Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juni 2019 - 2 StR 202/18

bei uns veröffentlicht am04.06.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 202/18
vom
4. Juni 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
ECLI:DE:BGH:2019:040619B2STR202.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 4. Juni 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. September 2017
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung, wegen Zuhälterei in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Einschleusen von Ausländern und mit Beihilfe zur Urkundenfälschung, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen, sowie in einem dieser Fälle mit Bedrohung, wegen versuchten Menschenhandels, wegen versuchten Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit Verschaffen falscher amtlicher Ausweise, sowie wegen Körperverletzung verurteilt wird;
b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, wegen Zuhälterei in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Gebrauch einer verfälschten Urkunde, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen sowie in einem dieser Fälle mit Bedrohung, wegen versuchten Menschenhandels, wegen Körperverletzung und wegen Einschleusens von Ausländern in drei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3
Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte die aus Bulgarien stammende Geschädigte T. im Jahr 2011 in Griechenland kennen und brachte sie unter Vorspiegelung einer Liebesbeziehung dazu, sich zu prostituieren und ihm ihre Einnahmen zu überlassen. Die albanische Staatsangehörige S. , die in derselben Bar wie T. arbeitete, begleitete beide bei ihrer in der Hoffnung auf erhöhte Einnahmen aus der Prostitution erfolgten Einreise nach Deutschland Anfang des Jahres 2012. Während T.
als EU-Bürgerin in Deutschland arbeiten durfte, hatte S. keine Arbeitserlaubnis und verfügte während ihres gesamten Aufenthalts in Deutschland über keinen gültigen aufenthaltsrechtlichen Titel. Der Angeklagte besorgte ihr zunächst gefälschte bulgarische Ausweispapiere, für die sie ihm Einnahmen aus der Prostitution versprach und die sie fortan bei ihrer Anmeldung in Bordellen und zur Überweisung von Geldbeträgen benutzte.
4
Der Angeklagte vermittelte die beiden Frauen sodann an verschiedene Bordelle in Deutschland. Er organisierte ihnen – sofern sie nicht direkt im Bordell schliefen – Wohnungen. Ihren Verdienst hatte T. vollständig, S. mindestens bis Juli 2012 vollständig und später zur Hälfte an den Angeklagten abzuliefern. Er machte ihnen Vorgaben zu Arbeitszeiten, Kunden und Verdienst und überwachte ihre Tätigkeit und ihre Einnahmen, wies sie an, über das Berufsnotwendige hinaus keinen Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen und untersagte S. , albanische Freier zu bedienen. T. und S. sollten sich nicht ohne seine Begleitung in der Stadt bewegen oder einkaufen.
5
T. wurde, wenn sie die Verdienstvorgaben nicht einhielt, vom Angeklagten geschlagen, S. zumeist angeschrien. Einmal schlug der Angeklagte S. in schmerzhafter Weise, als sie entgegen seiner Vorgabe eine Beziehung eingegangen war. Ein weiteres Mal ohrfeigte er sie gemeinsam mit einem Bekannten, als er vermutete, sie habe T. bei einem Fluchtversuch unterstützt, und er bedrohte sie, indem er ihr eine Pistole an die Stirn hielt und zu ihr sagte „Wir werden Dich jetzt töten“ und „Wir werden Dich fesseln und lebendig in einem Loch begraben“. S. nahm dies ernst und empfand Todesangst. Ferner schlug er ihr einmal zur Strafe dafür, dass sie versehentlich Essen auf ihn gekleckert hatte, so auf den Rücken, dass er sie verletzte. Durch die Vorgaben, Kontrollen, Drohungen und Körperverletzungen hielt der Angeklagte beide Frauen, wie er wusste und beabsichtigte, davon ab, die Prostitution aufzugeben. Er selbst lebte vom Verdienst der Frauen und überwies Teile davon an seine Familie in Griechenland. Selbst als es den Frauen gelang, in ihre Heimatländer zu reisen und sie mit dem Gedanken spielten, die Prostitution aufzugeben, konnte der Angeklagte sie durch Drohungen, ihren Familien etwas anzutun, dazu bewegen, zurückzukehren und die Prostitutionstätigkeit für ihn fortzusetzen.
6
Nach einer zwischenzeitlichen Flucht nach Albanien erhielt S. vom Angeklagten einen gefälschten griechischen Ausweis, für den sie ihm 600 € bezahlte. Sie zog sodann Anfang des Jahres 2013 in eine Wohnung in

G.

und arbeitete bis Ende des Jahres wie schon zuvor für den Angeklagten in Bordellen in B. und D. . T. blieb in Do. , wobei sie weiter vom Angeklagten angewiesen und überwacht wurde. Er würgte, schlug und trat sie, wenn sie die Verdienstvorgaben nicht einhielt und drohte ihr, sie umzubringen bzw. ihr Säure ins Gesicht zu schütten, wenn sie sich von ihm trennen wollte. Nach einer Auseinandersetzung, in der er sie so sehr geschlagen hatte, dass sie am ganzen Körper Hämatome hatte und Todesangst verspürte , trennte sie sich endgültig von ihm.
7
Im Frühsommer des Jahres 2013 besuchte S. ihre Familie in Albanien. Bei ihrer Rückkehr nach Deutschland sollte sie von ihrer älteren Schwester O. begleitet werden. Allerdings konnte zunächst nur O. allein einreisen, weil im Pass S. gefälschte Einreisestempel entdeckt worden waren. In Deutschland angekommen wurde O. auf Geheiß desAngeklagten in die Wohnung ihrer Schwester gebracht. Dort war sie alsbald allein, worunter sie sehr litt, zumal der Angeklagte ihr verboten hatte, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen, und ihr auch nicht gesagt hatte, wo sie sich befand. Auf ihre Frage nach einer Arbeitserlaubnis bzw. dem dafür notwendigen gefälschten Pass vertröstete er sie; ihre Bitte, ihr Geld für die Heimreise nach Albanien zu geben, lehnte er ab. Nach einigen Tagen, als es ihr bereits sehr schlecht ging, kam der Angeklagte überraschend in die Wohnung, brachte Essen und Zigaretten mit und fragte sie verklausuliert, ob sie bereit sei, in Deutschland als Prostituierte zu arbeiten, und bot ihr an, dies zu ermöglichen. Er beabsichtigte, O. , die wirtschaftlich und emotional auf ihn angewiesen war, weil sie über kein eigenes Geld in Deutschland verfügte, nur albanisch sprach und sich auch aufgrund ihres ängstlichen Naturells von ihm abhängig fühlte, zur Aufnahme der Prostitution zu bewegen, um in mindestens gleicher Weise wie bei ihrer Schwester an den Einnahmen beteiligt zu werden. O. lehnte aber ab.
8
Wenig später setzte sich der Angeklagte zu ihr, gab ihr einen Kuss, woraufhin sie abwehrend reagierte. Sodann legte er sich mit seinem Körper auf sie, zog ihr ihre Jogging- und Unterhose mit seiner linken Hand herunter und vollzog gegen den körperlichen und verbalen Widerstand von O. den vaginalen Geschlechtsverkehr, was bei ihr zu starken Schmerzen und Blutungen führte.
9
In der darauffolgenden Woche unterband der Angeklagte die Versorgung von O. mit Lebensmitteln und Zigaretten, von denen sie stark abhängig war, in der Absicht, sie so zur Aufnahme der Prostitution zu zwingen. Er besorgte ihr auch einen gefälschten griechischen Ausweis, für den ihm S. 600 € zahlte, um ihr den Aufenthalt und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, da er wusste, dass ihr als Albanerin ein solcher Aufenthalt zu Erwerbszwecken nicht gestattet war.

II.

