Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2009 - 1 StR 73/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener und tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes (durch Unterlassen) in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener und gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe in Höhe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den zunächst verwirklichten versuchten Totschlag (durch aktives Tun) hat die Strafkammer dem Schuldspruch nicht zu Grunde gelegt, weil sie bei Annahme von natürlicher Handlungseinheit dem Unterlassungsdelikt das größere Gewicht beigemessen hat. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Die Ausführungen des Landgerichts halten teilweise revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe sich wegen eines versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen strafbar gemacht, trifft nicht zu. Nach der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs fehlt es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen „anderen“ Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten, selbst wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15; BGH StraFo 2007, 123, 124). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung des 4. Strafsenats abzuweichen, auch wenn beachtliche Gründe dagegen sprechen (vgl. hierzu Freund in NStZ 2004, 123, 124). Eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen kam deshalb im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
- 3
- Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte jedoch neben den tateinheitlich verwirklichten Delikten der Misshandlung Schutzbefohlener und der gefährlichen Körperverletzung eines versuchten Totschlags schuldig. Insbesondere die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe bereits bei Ausführung des Faustschlags auf den Hinterkopf seines zwei Monate alten Sohnes mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , begegnet angesichts der ausführlichen Beweiswürdigung zu der Gefährlichkeit der Gewalthandlung, den erheblichen Verletzungsfolgen und der Persönlichkeit des Angeklagten keinen rechtlichen Bedenken. Die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Nach den Feststellungen der Kammer rechnete der Angeklagte nach dem Faustschlag „mit dem Schlimmsten“; er wollte weder sehen noch wissen, was er seinem Sohn angetan hatte. Es lag damit ein beendeter Versuch vor (vgl. BGHSt 40, 304, 306), so dass der Angeklagte erfolgreiche Bemühungen zur Verhinderung des drohenden Erfolgseintritts hätte entfalten müssen, um strafbefreiend zurücktreten zu können (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. StGB). Dies hat er aber nicht getan. Da in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende als die aus dem Urteil ersichtlichen Feststellungen nicht zu erwarten sind, war der Schuldspruch entsprechend zu ändern (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Eines Hinweises nach § 265 StPO bedurfte es hierzu nicht.
- 4
- Der Strafausspruch kann im Hinblick auf die Änderung des Schuldspruchs keinen Bestand haben. Die vom Landgericht verhängte Jugendstrafe und deren Höhe erscheinen zwar angesichts der Persönlichkeitsdefizite des Angeklagten, des von erheblicher Rohheit und Brutalität geprägten Tatbildes (wuchtiger Faustschlag auf den Hinterkopf eines Säuglings) und der schweren Folgen für das Opfer auch unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens durchaus angemessen. Jedoch kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine andere Jugendstrafe verhängt hätte. Da es bei der Bemessung der Jugendstrafe wiederholt auf das Unterlassungsdelikt abgestellt hat, war der Strafausspruch mit den dazu gehörenden Feststellungen aufzuheben und an eine andere Strafkammer des Land- gerichts zurückzuverweisen. Der Senat weist daraufhin, dass bei der erneuten Strafzumessung insbesondere das Nachtatverhalten des Angeklagten (UA S. 9) strafschärfend berücksichtigt werden darf.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.