Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juni 2019 - 2 StR 94/19

bei uns veröffentlicht am25.06.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 94/19
vom
25. Juni 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2019:250619B2STR94.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Juni 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und § 354 Abs. 1a StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. September 2018 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fasste der intelligenzgeminderte Angeklagte am 14. oder 15. Juni 2016 gegen 16.00 Uhr den Entschluss , mit seiner Ehefrau trotz ihres unmittelbar zuvor ihm gegenüber geäußerten entgegenstehenden Willens den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass seine Ehefrau, die u.a. aufgrund einer Hirnschädigung mit spastischer Tetraparese auf einen Rollstuhl angewiesen war, nicht in der Lage war, sich körperlich gegen sein Vorhaben zu wehren.
3
Der Angeklagte schob den Rollstuhl, in dem seine Ehefrau saß, vom Wohnzimmer in Richtung Schlafzimmer. Die Geschädigte bremste die hinteren Räder mit Hilfe der feststellbaren Handbremse ab, woraufhin der Angeklagte nun den Rollstuhl auf die Vorderräder kippte und ihn weiterschob. Die rund 45 kg schwere Geschädigte hielt sich sodann mit beiden Armen zunächst am Türrahmen des Wohnzimmers und anschließend am Türrahmen des Schlafzimmers fest. Ihre „Gegenwehr“ gab sie beide Male auf, weil der rund 150 kg schwere, ihr körperlich überlegene Angeklagte den Rollstuhl auf den Vorderrädern weiterschob.
4
Im Schlafzimmer hob der Angeklagte die Geschädigte aus dem Rollstuhl, legte sie auf das höhenverstellbare Bett, das er elektrisch nach oben fuhr, und zog sie nach vorne an die Bettkante, so dass sich ihr Unterleib in Höhe seines Penis befand. Sie versuchte vergeblich, „den Angeklagten mit ihren Armen wegzudrücken, bis sie keine Kraft mehr hatte“.Er hielt ihre Beine fest und voll- zog nunmehr den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr. Ob der Angeklagte zum Samenerguss gekommen war, ließ sich nicht feststellen.
5
2. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
6
a) Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Allerdings ist die Annahme des Landgerichts rechtsfehlerhaft , neben der Variante des § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 aF StGB sei auch die Variante des § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 aF StGB erfüllt.
7
Die Verwirklichung des Tatbestands des § 177 Abs. 1 Nr. 3 aF StGB erfordert unter anderem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Diese Schutzlosigkeit muss eine Zwangswirkung auf das Opfer in der Weise entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des Täters in Gestalt von Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen einen – ihm grundsätzlich möglichen – Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (Senat, Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 368; BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, BGHSt 51, 280, 284; Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 4 StR 396/11, NStZ 2012, 209, 210; Beschluss vom 21. Dezember 2011 – 4 StR 404/11, NStZ 2012, 570; Senat, Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 640/11, NStZ-RR 2012, 216, 217 f.). Daran gemessen sind die Voraussetzungen von § 177 Abs. 1 Nr. 3 aF StGB nicht belegt.
8
Die Feststellungen belegen lediglich, dass die Geschädigte ihren Widerstand allein deshalb aufgab, weil sie dem Angeklagten körperlich und mithin kräftemäßig nicht gewachsen war. Anhaltspunkte dafür, dass die Geschädigte ihren Widerstand aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des Angeklagten in Gestalt von Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen aufgegeben hat, finden sich in den getroffenen Feststellungen nicht. Angesichts der detaillierten Angaben der Geschädigten schließt der Senat aus, dass in einer neuen Verhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung auch nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 aF StGB rechtfertigen könnten.
9
b) Dieser Rechtsfehler, der den Schuldspruch wegen der rechtlich zutreffend angenommenen Verwirklichung der Tatbestandsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 1 aF StGB nicht berührt, erfordert indes nicht die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverweisung der Sache, da die verhängte Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren gleichwohl angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO).
10
aa) Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen (BGH, Beschlüsse vom 3. Mai2013 – 1 StR 66/13,NStZ-RR 2013, 307 und vom 17. März 2005 – 3 StR 39/05, NStZ 2005, 465).
11
bb) Die bei verfassungskonformer Auslegung erforderlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach der vorgenannten Vorschrift (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 – 2 BvR 136, 1447/05, NStZ 2007, 598 ff.) liegen vor. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage einer etwaigen Aufrechterhaltung der Strafen gemäß § 354 Abs. 1a StPO. Dem Senat steht ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung. Auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Verteidigers ergeben sich keine Anhaltspunkte für erst nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eingetretene und dementsprechend bisher nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Ereignisse , die ein neuer Tatrichter naheliegend feststellen und zugunsten des Angeklagten berücksichtigen würde.
12
cc) Für die Beurteilung der Angemessenheit ist hier vom nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 aF StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis elf Jahre drei Monate vorsieht, und der damit – wie auch das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – günstiger ist, als der nach Entfallen der Regelwirkung vorgesehene Strafrahmen. Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (u.a. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1982 – 3 StR 137/82, juris Rn. 11) einwendet, im Rahmen der Strafrahmenwahl hätte das Landgericht auch den Umstand einstellen müssen, dass „das Opfer dem Täter Hoffnung auf eine einvernehmliche sexuelle Handlung gemacht“ habe, wird dies den Besonderheiten des festgestellten Sachverhalts nicht gerecht. Denn zum konkreten Tatzeitpunkt hatte die Geschädigte den Angeklagten – wie auch bereits zuvor am Vormittag des Tattages – unter Ablehnung seines wiederholten Ansinnens nach Geschlechtsverkehr auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen.
13
Die Tat war hier maßgeblich davon geprägt, dass der einschlägig vorbestrafte Angeklagte um die auf einer Behinderung beruhende eingeschränkte Widerstandsfähigkeit der Geschädigten wusste und diese bei der Tatbegehung ausnutzte. Vor diesem Hintergrund und unter Abwägung aller für die Strafzumessung bedeutsamen Urteilsfeststellungen und unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten hält der Senat die Freiheitsstrafe von drei Jahren – insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Tat nunmehr drei Jahre zurück liegt, die Nebenklägerin keine dauerhaften körperlichen Schäden erlitten hat, der intelligenzgeminderte Angeklagte der langjährige Intimpartner der Nebenklägerin gewesen ist und sich nicht feststellen ließ, dass der Angeklagte zum Samenerguss gekommen ist – trotz des aufgezeigten Rechtsfehlers für angemessen.
Franke Appl Zeng Grube Schmidt

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 396/11
vom
20. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 12. April 2011 wird
a) der Schuldspruch dieses Urteils in den Fällen II. 1. bis II. 3. der Urteilsgründe dahin abgeändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen in drei Fällen schuldig ist,
b) das Urteil in den Aussprüchen über die in den Fällen II. 1. bis II. 3. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen aufgehoben,
c) das Urteil im Fall II. 4. der Urteilsgründe mit den Feststellungen sowie
d) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der Angeklagte arbeitete nach Abschluss seiner Ausbildung zum Krankenpfleger in diesem Beruf von 2004 bis 2008 im Krankenhaus in Z. . Im Mai 2007 war er während seiner Dienstzeit alleine insbesondere für die Körperpflege der in dem Krankenhaus unter anderem wegen eines metabolischen Syndroms stationär aufgenommenen, damals 76 Jahre alten Annemarie G. zuständig, die nach zwei früheren Schlaganfällen linksseitig komplett gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen war.
4
Zwischen dem 9. und 25. Mai 2007 nahm der Angeklagte "aufgrund eines gesteigerten sexuellen Verlangens" (UA S. 5) folgende Handlungen vor:
5
(1.) Er schob seine Hand unter die Windelhose von Annemarie G. und drang mit einem Finger in deren Scheide ein; nachdem sie über Schmerzen klagte und den Angeklagten zum Aufhören aufforderte, cremte er seinen Finger ein und versuchte erneut, in die Scheide der Patientin einzudringen (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
6
(2.) Während des Duschens der Patientin "manipulierte" der Angeklagte an seinem Glied, spritzte das Ejakulat auf sie und duschte sie anschließend weiter ab (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
7
(3.) An einem anderen Tag "manipulierte" der Angeklagte während des Duschens der Patientin erneut an seinem Glied, führte kurz vor dem Samenerguss sein Glied in den Mund der Patientin ein und ejakulierte in deren Mund (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
8
(4.) Ferner zog der Angeklagte Annemarie G. beim Wechseln der Windeln an die Gitterstäbe am Bettrand, um mit ihr den Geschlechtsverkehr auszuführen. "Aufgrund des Übergewichts der Nebenklägerin sowie den vorhandenen Gitterstäben am Bettrand ließ er jedoch noch vor dem Eindringen von seinem weiteren Tun ab" (UA S. 6; Fall II. 4. der Urteilsgründe).
9
Bereits vor diesen Handlungen hatte der Angeklagte gegenüber Annemarie G. geäußert, dass man ihr aufgrund ihres Alters sowie nach zwei Schlaganfällen ohnehin nichts glauben werde. Des Weiteren hatte er sie darauf hingewiesen, dass niemand anwesend sei, von dem sie Hilfe erwarten könne.
Aufgrund dieser Aussage erduldete die Nebenklägerin die sexuellen Handlungen des Angeklagten (UA S. 5), ohne zu sagen, dass sie die sexuellen Handlungen nicht wolle (UA S. 9) und ohne sich aktiv zu wehren (UA S. 8 f.).
10
2. Das Landgericht hat in allen Fällen angenommen, dass sich Annemarie G. bei Vornahme der Handlungen des Angeklagten in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand; eine Gewaltanwendung oder Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB hat es in keinem Fall bejaht.

II.


