Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 477/13
vom
21. November 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. November 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 19. April 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen "dazu tateinheitlich begangenen Verstoßes gegen das Waffengesetz in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen (Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe, Besitz und Führen von zwei Schusswaffen sowie Besitz von Munition)" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Die Annahme des Landgerichts, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit nicht im Sinne von § 20 StGB aufgehoben gewesen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den durch die sachverständig beratene Strafkammer getroffenen Feststellungen litt der Angeklagte unter einer krankhaften seelischen Störung in Form einer schizoaffektiven Störung (ICD 10: F 25.0), aufgrund derer - bei erhaltener Einsichtsfähigkeit - seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich vermindert war. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte sei wahnhaft auf die Nebenkläger als Verantwortliche seiner Lage fixiert gewesen und habe keine andere Möglichkeit gesehen, als durch die Tat eine Änderung herbeizuführen. Andere objektiv bestehende Möglichkeiten habe er störungsbedingt nicht mehr im Blick gehabt (UA S. 33, 34).
4
Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit hat das Landgericht indes ausgeschlossen, denn der wahnbedingte Hass des Angeklagten auf die Nebenkläger habe ihn nicht gehindert, seinen ursprünglichen Plan, die Nebenkläger zu töten, aufzugeben und stattdessen nur die Fenster im Haus der Nebenkläger zu beschießen, während sich diese dort aufhielten. Auch während der Tatausführung habe er - trotz einer sich ihm bietenden Gelegenheit - von einer Tötung der Nebenkläger abgesehen. Dies belege, dass der Angeklagte noch über eine Restfähigkeit verfügt habe, alternativ zu handeln (UA S. 34).
5
b) Diese Erwägungen des Landgerichts belegen zwar, dass der Angeklagte seine Tat im Zustand - zumindest - sicher erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hat. Eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklagten hat das Landgericht jedoch nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
6
Die Fähigkeit eines Täters, entsprechend seiner vorhandenen Einsicht zu handeln (§ 20 StGB), ist auf die jeweilige Tathandlung bezogen zu prüfen. Entscheidend ist daher die Frage, ob und inwieweit der Angeklagte bezogen auf das der versuchten gefährlichen Körperverletzung zugrunde liegende Tatgeschehen zu Handlungsalternativen imstande gewesen war. Damit hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt und lediglich auf den bereits im Vorfeld der eigentlichen Tathandlung verworfenen Plan des Angeklagten, die Nebenkläger zu töten, abgestellt. Es fehlt die Erörterung der Frage, ob und inwieweit der Angeklagte zum Tatzeitpunkt noch in der Lage war, anders zu handeln, als die Fenster der Wohnung der Nebenkläger zu beschießen.
7
Soweit die Strafkammer im Ergebnis festgestellt hat, der Angeklagte habe noch über eine Restfähigkeit verfügt, alternativ zu handeln, steht dies zudem in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu der im Rahmen der Prüfung des Vorliegens des § 21 StGB getroffenen Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe störungsbedingt andere objektiv bestehende Handlungsmöglichkeiten nicht mehr im Blick gehabt (UA S. 34).
8
2. Schuld- und Strafausspruch haben daher keinen Bestand. Da die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) rechtlich untrennbar auf der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit beruht, war auch sie aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 240/10; Senat, Beschluss vom 9. März 2011 - 2 StR 629/10).
9
3. Sollte das neu entscheidende Tatgericht den Angeklagten wiederum wegen eines Verstoßes gegen das WaffG verurteilen, wird es die Anforderungen an die rechtliche Bezeichnung der Tat (§ 260 Abs. 4 Satz 1 StPO) zu berücksichtigen haben. Die Formulierung "wegen Verstoßes gegen das Waffen- gesetz" ist nicht in die Urteilsformel aufzunehmen, sondern nur das Waffendelikt genau zu bezeichnen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 4 StR 40/11, NJW 2011, 1979, 1981; Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 5 StR 434/11, NStZ 2012, 221, 222).
Appl Krehl Eschelbach
Ott Zeng

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafprozeßordnung - StPO | § 260 Urteil


(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. (2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, gena

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

5 StR 240/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juli 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 4. Februar 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum jeweiligen Tatgeschehen aufrecht erhalten. Insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl, wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung in zwei Fällen, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten ist im Umfang der Beschlussformel erfolgreich.
2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils leidet der 27 Jahre alte Angeklagte unter Schwachsinn (IQ „von ungefähr 50“) und verfügt über keine „so genannten kulturbedingten Fertigkeiten wie Rechnen, Schreiben und Lesen“ (UA S. 15). Sein eigenes Alter kann er nicht nennen, die Wochentage und die Monate des Jahres nicht aufzählen. Mit der geistigen Behinderung gehen deutliche Verhaltensauffälligkeiten einher; da der Angeklagte nicht über soziale Kompetenz verfügt und kaum in der Lage ist, sich verbal verständlich zu machen, wählt er andere Kommunikationsformen, insbesondere seine Körperkraft. Er ist emotional instabil, leicht zu provozieren und reagiert auf jegliche Reize spontan und impulsiv. Er agiert intuitiv, bedürfnis- und erlebnisorientiert. „Dabei ist er nicht in der Lage, Ursache und Wirkung seines Verhaltens zu erkennen und auseinander zu halten“ (UA S. 16).
