründe eine hohe Affinität des Angeklagten zu Alkohol. Unter Alkoholeinfluss zeigten sich bei ihm wesensfremde aggressive Verhaltensweisen, über die er sich auch durchaus im Klaren sei. Der Angeklagte konsumiere regelmäßig an den Wochenenden Alkohol. Bei ihm bestehe bereits eine deutliche Toleranzentwicklung bezüglich alkoholbedingter Auswirkungen; diese setze sich allerdings nicht bis in höchste Konsumbereiche fort, sondern verbleibe im Bereich einer Alkoholisierung zwischen 1,5 und 2 Promille. Es fehle außerdem an einem überdauernden starken Suchtdruck und einer ausgeprägten Einengung des eigenen Interessenbereichs. Die zentralen Lebensbereiche des Angeklagten – Arbeit, Fußball und Führerschein – würden nicht von seinem Alkoholkonsum dominiert. Bemerkenswert sei auch seine Fähigkeit, den Alkoholkonsum in diesen Bereichen zu begrenzen und so auch über längere Zeiträume hinweg abstinent zu bleiben. Dennoch spiele der Alkohol im Leben des Angeklagten eine wichtige Rolle. Eine Grundbereitschaft zur Abstinenz bestehe trotz negativer Erfahrungen und aggressiver Verhaltensweisen nicht. Zu Abstinenzphasen komme es nur dann, wenn der Angeklagte bestimmte Ziele verfolge, die ihm wichtiger als der Alkoholkonsum seien (UA S. 17-18). Zwar habe der Alkoholkonsum keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Angeklagten gehabt. Aller- dings sei die Tat ohne die Alkoholisierung des Angeklagten nicht vorstellbar und widerspreche seinem übrigen bürgerlichen Lebensentwurf. Vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeit, seiner hohen Affinität zu Alkohol, der Wirkung von Alkohol auf ihn und seiner Weigerung, dauerhaft auf Alkohol verzichten zu wollen, insbesondere trotz bürgerlicher Sozialisation, sozialer Ächtung und strafrechtlicher Konsequenzen, lägen die Voraussetzungen einer sozialen Gefährlichkeit vor (UA S. 45).
4
2. Gleichwohl hat das Landgericht – entgegen der Einschätzung des Sachverständigen – von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB abgesehen, weil es einen übermäßigen Konsum von alkoholischen Getränken durch den Angeklagten nicht festzustellen vermochte. Insbesondere sei der Angeklagte in Anbetracht der konkreten Umstände weder sozial gefährdet noch gefährlich. Seine Neigung zu wesensfremdem und aggressivem Verhalten unter Alkoholeinfluss begründe seine soziale Gefährlichkeit nicht. Er sei auch im alkoholisierten Zustand in der Lage gewesen, „seine Aggressionen gezielt zu steuern“ und habe zu keinem Zeitpunkt Freunde oder Mannschaftsmitglieder attackiert und daher nicht haltlos und vollkommen unberechenbar agiert (UA S. 48).
5
3. Diese Ausführungen sind infolge eines zu engen Verständnisses eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht frei von Rechtsfehlern.
6
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198; vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15; vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, NStZ-RR 2017, 198 und vom 26. Januar 2017 – 1 StR 646/16, NStZ-RR 2017,

239).


7
b) Die Ausführungen des Landgerichts zum Hang begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat hier die Anforderungen an das Vorliegen einer sozialen Gefährlichkeit des Angeklagten überspannt. Soziale Gefährlichkeit liegt typischerweise im Falle von Beschaffungskriminalität vor, ist hierauf jedoch nicht beschränkt. Denn es kommen auch andere Delikte als solche der Beschaffungskriminalität als Hangtaten in Betracht, wenn sich in ihnen die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 mwN). Vor diesem Hintergrund hätte die hohe Alkoholaffinität des Angeklagten und seine signifikant gesteigerte Aggressionsbereitschaft schon bei mittleren Alkoholmengen berücksichtigt werden müssen und zwar auch dann, wenn der Angeklagte zu längeren Abstinenzintervallen in der Lage ist. Er ist ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen unter Alkoholeinfluss bereits zweimal strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat darüber hinaus mehrere tätliche Übergriffe unter anderem zum Nachteil seiner Eltern begangen.
8
4. Den getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nicht gegeben sind. Insoweit ist der Sachverständige vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB aus forensisch-psychiatrischer Sicht zweifelsfrei vorlägen (UA S. 45).
9
5. Die im Hinblick auf die Nichtanordnung der Maßregel getroffenen Feststellungen waren mit aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO), denn infolge des rechtsfehlerhaften Verständnisses zum Hangbegriff sind die dazu getroffenen Feststellungen ihrerseits nicht tragfähig.
6. Das Verschlechterungsverbot steht einer Nachholung der Unterbrin10 gungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2017 – 1 StR 646/16, NStZ-RR 2017, 239 und vom 25. November 2015 – 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; Urteil vom 10. April1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Raum Graf Radtke
Bär Hohoff