11
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg, soweit er in den Fällen II. 1. bis II. 3. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen gemäß § 174a Abs. 2 StGB verurteilt wurde (§ 349 Abs. 2 StPO). Keinen Bestand hat dagegen in diesen Fällen die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung. Dies führt zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen.
12
a) Nach der - auch vom 1. Strafsenat im Beschluss vom 12. Januar 2011 (1 StR 580/11, NStZ 2011, 455 f.) nicht in Frage gestellten - neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die Verwirklichung des Tatbestandes des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter anderem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist; diese Schutzlosigkeit muss eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des Täters, also Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, einen - ihm grundsätzlich möglichen - Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. März 2003 - 3 StR 446/02, NStZ 2003, 533, 534; vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 366; Beschlüsse vom 4. April 2007 - 4 StR 345/06, BGHSt 51, 280, 284; vom 11. Juni 2008 - 5 StR 193/08, NStZ 2009, 263; vom 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11, NStZ-RR 2011, 311, 312, jeweils mwN; anders noch BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 - 2 StR 248/99, BGHSt 45, 253, 255 ff.).
13
b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kann die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 1. bis II. 3. der Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung keinen Bestand haben. Denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass Annemarie G. die sexuellen Handlungen des Angeklagten aus Angst vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen hingenommen hat, sondern dass sie diese wegen der Äußerungen des Angeklagten erduldete, man werde ihr ohnehin nicht glauben und es sei niemand anwesend, von dem sie Hilfe erwarten könne.
14
Auch die von der Strafkammer als "Hintergrund" mitgeteilte Angst von Annemarie G. davor, dass der Angeklagte ihr falsche - schädliche - Medikamente verabreichen würde, falls sie andere von den Handlungen des Angeklagten unterrichten würde (UA S. 5), vermag die Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu tragen. Denn diese - möglicherweise ihr Verhalten nach den sexuellen Handlungen des Angeklagten beeinflussende - Angst beruhte allein auf einem "rein subjektiven Gefühl" der Patientin, war aber nicht durch eine entsprechende Äußerung des Angeklagten oder ähnliches veranlasst (UA S. 9).
15
c) Der Senat schließt aufgrund der ersichtlich vollständigen Beweisaufnahme und der sorgfältigen Beweiswürdigung durch die Strafkammer aus, dass bezüglich der Fälle II.1. bis II.3. der Urteilsgründe in einer neuen Verhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung nach § 177 StGB rechtfertigen können. Er lässt diese daher entfallen.
16
Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der Aussprüche über die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen zur Folge. Denn diese hat das Landgericht dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB entnommen. Einer Aufhebung der insoweit von der Strafkammer getroffenen Feststellungen bedarf es dagegen nicht, da diese von dem Subsumtionsfehler nicht berührt werden. Ergänzende - zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehende - Feststellungen sind jedoch möglich.
17
2. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat der Schuldspruch insgesamt keinen Bestand.
18
In diesem Fall begegnet die Verurteilung wegen (vollendeter) sexueller Nötigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB zwar ebenfalls den oben dargelegten Bedenken; die vom Landgericht getroffenen Feststellungen (Heranziehen der Patientin an den Bettrand) sind aber geeignet, eine Gewaltanwendung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu belegen. Jedoch lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass es in diesem Fall schon zu einer sexuellen Handlung des Angeklagten gekommen ist, dass also diese Tat - wie vom Landgericht abgeurteilt - über das Versuchsstadium hinausgelangt ist. Das steht auch einer Verurteilung wegen vollendetem sexuellen Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen gemäß § 174a Abs. 2 StGB entgegen.
19
3. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II. 1. bis II. 3. der Urteilsgründe und des Schuldspruchs im Fall II. 4. führt zur Aufhebung der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtstrafe.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 404/11
vom
21. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Dezember 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 11. März 2011 mit den Feststellungen aufgehoben
a) in den Fällen II. 2, 3, 4, 6, 7, 8 und 9 der Urteilsgründe,
b) in den Fällen 1 und 5 der Urteilsgründe im Strafausspruch ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses in drei Fällen sowie wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Ferner hat es angeordnet, dass der Angeklagte für die Dauer von fünf Jahren keine Berufstätigkeiten im Bereich der praktischen ambulanten Pflegedienste für weibliche Patienten ausüben darf.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.
3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
4
Der Angeklagte arbeitete seit Juni 2007 als examinierter Altenpfleger im ambulanten Pflegedienst. Im Rahmen dieser Tätigkeit lernte er die damals 28 Jahre alte K. kennen, die seit ihrer Geburt wegen eines frühkindlichen Hirnschadens an starken Spastiken litt, nahezu vollständig auf einen Elektrorollstuhl angewiesen war und lediglich noch ihren linken Arm frei sowie zwei Finger ihrer rechten Hand eingeschränkt bewegen konnte. Daher benötigte sie bei nahezu allen Verrichtungen des täglichen Lebens umfassende Unterstützung , ebenso bei der regelmäßig erforderlichen Einnahme von Medikamenten. Verschiedene bei dem ambulanten Pflegedienst angestellte Pflegekräfte, darunter auch der Angeklagte, erschienen täglich bis zu fünfmal für auf jeweils 30 bis 45 Minuten angesetzte Pflegeeinsätze; zusätzlich war für die Geschädigte eine über eine Notruftaste erreichbare Rufbereitschaft installiert. Im Tatzeitraum von Dezember 2008 bis zum 19. Oktober 2009 absolvierte der Angeklagte insgesamt mindestens 36 Einsätze im Rahmen der ambulanten Pflege und Betreuung der Geschädigten, wobei er an mindestens 34 Tagen zum Nachmittagsdienst eingeteilt war.
5
Die folgenden Handlungen sind Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht:
6
(Fall II. 1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Dezember 2008 griff der Angeklagte mit einer Hand in die Hose der Geschädigten und rieb mit seinen Fingern oberhalb der Unterhose am Bereich der Schamlippen und der Klitoris; ferner berührte er sie unterhalb ihrer Oberbekleidung an ihrem Bauch und oberhalb ihres BH an den Brüsten. Zur Verhinderung eines Widerstandes hatte der Angeklagte die einzig frei bewegliche linke Hand der Zeugin ergriffen und zu seinem Oberkörper gezogen, wodurch zusätzlich eine Spastik ausgelöst wurde.
7
(Fälle II. 2 bis II. 4) In zumindest drei weiteren Fällen kam es zu sexuellen Übergriffen, bei denen der Angeklagte der Geschädigten mit seiner Hand in die Hose griff und sie am Scheidenbereich berührte, wobei er ihr in zumindest einem dieser Fälle auch in die Unterhose fasste und mit seinen Fingern an ihren Schamlippen rieb. Bei einer der Taten drückte der körperlich überlegene Angeklagte seine Hand gegen ihren Widerstand in den Scheidenbereich zurück , nachdem die Geschädigte versucht hatte, seine Finger mit ihrer linken Hand aus ihrer Hose zu ziehen.
8
(Fall II. 5) In einem weiteren Fall hob der Angeklagte die Geschädigte aus ihrem Rollstuhl und ließ sie nach hinten auf ihr Bett im Schlafzimmer fallen. Sodann drehte er sie so zur Seite, dass sie vollständig und rücklings im Bett lag. Anschließend zog er ihr Hose und Unterhose herunter, obwohl sie versuch- te, sich zu „sperren“, entkleidete danach auch seinen eigenen Unterkörper voll- ständig, legte sich auf die Geschädigte, drückte ihre Beine auseinander und versuchte, mit seinem Glied in ihre Scheide einzudringen, wobei er ihre linke Hand, mit der sie ihn wegdrücken wollte, festhielt und zur Seite schob und diesen tätlichen Widerstand der Geschädigten mit der Bemerkung quittierte: „Komm schon“ und „ich will doch nur anklopfen“.
9
(Fall II. 6) Während eines Pflegetermins im Januar oder Februar 2009 legte der Angeklagte die Geschädigte erneut auf das Bett und entkleidete ihren und sodann seinen eigenen Unterkörper. Daraufhin legte er sich auf die auf dem Rücken liegende Geschädigte und führte mit ihr den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr durch. Erst als der Angeklagte bemerkte, dass die Geschädigte auf Grund und während des Geschlechtsverkehrs im Scheidenbereich zu bluten begann, ließ er von ihr ab.
10
(Fälle II. 7 bis II. 8) Ferner kam es zu zwei weiteren gleichgelagerten Taten , bei denen der Angeklagte jeweils den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss vollzog. Bei einer dieser Taten stieß der Angeklagte die linke Hand der Geschädigten weg, die diese ihm zur Verhinderung der Tat gegen den Bauch gestemmt hatte.
11
(Fall II. 9) In einem weiteren Fall beugte sich der Angeklagte zu der im Rollstuhl sitzenden Geschädigten hinunter und stützte sich mit seinen Händen auf ihren Armlehnen ab. Daraufhin ergriff er ihre linke Hand und führte diese an seine geöffnete Hose, schob sie in seine Unterhose und veranlasste sie durch Hin- und Her-Bewegen ihrer Hand dazu, an seinem Glied bis zum Samenerguss zu manipulieren.
12
Aus Angst vor einer Verschlechterung ihrer Pflegesituation, einer Unterbringung in einer stationären Pflegeeinrichtung und davor, dass man ihr nicht glauben werde, erstattete die Geschädigte erst zu Beginn des Jahres 2010 Strafanzeige gegen den Angeklagten.
13
2. Das Landgericht hat in allen Fällen angenommen, dass sich die Geschädigte bei Vornahme der Handlungen des Angeklagten in einer schutzlosen Lage befand. Es hat den Angeklagten deshalb auch tateinheitlich wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt.