10
Die Verfahrensrügen des Angeklagten haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg. Hingegen führt die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils zur teilweisen Abänderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen.
11
1. Die auf revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen den Schuldspruch mit Ausnahme der tatmehrheitlichen Verurteilung wegen (vollendeten) Einschleusens von Ausländern in zwei Fällen.
12
a) Die Einwände der Revision gegen die Beweiswürdigung bleiben ohne Erfolg. Eingedenk des nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteile vom 13. März 2019 – 2 StR 462/18, juris Rn. 13, und vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 92/14, NStZ-RR 2015, 52, jeweils mwN) erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als nicht rechtsfehlerhaft. Dies gilt auch hinsichtlich der an die Würdigung des Beweisergebnisses zu stellenden besonderen Anforderungen, wenn, wie vorliegend bei dem der abgeurteilten Vergewaltigung zugrundeliegenden Tatgeschehen, Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben der Tatrichter folgt. Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung eines gegebenenfalls feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 22. Oktober 2014, aaO). Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Insbesondere hat das Landgericht auch die körperlichen Beeinträchtigungen des Angeklagten in den Blick genommen und sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar damit auseinandergesetzt , dass diese der von der Nebenklägerin O. geschilderten Tatausführung nicht entgegenstanden.
13
b) Die den versuchten Menschenhandel nach § 232 Abs. 1 StGB idF vom 11. Februar 2005 zum Nachteil O. begründende Tathandlung liegt bereits darin, dass der Angeklagte ihr unter Ausnutzung ihrer ausländerspezifischen Hilflosigkeit anbot, für ihn als Prostituierte zu arbeiten. Als Tathandlung setzt das „dazu Bringen“ des § 232 StGB aF in Abgrenzung zum „Einwirken“ des § 180b StGB aF weder eine Einflussnahme von gesteigerter Intensität vo- raus noch in Abgrenzung zum „dazu Bestimmen“ des § 181 StGB aF eine Wil- lensbeeinflussung im Wege der Kommunikation; es genügt vielmehr – sofern wie hier das Merkmal des Ausnutzens erfüllt ist – jede ursächliche Herbeiführung des Erfolges, gleichgültig auf welche Art und Weise, sei es auch nur durch Schaffen einer günstigen Gelegenheit oder durch ein schlichtes Angebot (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 507/09, NStZ 2011, 157; Senat, Beschluss vom 7. April 2005 – 2 StR 524/04, NStZ-RR 2005, 234). Es kommt daher vorliegend nicht darauf an, dass das Landgericht mit missverständlicher Formulierung (erst) darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte sie nicht mit Essen versorgt habe.
14
Allerdings begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe wegen seines Plans, auch die Einnahmen von O. aus der Prostitution für sich zu beanspruchen, gewerbsmäßig im Sinne von § 232 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF gehandelt, rechtlichen Bedenken. Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will. Liegt ein solches Gewinnstreben vor, ist zwar schon die erste Tat als gewerbsmäßig zu werten; die Wiederho- lungsabsicht muss sich jedoch stets auf das Delikt beziehen, dessen Tatbestand durch das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit qualifiziert ist. Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 232 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF liegt mithin vor, wenn der Täter sich eine fortlaufende Einnahmequelle gerade durch die wiederholte Vornahme solcher Handlungen verschaffen will, die den Tatbestand des § 232 StGB aF erfüllen (BGH, Urteil vom 12. April 2018 – 4 StR 336/17, juris Rn. 16 mwN). Dass der Angeklagte vorliegend aber bei Begehung der Tat nach § 232 Abs. 1 StGB bereits in Wiederholungsabsicht handelte, wird durch den Verweis auf die anderen beiden Geschädigten und die bei ihnen verwirklichte Zuhälterei nicht zweifelsfrei belegt. Hierauf kann das Urteil indes nicht beruhen, weil das Landgericht die Qualifikation weder im Schuldspruch aufgenommen, noch bei der Strafrahmenwahl bzw. der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt hat.
15
c) Soweit die Strafkammer zwar Feststellungen dazu getroffen hat, dass der Angeklagte durch jeweils eigenständige Drohungen mit Bezug auf die Familien der Frauen sowohl T. als auch S. zur Fortsetzung der Prostitution brachte, als sie beabsichtigten, die Prostitution aufzugeben, indes nicht erwogen hat, dass insoweit über die Verurteilung wegen Zuhälterei in zwei Fällen hinaus zusätzlich eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen schweren Menschenhandels in zwei Fällen nach § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF in Betracht kommt (vgl. zur gewahrten Unrechtskontinuität nach § 2 Abs. 3 StGB bei nach Tatbeendigung erfolgter Neuregelung im § 232a Abs. 3 StGB BGH, Beschluss vom 23. März 2017 – 1 StR 607/16), ist der Angeklagte nicht beschwert.
16
d) Hingegen erweist sich die tatmehrheitliche Verurteilung wegen (vollendeten ) Einschleusens von Ausländern in zwei Fällen als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Dies führt zur Abänderung des Schuldspruchs.
17
aa) Entgegen der Auffassung der Revision wird allerdings der Schuldspruch wegen Einschleusens von Ausländern nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG idF vom 22. November 2011 in zwei Fällen von den Feststellungen getragen.
18
Der Angeklagte verschaffte S. zwei gefälschte Pässe, organisierte ihr zur Durchführung ihrer Prostitutionstätigkeit Unterkünfte und Arbeitsstätten und erhielt sowohl für die Pässe eine Bezahlung als auch anteilige Einnahmen aus ihrer Tätigkeit. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es nicht an vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttaten S. . Mit der Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit als Prostituierte entfiel für die zuvor visumsfrei eingereiste albanische Staatsangehörige (sog. Positivstaaterin) die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels nach § 17 Abs. 1 AufenthV iVm Art. 1 Abs. 2, Art. 4 Abs. 3, Anhang II der EG-VisaVO vom 15. März 2001 (Nr. 539/2001). Ab diesem Zeitpunkt war sie gem. § 50 Abs. 2 AufenthG idF vom 22. November 2011 vollziehbar ausreisepflichtig. Dieser Pflicht kam sie nicht nach, sondern hielt sich weiter – nunmehr unerlaubt – in Deutschland auf, ging der Prostitution nach und hat sich deshalb wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG idF vom 22. November 2011 strafbar gemacht (vgl. Senat, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, NJW 2005, 2095, 2097 f.; MüKo-StGB/Gericke, AufenthG , 3. Aufl., § 95 Rn. 41).
19
Einer Verurteilung des Angeklagten steht auch nicht entgegen, dass die Haupttäterin mit Blick auf den Vorrang des Rückführungsverfahrens möglicherweise straflos wäre. Zwar schließt die nach der sog. Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG) gebotene europarechtskonforme Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Bestrafung nach dieser Norm aus, wenn und soweit einem Ausländer, dessen Aufenthalt den Ausländerbehörden bekannt ist, illegaler Aufenthalt nur während des laufenden Rückführungsverfahrens zur Last gelegt wird. Ob eine Bestrafung dann nicht ausgeschlossen ist, wenn und solange der Ausländer – wie es hier für S. , die sich von vornherein ausländerrechtlichen Maßnahmen entzogen hat, festgestellt ist – durch Untertauchen den gebotenen ausländerrechtlichen Maßnahmen entzieht, das Rückkehrverfahren damit quasi beendet ist, bedarf auch hier keiner Entscheidung (offen gelassen in BGH, Urteil vom 8. März 2017 – 5 StR 333/16, BGHSt 62, 85, 87 f.; befürwortend OLG Hamburg, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 Ss 196/11, juris Rn. 17 f.; KG, Beschluss vom 26. März 2012 – 1 Ss 393/11, juris Rn. 9; MüKoStGB /Gericke, AufenthG, 3. Aufl., § 95 Rn. 31 f.; dagegen NK-AuslR/Fahlbusch, 2. Aufl., AufenthG § 95 Rn. 50-54). Denn selbst bei Annahme einer persönlichen Straflosigkeit der Haupttäterin, die weder die Tatbestandsmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit ihres Handelns tangiert, bliebe es nach den Grundsätzen der limitierten Akzessorietät bei der Strafbarkeit des „Schleusers“ (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. März 2017 – 5 StR 333/16, BGHSt 62, 85, 88-90; Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 212/18, NStZ 2019, 283, 284).
20
bb) Demgegenüber begegnet die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar kommt zwischen dem Schleusungsdelikt und der späteren Zuhälterei grundsätzlich auch Tatmehrheit in Betracht; wenn jedoch Handlungen, die den Tatbestand der Zuhälterei erfüllen, zugleich Unterstützungshandlungen für den illegalen Aufenthalt darstellen, ist von Tateinheit auszugehen (Senat, Urteil vom 17. März 2004 – 2 StR 474/03, juris Rn. 46; ebenso MüKo-StGB/Gericke, AufenthG, 3. Aufl., § 96 Rn. 44). So verhält es sich nach den getroffenen Feststellungen hier hinsichtlich des Verschaffens gefälschter Pässe zur Einreise und der Organisation von Unterkünften und Arbeitsstätten gegen dafür einbehaltene Anteile an den Einnahmen.
21
cc) Der Senat kann den Schuldspruch selbst berichtigen; § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich bei zutreffen- der rechtlicher Bewertung des Tatgeschehens nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Zur Klarstellung fasst der Senat den Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich; hinsichtlich der jeweils tateinheitlich zu den beiden Fällen der Zuhälterei begangenen Urkundsdelikte wird dies als „Beihilfe zur Urkundenfälschung“gekennzeichnet und hinsichtlich des – zutreffend tatmehrheitlich abgeurteilten – versuchten Einschleusens von Ausländern zum Nachteil von O. um das tateinheitlich mitverwirklichte Verschaffen falscher amtlicher Ausweise gem. § 276 Abs. 1 Nr. 2 StGB ergänzt.
22
2. Demgegenüber kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Bereits die Aufhebung der tatmehrheitlichen Verurteilung betreffend die beiden Fälle des vollendeten Einschleusens von Ausländern bedingt den Wegfall der dafür verhängten Einzelstrafen und hier auch der Gesamtfreiheitsstrafe.
23
Im Übrigen erweist sich die Strafzumessung auch für sich genommen als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht bei der Bemessung sowohl der Einzelstrafen als auch beim Gesamtstrafenausspruch zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er „– wenn auch geringfügig – vorbestraft“ sei. Die dem landgerichtlichen Urteil zugrundeliegenden Taten beging der Angeklagte zwischen Anfang 2012 und Herbst 2014. Die bei der Strafzumessung in Bezug genommene Verurteilung datiert vom 22. Februar 2016. Zum Zeitpunkt der vom Landgericht abgeurteilten Taten war der Angeklagte mithin nicht vorbestraft (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2014 – 2 StR 127/14, BeckRS 2014, 13793; BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 4 StR 479/14, BeckRS 2015, 1046). Eine nach der verfahrensgegenständlichen Tat ergangene Verurteilung darf nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn die dieser Verurteilung zugrunde liegende Straftat nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt (BGH, Beschluss vom 17. April 2014 – 3 StR 113/14, BeckRS 2014, 11010); dies lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen und liegt angesichts des Bagatellcharakters der dem Strafbefehl zugrunde liegenden Tat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auch fern.
24
3. Der Strafausspruch bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Das ursprünglich gegen mehrere Angeklagte geführte Verfahren richtet sich nur noch gegen einen Erwachsenen, so dass der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverweist. Sollte der neue Tatrichter bei der Bemessung des Strafrahmens für den versuchten Menschenhandel zum Nachteil O. wiederum eine Strafrahmenverschiebung wegen Versuchs nach § 232 Abs. 1, Abs. 2 StGB aF, § 22, 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vornehmen, wird er in den Blick zu nehmen haben, dass sodann – ausgehend von dem Strafrahmen des Grundtatbestandes von sechs Monaten bis zu zehn Jahren – ein Strafrahmen von einem Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) bis sieben Jahre und sechs Monate eröffnet wäre.
Franke Krehl Meyberg Grube Schmidt

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(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

13
a) Eingedenk des nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 6. September 2016 – 1 StR 104/15, wistra 2017, 193; vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148, jeweils mwN) erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als nicht rechtsfehlerhaft. Dies gilt auch hinsichtlich der an die Würdigung des Beweisergebnisses zu stellenden besonderen Anforderungen, wenn, wie im vorliegenden Fall, Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben der Tatrichter folgt. Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung eines gegebenenfalls feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 92/14, NStZ-RR 2015, 52; Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11 mwN).Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2018 – 2 StR 431/17, NStZ-RR 2018, 151, 152 mwN).