3
In der Zeit von Juli 2008 bis März 2009 beging der Angeklagte die abgeurteilten Taten: Da er sich von ihnen provoziert fühlte, wurde er in mehreren Fällen gegen Bekannte gewalttätig, schlug sie, in einem Fall mit einem langen Stock oder einer langen Holzlatte, und trat sie; dabei trug er teilweise Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen. Im August 2008 zündete er in einem Unterstand lagernde Strohreste an; dadurch fing der gesamte Unterstand Feuer und brannte vollständig nieder. In einem weiteren Fall brach er einen Schuppen auf, den ein Supermarkt als Warenlager nutzte, und entnahm der Tiefkühltruhe zahlreiche Pakete Tiefkühlware, die er zum Teil selbst verzehrte , zum Teil verschenkte.
4
Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte zwar in der Lage ist, das Unrecht seines Tuns einzusehen, jedoch seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, wegen Schwachsinns erheblich vermindert ist (§ 21 StGB).
5
2. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Schuldsprüche und des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.
6
a) Rechtsfehlerfrei sind die Feststellungen des Landgerichts zu den Tatgeschehen, die deshalb aufrecht erhalten bleiben können. Sie beruhen auf einer schlüssigen Beweiswürdigung.
7
b) Das Urteil belegt bei noch ausreichend eigenständiger Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten auch in nachvollziehbarer Weise, dass der Angeklagte seine Taten im Zustand – zumindest – sicher erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hat. Indes hat das Landgericht eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
8
Zum einen belegt es nicht näher die Feststellung, dass der Angeklagte in der Lage war, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Eine eingehende Prüfung der Verbotskenntnis des Angeklagten im Zeitpunkt der jeweiligen Taten war angesichts der Schwere seiner intellektuellen Beeinträchtigung jedoch erforderlich, auch wenn im Verlauf einzelner Taten Anhaltspunkte für eine vorhandene Unrechtseinsicht aufscheinen (Tat 3: Versuch, den Zeugen H. zum „Schmiere stehen“ zu veranlassen).
9
Zum anderen sind die Feststellungen zur Steuerungsfähigkeit des Angeklagten widersprüchlich und weisen auf deren Ausschluss hin. Hierfür sprechen insbesondere auch die wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen , der Angeklagte sei „ohne nachhaltige therapeutische und vor allem pädagogische Betreuung nicht in der Lage, seine impulsiven, unkontrollierten und auch gewaltsamen Reaktionen auf von ihm empfundene Reize Provokationen und Bedürfnisse zu steuern“ (UA S. 19).
10
Da die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) rechtlich untrennbar auf der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit beruht, war auch sie aufzuheben.
11
3. Sollte das neue Tatgericht wiederum zu einem Ausschluss der völligen Schuldunfähigkeit des Angeklagten gelangen, so wird es zu beachten haben, das bei der Bildung der Einzelstrafe für die zweite Tat eine strafschärfende Berücksichtigung des hohen Gefährdungspotenzials der Tat (Anzünden trockenen Strohs in einem Holzschuppen im Hochsommer) nur in Frage kommt, wenn der Angeklagte zu einer Einsicht in die besondere Gefährlichkeit seines Handels in der Lage war.
Brause Sander Schneider
König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 629/10
vom
9. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 3 auf dessen Antrag, am
9. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 7. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf aufrecht erhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte zumindest seit dem Jahr 2004 an einer schweren paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Er wurde am 31. Januar 2010 gegen 04.00 Uhr von der Wirtin der Gaststätte C. in W. und deren Lebensgefährten sowie einem Bekannten vor die Tür gesetzt, nachdem er die Aufforderung zum Verlassen des Lokals nicht befolgt hatte. Er war darüber erbost, öffnete das mitgeführte Taschenmesser und kehrte in die Gaststätte zurück, wobei er "laute wütende Geräusche" von sich gab. Dem Stammgast M. , der die Wirtin schützen wollte, versetzte er mit dem Messer einen Schnitt in den Oberschenkel. Danach stach er dem Lebensgefährten der Wirtin A. mit dem Messer in den Hals, als dieser den Angeklagten mit einem Schlagstock abwehren wollte.
3
Das Landgericht ist der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. darin gefolgt, dass die Steuerungsfähigkeit des einsichtsfähigen Angeklagten erheblich vermindert, aber nicht aufgehoben gewesen sei. Er sei zwar bei der Begehung der Tat aufgrund seiner paranoid-halluzinatorischen Psychose "psychotisch" gewesen, habe aber den Vorfall nicht "in sein Wahnsystem eingebaut". Seine Denkabläufe seien gestört gewesen und es sei zu einer "Fehleinschätzung der Situation gekommen".
4
Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, weil die Bejahung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
5
Die Annahme, dass es wegen einer Störung der Denkabläufe infolge der psychotischen Erkrankung des Angeklagten zu einer Fehleinschätzung der Situation durch ihn gekommen sei, spricht dafür, dass der Angeklagte zur Tatzeit nicht die erforderliche Einsicht in das Unrecht der Handlungen hatte. Schon ei- ne erhebliche Verminderung der Unrechtseinsichtsfähigkeit führt zur Schuldunfähigkeit , wenn sie tatsächlich das Fehlen der Einsicht zur Folge hatte. In diesem Fall stellt sich die Frage der Steuerungsfähigkeit nicht mehr (BGH NStZRR 2006, 167, 168). Die Unfähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen, hat das Landgericht aber nicht nachvollziehbar ausgeschlossen.
6
Der Schuldspruch und der Strafausspruch können deshalb keinen Bestand haben. Der Senat hebt auch den Maßregelausspruch auf. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können aufrechterhalten werden. Ergänzende Feststellungen sind möglich.
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 40/11
vom
15. März 2011
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Zur Strafbarkeit wegen Amtsanmaßung und wegen unbefugten Tragens von
inländischen Uniformen und Amtsabzeichen, wenn der nicht der Bundeswehr
angehörende Täter unter Vortäuschung seiner Zugehörigkeit zu den Feldjägern
der Bundeswehr hoheitliche Befugnisse gegenüber Zivilpersonen in Anspruch
nimmt.
BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 4 StR 40/11 - LG Essen -
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 15. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung, Urkundenfälschung, Missbrauch von Amtsabzeichen und Verstoß gegen das Waffengesetz verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Höhe des Tagessatzes der wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung verhängten Geldstrafe auf 1 Euro festgesetzt wird.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung, Urkundenfälschung, Missbrauch von Amtsabzeichen und einem "Verstoß gegen das Waffengesetz“ sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen nach Auflösung der dortigen Gesamtgeldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen teilweisen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3
Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
4
Nachdem die Zeugin S. in Gegenwart des Angeklagten Ende Mai/Anfang Juni 2009 davon berichtet hatte, der Geschädigte habe sie während einer mit ihr geführten kurzen Beziehung sexuell missbraucht, fasste der Angeklagte , der ebenso wie seine anwesenden Freunde dieser Schilderung Glauben schenkte, den Plan, den Geschädigten gemeinsam mit einer zweiten Person zum Zwecke der Bestrafung aufzusuchen und ihn zu verprügeln. Zur Vorbereitung der Tat entwarf der Angeklagte am Computer einen "Durchsuchungsbeschluss" , in dem – sinngemäß und in quasiamtlicher Diktion – die Durchsuchung der Wohnung des Geschädigten wegen des Verdachts verschiedener Straftaten, u.a. wegen "sexueller Belästigung“, "angeordnet" wird. Das Schriftstück war mit einem aus dem Internet herunter geladenen Bundeswehrkreuz versehen und mit dem vom Angeklagten herrührenden handschriftlichen Namenszug "Hauptmann M. " versehen. Es enthielt am Ende ein wiederum aus dem Internet herunter geladenes Bundeswehr-Kreuz, den Schriftzug "Bundeswehr" , einen Bundesadler sowie einen schwarz-rot-goldenen Farbstreifen mit den Worten "Bundesministerium der Verteidigung". Der Angeklagte fertigte zusätzlich ein weiteres Schriftstück, in dem die "Vollstreckung des Vollzugsbefehls" erteilt und gegebenenfalls die "sofortige Festnahme" des Geschädigten "gestattet" wird. Dieses Schreiben endet mit dem handschriftlichen Namenszug "Oberst Sch. " und enthält ähnliche militärische und nationale Hoheitszeichen wie der "Durchsuchungsbeschluss".
5
Am Abend des 13. Juni 2009 begaben sich der Angeklagte und sein Mittäter , der frühere Mitangeklagte P. , in Begleitung mehrerer Freunde mit dem Pkw der Zeugin B. , der Lebensgefährtin des Angeklagten, und einem weiteren Fahrzeug in die Nähe der Wohnung des Geschädigten. Entsprechend dem im Wesentlichen vom Angeklagten ausgearbeiteten Plan legten er und P. , obwohl beide der Bundeswehr nicht angehörten, "Feldjägeruniformen“ aus dem Besitz des Angeklagten an. Der Angeklagte streifte zusätzlich eine Armbinde mit den Buchstaben "MP“ (Militärpolizei) über einen Oberarm. Mit dem Pkw der Zeugin B. , den sie zuvor mit von einem Schrottfahrzeug abmontierten Kennzeichen versehen hatten, rollten beide das letzte Wegstück im Leerlauf zum Wohnhaus des Geschädigten; ihre Begleiter blieben zurück. Ausgerüstet waren P. und der Angeklagte mit zwei vom Angeklagten beschafften Gaspistolen, die sie in Halftern mit sich führten. Die Pistole des Angeklagten war nicht geladen. Nachdem sich der Angeklagte und P. Zutritt zur Wohnung verschafft und festgestellt hatten, dass sich entgegen ihrer Erwartung nicht nur der Geschädigte , sondern drei weitere Personen in der Wohnung aufhielten, gaben sie ihren Plan auf, den Geschädigten zu verprügeln. Der Angeklagte überreichte dem Geschädigten die beiden von ihm angefertigten Schriftstücke, P. nahm die Waffe aus seinem Halfter und richtete sie auf den Geschädigten sowie zwei der Anwesenden. Er (P. ) lud die Pistole durch, wobei eine Patrone heraus fiel, die er vom Boden aufhob und einsteckte, woraufhin er sich in die Küche begab, die Tür hinter sich schloss und den Raum lautstark durchsuchte. Der inzwischen verängstigte Geschädigte las die ihm überreichten Schreiben. Er hielt den Angeklagten und P. tatsächlich für Feldjäger der Bundeswehr und vermutete einen Zusammenhang zwischen deren Erscheinen und den auch ihm bekannten Vorwürfen der Zeugin S. . Der Angeklagte ließ den Geschädigten das zweite Schreiben unterzeichnen, notierte die Personalien der weiteren Anwesenden und fragte den Geschädigten, ob dieser Waffen oder Betäubungsmittel in Besitz habe. Daraufhin nahm er aus einer vom Geschädigten geöffneten Schublade ein Messer im Wert von etwa 10 Euro mit dem Bemerken an sich, er müsse dieses "konfiszieren". Außerdem steckte er eine Tüte mit Marihuana ein, die einem der Wohnungsinsassen gehörte. Nach etwa 30 Minuten verließen er und P. die Wohnung. Beide bestiegen den Pkw der Zeugin B. , den der Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, die Straße hinauffuhr, wo die Zeugin B. zustieg und das Steuer übernahm. Auf Bitten der Zeugin B. gab der Angeklagte das Marihuana an diese weiter; das "konfiszierte" Messer, das P. nicht haben wollte, warf der Angeklagte etwa drei bis vier Wochen nach der Tat weg.

II.

6
1. Soweit das Tatgeschehen bis zum Verlassen der Wohnung des Geschädigten betroffen ist, begegnet zunächst der Schuldspruch wegen „schweren Raubes“ durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
a) Zwar wird das Tatbestandsmerkmal der Wegnahme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter - wie im vorliegenden Fall der Angeklagte - durch die falsche Behauptung einer amtlichen Beschlagnahme die Herausgabe einer fremden beweglichen Sache fordert und sie erreicht, selbst wenn das Opfer die Wegnahme nicht nur duldet, sondern die Sache dem Täter auf dessen Verlangen aushändigt. In einem solchen Fall ist für einen eigenen, freien Willensentschluss des Opfers, das sich dem Zwang fügt, kein Raum (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Januar 1963 - 2 StR 591/62, BGHSt 18, 221, 223 m.w.N.).
8
b) Im Ergebnis zu Recht rügt die Revision jedoch die unzureichende Darlegung der für den Tatbestand des Raubes im Sinne des § 249 StGB auch erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen dem eingesetzten Nötigungsmittel und der Wegnahme (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Januar 2003 - 4 StR 422/02, NStZ 2003, 431 m.w.N.). Die Anwendung von Gewalt oder Drohung darf nicht nur gelegentlich der Entwendung einer fremden Sache erfolgen, sondern sie muss darauf gerichtet sein, den Gewahrsamsbruch durch Ausschaltung eines erwarteten oder geleisteten Widerstandes zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2002 - 2 StR 225/02, NStZ-RR 2002, 304; MünchKommStGB/Sander § 249 Rn. 24).
9
Zwar trug der Angeklagte die von ihm mitgeführte Waffe nicht nur offen in einem Holster am Oberschenkel, sondern hatte während der weiteren Tatausführung "fast ständig" seine Hand auf die Waffe gelegt, woraus sich eine zumindest konkludente Drohung ergeben könnte, die Waffe nötigenfalls auch einzusetzen. Zu dem insoweit allein maßgeblichen Willen und der Vorstellung des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tatausführung (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. April 1963 - 4 StR 92/63, BGHSt 18, 329, 331; Sander aaO) verhalten sich die Urteilsgründe jedoch nicht.
10
c) Die Strafkammer hat ferner die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 StGB, dessen Strafrahmen sie ihrer Entscheidung – ohne nähere Bezeichnung der Tatvariante, die sich auch aus der rechtlichen Würdigung und der Liste der angewendeten Vorschriften nicht erschließt – zu Grunde gelegt hat, nicht ausreichend dargetan.
11
Waffen im Sinne des hier in Betracht kommenden § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sind (einsatzbereite) Gas- und Schreckschusswaffen nur dann, wenn nach deren Bauart der Explosionsdruck beim Abfeuern der Munition nach vorne durch den Lauf austritt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 – GSSt 2/02, BGHSt 48, 197, 201; Beschluss vom 15. Februar 2011 – 3 StR 8/11; SSWStGB /Kudlich § 244 Rn. 7 m.w.N.). Hierzu hat der Tatrichter regelmäßig genaue Feststellungen zu treffen, denn der Austritt des Explosionsdrucks nach vorne mag zwar üblich sein, kann aber nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 – 3 StR 17/10, NStZ 2010, 390; Beschluss vom 15. Februar 2011 – 3 StR 8/11). Die dazu im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen erweisen sich als nicht ausreichend. Zwar steht der Umstand, dass der Angeklagte selbst nur eine ungeladene Gaspistole verwendete, einer mittäterschaftlichen Zurechnung (§ 25 Abs. 2 StGB) hinsichtlich der von P. eingesetzten, "geladenen“ Gaspistole nicht entgegen, zumal der Angeklagte beide beschafft und den Tatplan im Wesentlichen selbst ausgearbeitet hatte. Zum konkreten Ladezustand und zur Funktionsfähigkeit der Pistole des P. ist aber nichts weiter festgestellt.
12
2. Die – in Tateinheit mit schwerem Raub erfolgte – Verurteilung wegen Missbrauchs von Amtsabzeichen ist ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern.
13
a) Zum einen wird die revisionsgerichtliche Überprüfung durch eine nicht eindeutige rechtliche Zuordnung des vom Landgericht festgestellten Lebens- sachverhalts zu dem als erfüllt angesehenen Straftatbestand erschwert. Der Angeklagte trug während der Tat unbefugt eine "Feldjägeruniform", weshalb der Straftatbestand des Missbrauchs von (inländischen) Uniformen im Sinne des § 132a Abs. 1 Nr. 4 1. Variante StGB erfüllt sein kann. In Betracht kommt ferner die – ebenfalls unbefugte – Verwendung der Armbinde mit der Aufschrift "MP“ als Missbrauch von Amtsabzeichen im Sinne des § 132a Abs. 1 Nr. 4 4. Variante StGB.
14
b) Zum anderen ist der Tatbestand des § 132a StGB in beiden Tatvarianten nur erfüllt, wenn es sich bei der jeweiligen Uniform bzw. dem Amtsabzeichen um solche handelt, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen eingeführt sind (vgl. dazu eingehend LK-StGB/Krauß, 12. Aufl. § 132a Rn. 50 ff. m.w.N.). Amtsabzeichen werden zudem nur dann von der Strafvorschrift erfasst , wenn sie, ohne Bestandteil der Amtskleidung zu sein, an vorschriftsmäßigen Uniformen angebracht sind und den Träger als Inhaber eines bestimmten Amtes kennzeichnen (BGH, Beschluss vom 23. April 1992 – 1 StR 58/92, NStZ 1992, 490; Krauß aaO Rn. 52; MünchKommStGB/Hohmann § 132a Rn. 16, jeweils m.w.N.). Dazu, ob die vom Angeklagten und seinem Mittäter getragenen Uniformen und die vom Angeklagten zusätzlich verwendete Armbinde mit der Aufschrift "MP“ tatsächlich zu den durch öffentlich-rechtliche Vorschriften eingeführten Uniformen bzw. Abzeichen gehören oder solchen zum Verwechseln ähnlich sind (§ 132a Abs. 2 StGB), enthalten die Urteilsgründe keine näheren Feststellungen (vgl. dazu Art. 2 der gemäß § 4 Abs. 3 SG erlassene Anordnung des Bundespräsidenten über die Dienstgradbezeichnungen und die Uniform der Soldaten (BPräsUnifAnO) vom 14. Juli 1978 (BGBl. I S. 1067; i.d.F. vom 31. Mai 1996, VMBl. 1996 S. 260).
15
3. Da das Landgericht insoweit zu Recht von Tateinheit ausgegangen ist, kann auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen Urkun- denfälschung durch Anfertigung der beiden Schreiben durch den Angeklagten nicht aufrecht erhalten bleiben (vgl. Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 353 Rn. 7a).
16
4. Aus demselben Grund erstreckt sich die Aufhebung auch auf die tateinheitliche Verurteilung wegen eines Vergehens gemäß § 132 StGB. Zudem hält der Schuldspruch wegen Amtsanmaßung lediglich im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
17
a) Die Tatmodalitäten des § 132 StGB setzen voraus, dass der Täter entweder als Inhaber eines öffentlichen Amtes auftritt und eine Handlung vornimmt , die den Anschein hoheitlichen Handelns erweckt (§ 132 1. Alternative StGB) oder dass er eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf (§ 132 2. Alternative StGB; vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 1993 – 4 StR 416/93, BGHSt 40, 8, 11 f.). Dabei ist das Tatbestandsmerkmal "öffentliches Amt“ nach den Kriterien des Staats- und Verwaltungsrechts zu bestimmen und sowohl im statusrechtlichen als auch im funktionellen Sinne zu verstehen (zur Amtsträgereigenschaft Senatsurteil vom 10. März 1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264, 267 f.; MünchKommStGB/Radtke § 11 Rn. 16 f.; Hohmann aaO, § 132 Rn. 7). Die Ausübung militärischer Hoheitsbefugnisse und die Wahrnehmung militärischer Aufgaben sind deshalb regelmäßig nicht dem Begriff des öffentlichen Amtes im Sinne des § 132 StGB zuzuordnen; Soldaten sind keine Amtsträger im strafrechtlichen Sinne (vgl. SSWStGB /Satzger § 11 Rn. 18; Fischer StGB 58. Aufl. § 11 Rn. 16). Dies ergibt sich – im Umkehrschluss – auch aus § 48 WStG, durch den Soldaten der Bundeswehr lediglich für einen abschließenden Katalog von (Amts-)delikten den Amtsträgern im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB gleich gestellt werden. Bei der Anmaßung militärischer Befugnisse handelt es sich daher, soweit die Bundeswehr betroffen ist (anders im Fall der Anmaßung solcher Befugnisse von in Deutschland stationierten NATO-Truppen; vgl. dazu Hohmann aaO Rn. 9), grundsätzlich auch nicht um die Anmaßung eines öffentlichen Amtes im Sinne dieser Strafvorschrift (LK-StGB/Krauß, 12. Aufl. § 132 Rn. 12; Fischer aaO § 132 Rn. 5). Während für Soldaten und für die bei der Bundeswehr beschäftigten Zivilpersonen im Sinne von § 1 Abs. 2 WStG in solchen Fällen ausschließlich eine Strafbarkeit nach § 38 WStG in Betracht kommt, ist die Anmaßung militärischer Befugnisse durch sonstige Zivilpersonen regelmäßig weder von § 132 StGB noch von § 38 WStG erfasst (Krauß, Hohmann und Fischer, jeweils aaO; ebenso SSW-StGB/Jeßberger § 132 Rn. 5). Danach hätte sich der Angeklagte im vorliegenden Fall nach keiner der beiden Vorschriften strafbar gemacht.