I.

14
1. Die tateinheitliche Verurteilung wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung wegen Ausnutzung einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
15
a) Nach der – entgegen der Auffassung des Landgerichts auch vom 1. Strafsenat mit Beschluss vom 12. Januar 2011 (1 StR 580/10, NStZ 2011, 455 f.) nicht in Frage gestellten – neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die Verwirklichung des Tatbestandes des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter anderem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Diese Schutzlosigkeit muss eine Zwangswirkung auf das Opfer in der Weise entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des Täters in Gestalt von Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen einen – ihm grundsätzlich möglichen – Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (vgl. dazu BGH, Urteile vom 27. März 2003 – 3 StR 446/02, NStZ 2003, 533, 534; vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 366; Beschlüsse vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, BGHSt 51, 280, 284; vom 11. Juni 2008 – 5 StR 193/08, NStZ 2009, 263; vom 10. Mai 2011 – 3 StR 78/11, NStZ-RR 2011, 311, 312; vom 20. Oktober 2011 – 4StR 396/11, jew. m.w.N.; anders noch BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 – 2 StR 248/99, BGHSt 45, 253, 255 ff.).
16
b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kann die Verurteilung des Angeklagten wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung in der Tatvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB keinen Bestand haben. Denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass die Geschädigte die sexuellen Handlungen des Angeklagten aus Angst vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen hingenommen hat. Die vom Landgericht festgestellte Befürchtung der Geschädigten, sie müsse im Fall einer Strafanzeige mit einer einschneidenden Verschlechterung ihrer ambulanten Pflege und Versorgung rechnen oder gar eine von ihr nicht gewünschte Verlegung in eine stationäre Pflegeeinrichtung gewärtigen, vermag die Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu tragen.
17
c) Eine Berichtigung des Schuldspruchs ist dem Senat lediglich in den Fällen II. 1 und II. 5 der Urteilsgründe möglich. In diesen Fällen hat es bei der Verurteilung wegen sexueller Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses sein Bewenden; die Verurteilung auch wegen Verwirklichung der Tatvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB entfällt. Über die Festsetzung der Einzelstrafen hat der Tatrichter neu zu befinden.
18
Da die Strafkammer nicht genau hat feststellen können, in welchem der Fälle II. 2, II. 3 und II. 4 einerseits und II. 7 und II. 8 andererseits der Angeklagte durch seine Handlung den Tatbestand der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung in der Variante des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen und – von ihrem rechtlichen Ausgangspunkt aus folgerichtig – auch nicht geprüft hat, ob der Ausschöpfung des Unrechtsgehalts der verbleibenden Taten durch die Annahme einer Nötigung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB, ggfs. auch im besonders schweren Fall gemäß Abs. 4 Nr. 1 StGB, Rechnung zu tragen ist (zum Verhältnis von § 177 Abs. 1 Nr. 3 zu § 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB vgl. Senatsbeschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, BGHSt 51, 280, 284; BGH, Beschluss vom 26. November 2008 – 5 StR 506/08, Tz. 17; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 240 Rn. 59 m. w. Nachw. zur Rspr.), ist der Senat in diesen Fällen ebenfalls an einer Schuldspruchberichtigung gehindert. Eine Strafbarkeit wegen Nötigung kommt auch in den Fällen II. 6 und II. 9 in Betracht, so dass die Sache auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf.

II.

19
Zu der Rüge, an dem angefochtenen Urteil habe ein Richter mitgewirkt, gegen den ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht verworfen worden sei (§§ 338 Nr. 3, 24 Abs. 2 StPO), bemerkt der Senat ergänzend zu den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts :
20
1. Die in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2011 vom Vorsitzenden der Strafkammer während einer Erörterung mit dem Verteidiger verwendete Formulierung, nach seiner Einschätzung solle mit den soeben gestellten Beweisanträgen belegt werden, die Ausführungen der zuvor gehörten medizini- schen Sachverständigen seien „Mumpitz“ oder „Unfug“, vermag für sich ge- nommen bei verständiger Würdigung die Besorgnis der Befangenheit noch nicht zu begründen. Dies ergibt sich jedenfalls aus der – insoweit unwidersprochen gebliebenen – dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters, wonach der Verteidiger selbst – ungeachtet fortbestehender Differenzen in der Sache – die Wortwahl des Vorsitzenden lediglich dahin bewertete, sie sei ihm „etwas zu salopp“.
21
2. Die im Ablehnungsantrag wiedergegebenen weiteren Äußerungen des Vorsitzenden rechtfertigen keine andere Beurteilung. Unter den gegebenen Umständen sind sie als nachvollziehbare, momentane Unmutsaufwallung in Reaktion auf das vorherige Verhalten des Verteidigers anzusehen.
22
Allerdings sind auch Unmutsäußerungen von Mitgliedern des erkennenden Gerichts als Reaktion auf das Verhalten anderer Verfahrensbeteiligter Grenzen gesetzt, die – je nach den Umständen des Einzelfalles – dann überschritten sein können, wenn sie in der Form überzogen sind oder in der Sache – immer bei der gebotenen verständigen Würdigung aus Sicht des Angeklagten – bei diesem die Befürchtung von Voreingenommenheit aufkommen lassen können (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. März 1993 – 1 StR 895/92, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 8; Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 14). Dies wäre im vorliegenden Fall unter Umständen dann zu bejahen gewesen, wenn die Äußerungen des Vorsitzenden aus Sicht eines verständigen Angeklagten nur dahin hätten verstanden werden können, er, der Vorsitzende, sei von vornherein nicht gewillt, die vom Verteidiger soeben gestellten Beweisanträge als ernsthaften Beitrag zur Wahrheitsfindung aufzufassen. In einem solchen Fall könnte beim Angeklagten die berechtigte Befürchtung aufkommen, der betreffende Richter nehme sein Verteidigungsvorbringen nicht mit der erforderlichen abwägenden Distanziertheit zur Kenntnis und habe sich in seinem Urteil – und sei es auch nur hinsichtlich einer einzelnen Beweisfrage – bereits festgelegt. So liegt der Fall hier nicht. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wurde von Beginn an durch Meinungsverschiedenheiten zwischen Gericht und Verteidigung darüber geprägt, ob die Geschädigte durch eine psychische Erkrankung in ihrer Zeugentüchtigkeit beeinträchtigt war. Die Verteidigung hatte die Stellung entsprechender Beweisanträge angekündigt. Gleichwohl nahm die Verteidigung die daraufhin von Amts wegen anberaumte Einvernahme zweier medizinischer Sachverständiger zu dieser Frage nicht zum Anlass für deren ausführliche Befragung. Statt dessen stellte sie im Fortgang der Beweisaufnahme einen Antrag auf Vernehmung eines (weiteren) medizinischen Sachverständigen, der unter anderem darauf gestützt war, die von Amts wegen gehörten Sachverständigen verfügten nicht über die erforderliche Sachkunde. Die daraufhin vom Vorsitzenden gemachten Bemerkungen bezogen sich als momentane, verständliche Unmutsäußerung ersichtlich auf dieses Procedere der Verteidigung und konnten auch aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht dahin verstanden werden, der nunmehr gestellte Beweisantrag werde vom Gericht nicht ernstgenommen. Ernemann Roggenbuck Franke Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 640/11
vom
7. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. März 2012,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof ,
Staatsanwältin
als Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. Mai 2011 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der sexuellen Nötigung in zwei Fällen freigesprochen. Gegen diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, und der Nebenklägerin R. jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
2
Die Revisionen bleiben ohne Erfolg.

I.