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 11. September 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall Ziffer 4 der Anklage freigesprochen wurde.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Mit Urteil vom 24. Januar 2012 hatte das Landgericht den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Senat hob das Urteil auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 12. September 2012 (2 StR 219/12) wegen der Verletzung formellen Rechts auf.

2

Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; ebenso die gegen den Freispruch im Fall Ziffer 4 der Anklage gerichtete Revision der Nebenklägerin.

I.

3

1. Nach den Feststellungen verbrachte die zur Tatzeit 10jährige Geschädigte die Herbstferien 2001 mit dem Angeklagten in dessen Wohnung, nachdem ihre Mutter, die sie zunächst begleitet hatte, eines Morgens unerwartet abreisen musste. Den Tag der Abreise verbrachte die Geschädigte sodann mit dem Angeklagten und dessen 11jährigem Sohn, der gegen Abend ebenfalls die Wohnung verließ. Der Angeklagte sah sich mit der Geschädigten zunächst einen Videofilm an, bevor er ihr einen Zungenkuss gab, sie anschließend auszog und mit ihr den Vaginalverkehr vollzog (Fall II. 1. der Urteilsgründe - Ziff. 1 der Anklage). Einige Wochen später übernachtete die Geschädigte zusammen mit ihrer Mutter erneut in der Wohnung des Angeklagten. Am frühen Morgen betrat der Angeklagte das Zimmer, in dem die Geschädigte alleine schlief. Er streichelte sie an der unbedeckten Brust. Als er Geräusche der Mutter aus dem Nebenzimmer hörte, hielt er inne und verließ das Zimmer (Fall II. 2. der Urteilsgründe - Ziff. 3 der Anklage).

4

2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt und sich dabei unter anderem auf die Konstanz ihrer Angaben im Hinblick auf den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt gestützt.

5

Von dem Tatvorwurf, während des Ferienaufenthalts im Oktober 2001 mit der Geschädigten einen weiteren Vaginalverkehr vollzogen (Ziff. 2 der Anklage) sowie dem weiteren Vorwurf, an einem Nachmittag Anfang 2002 versucht zu haben, die Geschädigte in seinem Ladengeschäft zu küssen (Ziff. 4 der Anklage), hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Die Geschädigte konnte sich - anders als bei früheren Vernehmungen - nur noch an einen mit dem Angeklagten vollzogenen Geschlechtsverkehr erinnern. Darüber hinaus schilderte sie einen Besuch im Ladengeschäft des Angeklagten, bei dem er sie geküsst, an der Brust gestreichelt und ihr den Finger in die Scheide eingeführt habe, wobei sie einräumte, dass dieser erstmals von ihr geschilderte Vorfall auch zu einem anderem Zeitpunkt passiert sein könne.

II.

6

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen, denen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, nicht ankommt.

7

Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 f.; Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928).

9

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil es jedenfalls an einer geschlossenen Darstellung der früheren Aussagen der Nebenklägerin fehlt, so dass die vom Landgericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsgerichtlich nicht überprüft werden kann.

10

Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - die Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin beruht und diese sich entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, müssen aber jedenfalls die entscheidenden Teile ihrer bisherigen Aussagen in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).

11

Zwar hat das Landgericht die von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung erfolgte Aussage ausführlich geschildert. Es fehlt jedoch an einer zusammenhängenden Darstellung ihrer davon abweichenden früheren Angaben bei der Polizei. In den Urteilsgründen wird insoweit lediglich mitgeteilt, dass der Nebenklägerin Teile ihrer früheren Aussage vorgehalten wurden und dass sich die beiden Vernehmungsbeamtinnen auch auf Vorhalt nicht an Einzelheiten erinnern konnten. Gar nicht dargestellt wird, was die Geschädigte im Rahmen der vorangegangenen Hauptverhandlung, aufgrund derer der Angeklagte vollumfänglich verurteilt worden war, ausgesagt hat.

12

Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei aufgezeigten abweichenden Erinnerungen zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96, NStZ-RR 1997, 172).

III.

13

Die Revision der Nebenklägerin, die sich allein gegen den Freispruch des Angeklagten im Fall Ziff. 4 der Anklage richtet, hat ebenfalls Erfolg.

14

Die Beweiswürdigung des Landgerichts wird den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil nicht gerecht, denn auch insoweit fehlt es an einer geschlossenen Darstellung der früheren Aussagen der Nebenklägerin.

Fischer     

Schmitt     

RiBGH Dr. Eschelbach
ist aus tatsächlichen Gründen
an der Unterschriftsleistung
gehindert.

Fischer

Ott     

Zeng     

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

1.
diese Person ausgebeutet werden soll
a)
bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person,
b)
durch eine Beschäftigung,
c)
bei der Ausübung der Bettelei oder
d)
bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,
2.
diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder
3.
dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll.
Ausbeutung durch eine Beschäftigung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b liegt vor, wenn die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen (ausbeuterische Beschäftigung).

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,

1.
mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder
2.
entführt oder sich ihrer bemächtigt oder ihrer Bemächtigung durch eine dritte Person Vorschub leistet.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn

1.
das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist,
2.
der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
In den Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn einer der in Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Umstände vorliegt.

(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 3 Satz 1 ist der Versuch strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 507/09
vom
13. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Menschenhandels u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. Januar 2010 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 4. März 2009, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Menschenhandels (zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft) in acht Fällen und wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 25 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; weiter hat es ihm für die Dauer von drei Jahren verboten, "eine selbständige, leitende oder angestellte Tätigkeit von Organisation und Durchführung sowie Vermittlung von Veranstaltungen folkloristischer, kultureller und künstlerischer Art" auszuüben. Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Besetzungsrüge Erfolg; auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachrüge kommt es daher nicht an.

I.


2
Mit Recht beanstandet der Beschwerdeführer die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 338 Nr. 1 StPO). Der Beschluss des Präsidiums des Landgerichts vom 10. Oktober 2007, der die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung der zunächst bei der Strafkammer 3 eingegangenen Sache nachträglich der Hilfsstrafkammer 3 c zugewiesen hat, genügt nicht den Anforderungen, die an eine Übertragung (ausschließlich) bereits anhängiger Verfahren im Wege der Änderung der Geschäftsverteilung zu stellen sind. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt: "§ 21e Abs. 3 Satz 1 GVG erlaubt dem Präsidium die Änderung der Geschäftsverteilung während eines laufenden Geschäftsjahres , wenn dies wegen Überlastung eines Spruchkörpers erforderlich wird. Zu diesem Zweck kann auch eine Hilfsstrafkammer eingerichtet werden, der Verfahren nach allgemeinen sachlichobjektiven Kriterien zugewiesen werden. Die Zuweisung bereits anhängiger Verfahren ist grundsätzlich nur möglich, wenn die Neuregelung generell gilt, also auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger gleichartiger Fälle erfasst (vgl. BVerfG NJW 2003, 345; 2005, 2689 f. m.w.N.). Nur in Ausnahmefällen, wenn allein so dem Beschleunigungsgebot Rechnung getragen werden kann, ist eine beschränkte Zuweisung allein bereits eingegangener Verfahren zulässig (vgl. BVerfG NJW 2009, 1734 f.). In Anbetracht des Ausnahmecharakters solcher Fälle und des Gewichts des Grundsatzes des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist dann eine detaillierte Dokumentation der Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, nötig (vgl. BGH Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08 - Rdnr. 17; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09 - Rdnr. 18). Mängel in der Begründung des Beschlusses kann das Präsidium bis zur Entscheidung über einen nach § 222b StPO erhobenen Besetzungseinwand durch einen ergänzenden, die Gründe für die Umverteilung dokumentierenden Beschluss ausräumen (vgl. BGH Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08 - Rdnr. 20; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09 - Rdnr. 22).
Diesen Anforderungen wurde vorliegend nicht Rechnung getragen. Der Präsidiumsbeschluss vom 10. Oktober 2007 beschränkt sich darauf, die 3. Strafkammer als überlastet zu bezeichnen, eine Begründung hierfür enthält er nicht. Diese liegt auch nicht in dem Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2007, denn es wird nicht erläutert, wie sich dieser Beschluss auf die Gesamtbelastung der 3. Großen Strafkammer auswirkte. Eine Heilung durch die dienstliche Äußerung des Präsidenten des Landgerichts ist nicht eingetreten. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob diese Äußerung auf einem - nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlichen - ergänzenden Beschluss des Präsidiums beruht, denn auch in diesem Fall wäre den Begründungsanforderungen nicht genügt. Mit der Äußerung wird nämlich nur dargelegt, dass die Strafkammer 3 nach der verfassungsgerichtlichen Entscheidung in den Monaten Oktober bis Dezember 2007 zusätzliche Verhandlungstage anberaumen musste, um dem Beschleunigungsgebot Genüge zu tun. Wie viele Verfahren welchen Umfangs bei der 3. Strafkammer anhängig waren, ob also insgesamt eine Überlastung eingetreten war, lässt sich dem nicht entnehmen. Zudem erschließt sich der Zusammenhang zwischen einer verstärkten Terminierung bis Dezember 2007 und dem vorliegenden Verfahren, das erst Ende September 2007 bei der 3. Großen Strafkammer eingegangen war und hinsichtlich dessen kaum mit dem Beginn der Hauptverhandlung vor Januar 2008 zu rechnen war, aus der dienstlichen Erklärung nicht. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist somit die Präsidiumsentscheidung bereits auf Grund mangelhafter Begründung nicht als rechtmäßig anzusehen; ob tatsächlich eine Überlastung der 3. Großen Strafkammer bestand, ist für den Erfolg der Besetzungsrüge ohne Belang."
3
Dem schließt sich der Senat an.

II.