18
b) Handelt der Täter aber nicht nur unter Vortäuschung seiner Zugehörigkeit zu den Soldaten oder dem zivilen Personal der Bundeswehr, sondern beansprucht er zusätzlich "Amtsbefugnisse“ als Feldjäger, kommt hingegen eine Strafbarkeit gemäß § 132 2. Alternative StGB in Betracht.
19
aa) Gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) vom 12. August 1965 (BGBl. I 1965 S. 796, zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007, BGBl. I 3198) sind Soldaten der Bundeswehr , denen militärische Wach- oder Sicherheitsaufgaben übertragen sind, befugt , in Erfüllung dieser Aufgaben Personen anzuhalten, zu überprüfen, vorläufig festzunehmen und zu durchsuchen sowie Sachen sicherzustellen und zu beschlagnahmen und unmittelbaren Zwang gegen Personen und Sachen anzuwenden. Den Soldaten mit Sicherheitsaufgaben im Sinne dieses Gesetzes, zu denen nach Kapitel 1 Nr. I. 2 (1. Spiegelstrich) der Zentralen Dienstvorschrift 14/9 (ZDv 14/9) des Bundesministeriums der Verteidigung auch die im Feldjägerdienst stehenden Soldaten der Bundeswehr gehören, werden damit allge- meine polizeiliche Befugnisse auch gegenüber Privatpersonen verliehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Januar 1990 – 7 C 88/88, BVerwGE 84, 247, Tz. 14 ff. zur Einrichtung eines militärischen Sicherheitsbereichs im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw durch Sperrung eines nichtmilitärischen Ortes; i.E. ebenso Fischer aaO; vgl. dazu auch Heinen, Rechtsgrundlagen Feldjägerdienst, 9. Aufl. 2010, S. 14 ff.).
20
bb) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen liegen auch die übrigen Voraussetzungen von § 132 2. Alternative StGB vor.
21
Wie in § 132 1. Alternative StGB wird dafür zunächst vorausgesetzt, dass sich das Handeln des Täters nach außen als Wahrnehmung öffentlicher Funktionen darstellt und objektiv mit einer hoheitlichen Maßnahme verwechselt werden könnte (Senatsurteil vom 9. Dezember 1993 aaO; Jeßberger aaO Rn. 9). Im Unterschied zu der ersten Tatmodalität wird der Anschein hoheitlichen Handelns in der zweiten Alternative aber durch die Handlung selbst begründet, nicht durch das Auftreten des Täters als Amtsträger. In Betracht kommen hier insbesondere Eingriffe in die Rechte Einzelner, etwa eine Verhaftung, Durchsuchung oder Beschlagnahme (RG, Urteil vom 25. Juni 1925 – II 166/25, RGSt 59, 291, 298; Hohmann aaO Rn. 18). Im Hinblick auf den Zweck der Strafvorschrift, die das Vertrauen der Allgemeinheit in die Autorität staatlichen Handelns schützen soll, erfüllt eine solche oder eine ähnliche Handlung nur dann nicht den Tatbestand des § 132 2. Alternative StGB, wenn sich das Verhalten des Täters so weit von den rechtlichen Vorgaben einer Amtshandlung entfernt, dass eine Verwechslung ausgeschlossen ist (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 25. April 2006 – 4 Ws 98/06, NStZ 2007, 527; Jeßberger aaO Rn. 10): Dabei ist auf die Sicht eines unbefangenen Beobachters abzustellen (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 1993 aaO, S. 13; Krauß aaO Rn. 30).
22
Danach ist die Verurteilung wegen Amtsanmaßung hier im Ergebnis zu Recht erfolgt. Der Angeklagte hat mit seinem Mittäter Handlungen vorgenommen , die nur in Ausübung hoheitlicher Funktionen vorgenommen werden durften. Er hat unter Vorlage zweier gefälschter Schriftstücke mit quasiamtlichem Inhalt bei dem Geschädigten, der das Geschehen für authentisch hielt und beiden Tätern die Feldjäger-Eigenschaft glaubte, eine "Durchsuchung“ sowie eine "Beschlagnahme“ durchgeführt und ist dabei in vorgetäuschter amtlicher Funktion als Feldjäger aufgetreten, also als vermeintlicher Angehöriger der Polizei der Bundeswehr. Ungeachtet formaler Mängel der von ihm gefertigten Schriftstücke entfernte sich sein Vorgehen unter Berücksichtigung seine Uniformierung und seines einen amtlichen Anschein erweckenden Gesamtverhaltens nicht so weit von den rechtlichen Vorgaben einer Amtshandlung, dass eine Verwechslung vom Standpunkt eines unbefangenen Betrachters ausgeschlossen war.