3
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im Oktober und Dezember 1999 die Nebenklägerin sexuell genötigt zu haben.
4
1. Das Landgericht hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:
5
a) Der Angeklagte betrieb im Jahr 1999 gemeinsam mit seiner Ehefrau einen Reiterhof, auf dem die Nebenklägerin, die mit der Ehefrau des Angeklagten befreundet war, ihr Pferd untergestellt hatte. Die verheiratete Nebenklägerin litt aufgrund traumatischer Erlebnisse in ihrer Jugend unter Ängsten vor körperlichen Kontakten mit anderen Menschen. Wenn jemand sie anfasste, war sie zunächst zu einer Äußerung eines entgegenstehenden Willens nicht in der Lage. Sie verfiel in eine innere Starre, die es ihr für eine gewisse Zeit unmöglich machte, ihren Widerwillen gegen die körperliche Berührung verbal zu artikulieren oder durch Gegenwehr auszudrücken. Für einen Außenstehenden war dabei nicht zu erkennen, worauf die Passivität der Nebenklägerin beruhte.
6
Am 29. August 1999 kam es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zu einer ersten körperlichen Annährung, die nicht Gegenstand der An- klage ist: Der Angeklagte und die Nebenklägerin brachten auf dem Reiterhof gemeinsam Pferde zurück in den Stall. Bei dieser Gelegenheit hielt der Angeklagte die Nebenklägerin fest, fasste ihr unter den Pullover und küsste sie. Die Nebenklägerin war aufgrund ihrer Ängste vor körperlichen Kontakten zunächst nicht in der Lage, auf das ihr unerwünschte Verhalten des Angeklagten zu reagieren. Nachdem sie sich gefangen hatte, teilte sie ihm mit, dass er sie in Ruhe lassen solle. Daraufhin ließ der Angeklagte von ihr ab.
7
b) (Zu Fall 1 der Anklage:) An einem Tag im Oktober 1999 erklärte sich der Angeklagte auf Bitten seiner Ehefrau bereit, die Nebenklägerin abends mit seinem Pkw zu deren Wohnung zu fahren. Unterwegs wich er von der vorgesehenen Fahrstrecke ab. Als die Nebenklägerin dies bemerkte, verfiel sie in eine innere Starre, die es ihr schon unmöglich machte, auch nur auf die Abweichung von der Fahrstrecke zu reagieren. Ihre Ängste vor dem, was der Angeklagte beabsichtigen könnte, setzten sie außerstande, sich ihm gegenüber zu artikulieren. Der Angeklagte bemerkte davon nichts und hielt das Fahrzeug so vor Büschen an, dass es von der Straße aus nicht mehr zu sehen war. Sodann begann er, der Nebenklägerin, die äußerlich weiterhin keine Reaktion auf das Verhalten des Angeklagten zeigte, unter den Pullover zu fassen. Er küsste sie und streichelte sie an der Brust. Nach einiger Zeit gelang es der Nebenklägerin, ihre innere Starre zu überwinden und dem Angeklagten verbal und durch körperliches Wegstemmen zu verdeutlichen, dass sie sein Verhalten nicht wünsche. Dieser ließ daraufhin von der Nebenklägerin ab und fuhr sie nach Hause. Obwohl ihr das Handeln des Angeklagten unangenehm war, hielt die Nebenklägerin weiterhin Kontakt zu ihm und seiner Ehefrau, deren Freundschaft ihr wichtig war.
8
c) Ein weiterer nicht angeklagter sexueller Übergriff des Angeklagten auf die Nebenklägerin ereignete sich am 30. November 1999. Dabei trat der Ange- klagte auf dem Reiterhof von hinten an die Nebenklägerin heran und fasste ihr unter dem Pullover oberhalb des Büstenhalters an die Brust. Dann drehte er die Nebenklägerin zu sich herum, küsste sie und forderte sie auf, seinen Kuss zu erwidern, was sie nicht tat. Die Nebenklägerin war wiederum in eine innere Erstarrung verfallen, die sie außerstande setzte, dem Angeklagten Widerstand entgegen zu bringen. Der Angeklagte ließ die Nebenklägerin los, nachdem sie sich aus ihrer Erstarrung befreit und ihm gesagt hatte, dass im Stall ihre Tochter auf sie warten würde. Am Folgetag, dem 1. Dezember 1999, kam es wegen dieses Vorfalls zu einem gemeinsamen Gespräch zwischen beiden Ehepaaren, in dessen Verlauf der Angeklagte erklärte, dass ihm alles sehr leid tue und er durch sein Verhalten die Freundschaft der beiden Frauen nicht zerstören wolle. Er versprach, sich zukünftig der Nebenklägerin nicht mehr zu nähern. Dass dem Angeklagten bei diesem Gespräch die psychische Befindlichkeit der Nebenklägerin erläutert worden wäre, hat das Landgericht nicht feststellen können.
9
d) (Zu Fall 2 der Anklage:) Mitte Dezember 1999 kam es erneut zu einer gemeinsamen Autofahrt des Angeklagten mit der Nebenklägerin. Unter dem Vorwand einer Bauplatzbesichtigung fuhr der Angeklagte zu einer einsam gelegenen Stelle in einem Feld, wo er sein Fahrzeug abstellte. Die an einer Bauplatzbesichtigung nicht interessierte Nebenklägerin war wieder in eine innere Starre gefallen, die ihr jegliches Handeln unmöglich machte. Der Angeklagte fasste die Nebenklägerin im Bereich ihres Oberkörpers an. Gleichzeitig forderte er sie auf, ihre Hand auf sein Geschlechtsteil oberhalb der Kleidung zu legen und führte ihre Hand dort hin, während er mit seiner anderen Hand an ihr Geschlechtsteil oberhalb der Kleidung fasste. Nach Überwindung ihrer inneren Erstarrung schaffte es die Nebenklägerin, eine Abwehrhaltung zum Ausdruck zu bringen und mit ihrem Aussteigen zu drohen. Daraufhin ließ der Angeklagte von ihr ab und fuhr sie nach Hause.
10
2. Das Landgericht hat zwar die in der Anklage beschriebenen sexuellen Handlungen, die der Angeklagte bestritten hat, festgestellt. Es hat sich jedoch nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte den psychischen Zustand der Nebenklägerin gekannt und jeweils gewusst oder für möglich gehalten habe, auf welcher psychischen Disposition das anfänglich passive Verhalten der Nebenklägerin bei seinen körperlichen Annäherungen beruhte. Der Anklagte habe seine Annäherungsversuche jeweils sofort beendet, wenn die Nebenklägerin ihm Ablehnung signalisiert oder Widerstand geleistet habe (UA S. 13 f., 18).

II.

11
Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
12
1. Die Ausführungen des Landgerichts werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Darstellungsanforderungen gerecht.
13
a) Soweit die Staatsanwaltschaft rügt, das angefochtene Urteil enthalte nur unzureichende Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, liegt darin kein Rechtsfehler. Zwar ist der Tatrichter auch bei freisprechenden Urteilen verpflichtet, Feststellungen zu Werdegang, Vorleben und Persönlichkeit des Angeklagten zu treffen und im Urteil mitzuteilen, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht erforderlich sind (BGHSt 52, 314, 315; BGH, NStZ 2010, 529, 530). Hier bestand jedoch keine Notwendigkeit, etwa die wirtschaftlichen Verhältnisse oder den beruflichen Werdegang des Angeklagten in den Blick zu nehmen, da der Tatvorwurf ein Verhalten in dessen privatem Lebensbereich betrifft. Soweit für einen Tatnachweis der Gestaltung sonstiger außerehelicher sexueller Annäherungen an Frauen Bedeutung zukommen konnte, hat sich die Strafkammer mit diesem Aspekt seiner Persönlichkeit unter Bezugnahme auf die Angaben mehrerer hierzu gehörter Zeuginnen auseinandergesetzt (UA S. 16).
14
b) Entgegen dem Revisionsvorbringen weisen die Urteilsgründe auch im Hinblick auf den psychischen Zustand der Nebenklägerin und auf die Auswirkungen ihrer Kontaktängste keinen Darstellungsmangel auf. Hierzu hat die Kammer festgestellt, dass die Nebenklägerin aufgrund traumatischer Ereignisse in ihrer Jugend an einer neurotischen Depression, einer Persönlichkeitsstörung und einer sozialen Phobie litt. Diese Erkrankung hatte zur Folge, dass die Nebenklägerin bei ihr unerwünschten körperlichen Annäherungen zunächst nichts sagte, sich nicht bewegte und auch nicht auf andere Weise zum Ausdruck brachte, dass sie die Berührung ablehnte (UA S. 6 f., 14). Dass eine noch eingehendere Beschreibung ihres Zustands in Situationen, in denen die Nebenklägerin in eine innere Starre verfiel, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überhaupt möglich gewesen wäre, ist fernliegend. Die Urteilsgründe geben neben der Erörterung der gutachterlichen Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen und neben den zusammengefassten Angaben der langjährigen Therapeutin der Nebenklägerin jedenfalls deren eigene Darstellung zu ihrem inneren Abschalten in noch hinreichendem Umfang wieder.
15
c) Die weitere Beanstandung, der Inhalt eines zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau sowie der Nebenklägerin und ihrem Ehemann geführten "Vierergesprächs" sei nicht ausführlich dargestellt worden, greift ebenfalls nicht durch. Nach den Feststellungen fand am 1. Dezember 1999 zwar ein Gespräch zwischen beiden Ehepaaren statt, nachdem es am Vortag zu dem weiteren - nicht von der Anklage erfassten - körperlichen Übergriff des Angeklagten ge- genüber der Nebenklägerin gekommen war. In dieser Unterredung erklärte der Angeklagte, "dass ihm alles sehr leid tue", und er versprach, sich künftig der Nebenklägerin nicht mehr zu nähern (UA S. 10). Dass dem Angeklagten bei diesem Gespräch näher erläutert worden wäre, was es mit der psychischen Befindlichkeit und den Ängsten der Nebenklägerin vor Berührungen auf sich hatte, hat das Landgericht jedoch ebenso wenig festzustellen vermocht wie eine sonstige Kenntnisnahme des Angeklagten von einer seelischen Störung der Nebenklägerin. Diese und ihr Ehemann unterrichteten - ihren eigenen vom Landgericht zusammenfassend wiedergegebenen Angaben in der Hauptverhandlung zufolge - den Angeklagten hierüber nicht (UA S. 11, 14 f.). Daher war die Strafkammer zu einer umfänglicheren inhaltlichen Wiedergabe der Unterredung nicht gehalten.
16
2. Auch die Beweiswürdigung als solche ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
17
a) Gemäß § 261 StPO entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Spricht es einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. Senat, NStZ 2010, 102, 103 mwN).
18
b) Solche Rechtsfehler liegen hier nicht vor. Das Landgericht hat alle relevanten Umstände berücksichtigt und jedenfalls mögliche Schlussfolgerungen gezogen.
19
aa) Dies gilt insbesondere, soweit es vorsätzliches Handeln des Angeklagten hinsichtlich des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person gemäß § 179 Abs. 1 StGB nicht festzustellen vermochte. Aufgrund der psychischen Disposition der Nebenklägerin und ihres Zustandes einer inneren Erstarrung bei der Anbahnung ihr unerwünschter körperlicher Kontakte ist die Schlussfolgerung des Landgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass es für Außenstehende und somit auch für den Angeklagten nicht zu erkennen war, worauf die Passivität der Nebenklägerin beruhte. Bei Prüfung des Vorsatzes des Angeklagten in Bezug auf eine Widerstandsunfähigkeit der Nebenklägerin konnte das Landgericht auch den Umstand berücksichtigen , dass die Nebenklägerin während der sexuellen Annäherungen des Angeklagten aus ihrem Zustand der Starre jeweils wieder zu sich kam und sodann die Übergriffe verbal und körperlich abwehrte. Der Angeklagte hätte daher erkannt haben müssen, dass die Nebenklägerin nur bei der Anbahnung und in den ersten Momenten seiner sexuellen Annäherung ihre von ihm im weiteren Verlauf erfahrene grundsätzliche Abwehrbereitschaft nicht umsetzen konnte. Hierfür bieten die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte.
20
bb) Entgegen dem Revisionsvorbringen enthält das angefochtene Urteil keine Lücke in der Beweiswürdigung, soweit es sich mit den Angaben der Zeuginnen H. , He. , G. , Ro. , B. und F. befasst. Nach den knapp zusammengefassten Aussagen dieser Zeuginnen hat der Angeklagte außereheliche sexuelle Annäherungsversuche nicht gewaltsam durchgeführt und von solchen Abstand genommen, soweit sie nicht erwidert wurden, bzw., wenn ihm deren Unerwünschtheit signalisiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, inwiefern sich dem Tatrichter bei einer detaillierten Würdigung der Aussagen dieser Zeuginnen relevante, dem Angeklagten nachteilige Schlüsse hätten aufdrängen müssen.
21
Soweit die Staatsanwaltschaft bemängelt, das Landgericht habe die Aussage der Zeugin Re. nicht in ihre Beweiswürdigung eingestellt, zeigt sie mit ihrer allein auf die Sachbeschwerde gestützten Revision keinen Rechtsfehler auf. Denn für die sachlich-rechtliche Nachprüfung steht dem Revisionsgericht allein die Urteilsurkunde zur Verfügung (BGHSt 35, 238, 241; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 337 Rn. 22). Aus den Urteilsgründen, die diese Zeugin nicht erwähnen, ergibt sich eine Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung indes nicht.
22
cc) Im Übrigen wird zu den weiteren Beanstandungen der Revisionen auf die auch insoweit zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts verwiesen.
23
3. Schließlich ist auch die rechtliche Würdigung der Strafkammer nicht zu beanstanden.
24
Aufgrund der getroffenen Feststellungen hat das Landgericht in beiden Anklagefällen zutreffend bereits den objektiven Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint, da die Nebenklägerin jeweils nicht erst unter dem Eindruck eines schutzlosen Ausgeliefertseins auf einen ihr grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet hat, sondern schon aufgrund ihrer psychischen Disposition vor Beginn der sexuellen Handlungen des Angeklagten vorübergehend widerstandsunfähig war. Damit fehlte es an dem für den objektiven Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen funktionalen und finalen Zusammenhang zwischen objektivem Nötigungselement, Opferverhalten und Täterhandlung (zu dieser Voraussetzung vgl. BGHSt 50, 359, 368; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2011 - 4 StR 404/11 Rn. 15 mwN).
25
Eine Versuchsstrafbarkeit war entgegen der Auffassung beider Beschwerdeführerinnen nicht in Betracht zu ziehen. Der subjektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz dahingehend voraus , dass das Tatopfer in die sexuelle Handlung nicht einwilligt und es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet (vgl. BGHSt 50, 359, 368). Gegen ein solches Ausnutzungsbewusstsein spricht entscheidend , dass der Angeklagte mit der Vornahme sexueller Handlungen sofort aufhörte, sobald die Nebenklägerin ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht hatte.