4
Für die neue Hauptverhandlung geben die Urteilsgründe Anlass zu folgenden Hinweisen:
5
1. Die bisherigen Feststellungen vermögen den Schuldspruch wegen Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft nach § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB, in Kraft getreten am 19. Februar 2005 (Art. 1 Nr. 10, Art. 4 des 37. StrÄndG vom 11. Februar 2005; BGBl I 239), nicht zu tragen.
6
a) Menschenhandel im Sinne des § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB begeht der Täter nicht bereits dann, wenn er eine sich in einer Zwangslage oder in einem Zustand der auslandsspezifischen Hilflosigkeit befindliche Person in ein als ausbeuterisch zu beurteilendes Beschäftigungsverhältnis übernimmt. Die Vorschrift setzt vielmehr voraus, dass der Täter die Person unter Ausnutzung der Zwangslage oder der Hilflosigkeit zur Aufnahme oder Fortsetzung der Beschäftigung bringt.
7
aa) Allerdings verlangt der Begriff des "dazu Bringens" im Sinne der §§ 232, 233 StGB, zu dessen Auslegung auch die §§ 180 b, 181 StGB in der bis 18. Februar 2005 geltenden Fassung herangezogen werden können (Schroeder NJW 2005, 1393, 1395), weder eine Einflussnahme von gesteigerter Intensität wie das "Einwirken" (§ 180 b aF) noch eine Willensbeeinflussung im Wege der Kommunikation wie das "dazu Bestimmen" (§ 181 aF; vgl. Renzikowski in MünchKomm-StGB § 180 b Rdn. 25; § 181 Rdn. 13). Ist das Merkmal des Ausnutzens erfüllt, genügt jede ursächliche Herbeiführung des Erfolges, gleichgültig auf welche Art und Weise, sei es auch nur durch das Schaffen einer günstigen Gelegenheit oder durch ein schlichtes Angebot (BGH NStZ-RR 2005, 234; Schroeder aaO; Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 233 Rdn. 12; § 232 Rdn. 18; Fischer, StGB 57. Aufl. § 232 Rdn. 12; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 232 Rdn. 2; enger Renzikowski aaO § 233 Rdn. 18; § 232 Rdn. 24 f.).
8
bb) Indes schützt § 233 StGB die Freiheit der Person, über den Einsatz und die Verwertung ihrer Arbeitskraft zu verfügen (Fischer aaO § 233 Rdn. 2). Tatbestandsmäßig ist deshalb nur ein Handeln, das gerichtet ist auf das Ziel, den Willen des - bereits in der Freiheit der Willensentschließung beeinträchtigten - Opfers zu beeinflussen und so den in der Aufnahme oder in der Fortsetzung der ausbeuterischen Beschäftigung bestehenden Erfolg herbeizuführen (vgl. Renzikowski aaO § 180 b Rdn. 51 f.; BTDrucks. 15/3045 S. 8). Der Täter muss einen bislang nicht vorhandenen Entschluss des Opfers, ein solches Beschäftigungsverhältnis einzugehen, hervorrufen oder das Opfer von seinem Entschluss, die Beschäftigung aufzugeben, abbringen (vgl. BGH StraFo 2009, 429, 430; NStZ-RR 2004, 233, 234). Hieran fehlt es, wenn für den Erfolg eine vom Opfer unabhängig von seiner Lage getroffene eigenverantwortliche Entscheidung maßgeblich war (Eisele aaO § 232 Rdn. 18; Renzikowski aaO § 233 Rdn. 19; § 232 Rdn. 26).
9
b) Ob erst die entsprechenden Angebote des Angeklagten den Entschluss der Geschädigten hervorgerufen haben, die ab Sommer 2003 eingegangenen , soweit ersichtlich jeweils auf ein Jahr befristeten Engagements für die von ihm durchgeführten Folkloreveranstaltungen auch in der Zeit nach dem 19. Februar 2005 zu erneuern, lässt sich mangels ausreichender Feststellungen zur Willensrichtung der Geschädigten nicht beurteilen. Festgestellt ist lediglich, dass sie die Verträge weiterhin unterschrieben, weil sie als marokkanische Staatsangehörige eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland anstrebten, sich deshalb fünf Jahre ununterbrochen hier aufhalten mussten und dieses Ziel auf andere Weise nicht erreichen konnten. Diese Interessenlage kann darauf hindeuten, dass die Geschädigten von vornherein entschlossen waren, erwartete Angebote des Angeklagten anzunehmen, unge- achtet dessen, dass wegen des absehbaren Misserfolgs der Veranstaltungen die versprochene Bezahlung auch in Zukunft weithin ausbleiben würde.
10
2. Das Einschleusen von Ausländern nach § 96 Abs. 1 AufenthG, § 92 a Abs. 1 AuslG aF ist eine zur Täterschaft verselbständigte Beteiligung an einer fremden Tat (Gericke in MünchKomm-StGB § 96 AufenthG Rdn. 2). Unterstützt der Täter mehrere Ausländer bei der Beschaffung von Aufenthaltstiteln, ist materiellrechtlich eine Tat anzunehmen, soweit sich sein Handeln als einheitliches Geschehen darstellt. Hierzu teilen die Urteilsgründe nichts mit. Worauf die Annahme von 25 Fällen des Einschleusens beruht, wird deshalb nicht ersichtlich.
Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

1.
diese Person ausgebeutet werden soll
a)
bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person,
b)
durch eine Beschäftigung,
c)
bei der Ausübung der Bettelei oder
d)
bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,
2.
diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder
3.
dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll.
Ausbeutung durch eine Beschäftigung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b liegt vor, wenn die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen (ausbeuterische Beschäftigung).

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,

1.
mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder
2.
entführt oder sich ihrer bemächtigt oder ihrer Bemächtigung durch eine dritte Person Vorschub leistet.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn

1.
das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist,
2.
der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
In den Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn einer der in Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Umstände vorliegt.

(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 3 Satz 1 ist der Versuch strafbar.

16
aa) Nach der Qualifikationsnorm des § 232 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF, die auf die Taten des Angeklagten gemäß § 2 Abs. 3 StGB weiterhin Anwendung findet , weil die Strafandrohung des § 232a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB i.V.m. § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StGB in der am 15. Oktober 2016 in Kraft getretenen Fassung durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 11. Oktober 2016 (BGBl. I, 2226) nicht milder ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2017 – 1 StR 607/16, BGHR StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 18), macht sich wegen schweren Menschenhandels strafbar, wer die Tat nach § 232 Abs. 1 StGB aF gewerbsmäßig begeht. Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will. Liegt ein solches Gewinnstreben vor, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig zu werten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. August 2008 – 4 StR 327/08, StraFo 2008, 477). Die Wiederholungsabsicht muss sich stets auf das Delikt beziehen, dessen Tatbestand durch das Merkmal der Ge- werbsmäßigkeit qualifiziert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 2009 – 3 StR 601/08, BGHR StGB § 146 Abs. 2 Gewerbsmäßig 1; Urteil vom 24. Juli 1997 – 4 StR 222/97, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 2 Gewerbsmäßig 2; Beschluss vom 13. Dezember 1995 – 2 StR 575/95, NStZ 1996, 285, 286; Sternberg -Lieben/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., vor §§ 52 ff. Rn. 95; Fischer, StGB, 65. Aufl., vor § 52 Rn. 61a). Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 232 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF liegt mithin vor, wenn der Täter sich eine fortlaufende Einnahmequelle gerade durch die wiederholte Vornahme solcher Handlungen verschaffen will, die den Tatbestand des § 232 Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB aF erfüllen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 622/10). Dabei ist aber nicht erforderlich, dass der Täter die erstrebten Einnahmen ausschließlich aus Taten nach § 232 Abs. 1 StGB aF erzielen will. Es reicht vielmehr aus, wenn sich die Wiederholungsabsicht auch auf derartige Taten erstreckt (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juli 1997 – 4 StR 222/97, aaO; vom 26. Oktober 2015 – 1 StR 317/15, BGHR BtMG § 29 Abs. 3 Nr. 1 Gewerbsmäßig 6; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 30 Rn. 117 jeweils zu § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG).

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

1.
diese Person ausgebeutet werden soll
a)
bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person,
b)
durch eine Beschäftigung,
c)
bei der Ausübung der Bettelei oder
d)
bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,
2.
diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder
3.
dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll.
Ausbeutung durch eine Beschäftigung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b liegt vor, wenn die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen (ausbeuterische Beschäftigung).

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,

1.
mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder
2.
entführt oder sich ihrer bemächtigt oder ihrer Bemächtigung durch eine dritte Person Vorschub leistet.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn

1.
das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist,
2.
der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
In den Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn einer der in Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Umstände vorliegt.

(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 3 Satz 1 ist der Versuch strafbar.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren veranlasst,

1.
die Prostitution aufzunehmen oder fortzusetzen oder
2.
sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird, an oder vor dem Täter oder einer dritten Person vorzunehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen zu lassen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List zu der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder den in Absatz 1 Nummer 2 bezeichneten sexuellen Handlungen veranlasst.

(4) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen, wenn einer der in § 232 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Umstände vorliegt.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen, in minder schweren Fällen der Absätze 3 und 4 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

(6) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer an einer Person, die Opfer

1.
eines Menschenhandels nach § 232 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit § 232 Absatz 2, oder
2.
einer Tat nach den Absätzen 1 bis 5
geworden ist und der Prostitution nachgeht, gegen Entgelt sexuelle Handlungen vornimmt oder von ihr an sich vornehmen lässt und dabei deren persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage oder deren Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, ausnutzt. Verkennt der Täter bei der sexuellen Handlung zumindest leichtfertig die Umstände des Satzes 1 Nummer 1 oder 2 oder die persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage des Opfers oder dessen Hilfslosigkeit, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Nach den Sätzen 1 und 2 wird nicht bestraft, wer eine Tat nach Satz 1 Nummer 1 oder 2, die zum Nachteil der Person, die nach Satz 1 der Prostitution nachgeht, begangen wurde, freiwillig bei der zuständigen Behörde anzeigt oder freiwillig eine solche Anzeige veranlasst, wenn nicht diese Tat zu diesem Zeitpunkt ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 607/16
vom
23. März 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Betruges u.a.
zu 2.: schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen
Ausbeutung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:230317B1STR607.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 23. März 2017 beschlossen :
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 8. Juli 2016 werden als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zum Antrag des Generalbundesanwalts in Bezug auf die Revision des Angeklagten K. : Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches des Sozialgesetzbuchs vom 11. Oktober 2016 (BGBl. I 2016, 2226) erfolgte eine Novellierung der §§ 232 bis 233b StGB, die zum 15. Oktober 2016 in Kraft getreten ist. Soweit das Landgericht im Schuldspruch beim Angeklagten K. die bei Beendigung der Tat (§ 2 Abs. 1 StGB) geltenden bisherigen Fassungen des § 232 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative und § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB berücksichtigt, ist die erforderliche Unrechtskontinuität im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB gewahrt. An die Stelle der genannten zum Tatzeitpunkt geltenden Strafnormen zum Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sind durch das genannte Änderungsgesetz die Regelungen des § 232a Abs. 1 Nr. 1
StGB und § 232a Abs. 3 StGB zur Zwangsprostitution getreten, ohne dass es durch die Neuregelung zu hier relevanten Änderungen im Regelungsgehalt der Straftatbestände gekommen ist (vgl. auch BT-Drucks. 18/9095, S. 32 ff.). Raum Bellay Radtke Fischer Bär