III.

23
Soweit das Landgericht den Angeklagten darüber hinaus wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer (weiteren) Einzelgeldstrafe verurteilt hat, holt der Senat die unterbliebene Bestimmung der Tagessatzhöhe nach und legt sie entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts auf einen Euro fest. Dass die Geldstrafe in eine zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen war, lässt die Notwendigkeit einer solchen Festsetzung nicht entfallen (Senatsbeschluss vom 14. Mai 1981 – 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, und vom 29. August 2006 – 4 StR 231/06).

IV.

24
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:
25
Sollte die neue Hauptverhandlung zu Feststellungen führen, die die Annahme einer finalen Verknüpfung zwischen dem eingesetzten Nötigungsmittel und der Wegnahme rechtfertigen, wird das Vorliegen von Zueignungsabsicht eingehend geprüft werden müssen. Für den Fall, dass die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 StGB erfüllt sein sollten, wäre der Angeklagte insoweit wegen "besonders schweren Raubes“ zu verurteilen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. September 2009 - 3 StR 297/09, NStZ 2010, 101; BGH, Beschluss vom 2. Februar 2011 - 2 StR 622/10). Bei erneuter Verurteilung des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das WaffG werden die Anforderungen an die rechtliche Bezeichnung der Tat (§ 260 Abs. 4 Satz 1 StPO) in solchen Fällen zu berücksichtigen sein. Die Formulierung "wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz“ genügt regelmäßig nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 574/06, NStZ 2007, 352). Ernemann RinBGH Solin-Stojanović Roggenbuck befindet sich im Ruhestand und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Franke Bender
5 StR 434/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2011

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. April 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen; es wird klargestellt, dass der Angeklagte der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzladewaffe schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlicher schwe- rer räuberischer Erpressung und Verstoßes gegen das Waffengesetz“ zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Seine gegen die Verurteilung gerichtete, auf die näher ausgeführte Sachbeschwerde und eine Verfahrensrüge gestützte Revision ist im Ergebnis unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Sowohl Schuld- als auch Rechtsfolgenausspruch halten revisionsgerichtlicher Überprüfung aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts stand.
2
1. Der erhobenen Verfahrensrüge, das Gericht habe zwei Zeugen, deren Aussagen es zum Nachteil des Angeklagten verwertet habe, nicht nach § 52 Abs. 3 StPO belehrt, bleibt der Erfolg versagt.
3
a) Nach bislang verbindlicher Rechtsprechung wäre es geboten gewesen , die Brüder P. und J. W. vor ihrer Zeugenvernehmung gemäß § 52 Abs. 3 StPO zu belehren. Ein Zeuge ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich aller Beschuldigter zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß § 52 Abs. 1 StPO berechtigt und hierüber auch zu belehren, wenn sich ein einheitliches Verfahren gegen mehrere Beschuldigte richtet oder gerichtet hat und der Zeuge jedenfalls zu einem von ihnen in einem von § 52 Abs. 1 StPO erfassten Angehörigenverhältnis steht, sofern der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch seinen Angehörigen betrifft (vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Mai 1998 – 3 StR 566/97, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 12 mwN; BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 4). Unterbleibt die Belehrung gleichwohl, soll dies der nicht-angehörige Angeklagte grundsätzlich auch rügen können (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1955 – 4 StR 582/54, BGHSt 7, 194, 196).
4
Die Polizei hatte hier beide Zeugen der Beteiligung an der Tat des Beschwerdeführers verdächtigt und das Ermittlungsverfahren zugleich gegen sie und den Angeklagten geführt. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen sie Durchsuchungsbeschlüsse (§ 102 StPO) erwirkt und beide wie den Beschwerdeführer wegen derselben prozessualen Tat als Beschuldigte eingetragen. Damit war die notwendige, zumindest historische prozessuale Gemeinsamkeit gegeben, die das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO der beiden früheren mitbeschuldigten Brüder auch in dem gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren begründete. Durch die spätere staatsanwaltschaftliche Einstellung des gegen die Zeugen gerichteten Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO wurde es nicht beseitigt:
5
Zwar ist anerkannt, dass eine zwischen dem angehörigen Zeugen und dem Angeklagten über einen vormals mitbeschuldigten Angehörigen bestehende Verbindung durch prozessuale Entwicklungen gelockert sein kann und deshalb eine Zubilligung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht mehr recht- fertigt; dies gilt namentlich nach Ableben des früheren Mitbeschuldigten (BGH, Urteil vom 13. Februar 1992 – 4 StR 638/91, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 7), nach dessen rechtskräftiger Verurteilung (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1991 – 1 StR 334/90, BGHSt 38, 96, 100 ff.) oder rechtskräftigem Freispruch (BGH, Urteil vom 4. Mai 1993 – 1 StR 921/92, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 9) und nach erfolgter Verfahrenseinstellung gemäß § 154 StPO mit Blick auf eine rechtskräftige Verurteilung im Bezugsverfahren (BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 5 ff.). Dem steht die vorliegende Fallkonstella- tion angesichts der uneingeschränkten Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft , ein nach § 170 Abs. 2 StPO eingestelltes Verfahren wegen eines nicht verjährten Tatvorwurfs wiederaufzugreifen (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 170 Rn. 50 mwN), jedoch nicht gleich (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 1997 – 1 StR 469/97, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 10; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Mai 1998 – 3 StR 31/98, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 11; BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 6).