III.

26
Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 1 und 2 StPO; vgl. Senat, Urteil vom 9. März 2011 - 2 StR 467/10; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10).

Appl Berger Krehl Eschelbach Ott

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 66/13
vom
3. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Mai 2013 gemäß § 349
Abs. 2, § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 25. Oktober 2012 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Der 76 Jahre alte Angeklagte ist der Stiefgroßvater der jetzt 21 Jahre alten R. P. . Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 1. März 2000 und dem 1. Juni 2000 vollzog der Angeklagte an der damals etwa neun Jahre alten R. in deren Kinderzimmer im Anwesen der Eltern den vaginalen Geschlechtsverkehr.
2
Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb mit Urteil vom 25. Oktober 2012 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, wobei das Verfahren wegen weiterer sieben Fälle, jeweils angeklagt als schwerer sexueller Missbrauch desselben Kindes, gemäß § 154 Abs. 1 und 2 StPO eingestellt worden ist.
3
1. Die Revision des Angeklagten hat im Ergebnis keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
4
2. Die Festsetzung der Freiheitsstrafe auf drei Jahre und neun Monate hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand.
5
a) Der Beschwerdeführer hat allerdings zu Recht beanstandet, dass das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten "- wenn auch nur eingeschränkt - straferschwerend berücksichtigt" hat, "dass der Angeklagte in einem weiteren Fall mit R. P. den vaginalen Geschlechtsverkehr kurz nach ihrem 14. Geburtstag vollzogen hat, auch wenn insoweit zu seinen Gunsten davon ausgegangen wurde, dass er dabei keinen Straftatbestand erfüllt hat." Die Strafkammer hat damit ein etwa fünf Jahre nach der abgeurteilten Tat liegendes Verhalten des Angeklagten strafschärfend herangezogen, obgleich sie dieses Verhalten gleichzeitig als nicht strafbar beurteilt hat. Ein nach der Straftat liegendes Verhalten des Angeklagten darf aber in der Regel nur dann berücksichtigt werden, wenn es Schlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat zulässt oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewährt (BGH, Urteil vom 24. Juli 1985 - 3 StR 127/85, NStZ 1985, 545). Solches liegt bei einem Verhalten, welches Jahre nach der abgeurteilten Tat liegt, nicht ohne Weiteres vor und ist vorliegend auch nicht ersichtlich.
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b) Dieser Rechtsfehler erfordert indes nicht die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverweisung der Sache, da die verhängte Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und neun Monaten trotz dieses Strafzumessungsfehlers angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO).
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aa) Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumes- sung erheblichen Umstände zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 StR 39/05, NStZ 2005, 465).
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bb) Für die Beurteilung der Angemessenheit ist hier vom Strafrahmen des § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB (idF des 6. Strafrechtsreformgesetzes, gültig vom 1. April 1998 bis 31. März 2004) auszugehen, der Freiheitsstrafe von einem bis 15 Jahren vorsieht. Die Annahme eines minder schweren Falles liegt angesichts des außergewöhnlich schweren Tatbildes und unter Berücksichtigung des Alters des Tatopfers fern.
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cc) Die Tatschuld wird durch die bereits vom Landgericht zutreffend festgestellten Umstände wie das Alter des Kindes, die erheblichen psychischen Folgen für das Tatopfer, welche erheblich über das durchschnittliche Erscheinungsbild eines schweren sexuellen Missbrauchs hinausreichen und u.a. Anlass für einen Selbstmordversuch des Opfers waren, die Ausnutzung des besonderen Näheverhältnisses sowie den Umstand, dass der Angeklagte auch in weiteren sieben Fällen, welche nach § 154 StPO eingestellt wurden, bei denen dasselbe Kind zum Opfer eines sexuellen Missbrauchs gemacht wurde, maßgeblich geprägt.
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Auch unter Berücksichtigung der von der Strafkammer strafmildernd angestellten Erwägungen, wie das fortgeschrittene Alter des Angeklagten und der damit verbundenen erhöhten Haftempfindlichkeit ist wegen der genannten tatprägenden Umstände die vom Landgericht ausgesprochene Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten i.S.v. § 354 Abs. 1a StPO angemessen. Wahl Rothfuß Graf Radtke Zeng

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.