(1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einen anderen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet, eine Handlung

1.
nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a zu begehen und
a)
dafür einen Vorteil erhält oder sich versprechen lässt oder
b)
wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt oder
2.
nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2, Abs. 1a oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b oder Nr. 2 zu begehen und dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1

1.
gewerbsmäßig handelt,
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, handelt,
3.
eine Schusswaffe bei sich führt, wenn sich die Tat auf eine Handlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bezieht,
4.
eine andere Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, wenn sich die Tat auf eine Handlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bezieht, oder
5.
den Geschleusten einer das Leben gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt.
Ebenso wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 Buchstabe a zugunsten eines minderjährigen ledigen Ausländers handelt, der ohne Begleitung einer personensorgeberechtigten Person oder einer dritten Person, die die Fürsorge oder Obhut für ihn übernommen hat, in das Bundesgebiet einreist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 5 und Absatz 3 sind auf Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Schengen-Staates anzuwenden, wenn

1.
sie den in § 95 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 oder Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Handlungen entsprechen und
2.
der Täter einen Ausländer unterstützt, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt.

(5) § 74a des Strafgesetzbuchs ist anzuwenden.

(1) Für die Einreise und den Kurzaufenthalt sind die Personen nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2018/1806 in der jeweils geltenden Fassung und die Inhaber eines von einem Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitels oder nationalen Visums für den längerfristigen Aufenthalt vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels nicht befreit, sofern sie im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, soweit der Ausländer im Bundesgebiet bis zu 90 Tage innerhalb von zwölf Monaten lediglich Tätigkeiten ausübt, die nach § 30 Nummer 2 und 3 der Beschäftigungsverordnung nicht als Beschäftigung gelten, oder diesen entsprechende selbständige Tätigkeiten ausübt. Die zeitliche Beschränkung des Satzes 1 gilt nicht für Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Straßenverkehr, die lediglich Güter oder Personen durch das Bundesgebiet hindurchbefördern, ohne dass die Güter oder Personen das Transportfahrzeug wechseln. Die Frist nach Satz 1 beträgt für Tätigkeiten nach § 15a und § 30 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung 90 Tage innerhalb von 180 Tagen. Selbständige Tätigkeiten nach § 30 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung und nach den Sätzen 1 und 2 dürfen unter den dort genannten Voraussetzungen ohne den nach § 4a Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes erforderlichen Aufenthaltstitel ausgeübt werden.

(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.

(2a) (weggefallen)

(3) Durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen anderen Schengen-Staat genügt der Ausländer seiner Ausreisepflicht nur, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der ausreisepflichtige Ausländer aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.

(4) Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will, hat dies der Ausländerbehörde vorher anzuzeigen.

(5) Der Pass oder Passersatz eines ausreisepflichtigen Ausländers soll bis zu dessen Ausreise in Verwahrung genommen werden.

(6) Ein Ausländer kann zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Ausländer, gegen den ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 besteht, kann zum Zweck der Einreiseverweigerung zur Zurückweisung und für den Fall des Antreffens im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben werden. Für Ausländer, die gemäß § 15a verteilt worden sind, gilt § 66 des Asylgesetzes entsprechend.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die sogenannte Rückführungsrichtlinie steht der Strafbarkeit
des „Schleusers“ nach § 96 AufenthG nicht entgegen.
BGH, Urteil vom 8. März 2017 – 5 StR 333/16
LG Hamburg –
ECLI:DE:BGH:2017:080317U5STR333.16.0
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 333/16
vom 8. März 2017 in der Strafsache gegen

1.



2.



3.



wegen des Verdachts des Einschleusens von Ausländern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:080317U5STR333.16.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer, Richter Prof. Dr. Sander, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Prof. Dr. Mosbacher als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt V. als Verteidiger der Angeklagten R. ,
Rechtsanwältin H. als Verteidigerin des Angeklagten B. ,
Rechtsanwältin Vo. als Verteidigerin der Angeklagten Ri. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. April 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagten aus rechtlichen Gründen vom Vor1 wurf des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 96 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf Sachbeanstandungen gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


1. Den Angeklagten wird vorgeworfen, in der Zeit vom 22. Mai 2013 bis
2
zum 13. Juni 2014 in insgesamt 14 Fällen den Tatbestand des (gewerbsmäßig begangenen) Einschleusens von Ausländern verwirklicht zu haben. Sie sollen in Venezuela dortige Staatsangehörige für die Ausübung der Prostitution in Deutschland angeworben haben. Die Angeworbenen, die über gültige Pässe verfügt hätten, seien nach Angabe eines touristischen Reisezwecks visumsfrei eingereist und hier unter Beteiligung der Angeklagten der Prostitution nachgegangen. Sie hätten sich jeweils nicht länger als drei Monate im Gebiet der Schengen-Staaten aufgehalten. Die Angeklagten R. und Ri. hätten dabei die Anwerbungen durchgeführt und den Prostituierten in Deutschland gegen Bezahlung Wohnungen bzw. ein Lokal zur Prostitutionsausübung zur Verfügung gestellt. Der Angeklagte B. habe ihnen Freier vermittelt und Prostitutionserlöse eingefordert sowie vereinnahmt. Er habe zudem in einem Fall – wie auch mehrfach die Angeklagte R. – bei der Einreise geholfen.
2. Das Landgericht hat den Sachverhalt im Wesentlichen so festgestellt,
3
wie er in der Anklageschrift geschildert ist. Danach war den AngeklagtenR. und Ri. insbesondere bewusst, dass die Angeworbenen mit dem Ziel der Aufnahme der Prostitution visumsfrei als Touristen eingereist wa- ren und „nicht über einen Aufenthaltstitel oder eine Arbeitserlaubnis“ verfügten. Eine diesbezügliche Kenntnis des Angeklagten B. hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt.
3. Das Landgericht hat den Straftatbestand des § 96 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
4
Nr. 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen nicht als erfüllt angesehen. Einer Strafbarkeit der Angeklagten stehe entgegen, dass das Verhalten der eingereisten Venezolaner bei europarechtskonformer Auslegung unter Berücksichtigung der sogenannten Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008, S. 98) nicht strafbar sei. Es fehle damit an der für die Strafbarkeit der Angeklagten vorausgesetzten „akzessorischen Haupttat“.

II.


Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Die Freisprüche
5
halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten der Angeklagten erfülle
6
nicht den Tatbestand des § 96 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil es an einer für die Strafbarkeit erforderlichen „Haupttat“ fehle, begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Durch § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach allgemeinen Regeln strafba7 re Teilnahmehandlungen an den dort in Bezug genommenen (Haupt-)Taten bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen als selbständige täterschaftlich begangene Taten unter Strafe gestellt. Trotz dieser Verselbständigung gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät; die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift setzt daher lediglich eine vorsätzliche und rechtswidrige, nicht notwendig jedoch auch mit Strafe zu ahndende Haupttat des Geschleusten voraus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2015 – 2 StR 389/13, NJW 2016, 419, 420; vom 13. Januar 2015 – 4 StR 378/14, NStZ 2015, 399, 400 f.; MüKo-StGB/Gericke, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 2 f.; Mosbacher in Ignor/Mosbacher, Hdb. ArbeitsstrafR, 3. Aufl., § 4 Rn. 243, 272; NK-AuslR/Fahlbusch, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 11 ff.).

b) Die festgestellten Haupttaten entsprechen diesen Anforderungen.
8
9
Denn mit Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfiel für die zuvor visumsfrei als vorgebliche Touristen eingereisten, ersichtlich auch insofern vorsätzlich handelnden Venezolaner als „Positivstaater“ die Befreiung vom Erfordernis ei- nes Aufenthaltstitels (§ 17 Abs. 1 AufenthV i.V.m. Art. 1 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Anhang II der EG-VisaVO vom 15. März 2001, ABl. L 81 vom 21. März 2001, S. 1). Damit waren sie ab diesem Zeitpunkt vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Variante 1 AufenthG; vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2012 – 4 StR 142/12, NStZ 2013, 481; MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 36 ff.; Mosbacher, aaO, § 4 Rn. 191). Dieser Pflicht kamen sie nicht nach. Vielmehr hielten sie sich weiterhin – nunmehr unerlaubt – in Deutschland auf und gingen der Prostitution nach.