6
b) Das Urteil würde indes auf einem hieraus abzuleitenden Verfahrensfehler nicht beruhen (§ 337 StPO). Dies gilt für die Angaben des Zeugen P. W. bereits deshalb, weil er vor seiner Aussage über ein ihm zugebilligtes Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) belehrt worden war und dennoch ausgesagt hatte. Im Hinblick darauf ist nicht ersichtlich, inwiefern eine weitere Belehrung über ein darüber hinaus gegebenes Zeugnisverweigerungsrecht hier zu einem anderen Aussageverhalten oder einem anderen Beweisergebnis hätte führen können (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Mai 1984 – 2 StR 233/84, NStZ 1984, 464).
7
Abgesehen davon ist hinsichtlich beider Zeugen – worauf auch der Generalbundesanwalt zu Recht abhebt – auszuschließen, dass ihr denkbares Schweigen für den Fall umfassender Belehrung nach § 52 Abs. 3 StPO mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 252 StPO die Beweislage zu Gunsten des Beschwerdeführers hätte verändern können. Zwar hat die Strafkammer im Rahmen ihrer Würdigung der Angaben des Hauptbelastungszeugen B. ausdrücklich auf eine Gesamtschau der sie bestätigenden Beweiszeichen abgestellt (UA S. 45/46). Im Rahmen dessen hat sie namentlich die Angaben beider Zeugen für die Frage berücksichtigt, ob der Beschwerdeführer Nutzer des am Tatort startbereit aufgefundenen und durch das Tatgericht nachvollziehbar als Fluchtfahrzeug bewerteten Pkw war (UA S. 42/43). Allerdings stützt sie Ihre Überzeugung betreffend die Nutzung des Fluchtfahrzeugs durch den Beschwerdeführer nicht allein und auch nicht etwa maßgeblich auf die Angaben beider Zeugen. Vielmehr hat der Be- schwerdeführer selbst eingeräumt „in der fraglichen Zeit“ das Fahrzeug ge- nutzt zu haben (UA S. 35, 42).
8
Ferner hat sich das Tatgericht mit beiden Zeugen als möglichen Alternativtätern auseinandergesetzt (UA S. 60). Als solche hat sie beide nicht etwa maßgeblich auf Grund ihrer Aussagen, sondern mit Blick auf die übrigen, gewichtigen Beweiszeichen rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Dass ein (denkbares) Schweigen beider Zeugen neben den sie entlastenden, den Beschwerdeführer hingegen nachhaltig belastenden Erkenntnissen – etwa aus der daktyloskopischen Spurenauswertung, der DNA-Analyse (UA S. 43 ff.) und dem Tatzeitalibi des P. W. (UA S. 61) – die Beweislage für den Angeklagten günstiger gestaltet hätte, lässt sich sicher ausschließen.
9
c) Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob in den genannten Fällen – entgegender dargestellten überkommenen Rechtsprechung – das Zeugnisverweigerungsrecht nur so lange Bestand haben kann, wie sich das Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung über das Verweigerungsrecht noch gegen einen angehörigen Angeklagten richtet und nicht – davon gelöst – lediglich als Rechtsreflex auch Nichtangehörige begünstigt (vgl. dazu bereits BGH, Urteil vom 29. Oktober 1991 – 1 StR 334/90, BGHSt 38, 96, 99 sowie Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 4). Dafür spricht, dass das bislang der Rechtsprechung zugrunde liegende Verständnis vom Beschuldigtenbegriff im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO zu vom Gesetzeswortlaut nicht erzwungenen (Rogall in SK-StPO, 41. Lfg., § 52 Rn. 52; Otto, NStZ 1991, 220, 221), als Ursache von Zufälligkeiten im Verfahrensablauf aber unbefriedigenden und die Wahrheitsermittlung erheblich erschwerenden Konsequenzen führt (vgl. Basdorf in NJW-Festheft Tepperwien, 2010, S. 5, 6 f.; Fischer, JZ 1992, 570, 573). Eine mit dem allgemeinen Mitbeschuldigtenbegriff harmonierende Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO dürfte diese unsachgemäßen Ergebnisse bei gleich hohem Schutzniveau sowohl für den nicht angeklagten Angehörigen als auch den mit ihm verwandten Zeugen über § 55 StPO vermeiden.
10
2. Der Senat hat die Urteilsformel im Sinne von Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 260 Rn. 23 (keine Kennzeichnung der Mittäterschaft), 24 (genaue Bezeichnung des Waffendelikts), 25a (präzise Kennzeichnung der Qualifikation nach § 250 Abs. 2 StGB) klargestellt.
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