Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Apr. 2016 - 2 StR 80/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
- 2
- Nach den Feststellungen des Landgerichts trat der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Angeklagte in der Zeit vom 5. Oktober 2014 bis 10. Januar 2015 wie folgt in Erscheinung: Weil er Hunger und Durst hatte, bestellte er in einem Restaurant Essen und Trinken, obwohl er nicht über ausreichende Barmittel verfügte (Fall 1); darüber hinaus entwendete er eine Spendenkasse , die in einer Apotheke aufgestellt war (Fall 2), sowie ein Paket Wurst und Fleisch aus dem Einkaufsbeutel einer Passantin (Fall 4). In drei Fällen drang der Angeklagte in die Wohnung eines Nachbarn ein, um sich dort mit einem Verlängerungskabel Strom zu verschaffen, weil die Stromzufuhr in seiner eigenen Wohnung gesperrt war (Fälle 5, 6 und 8). In einem weiteren Fall drang er in die Wohnung eines ihm Unbekannten ein, um dort zu übernachten. Weil ihm dies versagt wurde, zerschlug er eine Tasse (Fall 3). In zwei Fällen verschaffte sich der Angeklagte Zutritt zu einer Klinik, um sich Medikamente bzw. Vitaminaufbaupräparate zu verschaffen, wobei er einmal den Wachtdienst täuschte (er sei „under cover“ unterwegs) und ein anderes Mal durch das Fens- ter in das Gebäude kletterte (Fälle 7 und 11). Der Angeklagte wurde schließlich bei dem Versuch, in einem Supermarkt Batterien zu entwenden, festgehalten. Dem Polizeibeamten, dem er übergeben wurde, ergriff er am Arm und stieß ihn weg, weil er sich nicht durchsuchen lassen wollte (Fall 9 und 10).
- 3
- Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte in allen Fällen ohne Schuld gehandelt habe. Aufgrund seiner schwerwiegenden Erkrankung sei sicher von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten auszugehen. Nicht ausschließbar sei die Steuerungsfähigkeit im gesamten Tatzeitraum auch aufgehoben gewesen. Zwar wiesen die Umstände der Tatbegehung nicht in allen Fällen auf eine akute psychotische Phase hin. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs der Taten sei es jedoch nicht möglich, die Schuldfähigkeit des Angeklagten von Tat zu Tat differenziert zu beurteilen, weshalb zu seinen Gunsten davon auszugehen sei, dass er sich im gesamten Tatzeitraum in einer psychotischen Krankheitsphase befunden habe.
II.
- 5
- a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichtsoder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstat auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).
- 6
- Wenn sich der Tatrichter – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN). Dies gilt auch in Fällen paranoider Schizophrenie. Allein die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 27. Januar 2016 - 2 StR 314/15).
- 7
- b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den jeweils konkreten Tatsituationen. Die Strafkammer schließt sich insoweit lediglich der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Die Annahme, dass es sich bei der Erkrankung des Angeklagten um einen „überdauernden Zustand“ handele und nicht – wie es sonst bei paranoiden Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis regelmäßig der Fall ist – um eine nur schubweise auftretende Erkrankung, ist ebenso wenig durch Tatsachen belegt, wie eine in subakuten Zuständen möglicherweise überdauernd bestehende erheblich vermin- derte Steuerungsfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15; Müller-Isberner/Eusterschulte in Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer , Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl., S. 227, 236).
- 8
- Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten weisen - wovon auch das Landgericht ausgegangen ist - nur teilweise besondere Umstände auf, die auf einen akuten Krankheitsschub hindeuten können. Auch soweit das Landgericht an anderer Stelle ausgeführt hat, die Ta- ten seien auf „krankheitsbedingte Fehlwahrnehmungen“ des Angeklagten zurückzuführen , der sich zur „Befriedigung seiner Grundbedürfnisse“ (Nahrung, Strom, Arzneimittel) „zu Diebstahlshandlungen gerechtfertigt“ sehe, wird der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten nicht hinreichend belegt. Denn ungeachtet dessen, dass diese Erwägung eher auf einen Ausschluss der Unrechtseinsicht hinweist, erscheint das Handeln des Angeklagten zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung auch ohne Fehlwahrnehmung rational nachvollziehbar.
- 9
- 2. Die Sache bedarf deshalb im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55 mwN). Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Insoweit war die Revision zu verwerfen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Fischer RiBGH Dr. Appl ist Eschelbach an der Unterschrift gehindert. Fischer Ott Zeng
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.