Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2017 - 2 StR 518/14
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Mai 2017 gemÀà § 406a Abs. 2 Satz 2 StPO beschlossen:
GrĂŒnde:
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- Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 5. Juni 2014 wegen besonders schweren Raubes und anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten sowie zugleich zur Zahlung von Schmerzensgeldern in Höhe von 10.000 Euro an den AdhĂ€sionsklĂ€ger E. und in Höhe von 1.500 Euro an den Neben- und AdhĂ€sionsklĂ€ger T. verurteilt. Mit Beschluss vom 16. April 2015 hat der Senat die Revision des Angeklagten verworfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtete. Zugleich hat er die Entscheidung ĂŒber die Revision gegen die im vorbezeichneten Urteil getroffene AdhĂ€sionsentscheidung sowie ĂŒber die Kosten des Rechtsmittels im Hinblick auf das mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 â 2 StR 137/14 u.a. (NStZ-RR 2015, 382) bei den anderen Strafsenaten und beim GroĂen Senat fĂŒr Zivilsachen eingeleitete Anfrageverfahren zur Frage der Bemessung eines Schmerzensgeldes zurĂŒckgestellt und sie einer abschlieĂen- den Entscheidung vorbehalten. Nach der Entscheidung der Vereinigten GroĂen Senate des Bundesgerichtshofs vom 16. September 2016 â VGS 1/16 (JR 2017, 179), bei dem der Senat mit Beschluss vom 14. April 2016 â 2 StR 137/14 u.a. die Frage vorgelegt hatte, ob bei der Bemessung der billigen EntschĂ€digung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse des SchĂ€digers und des GeschĂ€digten berĂŒcksichtigt werden dĂŒrfen und wenn ja, nach welchen MaĂstĂ€ben, war nunmehr die gegen die AdhĂ€sionsentscheidungen gerichtete Revision des Angeklagten zu verwerfen.
I.
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- Die Vereinigten GroĂen Senate haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen EntschĂ€digung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB (§ 847 BGB aF) alle UmstĂ€nde des Falles berĂŒcksichtigt und dabei die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse des SchĂ€digers und des GeschĂ€digten nicht von vornherein ausgeschlossen werden können (Vereinigte GroĂe Senate, Beschluss vom 16. September 2016 â VGS 1/16).
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- Das Schmerzensgeld hat nach stĂ€ndiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem GeschĂ€digten einen angemessenen Ausgleich bieten fĂŒr diejenigen SchĂ€den, fĂŒr diejenige Lebenshemmung , die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der SchĂ€diger dem GeschĂ€digten fĂŒr das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion , st. Rspr.; grundlegend BGH, GroĂer Senat fĂŒr Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 â GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154 ff.; BGH, VI. Zivilsenat, Urteile vom 13. Oktober 1992 â VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 4 f.; vom 29. November 1994 â VI ZR 93/94, BGHZ 128, 117, 120 f.).
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- Dabei steht der EntschĂ€digungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die RĂŒcksicht auf GröĂe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen EntschĂ€digung. FĂŒr bestimmte Gruppen von immateriellen SchĂ€den hat aber auch die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der EntschĂ€digung fĂŒr immaterielle SchĂ€den nicht wegzudenken ist, eine besondere Bedeutung.
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- Sie bringt insbesondere bei vorsĂ€tzlichen Taten eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen SchĂ€diger und GeschĂ€digtem zum Ausdruck, die nach der Natur der Sache bei der Bestimmung der Leistung die BerĂŒcksichtigung aller UmstĂ€nde des Falles gebietet (BGH, GroĂer Senat fĂŒr Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 â GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157; VI. Zivilsenat, Urteil vom 16. Januar 1996 â VI ZR 109/95, VersR 1996, 382).
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- Bei der Bemessung der billigen EntschĂ€digung in Geld stehen deshalb die Höhe und das MaĂ der LebensbeeintrĂ€chtigung ganz im Vordergrund. Daneben können aber auch alle anderen UmstĂ€nde berĂŒcksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes GeprĂ€ge geben, wie etwa der Grad des Verschuldens des SchĂ€digers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse des GeschĂ€digten oder diejenigen des SchĂ€digers (Vereinigte GroĂe Senate, Beschluss vom 16. September 2016 â VGS 1/16 â juris, Rn. 55). Ein mit zu berĂŒcksichtigender Umstand kann dabei die Verletzung einer "armen" Partei durch einen vermögenden SchĂ€diger etwa bei einem auĂergewöhnlichen "wirtschaftlichen GefĂ€lle" sein (Vereinigte GroĂe Senate, Beschluss vom 16. September 2016 â VGS 1/16 â juris, Rn. 57). Indem der (Tat-)Richter im ersten Schritt alle UmstĂ€nde des Falles in den Blick nimmt, dann die prĂ€genden UmstĂ€nde auswĂ€hlt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) VerhĂ€ltnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche EntschĂ€digung billig ist (Vereinigte GroĂe Senate, Beschluss vom 16. September 2016 â VGS 1/16 â juris, Rn. 56, 70).
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- Zur ĂberprĂŒfung seiner Entscheidung durch das Revisionsgericht ist der Tatrichter regelmĂ€Ăig gehalten, die fĂŒr die Schmerzensgeldbemessung prĂ€genden einzelnen UmstĂ€nde, im Regelfall vor allem die Höhe und das MaĂ der LebensbeeintrĂ€chtigung , in seiner Entscheidung zu benennen, im Rahmen einer sich daran anschlieĂenden GesamtwĂŒrdigung gegeneinander abzuwĂ€gen und daraus ein den einzelnen Fall gerecht werdendes Schmerzensgeld festzusetzen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen VerhĂ€ltnissen von SchĂ€diger und GeschĂ€digtem und AusfĂŒhrungen zu deren Einfluss auf die Bemessung der billigen EntschĂ€digung sind dabei nur geboten, wenn die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse dem Einzelfall ein besonderes GeprĂ€ge geben und deshalb bei der Entscheidung ausnahmsweise berĂŒcksichtigt werden mussten (Vereinigte GroĂe Senate, Beschluss vom 16. September 2016 â VGS 1/16 â juris, Rn. 72).
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- FĂŒr die ĂberprĂŒfung eines Ausspruchs ĂŒber die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im AdhĂ€sionsverfahren gilt danach Folgendes:
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- Die NichtberĂŒcksichtigung der wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse von Angeklagten und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmĂ€Ăig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine BerĂŒcksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse dem Fall ein "besonderes GeprĂ€ge" geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen GefĂ€lle anzunehmen. AusfĂŒhrungen dazu, dass die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse dem Fall kein besonderes GeprĂ€ge geben, sind regelmĂ€Ăig nicht erforderlich.
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- Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes GeprĂ€ge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berĂŒcksichtigt, stellt dies regelmĂ€Ăig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen ErwĂ€gungen im Einzelfall zu prĂŒfen ist, ob die angefochtene AdhĂ€sionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die BerĂŒcksichtigung schlechter finanzieller VerhĂ€ltnisse des Angeklagten wird sich regelmĂ€Ăig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes gefĂŒhrt und sich nachteilig ausgewirkt hat.
II.
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- An diesen MaĂstĂ€ben gemessen begegnen die AdhĂ€sionsentscheidungen des angefochtenen Urteils zwar rechtlichen Bedenken; sie enthalten aber keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler.
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- Bei der Schmerzensgeldbemessung hat das Landgericht sich nicht nur an dem AusmaĂ des begangenen Tatunrechts und den Folgen fĂŒr die Opfer orientiert, sondern auch die "desolaten wirtschaftlichen VerhĂ€ltnisse" des Angeklagten anspruchsmindernd berĂŒcksichtigt (UA S. 129 f.). Dies ist zwar bedenklich , da ein wirtschaftliches GefĂ€lle zwischen Angeklagtem und Tatopfern nicht festgestellt ist. Der Angeklagte ist dadurch aber nicht beschwert. Appl Krehl Eschelbach Zeng Grube
Annotations
(1) Gegen den Beschluss, mit dem nach § 406 Abs. 5 Satz 2 von einer Entscheidung ĂŒber den Antrag abgesehen wird, ist sofortige Beschwerde zulĂ€ssig, wenn der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt worden und solange keine den Rechtszug abschlieĂende Entscheidung ergangen ist. Im Ăbrigen steht dem Antragsteller ein Rechtsmittel nicht zu.
(2) Soweit das Gericht dem Antrag stattgibt, kann der Angeklagte die Entscheidung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit dem sonst zulĂ€ssigen Rechtsmittel anfechten. In diesem Falle kann ĂŒber das Rechtsmittel durch Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden. Ist das zulĂ€ssige Rechtsmittel die Berufung, findet auf Antrag des Angeklagten oder des Antragstellers eine mĂŒndliche Anhörung der Beteiligten statt.
(3) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung ist aufzuheben, wenn der Angeklagte unter Aufhebung der Verurteilung wegen der Straftat, auf welche die Entscheidung ĂŒber den Antrag gestĂŒtzt worden ist, weder schuldig gesprochen noch gegen ihn eine MaĂregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird. Dies gilt auch, wenn das Urteil insoweit nicht angefochten ist.
(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann EntschÀdigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten FÀllen gefordert werden.
(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige EntschÀdigung in Geld gefordert werden.
(weggefallen)