c) Entgegen der Ansicht des Landgerichts scheitert eine Verurteilung der
10
Angeklagten nicht an einer etwaigen, sich aus dem Vorrang des Rückführungsverfahrens ergebenden Straflosigkeit der „Haupttäter“.
aa) In Rechtsprechung und Literatur wird allerdings unter Verweis auf
11
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH [Große Kammer], EuGRZ 2011, 687; EuGH [1. Kammer], InfAuslR 2011, 320 Rn. 53 ff.) die Auffassung vertreten, dass der in der Rückführungsrichtlinie normierte absolute Vorrang des Rückführungsverfahrens eine Bestrafung illegal aufhältiger Personen nach § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausschließe, wenn ein behördliches Rückführungsverfahren noch nicht endgültig beendet sei und sich der Ausreisepflichtige diesem Verfahren nicht entzogen habe (vgl. HansOLG Hamburg, OLGSt AufenthG § 95 Nr. 5; KG, NStZ-RR 2012, 347; MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 29 f.; BeckOK-AuslR/Hohoff, 12. Ed., § 95 AufenthG Rn. 27; noch weitergehend Hörich/Bergmann NJW 2012, 3339).
12
bb) Der Senat kann dahingestellt lassen, ob dieser Rechtsansicht uneingeschränkt zu folgen ist. Denn auch auf ihrer Grundlage sind die in § 96 AufenthG bezeichneten „Schleusungstatbestände“ hier vollständig verwirklicht.
(1) Hinsichtlich der Fälle 1 und 2 ist der Freispruch der Angeklagten be13 reits deswegen rechtsfehlerhaft, weil die Ausreisepflichtigen inzwischen freiwillig ausgereist sind. Nach vollzogener Ausreise kann aber kein Vorrang des Rückführungsverfahrens (mehr) gegeben sein.
(2) Die Annahme des Landgerichts, der Vorrang des Rückführungsver14 fahrens schließe in allen abgeurteilten Fällen die Tatbestandsmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit der „Haupttaten“ aus und führe damit zur Straflosigkeit (auch) der Angeklagten, trifft nicht zu.
(a) Die Rückführungsrichtlinie will ein harmonisiertes und effizientes Ver15 fahren zur Rückführung sich illegal in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhaltender „Drittstaatsangehöriger“ gewährleisten und eine mögliche Beeinträchtigung ihrer praktischen Wirksamkeit ausschließen; eine Strafhaft wegen unerlaubten Aufenthalts ist dabei nach Meinung des EuGH grundsätzlich geeignet, das Rückkehrverfahren scheitern zu lassen bzw. zu verzögern (vgl. zuletzt EuGH [Große Kammer], InfAuslR 2016, 269 Rn. 63 mwN). Dementsprechend soll eine Freiheitsstrafe nicht allein deshalb verhängt werden, weil sich ein „Drittstaatsangehöriger“ illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, nachdem ihm eine Anordnung zum Verlassen des Staatsgebiets bekannt gegeben worden und die darin gesetzte Frist abgelaufen ist (vgl. EuGH [1. Kammer], InfAuslR 2011, 320 Rn. 58).
16
(b) Die Rückführungsrichtlinie und das auf ihrer Grundlage durchgeführte Rückführungsverfahren machen indes das mit einem unerlaubten Aufenthalt verbundene Unrecht nicht ungeschehen. Den zuständigen Behörden wird lediglich ein Verfahren vorgegeben, um den unerlaubten Aufenthalt bei Vorliegen der dort geregelten Maßgaben schnellstmöglich zu beenden. Davon ausgehend spricht nichts dafür, dass es unionsrechtlich geboten sein könnte, Fallkonstellationen wie die gegenständlichen als nach nationalem Strafrecht nicht tatbestandsmäßig oder nicht rechtswidrig anzusehen. Hinzu kommt, dass sich die Rechtsprechung des EuGH ausdrücklich nur gegen die Verhängung bzw. den Vollzug von Freiheitsstrafe wendet, der die Gefahr der Beeinträchtigung des Rückführungsverfahrens innewohnt (vgl. auch MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 30 mwN), nicht dagegen aber gegen die Durchführung des Strafverfahrens als solchem. Auch daraus wird ersichtlich, dass durch die vom EuGH angestellten Erwägungen, die sich auf einer praktischen Ebene bewegen , nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des illegalen Aufenthalts in Frage gestellt werden.
Darüber hinaus stehen Rückführungsrichtlinie und -verfahren in keinerlei
17
Zusammenhang mit dem Unrecht des „Schleusers“ oder sonstigen Hintermanns des unerlaubten Aufenthalts. Schon nach ihrem eindeutigen Wortlaut findet die Rückführungsrichtlinie lediglich Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige, nicht auf deren Schleuser (Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 2008/115/EG). Es besteht insoweit sogar die in mehreren europarechtlichen Instrumenten verankerte gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, Anstiftung und Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt wirksam zu sanktionieren (Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 Buchst. a des Rahmenbeschlusses 2002/946/JI; Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2002/90, ABl. L 328 vom 5. Dezember 2002, S. 1, 17; hierzu EuGH, NJW 2012, 1641, 1642 Rn. 43 ff. nach Vor- abentscheidungsersuchen in BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 5 StR 351/11, NJW 2012, 1669, 1670 f. Rn. 17; vom 8. Februar 2012 – 5 StR 567/11,BGHR AEUV Art. 267 Abs. 4 Inhaftierung 1). Sie könnte nicht erfüllt werden, wenn die hier betroffenen „Schleusungstatbestände“ aufgrund des Fehlens einer rechtswidrigen Haupttat in einem beträchtlichen Umfang leerlaufen würden (vgl. EuGH aaO; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 351/11, aaO).
Danach kann aus dem Vorrang des Rückführungsverfahrens – ungeach18 tet der exakten rechtlichen Konstruktion – allenfalls die persönliche Straflosigkeit der illegal Aufhältigen bzw. ein diesbezügliches (partielles) Bestrafungsverbot hergeleitet werden (vgl. zur Einordnung als persönlicher Strafaufhebungsgrund : MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 AufenthG Rn. 30 aE; BeckOKAuslR /Hohoff, aaO, § 95 AufenthG Rn. 27 aE). Da hiervon weder die Tatbestands - noch die Rechtswidrigkeitsebene tangiert ist, verbleibt es nach den Grundsätzen der limitierten Akzessorietät bei der Strafbarkeit des „Schleusers“ (zu Art. 31 Genfer Flüchtlingskonvention BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409; Beschluss vom 12. September 2002 – 4 StR 163/02, NJW 2002, 3642, 3643; MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 96 AufenthG Rn. 3; Mosbacher, aaO, § 4 Rn. 243). Anders als das Landgericht meint, bedarf es im Zuge der vorgenommenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.
2. Das angefochtene Urteil führt hinsichtlich des Angeklagten B.
19
beweiswürdigend aus, es sei nicht festzustellen gewesen, ob dieser Angeklagte dem Angeworbenen L. R. für die Einreise 1.000 € als „Vorzeigegeld“ zur Verfügung gestellt habe (UA S. 25 f.). Der Senat geht nicht davon aus, dass hiermit den Freispruch zusätzlich tragend ein vorsätzliches Handeln des Ange- klagten insgesamt in Frage gestellt werden sollte (vgl. zur „Motivation“ des Angeworbenen durch den Angeklagten UA S. 23 und zur Vereinnahmung des Prostitutionserlöses im Fall 10 UA S. 10, 12).
3. Der Senat hebt das Urteil mit den an sich rechtsfehlerfrei getroffenen
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Feststellungen auf, weil die freigesprochenen Angeklagten keine Möglichkeit hatten, die Feststellungen mit einer Revision anzugreifen. Eines vorherigen Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV bedarf es nicht, denn die Rechtsfrage ist eindeutig und zweifelsfrei zu beantworten („acte claire“, vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2016 – 1 StR 19/16 mwN).
4. Angesichts dessen kommt es nicht mehr darauf an, ob der Freispruch
21
der Angeklagten trotz der Beschränkung gemäß § 154a StPO schon deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Landgericht, das vor einer solchen Entscheidung zur Wiedereinbeziehung ausgeschiedener Straftatbestände verpflichtet gewesen wäre, das festgestellte Geschehen nicht in Bezug auf Verstöße gegen Straf- und Bußgeldvorschriften geprüft hat, die eine illegale Beschäftigung und Beauftragung von Ausländern oder die Teilnahme an deren illegaler Erwerbstätigkeit sanktionieren (vgl. § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III, §§ 10 ff. SchwarzArbG, § 98 Abs. 2a, Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, hierzu insgesamt Mosbacher , aaO, § 4 Rn. 1 ff.).
Mutzbauer Sander König
Berger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 212/18
vom
24. Oktober 2018
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––
Zur Schleusung von Kindern und Jugendlichen.
BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 212/18 - LG Passau
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:241018B1STR212.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - und des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 17. Oktober 2017, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben; die Feststellungen haben mit Ausnahme der zur subjektiven Tatseite der minderjährigen geschleusten Personen getroffenen Feststellungen Bestand. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Einschleusens von Ausländern“ in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechsJahren und neun Monaten verurteilt. Wegen weiterer Anklagevorwürfe, wonach er auch an gleichgelagerten Taten des Mitangeklagten beteiligt gewesen sein soll, hat es ihn freigesprochen. Die Auslieferungshaft in Rumänien hat es im Verhältnis 1:1 auf die Strafe angerechnet. Mit seiner Revision macht der Angeklagte ein Verfahrenshindernis geltend und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem 18. Juli 2015 fasste der rumänische Angeklagte den Entschluss, sich eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Gewicht zu verschaffen , indem er wiederholt sichtvermerkspflichtigen Drittausländern gegen ein Entgelt dazu verhalf, von Budapest über Österreich unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen. Die Drittausländer syrischer und irakischer Herkunft zahlten für ihren Transport in Fahrzeugen zwischen 400 Euro und 600 Euro pro Person, für Kinder in Einzelfällen die Hälfte. Teilweise hatten die Drittausländer bereits in ihren Herkunftsländern eine Gesamtzahlung für die Schleusung nach Deutschland an arabischstämmige Personen erbracht, die den Angeklagten für den Transport der Flüchtlinge von Budapest bis in die Bundesrepublik vergüteten. Den Fahrern der Transportfahrzeuge versprach der Angeklagte seinerseits zwischen 250 Euro und 1.200 Euro pro Fahrt.
4
Den beförderten Drittausländern - wobei das Landgericht Kinder unter sieben Jahren als nicht handlungsfähig angesehen hat - war bewusst, dass sie nicht über die für eine Einreise und einen Aufenthalt in der Bundesrepublik erforderlichen Dokumente verfügten. Dies wusste auch der Angeklagte, dem darüber hinaus die Transportbedingungen bekannt waren. Bei fünf Fahrten wurden die Drittausländer ungesichert auf den Ladeflächen eines Lastkraftwagens und von Kleintransportern befördert. Dass es daher schon bei einfachen Gefahr- bremsungen zu schweren Verletzungen und auch zum Tod zumindest einzelner der ungesichert beförderten Personen hätte kommen können, war dem Angeklagten bewusst und gleichgültig. Die Anzahl der jeweils beförderten Personen nahm er zumindest billigend in Kauf.
5
In der Zeit zwischen dem 18. Juli 2015 und dem 25. August 2015 leistete der Angeklagte in sechs Fällen syrischen und irakischen Staatsangehörigen Hilfe bei ihrer unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik, indem er Fahrer für den Transport anwarb und diesen die dafür vorgesehenen Fahrzeuge in Budapest zur Verfügung stellte. Im Fall 1 der Urteilsgründe transportierte der Fahrer insgesamt dreizehn syrische Staatsangehörige - darunter vier Kinder im Alter von unter sieben Jahren - in einem Personenkraftwagen Kia Carnival. Das Fahrzeug verfügte in drei Sitzreihen über insgesamt sechs Sitzplätze mit Rückhaltesystemen. In vier weiteren Fällen wurden zwischen 20 und 28 syrische und irakische Drittausländer - neben noch nicht sieben Jahre alten Kindern gleicher Staatsangehörigkeiten - in Kleintransportern auf deren Ladeflächen mit einer Größe von etwa sechs Quadratmetern transportiert. Trotz der erheblichen Fahrtdauer machte der Fahrer nur im Fall 3 eine zehnminütige Pause, ohne dass allerdings die geschleusten Personen hierbei den Laderaum verlassen durften. Zuletzt beförderte ein Fahrer mit einem Lastkraftwagen neben sechs irakischen Kindern im Alter von unter sieben Jahren weitere 33 irakische Staatsangehörige in einem fensterlosen Aufbau, der an den Seitenwänden nur mit einer blauen Plane ausgeschlagen war. Die Fahrzeuge wurden jeweils grenznah auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland polizeilich kontrolliert.
6
2. Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten als gewerbsmäßiges und die Geschleusten einer das Leben gefährdenden Behandlung aus- setzendes Einschleusen von Ausländern in sechs Fällen gewertet (§ 96 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 5 AufenthG). In fünf Fällen hat sie der Angeklagte nach Ansicht des Landgerichts zugleich einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt.

II.


7
Ein Verfahrenshindernis liegt entgegen den Ausführungen der Revision nicht vor. Die Anklage wahrt die ihr zukommende Umgrenzungsfunktion. Die prozessualen Taten im Sinne von § 264 StPO, auf die sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft erstreckt, sind eindeutig zu identifizieren. Der konkrete Anklagesatz nennt die Tatzeiten, die geschleusten Personen (soweit bekannt), die Namen der Fahrer und die Tatfahrzeuge mitsamt amtlichen Kennzeichen.

III.


8
1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung auf die Sachrüge des Angeklagten stand. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe zwei und im Übrigen jeweils drei Qualifikationstatbestände (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 378/11, NStZ-RR 2012, 124; BeckOK AuslR/Hohoff, 19. Ed., § 96 AufenthG Rn. 15; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Juli 2014], § 96 AufenthG Rn. 14; Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 55) des § 96 Abs. 2 AufenthG verwirklicht hat. Als Haupttaten liegen unerlaubte Einreisen nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG vor, zu denen der Angeklagte unter Verwirklichung der Schleusermerkmale des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und b) AufenthG Hilfe geleistet hat.
9
a) Das Landgericht hat sich seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung gebildet, bei der es das - nicht der Justiz anzulastende - fehlende Konfrontationsrecht der Verteidigung gegenüber Belastungszeugen ausreichend bedacht und die Be- weise „besonders sorgfältig“ gewürdigt hat (vgl. zu den Anforderungen etwa BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52 ff. mwN auch zur Rechtsprechung des EGMR). Wesentliche Bedeutung durfte es dabei der teilgeständigen Einlassung des Angeklagten zur Übergabe von zwei Tatfahrzeugen beimessen. Nicht zu beanstanden ist auch die näher begründete Schlussfolgerung des Landgerichts, dass der Angeklagte bereits bei der ersten „Schleusung“ gewerbsmäßig handelte (§ 96 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG; mit Wirkung vom 1. August 2018: § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
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b) Den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist des Weiteren zu entnehmen, dass die geschleusten Personen einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt wurden (§ 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG). Der Qualifikationstatbestand setzt ebenso wenig wie § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB voraus, dass eine konkrete Lebensgefahr eingetreten ist (vgl. MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 36; BeckOK AuslR/Hohoff, 19. Ed., § 96 AufenthG Rn. 20; Bergmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 59). Er ist nicht nur in den „Ladeflächenfällen“,sondern auch im Fall 1 der Urteilsgründe erfüllt, in dem die geschleusten Personen in einem Personenkraftwagen transportiert wurden. Dieses Fahrzeug verfügte nicht über eine ausreichende Anzahl an Sitzen und Rückhaltevorrichtungen für die geschleusten Personen. Allerdings genügt das bloße Fehlen von Rückhaltesystemen nicht stets, um bereits eine Lebensgefahr durch die Schleusung zu begründen. Hier rechtfertigt aber die Gesamtheit der im Fall 1 festgestellten Umstände diese Annahme. So war das Fahrzeug mit einer Vielzahl von Personen, die sich in sehr beengten Ver- hältnissen aufhielten, überbesetzt und zudem überladen. Die vom Landgericht festgestellte Fahrtzeit von etwa vier Stunden für die Strecke von Budapest nach Passau belegt hohe Geschwindigkeiten des Fahrzeugs, so dass bei einer Gefahrbremsung , einem Ausweichmanöver und erst recht bei einer Kollision lebensgefährliche Verletzungen drohten. Dies gilt nicht nur für die ungesicherten Personen, sondern aufgrund des drohenden Zusammenpralls mit diesen oder mit Gegenständen auch für die angeschnallten Geschleusten.
11
Eine Einwilligung der geschleusten Personen konnte - sollte der Qualifikationstatbestand nicht ohnehin (auch) Gemeininteressen schützen (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 98; Geisler, ZRP 2001, 171, 175) - selbst ohne konkrete Todesgefahr nach den festgestellten, die Sittenwidrigkeit der Taten begründenden Gesamtumständen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140, 144 ff. Rn. 10 ff.) keine rechtfertigende Wirkung entfalten. Dafür spricht auch die Gesetzessystematik. Denn bei der ebenso in § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG geregelten unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung vermag die Einwilligung der Geschleusten angesichts der geschützten Menschenwürde ein tatbestandsmäßiges Handeln des Schleusers nicht zu rechtfertigen (vgl. zutreffend Hailbronner, Ausländerrecht [Stand: August 2012], § 96 AufenthG Rn. 34).
12
c) Auch die Qualifikation einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Insbesondere hat es ausreichende Feststellungen getroffen, die eine erniedrigende Behandlung belegen. Eine solche liegt vor, wenn sie beim Geschleusten Gefühle der Angst, Ohnmacht und Minderwertigkeit erzeugt und er so herabgewürdigt und gedemütigt wird (vgl. Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht , 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 71; Hailbronner, Ausländerrecht [Stand: Au- gust 2012], § 96 AufenthG Rn. 34). Seine Wertung, dass die Geschleusten demgemäß in den Fällen 2 bis 6 der Urteilsgründe „wie Vieh oder Stückgut“ (UA S. 123) transportiert wurden, hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit den Fahrtzeiten zwischen etwa vier und acht Stunden ohne die Möglichkeit zum Toilettengang und unter äußerst beengten räumlichen Verhältnissen begründet (vgl. auch MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 37).
13
2. Hingegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Denn das Landgericht hat der Strafzumessung einen zu großen Schuldumfang zugrunde gelegt. Es hat straferschwerend jeweils auf die Anzahl der geschleusten Personen abgestellt (vgl. UA S. 126), die es nicht rechtsfehlerfrei bestimmt hat. Die Urteilsgründe belegen insbesondere nicht, dass die vom Landgericht zu den Haupttätern gezählten minderjährigen Personen ab einem Alter von sieben Jahren vorsätzlich handelten. Aufgrund der weiteren Haupttaten von Geschleusten, die der Angeklagte in sechs Fällen gefördert hat (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 27 Rn. 31 mwN), bleibt der Schuldspruch hiervon unberührt. Über diesen ist wegen des eigenständigen Charakters einer jeden Haupttat keine nochmalige tatrichterliche Entscheidung erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 4 StR 455/11, juris Rn. 7).
14
a) Durch die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 AufenthG werden nach den allgemeinen Regeln (§§ 26, 27 StGB) strafbare Teilnahmehandlungen an den in § 96 Abs. 1 AufenthG in Bezug genommenen Taten nach § 95 AufenthG zu selbständigen, in Täterschaft (§ 25 StGB) begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Teilnehmer zugleich eines der in § 96 Abs. 1 AufenthG geregelten Schleusermerkmale erfüllt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2012 - 4 StR 144/12, NStZ 2013, 483 und vom 30. Mai 2013 - 5 StR 130/13, BGHSt 58, 262, 265 f. Rn. 9; Urteil vom 11. Juli 2003 - 2 StR 31/03, NStZ 2004, 45; vgl.
MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 2). Trotz dieser tatbestandlichen Verselbständigung zur Täterschaft gelten für die Tathandlungen des § 96 Abs. 1 AufenthG die allgemeinen Regeln der Teilnahme einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2017 - 5 StR 333/16, BGHSt 62, 85, 89 f. Rn. 18; Beschluss vom 13. Januar 2015 - 4 StR 378/14, NStZ 2015, 399, 400; MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 3; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze [Stand: Juli 2014], § 96 AufenthG Rn. 3; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 106). Die Strafbarkeit wegen vollendeten Einschleusens von Ausländern setzt daher das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat des Geschleusten voraus.
15
b) Das jugendliche - und erst recht ein geringeres - Alter und die Unreife des Haupttäters können gegen eine Vorsatztat sprechen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Januar 2005 - 4 StR 469/04 juris Rn. 22 und vom 3. Februar 2005 - 4 StR 492/04, ZJJ 2005, 205; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 3 Rn. 19; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 3 Rn. 31). Auch die Wertungen von § 3 JGG, § 19 StGB sprechen dafür, den Tatvorsatz von Jugendlichen und erst recht von Kindern kritisch zu prüfen. Die pauschale Beweiswürdigung des Landgerichts, die allein auf der Kenntnis erwachsener Zeugen von fehlenden Pässen und Genehmigungen für die Einreise nach Deutschland und auf den inakzeptablen Transportbedingungen gründet, genügt daher für die minderjährigen Geschleusten den rechtlichen Anforderungen nicht. Bei Jugendlichen (§ 1 Abs. 2 JGG) liegt es zwar keineswegs fern, dass der subjektive Tatbestand der unerlaubten Einreise zu bejahen ist (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 31. März 2003 - 4 St RR 18/2003, NStZ-RR 2003, 275, 276). Der Tatrichter muss aber zumindest - was hier nicht geschehen ist - begründen, weshalb auch das jugendliche Alter der ihm obliegenden Überzeugungsbildung nicht entgegensteht.
16
Weitergehende Anforderungen an die Beweiswürdigung sind bei den geschleusten Kindern zu stellen. Dass etwa sieben- oder achtjährige syrische und irakische Kinder, wie sie sich nach den Feststellungen des Landgerichts in den Fällen 1, 2 und 4 bis 6 der Urteilsgründe in den Transportfahrzeugen befanden, den Tatbestand der unerlaubten Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG vorsätzlich verwirklichen, bedarf näherer und individueller Begründung. Denn aufgrund ihres divergierenden Entwicklungsstands ist zweifelhaft, ob den Kindern schon das Passieren der Staatsgrenze der Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls aber der Umstand einer Schleusung bewusst war. Die vom Landgericht gezogenen Schlussfolgerungen gehen daher für den subjektiven Tatbestand der von ihm als Haupttäter angesehenen Kinder nicht über eine reine Vermutung hinaus.
17
Im Fall 3 der Urteilsgründe hat das Landgericht zwar festgestellt, dass - über fünf noch nicht siebenjährige Kinder hinaus - nur vorsätzlich handelnde erwachsene Personen unerlaubt eingereist seien (UA S. 11). Hierbei kann es aber ebenfalls nicht verbleiben, denn in seiner Beweiswürdigung stellt das Landgericht auf die „über 7-jährigen Beteiligten“ ab (UA S. 56). Zumal eine gesicherte Altersfeststellung nicht vorlag (UA S. 54), bleibt mithin unklar, ob sich neben den erwachsenen Zeugen A. und I. unter den als Haupttätern eingeordneten 28 Personen - wie in den anderen Fällen - Minderjährige befanden. Daher ist aus den genannten Gründen eine neue Prüfung des Alters und insbesondere des Tatvorsatzes der nicht namentlich genannten 26 Drittausländer veranlasst. Ob die weitere Annahme des Landgerichts rechtsfehlerfrei ist, dass Kinder unter sieben Jahren schon deshalb als Haupttäter ausscheiden, weil sie „nicht handlungsfähig seien“ (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. März 2003 - 4 St RR 18/2003, NStZ-RR 2003, 275, 276; Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137, 2143; kritisch Bergmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., Vor- bem. zu §§ 96 f. Rn. 11), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn hierdurch ist der Angeklagte nicht beschwert.
18
c) Das Problem der schwer zu belegenden Vorsatzerfordernisse bei den Geschleusten (insbesondere minderjährigen Personen) ist Folge des gesetzgeberischen Konzepts der sog. limitierten Akzessorität, auch im Rahmen von § 96 Abs. 2 Satz 2 nF AufenthG (vgl. dazu BT-Drucks. 19/2438, S. 26). Es ließe sich durch die Schaffung eines eigenständigen Tatbestands sachgerecht vermeiden. Denn der Schuldumfang des Einschleusens von Ausländern wird maßgeblich von der geförderten Zahl der Haupttaten mitbestimmt. Soweit - wie hier bei den mindestens siebenjährigen Kindern - eine (zurücktretende) Versuchsstrafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 3 AufenthG in Betracht kommt, ist eine solche von gemindertem Erfolgsunwert. Dasselbe würde gelten, sollte - was der Gesetzessystematik allerdings fremd wäre - die Hilfe „zugunsten mehrerer Ausländer“ nureinen Haupttäter erfordern und zugleich auch andere Personen erfassen (vgl. dazu MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 19; aA Mosbacher in Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 10 Rn. 37; Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 158 f.). Das Landgericht hat demgemäß zutreffend in erster Linie straferschwerend auf die große Anzahl der vom Angeklagten unterstützten Haupttäter abgestellt. Diese hat es jedoch - wie aufgezeigt - nicht ohne Rechtsfehler bestimmt.
19
d) Hierauf beruht das Urteil (§ 337 StPO). Das Ausmaß der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung ist ein zentraler Punkt der Strafzumessung (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 588). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht mildere Einzelstrafen und eine mildere Gesamtstrafe verhängt hätte, wenn es nur eine geringere Anzahl betroffener Personen hätte berücksichtigen können.
20
Der neue Tatrichter wird in den Fällen 1, 2 und 4 bis 6 der Urteilsgründe bei den minderjährigen Geschleusten über den subjektiven Tatbestand der unerlaubten Einreise zu entscheiden haben, soweit nicht Beschränkungen nach § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO erfolgen. Im Fall 3 der Urteilsgründe ist ebenfalls über den Tatvorsatz der (neben den erwachsenen Zeugen und den noch nicht siebenjährigen Kindern) eingereisten Personen neu zu befinden. Hierbei ist umso größere Sorgfalt aufzuwenden, je jünger diese Personen nach den ergänzenden Feststellungen des neuen Tatrichters sind.
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(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Wer einen unechten oder verfälschten amtlichen Ausweis oder einen amtlichen Ausweis, der eine falsche Beurkundung der in den §§ 271 und 348 bezeichneten Art enthält,

1.
einzuführen oder auszuführen unternimmt oder
2.
in der Absicht, dessen Gebrauch zur Täuschung im Rechtsverkehr zu ermöglichen, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überläßt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach Absatz 1 verbunden hat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 1 2 7 / 1 4
vom
27. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und sichergestelltes Rauschgift eingezogen. Seine dagegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
Der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte bei seiner Festnahme am 6. Februar 2013 im Besitz von 50,2 g Marihuana sowie 740 € Bargeld in szenetypischer Stückelung. Das verkaufsfertig in 58 Cliptütchen abgepackte Marihuana wies eine Wirkstoffkonzentration von 14,5 % und 15,4 % auf, was einem THC-Gehalt von insgesamt 7,53 g entspricht. Die Einlassung des Angeklagten , er sei nur ein "Läufer" gewesen und habe Rauschgift und Bargeld für einen Auftraggeber lediglich gegen Entlohnung in Form von 1/3 der sichergestellten Rauschgiftmenge, also 15 g Marihuana, transportiert, hat die Strafkammer als nicht widerlegbar zugrunde gelegt.
4
2. Durch diese Feststellungen wird zwar der unerlaubte Besitz einer nicht geringen Menge, nicht aber die Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge belegt. Nach dem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt waren lediglich 35,2 g des sichergestellten Marihuanas mit einem Wirkstoffgehalt von deutlich weniger als 7,5 g THC, mithin eine geringe Menge, zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt; nur darauf erstreckte sich die Beihilfehandlung des Angeklagten.
5
3. Die Aufhebung der Verurteilung wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfasst auch die - an sich nicht zu beanstandende - tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Von einer bloßen Berichtigung des Schuldspruchs unter Aufrechterhaltung der Strafe sieht der Senat ab, weil auch der Rechtsfolgenausspruch nicht frei von Rechtsfehlern ist. So ist die relativierende Strafzumessungserwägung, der Angeklagte sei "in gewisser Weise" geständig gewesen (UA 10), nicht nachvollziehbar, weil die Strafkammer dessen Einlassung vollumfänglich ihren Feststellungen zugrundegelegt hat. Auch hätte das Landgericht die einschlägige Vorverurteilung durch das Amtsgericht Frankfurt am Main vom 13. Februar 2013 - weil der hier gegenständlichen Tat vom 6. Februar 2013 zeitlich nachfolgend - nicht strafschärfend berücksichtigen dürfen. Schließlich hat es das Landgericht - wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen dargelegt - rechtsfehlerhaft unterlassen, eine hier erörterungsbedürftige Unterbringung des seit seinem 13. Lebensjahr Betäubungsmittel konsumierenden und mehrfach einschlägig vorbestraften Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu erwägen. Dies wird der neue Tatrichter - nach § 246a StPO unter Hinzuziehung eines Sachverständigen - nachzuholen haben.
6
4. Da sich das ursprünglich gegen mehrere Angeklagte geführte Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

1.
diese Person ausgebeutet werden soll
a)
bei der Ausübung der Prostitution oder bei der Vornahme sexueller Handlungen an oder vor dem Täter oder einer dritten Person oder bei der Duldung sexueller Handlungen an sich selbst durch den Täter oder eine dritte Person,
b)
durch eine Beschäftigung,
c)
bei der Ausübung der Bettelei oder
d)
bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen durch diese Person,
2.
diese Person in Sklaverei, Leibeigenschaft, Schuldknechtschaft oder in Verhältnissen, die dem entsprechen oder ähneln, gehalten werden soll oder
3.
dieser Person rechtswidrig ein Organ entnommen werden soll.
Ausbeutung durch eine Beschäftigung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b liegt vor, wenn die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen (ausbeuterische Beschäftigung).

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,

1.
mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder
2.
entführt oder sich ihrer bemächtigt oder ihrer Bemächtigung durch eine dritte Person Vorschub leistet.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn

1.
das Opfer zur Zeit der Tat unter achtzehn Jahren alt ist,
2.
der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wenigstens leichtfertig in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
der Täter gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.
In den Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn einer der in Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Umstände vorliegt.

(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 3 Satz 1 ist der Versuch strafbar.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Die Freiheitsstrafe ist zeitig, wenn das Gesetz nicht lebenslange Freiheitsstrafe androht.

(2) Das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe ist fünfzehn Jahre, ihr Mindestmaß ein Monat.