Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2020 - 3 StR 233/19
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2020 beschlossen:
Gründe:
- 1
- Der Senat hat mit Urteil vom 27. November 2019 auf die Revision des Verurteilten die Strafverfolgung teilweise beschränkt, das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 30. Oktober 2018 im Schuldspruch entsprechend geändert und die weitergehende Revision als unbegründet verworfen. Dagegen wendet sich der Verurteilte mit seiner Anhörungsrüge (§ 356a StPO), mit der er neben einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz geltend macht.
- 2
- Der Rechtsbehelf hat keinen Erfolg.
- 3
- 1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt. Der Senat hat bei seiner Entscheidung weder Verfahrensstoff verwertet, zu dem der Verurteilte nicht gehört worden ist, noch hat er zu berücksichtigendes Vorbringen des Verurteilten übergangen. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG aF war zentraler Gegenstand der Revisionshauptverhandlung. Der Senat war weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich gehalten, den Verurteilten vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 3 StR 17/15, wistra 2016, 452 Rn. 4 f. mwN).
- 4
- 2. Hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz richtet sich das Vorbringen gegen die Entscheidung des Senats in der Sache. Solche Beanstandungen sind im Rahmen des § 356a StPO jedenfalls dann unbeachtlich, wenn kein Gehörsverstoß vorliegt; denn das Verfahren nach dieser Vorschrift soll ein Urteil nicht generell erneut zur Überprüfung stellen, sondern lediglich Gehörsverletzungen heilen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Oktober 2011 - 1 StR 399/11, NStZ-RR 2012, 21, 22; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 171/17, juris Rn. 4 mwN).
Anstötz Erbguth
Vorinstanz:
Lüneburg, LG, 30.10.2018 - 7102 Js 9283/12 21 KLs 1/17
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Urteil einreichenBundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2020 - 3 StR 233/19 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.
Tenor
-
Die Anhörungsrüge des Verurteilten gegen den Senatsbeschluss vom 26. November 2015 wird verworfen.
-
Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsbehelfs zu tragen.
Gründe
- 1
-
Der Senat hat mit Beschluss vom 26. November 2015 auf die Revision des Verurteilten das Urteil des Landgerichts Koblenz, soweit es ihn betrifft, in zehn Fällen - in einem Fall unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zum Vermögensnachteil - sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben, die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen und die weitergehende Revision verworfen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner An-hörungsrüge (§ 356a StPO). Er beanstandet, dass der Senat vor der Entscheidung keinen Hinweis auf seine dem Senatsbeschluss zugrunde gelegte Rechtsauffassung erteilt habe, wonach die für die Erfüllung des Untreuetatbestandes erforderliche Vermögensbetreuungspflicht aus der Stellung des Verurteilten als Mitglied des Aufsichtsrats folge. Mit dieser rechtlichen Subsumtion hätten er und seine Verteidiger sich nach dem Senatsbeschluss erstmals konfrontiert gesehen.
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Die zulässige Gehörsrüge ist unbegründet.
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Soweit der Senat die weitergehende Revision des Verurteilten auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts und ohne vorherigen Hinweis auf seine Rechtsauffassung verworfen hat, entspricht dieses Vorgehen nach § 349 Abs. 2 StPO der üblichen Beratungs- und Entscheidungspraxis der Strafsenate des Bundesgerichtshofs. Dem Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist dadurch Rechnung getragen worden, dass der Senatsbeschluss auf den begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft ergangen ist und der Verurteilte mit der Zustellung des Antrags Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hat. Um bei diesem Verfahrensstand nach § 349 Abs. 2 StPO entscheiden zu können, muss sich das Revisionsgericht nur im Ergebnis, nicht aber auch in allen Teilen der Begründung dem Antrag der Staatsanwaltschaft anschließen. In diesen Fällen ist es auch verfassungsrechtlich nicht geboten, die Entscheidung des Revisionsgerichts zu begründen, wenngleich eine Begründung sinnvoll ist und - wie vorliegend vom Senat praktiziert - der ständigen Übung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs entspricht (vgl. zu alledem BVerfG, Beschlüsse vom 21. Januar 2002 - 2 BvR 1225/01, NStZ 2002, 487, 488 f.; vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11, NJW 2014, 2563, 2564).
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Der Senat war auch weder einfachgesetzlich noch verfassungsrechtlich gehalten, den Verurteilten vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Die auf die Besonderheiten der Tatsacheninstanz zugeschnittene Vorschrift des § 265 StPO gilt im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht und steht lediglich einer den Schuldspruch abändernden Entscheidung des Revisionsgerichts entgegen, wenn der Angeklagte im Hinblick auf die von der Auffassung des Tatgerichts im Ergebnis abweichende rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht noch keine Möglichkeit der Verteidigung hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12, juris Rn. 8; KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 265 Rn. 1; LR/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 20 f.). So lag der Fall indes nicht; der Senat hat eine Änderung des Schuldspruchs nicht vorgenommen.
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Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht im Übrigen grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung. Der Verfahrensbeteiligte muss grundsätzlich, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190; vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 144 f.). Nach diesen Maßstäben lag eine Überraschungsentscheidung nicht vor, da die mit der Anhörungsrüge angegriffene Rechtsauffassung des Senats bereits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 6. Dezember 2001 - 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187, 201 f.) - was auch die Anhörungsrüge der Sache nach einräumt - angelegt war. Auch wurde dem Verurteilten schon deshalb kein Sachvortrag abgeschnitten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190), weil für die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin allein die Urteilsurkunde maßgeblich war.
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Schließlich hat der Senat bei seiner Entscheidung weder Verfahrensstoff verwertet, zu dem der Verurteilte nicht gehört worden wäre, noch zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen.
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Becker Schäfer Mayer
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Gericke Spaniol
Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Im Wesentlichen ist unter Darlegung des Akteninhalts geltend gemacht, das Urteil des Landgerichts sei sowohl zum Schuldspruch als auch zum Strafausspruch falsch. Zum Schuldspruch soll die Gehörsverletzung offenbar darin liegen, dass der Senat zu einer (von ihm näher behandelten) Frage "auf die Einzelbegründung der Revision nicht eingegangen" sei. Dies verkennt den gebotenen Umfang der Begründung eines Beschlusses gemäß § 349 Abs. 2 StPO. Zum Strafausspruch wird im Kern geltend gemacht, der Senat habe wesentliche , nicht zuletzt aus dem Akteninhalt ersichtliche Gesichtspunkte ebenso wenig wie das Landgericht gewürdigt und so eine falsche Entscheidung bestätigt. § 356a StPO kann jedoch nicht generell ein Urteil erneut zur Überprüfung stellen, sondern soll Gehörsverletzungen heilen. Eine entsprechende Behauptung hinsichtlich des Strafausspruchs ist dem Vorbringen jedoch nicht zu entnehmen. Sie träfe auch nicht zu. Nack Wahl Hebenstreit Graf Sander