Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Sept. 2017 - 2 StR 18/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. September 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
- 2
- Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
- 3
- Nach den Feststellungen trafen sich der Angeklagte und der Geschädigte in unregelmäßigen Abständen zum gemeinsamen Konsum von Alkohol. Im Rahmen einer solchen Zusammenkunft in der Nacht vom 24. auf den 25. März 2016 wollte sich der erheblich alkoholisierte, homosexuell veranlagte Geschädigte dem Angeklagten sexuell nähern und griff diesem in den Genitalbereich. Dies empfand der ebenfalls stark angetrunkene Angeklagte (Tatzeit-BAK mindestens 2,4 und höchstens 2,8 Promille) als massive Grenzverletzung, die ihn erzürnte und emotional stark aufwühlte. Aus diesem Grund schlug er dem Geschädigten auf die Lippe. Infolge des Schlages gegen den Kopf und der damit einhergehenden Erregung des Geschädigten stieg Speisebrei aus dem Magen auf. Da der Würgereflex des Geschädigten aufgrund der hohen Alkoholisierung ausblieb, kam es infolge des Schlages zu einer Aspiration des Speisebreis. Der Geschädigte fiel hin und begann zu röcheln. Wenige Minuten später regte er sich nicht mehr und verstarb infolge Erstickens. Der Angeklagte, der den Todeseintritt nicht erkannt hatte, zog dem Geschädigten nun die Hose herunter und durchtrennte mit einem Messer dessen Penis.
- 4
- Das Landgericht hat angenommen, der Schlag auf die Lippe und die Durchtrennung des Penis stellten sich als „einheitliches Geschehen“ dar, da beide Handlungen als Reaktion auf die Erregung über die sexuelle Annäherung zu verstehen seien und auf dem „einheitlichen Entschluss“ des Angeklagten basierten, den Geschädigten körperlich zu züchtigen. Diese Wertung stützt es auf Spontanäußerungen des Angeklagten unmittelbar nach der Tat, wonach „das Ganze passiert“ sei, weil der Geschädigte ihm „an die Eier“ gegangen sei, woraufhin er ihn geschlagen und ihm „die Eier abgeschnitten“ habe. Im Hinblick auf die Durchtrennung des Penis habe der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Dass der Tod des Geschädigten tatsächlich nicht infolge dieser Handlung, sondern durch den Schlag ausgelöst wurde, stelle „eine un- wesentliche Abweichung des vorgestellten Kausalverlaufs vom tatsächlich ein- getretenen“ dar. Davon ausgehend hat das Landgericht die Tat als vollendeten Totschlag gewürdigt.
II.
- 5
- Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
- 6
- Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich wegen Totschlags strafbar gemacht, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dies führt zur Aufhebung des Urteils.
- 7
- 1. Gemäß § 16 Abs. 1 StGB muss der Tatvorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Ein der Handlung nachfolgender Vorsatz (sog. dolus subsequens) ist bedeutungslos (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 15 Rn. 4a). Daher tritt eine Strafbarkeit wegen vollendeter Vorsatztat nur ein, wenn die vom Vorsatz getragene Handlung den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 1983 – 4 StR 298/83, NStZ 1983, 452 mwN).
- 8
- Gegen diesen Grundsatz verstößt das Landgericht, indem es die nach seiner Würdigung mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommene (postmortale) Penisamputation und den für den Tod ursächlichen Schlag auf die Lippe des Geschädigten miteinander verknüpft.
- 9
- 2. Eine solche Verknüpfung wird auch nicht durch eine Gesamtbetrachtung des Geschehensablaufs zulässig (BGH aaO). Die vom Landgericht angenommene Abweichung des vorgestellten vom tatsächlich eingetretenen Kausalverlauf setzt voraus, dass der Täter vor seiner zum Erfolg führenden Handlung – hierdem Faustschlag auf die Lippe – bereits zur Tötung des Geschädigten entschlossen war; an entsprechenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der Wirkungen des Schlages fehlt es hier jedoch gerade.
- 10
- Die Annahme des Landgerichts, nach der Vorstellung des Angeklagten habe ein einheitliches, von vornherein auf eine mit bedingtem Tötungsvorsatz durchgeführte „Brandmarkung“ des Geschädigten gerichtetes Tatgeschehen vorgelegen, bei dem der objektiv todesursächliche Faustschlag ohne wesentliche Zwischenschritte in die Amputation des Penis einmünden sollte, ist nicht tragfähig begründet. Für die Frage, ob der Angeklagte schon im Zeitpunkt des Schlages zu der späteren Amputation entschlossen war, kommt – anders als vom Landgericht angenommen – den Spontanäußerungen des Angeklagten keine nennenswerte Beweisbedeutung zu. Ein solcher Schluss liegt auch im Hinblick auf das objektive Tatgeschehen keineswegs auf der Hand. Denn danach lag zwischen dem Faustschlag und der Amputationshandlung eine Zeit- spanne von zumindest „wenigen Minuten“, in welcher der Geschädigte liegend erstickte, ohne dass währenddessen weitere Tathandlungen des Angeklagten festgestellt sind. Mit dieser Lücke im Geschehensablauf, die die Annahme eines von Beginn an auf die Amputation gerichteten Vorsatzes in Frage stellen konnte , setzt das Landgericht sich nicht auseinander. RiBGH Dr. Eschelbach ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl Appl Zeng Grube Schmidt
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.
(2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würden, kann wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden.