Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2008 - 4 StR 178/08

published on 27/05/2008 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2008 - 4 StR 178/08
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 178/08
vom
27. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 11. Dezember 2007 im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte "in der Zeit von 1998 bis 2004" [UA 5] sieben Missbrauchstaten zum Nachteil seiner am 8. Januar 1990 geborenen Schwester Mandy begangen, unter anderem die Tat II 1 der Urteilsgründe "im Frühjahr oder Sommer 1998" und die Taten II 2 und 4 der Urteilsgründe "im vorbezeichneten Zeitraum vor dem 14. Geburtstag der Geschädigten"; hinsichtlich der Tat II 3 der Urteilsgründe fehlt es an einer näheren Eingrenzung der Tatzeit. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass der am geborene Angeklagte bei Begehung dieser vier Taten noch Heranwachsender (§§ 1, 105 JGG) war. Das Landgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob der Angeklagte zur Tatzeit nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, sodass Jugendstrafe anzuwenden wäre.
3
Auch die für die übrigen Taten verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben. Zwar ergeben die Feststellungen zu den weiteren Missbrauchstaten zum Nachteil seiner Schwester Mandy und zu der sexuellen Nötigung zum Nachteil der Zeugin Christin K. , dass der Angeklagte bei Begehung dieser Taten das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Sollte die nun entscheidende Jugendkammer hinsichtlich der Taten II 1 bis 4 der Urteilsgründe zur Anwendung von Jugendstrafrecht kommen, so würde die Verurteilung teils zu Jugend- teils zu Erwachsenenstrafe gegen § 32 JGG verstoßen. Danach ist es nicht statthaft, bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten, auf die teils Jugendstrafrecht , teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, sowohl auf Jugendstrafe als auch auf Erwachsenenstrafe zu erkennen (vgl. BGHSt 29, 67 m.w.N.), vielmehr ist entsprechend dem Schwergewicht der Taten entweder nur nach Jugendstrafrecht oder nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.
4
Welches Recht einheitlich auf mehrere in verschiedenen Alterstufen begangene Taten anzuwenden ist, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht liegt. Dies hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Lässt sich nicht eindeutig erkennen, dass das Schwergewicht bei den vom Angeklagten als Heranwachsenden begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftaten liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden (vgl. BGHR JGG § 32 Schwergewicht 4 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 570/99).
Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.

(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.

(3) Ist zweifelhaft, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

Für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, gilt einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. Ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden.