Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Nov. 2013 - 1 StR 594/13

bei uns veröffentlicht am18.11.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/13
vom
18. November 2013
in dem Straf- und Sicherungsverfahren
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2013 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten und Beschuldigten gegen das Urteil
des Landgerichts Freiburg vom 4. Juli 2013 wird als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (nachfolgend: Beschuldigter) von den ihm im Strafverfahren vorgeworfenen Taten freigesprochen. Wegen dieser Taten und derjenigen, wegen derer das Sicherungsverfahren gegen ihn betrieben wird, hat es allerdings gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Den Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.
2
Der Unterbringung liegt die Begehung von insgesamt 14 rechtswidrigen Taten durch den Beschuldigten zugrunde. Bei diesen handelt es sich überwiegend um Beleidigungen und Bedrohungen (hier vor allem Drohungen mit der Tötung der Bedrohten) sowie in einem Fall (II.3. der Urteilsgründe) um eine vorsätzliche Körperverletzung und in einem weiteren Fall (II.9. der Urteilsgründe) um den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. Die Taten richteten sich in der Mehrzahl gegen Personen aus der Nachbarschaft des Beschuldigten.
3
Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Beschuldigten, mit der er die näher ausgeführte Sachrüge erhebt.

II.


4
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Das Tatgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB angenommen.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304). Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO, siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
6
a) Der Bestand des Urteils wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das sachverständig beratene Landgericht als Eingangsmerkmale gemäß §§ 20, 21 StGB entweder eine auf einer wahnhaften Störung (ICD-10: F22.0) oder einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0) beruhende „andere schwere seelische Abartigkeit“ oder eine durcheine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) bedingte „krankhafte seelische Störung“ angenommen hat. Zwar bedarf es grundsätzlich schon im Hinblick auf den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den Anlasstaten sowie deren Bedeutung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose der Feststellung, welche Ursachen bei dem Beschuldigten zu welchem von §§ 20, 21 StGB erfassten Zustand geführt haben (siehe nur van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 37 und 45; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 StR 1/03, NStZ-RR 2003, 168). Ausnahmsweise kann jedoch auf eine zweifelsfreie Aufklärung verzichtet werden, wenn mehrere Störungen in Betracht kommen, die aber jeweils die Schuldfähigkeit des Täters sicher beeinträchtigen (vgl. BGH aaO). Allerdings muss der Tatrichter bei einer solchen Konstellation im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose jede der die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Ursachen auf ihre Bedeutung für die Beurteilung der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters hin gesondert untersuchen (BGH aaO; siehe auch van Gemmeren aaO Rn. 45).
7
Beidem ist das Tatgericht noch gerecht geworden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils lässt sich entnehmen, dass die bei dem Beschuldigten vorliegende dauerhafte Erkrankung durch wahnhafte Fehlinterpretationen des Verhaltens Dritter, vor allem solcher aus seiner Nachbarschaft, ihm gegenüber geprägt ist (UA S. 18 und 21). Nach den getroffenen Feststellungen und den Ausführungen des Tatgerichts im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bezieht der Beschuldigte an sich völlig neutrale Geschehnisse auf sich und fühlt sich aufgrund der krankheitsbedingten Fehleinordnung in seiner Person angegriffen (UA S. 21). Sein eigenes beleidigendes, Gewalttätigkeiten androhendes und in Einzelfällen auch tatsächlich gewalttätiges Verhalten bewertet er - wiederum krankheitsbedingt - als normale und angemessene Gegenreaktion auf das Verhalten insbesondere seiner Nachbarn, aber auch seiner Umwelt insgesamt (UA S. 18 und 21, 23). In Bezug auf dieses Krankheitsbild hat das Tatgericht auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Feststellungen dargelegt, dass dieses entweder dem Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung oder einer schweren seelischen Abartigkeit zuzuordnen und aufgrund der Erkrankung die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zumindest erheblich beeinträchtigt ist. Eine weitere Aufklärung der Grunderkrankung, die möglicherweise eine sichere Zuweisung zu einem der beiden genannten Merkmale gemäß §§ 20, 21 StGB ermöglicht hätte, ist dem Tatgericht (auch) wegen der fehlenden Bereitschaft des Beschuldigten, sich für die Erstellung eines Gutachtens gesondert explorieren zu lassen, nicht möglich gewesen.
8
Das Urteil zeigt - wenn auch sehr knapp - trotz der fehlenden eindeutigen Klassifizierung der beschriebenen chronifizierten Grunderkrankung einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dieser und der Begehung der Anlasstaten auf. Sämtliche Anlasstaten seien auf die wahnhafte Fehlinterpretation der Verhaltensweisen seiner Umwelt sowie die völlig situationsunangemessene Reaktion des Beschuldigten als Beharren auf seinen vermeintlichen Rechten zurückzuführen (UA S. 20 f.). Das Tatgericht trägt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose dem Erfordernis Rechnung, angesichts der nicht eindeutigen Zuordnung des Krankheitszustandes des Beschuldigten die möglichen Ursachen der feststehenden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gesondert auf ihre Bedeutung für die zukünftige Gefährlichkeit zu untersuchen. Insoweit stellt es im Ergebnis ohne Rechtsfehler im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Einordnungen des Krankheitsbildes des Beschuldigten darauf ab, dass er we- gen der wahnbedingten Fehlwahrnehmung der Verhaltensweisen von Personen in seiner Umgebung deren Verhalten stets auf sich bezieht, von einem Angriff auf seine Rechte ausgeht und sich gegen die entsprechenden Personen mit Bedrohungen und - wegen der zugleich vorhandenen aggressiv-impulsiven Reaktionen - mit erheblichen Körperverletzungen „zur Wehr setzen“ wird.
9
b) Das Urteil bedarf auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Tatgericht festgestellt hat, aufgrund seines Zustandes sei bei dem Beschuldigten die Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, sicher erheblich vermindert gewesen, nicht ausschließbar sei dieser sogar unfähig gewesen, das Tatunrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (UA S. 11). Zwar kann im Grundsatz weder bei § 20 noch bei § 21 StGB offen bleiben, ob die jeweilige Anwendung auf der Aufhebung oder der erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304; LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 80; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN; zu einem Ausnahmefall kumulativen Fehlens von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167 f.). Es lässt sich hier jedoch wiederum dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose noch entnehmen, dass das Tatgericht von einer sicher feststehenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit und von einer nicht ausschließbaren Aufhebung der Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten ausgegangen ist (UA S. 18). Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer eigenständigen Überprüfung insoweit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, angesichts des durch die Wahnvorstellungen hervorgerufenen Realitätsverlustes sei eine Aufhebung des Realitätsbezuges nicht auszuschließen. Sollte ein solcher trotz der Wahnvorstellungen noch erhalten geblieben sein, bestehe sicher wegen der die Krankheit begleitenden psychotischen oder psychosenahen Handlungsantriebe eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. In der Gesamtschau lassen sich damit die für die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB notwendigen Feststellungen über die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten entnehmen.
10
2. Im Ergebnis tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit.
11
a) Soweit die Revision sich gegen die die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose tragende Beweiswürdigung richtet, zeigt sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Oktober 2013 genannten zutreffenden Gründen keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Auch die Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 8. November 2013 weisen keinen auf die lediglich erhobene Sachrüge hin zu berücksichtigenden Rechtsfehler aus.
12
b) Den Darlegungsanforderungen an die Gefährlichkeitsprognose wird ebenfalls genügt.
13
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
14
Das Tatgericht hat den vorgenannten Maßstab berücksichtigt und im Ergebnis ohne Rechtsfehler näher dargelegt, warum nicht nur die mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Körperverletzungsdelikte, sondern auch die Bedrohungen, die in der Vergangenheit stets Todesdrohungen zum Inhalt gehabt haben, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens besorgen lassen. Zutreffend wird darauf verwiesen, dass die massiven Bedrohungen mit näher beschriebenen Tötungsarten nicht lediglich irreal seien, wie sich u.a. aus dem Einsatz gefährlicher Gegenstände wenigstens bei einer Anlasstat ableiten lässt.
15
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hinreichend das Ausbleiben weiterer Anlasstaten seit der Entlassung des Beschuldigten aus der vorläufigen Unterbringung im Oktober 2011 berücksichtigt. Da nach der Überzeugung der Kammer dieser Umstand im Wesentlichen auf der bis März 2013 fortlaufend erfolgten ambulanten psychiatrischen Behandlung mit entsprechender, die Symptomatik dämpfender Medikation beruht, die zukünftig nicht ohne weiteres sicher gestellt werden kann, konnte sie ohne Rechtsfehler von der Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten des Beschuldigten ausgehen.
16
c) Der Gesamtzusammenhang des Urteils belegt auch die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus.
17
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet bei der Anordnung (und der Vollstreckung) der Unterbringung gemäß § 63 StGB, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13; BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13). Dementsprechend darf die Unterbringung nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301; BGH aaO). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH aaO).
18
Vorliegend hat sich das Tatgericht zwar auf die Bewertung beschränkt, die Unterbringung des Beschuldigten stehe nicht außer Verhältnis zu den von ihm zukünftig zu erwartenden Straftaten. Allerdings hat es sich, teils im Rahmen der Feststellungen zur Schuldfähigkeit, teils im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose , mit den im vorstehenden Absatz genannten Umständen befasst. Dabei hat das Landgericht jedenfalls im Zusammenhang mit den Darlegungen zur Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung auch die Möglichkeiten der Einwirkungen auf den Beschuldigten erörtert.
Wahl Rothfuß Cirener
Radtke Mosbacher

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

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26. September 2012
in der Strafsache
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wegen Diebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Septemer 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 31. Mai 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner wurden Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB getroffen. Die auf den Maßregelausspruch nach § 63 StGB beschränkte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des gesamten Urteils.

I.


2
Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer im Jahr 2007 manifest gewordenen paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Zudem besteht bei ihm ein schädlicher Gebrauch von Alkohol.
3
Am Nachmittag des 6. November 2011 gegen 16.50 Uhr riss der Angeklagte auf dem Parkplatz eines Supermarktes die Fahrertür eines dort abgestellten Pkw BMW 330 CICP auf und sagte zu dem in seinem Fahrzeug sitzenden Zeugen F. und dessen Freundin, der Zeugin M. , in bestimmtem Ton: „Aussteigen“. Da der Angeklagte beide Hände in den Taschen seiner Jacke stecken hatte, befürchteten die Zeugen, dass er eine Waffe bei sich führe und verließen das Fahrzeug. Der erheblich alkoholisierte Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz und fuhr davon. Den Pkw des Zeugen F. wollte er für sich behalten, weil es sein „Traumauto“ war. Aufgrund der sofort eingeleiteten Fahndung wurde das entwendete Fahrzeug mit dem Angeklagten am Steuer schon nach kurzer Zeit von zwei Polizeistreifen auf einer öffentlichen Straße entdeckt. Während der anschließenden Verfolgungsfahrt missachtete der Angeklagte wiederholt Anhalteaufforderungen der ihm mit Blaulicht und Martinshorn nachfahrenden Polizeibeamten und vereitelte mehrere Überholversuche, indem er mit dem von ihm gesteuerten Pkw nach links oder rechts zog. Nachdem es dem Polizeibeamten S. doch gelungen war, sich mit seinem Fahrzeug vor den Angeklagten zu setzen, unternahm dieser nun seinerseits mehrere erfolglose Überholmanöver. Schließlich musste er auf einem Gehweg anhalten. Der Aufforderung zum Aussteigen kam der Angeklagte erst nach einem Warnschuss nach. Eine ihm um 18.35 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,51 Promille auf.
4
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Diebstahl (§ 242 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen angeschlossen. Danach „scheine“ bei dem Angeklagten neben dem Alko- holkonsum ein psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken („mein Vater ist Luzifer und mein Vater hat gesagt, ich solle das Auto entwenden“ ) im Rahmen seiner schizophrenen Erkrankung im Vordergrund gestanden zu haben. Die Intensität der Beeinträchtigung sei zu den Tatzeitpunkten so ausgeprägt gewesen, dass eine erheblich eingeschränkte Handlungs- und Steuerungsfähigkeit angenommen werden müsse. Eine vollständig aufgehobene Einsichts- und Steuerungsfähigkeit könne nicht ausgeschlossen werden, wenn man davon ausgehe, dass die dokumentierten Fremdbeeinflussungserlebnisse wirksam gewesen seien (UA 8). Die Prognose des Angeklagten müsse als ungünstig bezeichnet werden, weil seine Krankheitseinsicht und seine Therapiewilligkeit erheblichen Schwankungen unterworfen seien. Bei einer sofortigen Entlassung sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte seine Medikamente erneut absetzt und dadurch in psychotische Zustände gerät, in denen er – möglicherweise in suizidaler Absicht – Straftaten der vorliegenden Art begehen könnte. Das Landgericht geht davon aus, dass die Anlassdelikte „von erheblichem Gewicht“ waren. Insbesondere sei der Dieb- stahl in seiner Begehungsform einem Raub angenähert gewesen (UA 9).

II.


5
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232).
7
Die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Psychose führt nicht zwangsläufig zu der Feststellung einer generellen oder über längere Zeiträume andauernden gesicherten Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit. Es ist daher stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf sie zurückzuführen sind (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39; Beschluss vom 3. Juli 1991 – 3 StR 69/91, NStZ 1991, 527, 528).
8
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass bei dem Angeklagten ein auf seiner Schizophrenie beruhendes psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken im Vordergrund gestanden habe, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht wiedergegeben, sodass eine Überprüfung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8). Das in diesem Zusammenhang mitgeteilte Wahnerleben („mein Vater ist Luzifer und mein Vater hat gesagt, ich solle das Auto entwenden“) ist mit dem festgestellten Motiv für den Diebstahl des Pkw („Traumauto“) unvereinbar. Da dieser Beweggrund offenkundig nicht in einem Zusammenhang mit der Grunderkrankung des Angeklagten steht, sind die Feststellungen des Landgerichts an dieser Stelle mehrdeutig. Konkrete Ausführungen zu der Frage, wie sich die psychische Erkrankung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten während der anschließenden Trunkenheitsfahrt und der Polizeiflucht ausgewirkt hat, fehlen ganz. Schließlich war es auch rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht mit dem Sachverständigen eine gleichzeitige Aufhebung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit für möglich gehalten hat (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8; Beschluss vom 9. September 1986 – 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1).
9
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZRR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
11
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat keine die Biographie des Angeklagten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung vorgenommen. In diesem Zusammenhang hätte erörtert werden müssen, dass der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2007 manifest erkrankt ist, ohne strafrechtlich in Erscheinung getreten zu sein. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Die Wertung des Landgerichts, wonach sämtliche Anlassdelikte von einem erheblichen Gewicht waren, wird durch die festgestellten Tatumstände nicht belegt. Eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB kann nicht ohne weiteres der mittleren Kriminalität zugeordnet werden (vgl. MK-StGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 63 Rn. 55). Sie ist erst bei einer zu erwartenden besonderen Häufung oder bei außergewöhnlichen – hier nicht festgestellten – Tatumständen erheblich. Der festgestellte Widerstand hat zu keiner Zeit zu einer Gefährdung der eingesetzten Polizeibeamten geführt und war daher ebenfalls nicht als eine schwere Störung des Rechtsfriedens anzusehen.

III.


12
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
1. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben , hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drs. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 11; Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, Rn. 9).
14
2. Die Beschränkung der Revision des Angeklagten auf die Maßregelanordnung ist unwirksam, weil die Unterbringung nach § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlichrechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Da nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr eine Bestrafung des Angeklagten möglich ist, wenn sich seine Schuldfähigkeit herausstellen sollte, lässt sich die Wirksamkeit einer isolierten Anfechtung der Maßregelanordnung nicht mehr mit der Erwägung rechtfertigen, dass aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) unabhängig von der Bewertung der Schuldfrage in jedem Fall wieder auf Freispruch erkannt werden müsste (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1953 – 3 StR 620/53, BGHSt 5, 267, 268). Der Senat braucht an dieser Stelle nicht zu entscheiden, ob § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO eine isolierte Anfechtung der Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auch dann hindert, wenn die den Freispruch tragende Schuldunfähigkeit des Angeklagten feststeht und nur die der Maßregelanordnung zugrunde liegende Gefährlichkeitsprognose zu überprüfen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1963 – 5 StR 13/63, NJW 1963, 1414, 1415).
Mutzbauer Cierniak Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 504/12
vom
20. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 9. Juli 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Vollzug der Unterbringung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
2
Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte mehrere Taten der vorsätzlichen Sachbeschädigung begangen und einmal den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verwirklicht hat.
4
Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das Landgericht ausgeführt:
5
"Der Angeklagte leidet unter einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, welche derzeit zwar remittiert ist, zum Tatzeitpunkt aber floride war. Aufgrund dessen war er in seiner Einsichtsfähigkeit mit Sicherheit eingeschränkt, eine vollständige Aufhebung seiner Einsichtsfähigkeit kann aufgrund dessen Erkrankung nicht ausgeschlossen werden" (UA S. 5).
6
Beim Angeklagten sei auch schon eine Negativsymptomatik, wie Verwahrlosung und soziale Rückzugstendenzen, festzustellen. Des Weiteren lägen auch paranoide Erlebnisweisen vor in Form von Beeinträchtigungs- und Verfolgungsgedanken mit dem subjektiven Gefühl, bedroht zu werden (UA S. 10).

II.

7
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
8
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 mwN).
9
Es ist dabei stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf sie zurückzuführen sind (BGH aaO mwN).
10
Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht der Auffassung ist, bereits mit der Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit seien die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB gegeben. Dies trifft indes nicht zu.
11
Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung , wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 1 StR 332/12 mwN).
12
Der Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war - voll schuldfähig.
13
In einem solchen Fall ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig.
14
Allein auf die Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit kann eine Unterbringung nach § 63 StGB deshalb nicht gestützt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2005 - 3 StR 3/05 mwN).
15
Im vorliegenden Fall lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass dem Angeklagten bei der Begehung der Tat die Unrechtseinsicht vollständig gefehlt hat. Der Tatrichter hat schon nicht im Einzelnen dargelegt, wie sich die Erkrankung des Angeklagten in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichtsfähigkeit ausgewirkt hat. Hin- sichtlich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hat er vielmehr festgestellt , dass der Angeklagte die Beamten als Amtsträger erkannt hat und sich auch des Umstandes bewusst war, dass diese im Begriff waren, eine rechtmäßige Amtshandlung vorzunehmen (UA S. 5).
16
Bei der Gefährlichkeitsprognose stellt der Tatrichter u.a. darauf ab, dass beim Angeklagten nicht die erforderlichen Hemmungsmechanismen vorlägen und er nicht in der Lage sei, inneren Regungen entsprechende Hemmungen in adäquater Weise entgegenzusetzen (UA S. 13). Diese Überlegungen könnten eher auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hindeuten.
17
Der Senat kann daher nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht.
18
Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Insoweit war die Revision zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

III.

19
Aufzuheben war allerdings auch der Freispruch.
20
Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben , hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anord- nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 mwN).

IV.

21
Der neue Tatrichter wird, wenn er erneut zur Erörterung der Voraussetzungen des § 63 StGB gelangt, Gelegenheit haben näher darzulegen, weshalb konkret eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung erheblicher - über Belästigungen hinausgehender - rechtswidriger Taten besteht.
22
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann auch die etwaige Bestellung eines Betreuers berücksichtigt werden (vgl. hierzu die Rechtsprechungshinweise bei Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, Rn. 23b zu § 63).
23
Es darf allerdings nicht - wie im angefochtenen Urteil - zu Lasten des Angeklagten in die Gesamtwürdigung einbezogen werden, dass der Angeklagte sich für eine andere Person ausgibt und hier auch nicht die geringste Übernahme von Verantwortung für seine Taten zeigt (UA S. 15). Denn zum einen liegt ein zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten vor. Zum anderen ist eine solche Überlegung jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht zuvor (UA S. 6) zugunsten des Angeklagten unterstellt hat, dass er krank- heitsbedingt meint, jemand anderes zu sein. Dann darf ihm dies nicht angelastet werden. Nack Rothfuß Jäger Sander Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 654/12
vom
6. März 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zu den äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und den Vollzug dieser Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die Beschuldigte die Verletzung von § 261 StPO geltend macht, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Januar 2013 genannten Gründen ohne Erfolg.

II.


3
Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt belegt allerdings nicht die Voraussetzungen der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer leidet die Beschuldigte an einer sog. Erotomanie („isolierter Liebeswahn“), die das sachverständig berate- ne Tatgericht als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB wertet. Aufgrund dieses Liebeswahns, der sich auf den Geschädigten Dr. H. , einen Gynäkologen, der die Beschuldigte früher mehrfach behandelt hatte, bezieht, seien bei dieser im Zeitpunkt der Begehung der Anlass- taten „sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit“ erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen. Es liege bei der Beschuldigten ein chronifizierter Wahn vor. Ihr zentrales Wahnthema bestehe darin, dass eine andere Person (Dr. H. ) geliebt werde und die Beschuldigte davon ausgehe, von dieser Person ebenfalls geliebt zu werden.
5
Als Anlasstaten hat das Tatgericht einen Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz jeweils in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung (Fall 1) sowie zwei weitere Fälle von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz (Fälle 2 und 3) festgestellt. Dabei beruhen die Verstöße in den Fällen 2 und 3 darauf, dass die Beschuldigte unter Missachtung des ihr durch das Amtsgericht Mühlburg erteilten Kontaktverbots dem Geschädigten eine Karte bzw. einen Brief zukommen ließ. Letzteren warf sie selbst in den Briefkasten des Hauses von Dr. H. ein, obwohl sie sich diesem wegen des Kontaktverbots nicht auf weniger als 100 Meter nähern durfte. Im Fall 1 hinderte sie Dr. H. am Verlassen des Klinikums in M. , indem sie ihm den Weg versperrte und ihm in die Haare und an die Jacke griff. Nachdem es diesem gelungen war, sich in das Gebäude zurückzuziehen, folgte ihm die Beschuldigte und hinderte ihn daran, telefonisch die Polizei zu verständigen. Darüber hinaus zog sie Dr. H. an den Haaren sowie am Bart und versetzte ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Zudem bezeichnete sie den Geschädigten als „arrogantes Arschloch“. Er erlitt eine Distorsion an der rechten Schulter. Es trat eine schmerzhafte Irritation der Kopfhaut ein.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Anlasstat bzw. der Anlasstaten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246). Es muss seitens des Tatgerichts im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Dem angefochtenen Urteil lässt sich weder hinreichend entnehmen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest sicher erheblich vermindert schuldfähig war, noch, in welcher Weise sich die zugrunde gelegte psychische Störung, der isolierte Liebeswahn, konkret auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat.
9
aa) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob bereits die Annahme , bei der Begehung der Anlasstaten seien sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten „erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen“, zur Aufhebung des Urteils führen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
10
bb) Unabhängig davon hat das Tatgericht nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig, zumindest aber sicher erheblich vermindert schuldfähig war. Das angefochtene Urteil beschränkt sich - gestützt auf das Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen - auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten bestehe ein als krankhafte seelische Störung eingeordneter isolierter Liebeswahn, der chronifiziert sei und weiter fortbestehe. Auf welchen Anknüpfungstatsachen die Einschätzung des Sachverständigen beruht, wird ebenso wenig dargelegt wie die von diesem herangezogenen „eigen- und fremdamnestischen Angaben“. Mehr als das von dem Gutachter erzielte Ergebnis zu der Art der psychischen Störung und deren Zuordnung zur „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von § 20 StGB lässt sich dem Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.
11
Damit wird dem Senat aber nicht ermöglicht, das Gutachten nachzuvollziehen und seine Schlüssigkeit zu beurteilen. Dies wäre aber erforderlich ge- wesen (BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242 mwN). Aus der vom Sachverständigen verwendeten und vom Tatgericht übernommenen Bezeichnung der Störung als „Erotomanie“ (isolierter Liebes- wahn) lässt sich zudem nicht erkennen, um welche Art von Erkrankung es sich bei der Beschuldigten konkret handelt. Der Liebeswahn als solcher ist in den anerkannten Klassifizierungsinstrumenten wie dem ICD 10 nicht erfasst. Die von dem Sachverständigen als Erotomanie bezeichnete, als Wahn beschriebene Störung mag sich als schizophrene Psychose (ICD 10 F 20.3; siehe BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12) darstellen und kann dann je nach konkretem Krankheitsbild zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH aaO). Das Urteil enthält jedoch keine genauere Einordnung. Die im Rahmen der Angaben zur Person der Beschuldigten getroffene Feststellung, diese „stehe seit einiger Zeit unter nervenärztlicher Behandlung“ und werde mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt, enthält keine Hinweise, dass diese ambulante nervenärztliche Behandlung auf dem angenommenen „Liebeswahn“ beruht. Zu dem Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten hat das Tatgericht überdies keine näheren Feststellungen getroffen.
12
Vor allem aber lässt das Urteil nähere Feststellungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung der Beschuldigten auf deren Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Anlasstaten vermissen. Gerade mit dieser Frage muss sich der Tatrichter aber in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinandersetzen (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 und vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, ist das Tatgericht ge- halten, zu klären und in nachvollziehbarer Weise darzulegen, ob dem Täter bei Begehung der Anlasstaten bereits die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder ob er lediglich sich nicht entsprechend der noch vorhandenen Einsichtsfähigkeit zu steuern vermochte (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Dazu muss der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Anlasstaten im Hinblick auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgezeigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012, NStZ-RR 2012, 306, 307).
13
Entgegen diesen Anforderungen beschränkt sich das angefochtene Ur- teil auf die pauschale Mitteilung, durch die bei der Beschuldigten „krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität“ sei die Einsichts- und Steuerungsfä- higkeit erheblich eingeschränkt, möglicherweise sogar aufgehoben gewesen.
14
Das belegt weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch diejenigen des § 21 StGB.
15
Es ist bereits nicht zu erkennen, worauf sich die Fehlbeurteilung der Realität konkret bezieht. Soweit damit auf die (wahnhafte) Vorstellung einer Erwiderung ihrer Liebe durch Dr. H. abgestellt werden sollte, fehlt jegliche Darlegung der Auswirkungen dieser Fehlbeurteilung auf die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten. Da das Tatgericht bei den insoweit zutreffend als Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz gewerteten Kontaktaufnahmen der Beschuldigten zu Dr. H. durch eine Weihnachtskarte bzw. einen Brief (Fälle 2 und 3) der jeweilige Inhalt nicht mitgeteilt wird, kann der Senat auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht erkennen, ob ein spezifischer Zusammenhang zwischen der angenommenen psychischen Störung und den Anlasstaten ohne weiteres vorlag und es deshalb ausnahmsweise näherer Darlegungen dazu nicht bedurfte.
16
b) Die vom Tatgericht getroffenen (kursorischen) Feststellungen belegen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit der Beschuldigten, nicht hinreichend.
17
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
18
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
19
Die festgestellten Anlasstaten bewegen sich lediglich, ungeachtet der mit dem Verhalten der Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen der Lebensführung des geschädigten Dr. H. , am unteren Rand der mittleren Kriminalität. Die im Fall 1 begangene Körperverletzung war mit nur geringer Gewaltanwendung verbunden und überschritt im Hinblick auf das Ziehen an Bart- und Haupthaar nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Da das Tatgericht auf der Grundlage der wiederum lediglich im Ergebnis mitgeteilten Erkenntnisse des Sachverständigen auch zukünftig mit den Anlasstaten gleichgelagerten , jedenfalls nicht erheblich über diese hinausgehenden Straftaten rechnet, bedurfte es nach dem genannten Maßstab im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose näherer Ausführungen zu der Persönlichkeit der Beschuldigten und ihrer Erkrankung einschließlich deren bisherigen Verlaufs. Dazu verhält sich das Urteil aber nicht ausreichend.
20
3. Eine Ablehnung des Antrags auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Senat (§ 414 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO) kommt nicht in Betracht.
21
a) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei weitergehenden Feststellungen zu der bei der Beschuldigten vorhandenen psychischen Störung, ihrer Einordnung unter die Merkmale der §§ 20, 21 StGB und zu den Auswirkungen der Erkrankung auf die Begehung der Taten sowie zu der Gefährlichkeitsprognose die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel aus § 63 StGB ergeben. Sollte auch das neue Tatgericht mit sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangen, von der Beschuldigten seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit dem Gewicht der bisherigen zu erwarten, stünde dies der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht von vornherein entgegen. Wie ausgeführt, bedarf es dann aber näherer Ausführungen dazu, dass es sich um Taten handeln wird, mit denen eine schwere Störung des Rechtsfriedens einhergeht.
22
Angesichts der nur wenig umfänglichen Feststellungen zu der Erkrankung der Beschuldigten kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten lediglich erheblich vermindert oder nicht in rechtlich relevanter Weise ausgeschlossen war. Sollte sich für den neuen Tatrichter ergeben, dass die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten bestand, also deren Bestrafung - und gegebenenfalls zusätzlich deren Unterbringung gemäß § 63 StGB - in Betracht kommt, erinnert der Senat an die von § 416 Abs. 1 und 2 StPO vorgesehene Verfahrensweise.
23
b) Einer Aufhebung der Feststellungen zu dem jeweiligen äußeren Geschehen der Anlasstaten bedarf es nicht. Diese hat das Tatgericht an sich zutreffend festgestellt. Allerdings wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, bezüglich der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz in allen drei Fällen über die wirksame gerichtliche Anordnung eines Kontaktverbots und die Kenntnis der Beschuldigten davon ergänzende Feststellungen, auch zu der wirksamen Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Anordnungen, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 GewSchG auch von einer wirksamen Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ab (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/11, NStZ 2013, 108 f. mwN).
24
Der Senat besorgt nicht, dass die insoweit gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung zu einem (teilweisen) Wegfall der Anlasstaten führt.
Richter am BGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Cirener Radtke

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 139/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Mai 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie des versuchten Diebstahls freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund einer chronifizierten und zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des in zwei Fällen tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem Zustand, in dem sowohl seine Einsichts- als auch seine Steue- rungsfähigkeit auf motivationaler Ebene vollständig aufgehoben waren (§ 20 StGB), während er sich bei Begehung des versuchten Diebstahls in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand, wobei eine völlige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge seines Zustandes und des dadurch bedingten Wahnerlebens seien auch in Zukunft erhebliche Straftaten , auch im Bereich von Gewalttaten, zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Maßregelvollzuges erfolgen.
3
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4
Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten sicher schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Ausschluss der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit angenommen hat (BGHR StGB § 63 Schuldfähigkeit 1; Fischer StGB 59. Aufl. § 21 Rn. 5; vgl. aber auch BGH NStZRR 2006, 167, 168). Es fehlt jedenfalls an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme eines jeweils akuten Schubs der Erkrankung und insbesondere auch eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten.
5
Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 39). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, StraFo 2004, 390 mwN). Die Strafkammer schließt sich insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs - und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Kammer darauf abgestellt haben, der Angeklagte habe aufgrund eines zum jeweiligen Tatzeitpunkt bestehenden "Wahnerlebens" (UA S. 18) bzw. er habe auf eine "subjektiv empfundene, gegebenenfalls auch wahnhaft wahrgenommene, Provokation hin" sein Verhalten nicht mehr "steuern" können, bzw. projiziere seine eigenen Aggressionen "in (vermeintlich) feindselige Handlungsformen anderer Personen" (UA S. 19), wird dies in den Urteilsgründen nicht belegt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten richteten sich gegen seine vormalige Freundin, die ihm eine gewünschte Aussprache verweigerte, gegen einen Passanten , der ihr beistehen wollte, gegen zwei Schüler, die zuvor Steinchen gegen das Auto des Angeklagten geworfen bzw. ihm Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen hatten, sowie gegen zwei Polizeibeamte, die in zwei Fällen hinzu kamen und den Angeklagten festnehmen wollten. Lediglich im Fall des versuchten Diebstahls lassen die Feststellungen erkennen, dass der Angeklagte offenkundig davon ausging, dass er ein Fahrzeug, das nicht erkennbar gebraucht werde, mitnehmen dürfe; auch dies weist entgegen der Annahme der Kammer aber nicht auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hin.
6
3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2011, 55 mwN).
Fischer Berger Krehl Eschelbach Ott

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 654/12
vom
6. März 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zu den äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und den Vollzug dieser Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die Beschuldigte die Verletzung von § 261 StPO geltend macht, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Januar 2013 genannten Gründen ohne Erfolg.

II.


3
Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt belegt allerdings nicht die Voraussetzungen der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer leidet die Beschuldigte an einer sog. Erotomanie („isolierter Liebeswahn“), die das sachverständig berate- ne Tatgericht als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB wertet. Aufgrund dieses Liebeswahns, der sich auf den Geschädigten Dr. H. , einen Gynäkologen, der die Beschuldigte früher mehrfach behandelt hatte, bezieht, seien bei dieser im Zeitpunkt der Begehung der Anlass- taten „sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit“ erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen. Es liege bei der Beschuldigten ein chronifizierter Wahn vor. Ihr zentrales Wahnthema bestehe darin, dass eine andere Person (Dr. H. ) geliebt werde und die Beschuldigte davon ausgehe, von dieser Person ebenfalls geliebt zu werden.
5
Als Anlasstaten hat das Tatgericht einen Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz jeweils in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung (Fall 1) sowie zwei weitere Fälle von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz (Fälle 2 und 3) festgestellt. Dabei beruhen die Verstöße in den Fällen 2 und 3 darauf, dass die Beschuldigte unter Missachtung des ihr durch das Amtsgericht Mühlburg erteilten Kontaktverbots dem Geschädigten eine Karte bzw. einen Brief zukommen ließ. Letzteren warf sie selbst in den Briefkasten des Hauses von Dr. H. ein, obwohl sie sich diesem wegen des Kontaktverbots nicht auf weniger als 100 Meter nähern durfte. Im Fall 1 hinderte sie Dr. H. am Verlassen des Klinikums in M. , indem sie ihm den Weg versperrte und ihm in die Haare und an die Jacke griff. Nachdem es diesem gelungen war, sich in das Gebäude zurückzuziehen, folgte ihm die Beschuldigte und hinderte ihn daran, telefonisch die Polizei zu verständigen. Darüber hinaus zog sie Dr. H. an den Haaren sowie am Bart und versetzte ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Zudem bezeichnete sie den Geschädigten als „arrogantes Arschloch“. Er erlitt eine Distorsion an der rechten Schulter. Es trat eine schmerzhafte Irritation der Kopfhaut ein.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Anlasstat bzw. der Anlasstaten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246). Es muss seitens des Tatgerichts im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Dem angefochtenen Urteil lässt sich weder hinreichend entnehmen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest sicher erheblich vermindert schuldfähig war, noch, in welcher Weise sich die zugrunde gelegte psychische Störung, der isolierte Liebeswahn, konkret auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat.
9
aa) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob bereits die Annahme , bei der Begehung der Anlasstaten seien sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten „erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen“, zur Aufhebung des Urteils führen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
10
bb) Unabhängig davon hat das Tatgericht nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig, zumindest aber sicher erheblich vermindert schuldfähig war. Das angefochtene Urteil beschränkt sich - gestützt auf das Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen - auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten bestehe ein als krankhafte seelische Störung eingeordneter isolierter Liebeswahn, der chronifiziert sei und weiter fortbestehe. Auf welchen Anknüpfungstatsachen die Einschätzung des Sachverständigen beruht, wird ebenso wenig dargelegt wie die von diesem herangezogenen „eigen- und fremdamnestischen Angaben“. Mehr als das von dem Gutachter erzielte Ergebnis zu der Art der psychischen Störung und deren Zuordnung zur „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von § 20 StGB lässt sich dem Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.
11
Damit wird dem Senat aber nicht ermöglicht, das Gutachten nachzuvollziehen und seine Schlüssigkeit zu beurteilen. Dies wäre aber erforderlich ge- wesen (BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242 mwN). Aus der vom Sachverständigen verwendeten und vom Tatgericht übernommenen Bezeichnung der Störung als „Erotomanie“ (isolierter Liebes- wahn) lässt sich zudem nicht erkennen, um welche Art von Erkrankung es sich bei der Beschuldigten konkret handelt. Der Liebeswahn als solcher ist in den anerkannten Klassifizierungsinstrumenten wie dem ICD 10 nicht erfasst. Die von dem Sachverständigen als Erotomanie bezeichnete, als Wahn beschriebene Störung mag sich als schizophrene Psychose (ICD 10 F 20.3; siehe BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12) darstellen und kann dann je nach konkretem Krankheitsbild zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH aaO). Das Urteil enthält jedoch keine genauere Einordnung. Die im Rahmen der Angaben zur Person der Beschuldigten getroffene Feststellung, diese „stehe seit einiger Zeit unter nervenärztlicher Behandlung“ und werde mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt, enthält keine Hinweise, dass diese ambulante nervenärztliche Behandlung auf dem angenommenen „Liebeswahn“ beruht. Zu dem Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten hat das Tatgericht überdies keine näheren Feststellungen getroffen.
12
Vor allem aber lässt das Urteil nähere Feststellungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung der Beschuldigten auf deren Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Anlasstaten vermissen. Gerade mit dieser Frage muss sich der Tatrichter aber in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinandersetzen (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 und vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, ist das Tatgericht ge- halten, zu klären und in nachvollziehbarer Weise darzulegen, ob dem Täter bei Begehung der Anlasstaten bereits die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder ob er lediglich sich nicht entsprechend der noch vorhandenen Einsichtsfähigkeit zu steuern vermochte (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Dazu muss der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Anlasstaten im Hinblick auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgezeigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012, NStZ-RR 2012, 306, 307).
13
Entgegen diesen Anforderungen beschränkt sich das angefochtene Ur- teil auf die pauschale Mitteilung, durch die bei der Beschuldigten „krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität“ sei die Einsichts- und Steuerungsfä- higkeit erheblich eingeschränkt, möglicherweise sogar aufgehoben gewesen.
14
Das belegt weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch diejenigen des § 21 StGB.
15
Es ist bereits nicht zu erkennen, worauf sich die Fehlbeurteilung der Realität konkret bezieht. Soweit damit auf die (wahnhafte) Vorstellung einer Erwiderung ihrer Liebe durch Dr. H. abgestellt werden sollte, fehlt jegliche Darlegung der Auswirkungen dieser Fehlbeurteilung auf die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten. Da das Tatgericht bei den insoweit zutreffend als Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz gewerteten Kontaktaufnahmen der Beschuldigten zu Dr. H. durch eine Weihnachtskarte bzw. einen Brief (Fälle 2 und 3) der jeweilige Inhalt nicht mitgeteilt wird, kann der Senat auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht erkennen, ob ein spezifischer Zusammenhang zwischen der angenommenen psychischen Störung und den Anlasstaten ohne weiteres vorlag und es deshalb ausnahmsweise näherer Darlegungen dazu nicht bedurfte.
16
b) Die vom Tatgericht getroffenen (kursorischen) Feststellungen belegen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit der Beschuldigten, nicht hinreichend.
17
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
18
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
19
Die festgestellten Anlasstaten bewegen sich lediglich, ungeachtet der mit dem Verhalten der Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen der Lebensführung des geschädigten Dr. H. , am unteren Rand der mittleren Kriminalität. Die im Fall 1 begangene Körperverletzung war mit nur geringer Gewaltanwendung verbunden und überschritt im Hinblick auf das Ziehen an Bart- und Haupthaar nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Da das Tatgericht auf der Grundlage der wiederum lediglich im Ergebnis mitgeteilten Erkenntnisse des Sachverständigen auch zukünftig mit den Anlasstaten gleichgelagerten , jedenfalls nicht erheblich über diese hinausgehenden Straftaten rechnet, bedurfte es nach dem genannten Maßstab im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose näherer Ausführungen zu der Persönlichkeit der Beschuldigten und ihrer Erkrankung einschließlich deren bisherigen Verlaufs. Dazu verhält sich das Urteil aber nicht ausreichend.
20
3. Eine Ablehnung des Antrags auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Senat (§ 414 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO) kommt nicht in Betracht.
21
a) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei weitergehenden Feststellungen zu der bei der Beschuldigten vorhandenen psychischen Störung, ihrer Einordnung unter die Merkmale der §§ 20, 21 StGB und zu den Auswirkungen der Erkrankung auf die Begehung der Taten sowie zu der Gefährlichkeitsprognose die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel aus § 63 StGB ergeben. Sollte auch das neue Tatgericht mit sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangen, von der Beschuldigten seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit dem Gewicht der bisherigen zu erwarten, stünde dies der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht von vornherein entgegen. Wie ausgeführt, bedarf es dann aber näherer Ausführungen dazu, dass es sich um Taten handeln wird, mit denen eine schwere Störung des Rechtsfriedens einhergeht.
22
Angesichts der nur wenig umfänglichen Feststellungen zu der Erkrankung der Beschuldigten kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten lediglich erheblich vermindert oder nicht in rechtlich relevanter Weise ausgeschlossen war. Sollte sich für den neuen Tatrichter ergeben, dass die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten bestand, also deren Bestrafung - und gegebenenfalls zusätzlich deren Unterbringung gemäß § 63 StGB - in Betracht kommt, erinnert der Senat an die von § 416 Abs. 1 und 2 StPO vorgesehene Verfahrensweise.
23
b) Einer Aufhebung der Feststellungen zu dem jeweiligen äußeren Geschehen der Anlasstaten bedarf es nicht. Diese hat das Tatgericht an sich zutreffend festgestellt. Allerdings wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, bezüglich der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz in allen drei Fällen über die wirksame gerichtliche Anordnung eines Kontaktverbots und die Kenntnis der Beschuldigten davon ergänzende Feststellungen, auch zu der wirksamen Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Anordnungen, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 GewSchG auch von einer wirksamen Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ab (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/11, NStZ 2013, 108 f. mwN).
24
Der Senat besorgt nicht, dass die insoweit gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung zu einem (teilweisen) Wegfall der Anlasstaten führt.
Richter am BGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Cirener Radtke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 654/12
vom
6. März 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zu den äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und den Vollzug dieser Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die Beschuldigte die Verletzung von § 261 StPO geltend macht, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Januar 2013 genannten Gründen ohne Erfolg.

II.


3
Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt belegt allerdings nicht die Voraussetzungen der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer leidet die Beschuldigte an einer sog. Erotomanie („isolierter Liebeswahn“), die das sachverständig berate- ne Tatgericht als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB wertet. Aufgrund dieses Liebeswahns, der sich auf den Geschädigten Dr. H. , einen Gynäkologen, der die Beschuldigte früher mehrfach behandelt hatte, bezieht, seien bei dieser im Zeitpunkt der Begehung der Anlass- taten „sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit“ erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen. Es liege bei der Beschuldigten ein chronifizierter Wahn vor. Ihr zentrales Wahnthema bestehe darin, dass eine andere Person (Dr. H. ) geliebt werde und die Beschuldigte davon ausgehe, von dieser Person ebenfalls geliebt zu werden.
5
Als Anlasstaten hat das Tatgericht einen Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz jeweils in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung (Fall 1) sowie zwei weitere Fälle von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz (Fälle 2 und 3) festgestellt. Dabei beruhen die Verstöße in den Fällen 2 und 3 darauf, dass die Beschuldigte unter Missachtung des ihr durch das Amtsgericht Mühlburg erteilten Kontaktverbots dem Geschädigten eine Karte bzw. einen Brief zukommen ließ. Letzteren warf sie selbst in den Briefkasten des Hauses von Dr. H. ein, obwohl sie sich diesem wegen des Kontaktverbots nicht auf weniger als 100 Meter nähern durfte. Im Fall 1 hinderte sie Dr. H. am Verlassen des Klinikums in M. , indem sie ihm den Weg versperrte und ihm in die Haare und an die Jacke griff. Nachdem es diesem gelungen war, sich in das Gebäude zurückzuziehen, folgte ihm die Beschuldigte und hinderte ihn daran, telefonisch die Polizei zu verständigen. Darüber hinaus zog sie Dr. H. an den Haaren sowie am Bart und versetzte ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Zudem bezeichnete sie den Geschädigten als „arrogantes Arschloch“. Er erlitt eine Distorsion an der rechten Schulter. Es trat eine schmerzhafte Irritation der Kopfhaut ein.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Anlasstat bzw. der Anlasstaten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246). Es muss seitens des Tatgerichts im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Dem angefochtenen Urteil lässt sich weder hinreichend entnehmen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest sicher erheblich vermindert schuldfähig war, noch, in welcher Weise sich die zugrunde gelegte psychische Störung, der isolierte Liebeswahn, konkret auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat.
9
aa) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob bereits die Annahme , bei der Begehung der Anlasstaten seien sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten „erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen“, zur Aufhebung des Urteils führen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
10
bb) Unabhängig davon hat das Tatgericht nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig, zumindest aber sicher erheblich vermindert schuldfähig war. Das angefochtene Urteil beschränkt sich - gestützt auf das Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen - auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten bestehe ein als krankhafte seelische Störung eingeordneter isolierter Liebeswahn, der chronifiziert sei und weiter fortbestehe. Auf welchen Anknüpfungstatsachen die Einschätzung des Sachverständigen beruht, wird ebenso wenig dargelegt wie die von diesem herangezogenen „eigen- und fremdamnestischen Angaben“. Mehr als das von dem Gutachter erzielte Ergebnis zu der Art der psychischen Störung und deren Zuordnung zur „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von § 20 StGB lässt sich dem Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.
11
Damit wird dem Senat aber nicht ermöglicht, das Gutachten nachzuvollziehen und seine Schlüssigkeit zu beurteilen. Dies wäre aber erforderlich ge- wesen (BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242 mwN). Aus der vom Sachverständigen verwendeten und vom Tatgericht übernommenen Bezeichnung der Störung als „Erotomanie“ (isolierter Liebes- wahn) lässt sich zudem nicht erkennen, um welche Art von Erkrankung es sich bei der Beschuldigten konkret handelt. Der Liebeswahn als solcher ist in den anerkannten Klassifizierungsinstrumenten wie dem ICD 10 nicht erfasst. Die von dem Sachverständigen als Erotomanie bezeichnete, als Wahn beschriebene Störung mag sich als schizophrene Psychose (ICD 10 F 20.3; siehe BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12) darstellen und kann dann je nach konkretem Krankheitsbild zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH aaO). Das Urteil enthält jedoch keine genauere Einordnung. Die im Rahmen der Angaben zur Person der Beschuldigten getroffene Feststellung, diese „stehe seit einiger Zeit unter nervenärztlicher Behandlung“ und werde mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt, enthält keine Hinweise, dass diese ambulante nervenärztliche Behandlung auf dem angenommenen „Liebeswahn“ beruht. Zu dem Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten hat das Tatgericht überdies keine näheren Feststellungen getroffen.
12
Vor allem aber lässt das Urteil nähere Feststellungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung der Beschuldigten auf deren Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Anlasstaten vermissen. Gerade mit dieser Frage muss sich der Tatrichter aber in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinandersetzen (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 und vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, ist das Tatgericht ge- halten, zu klären und in nachvollziehbarer Weise darzulegen, ob dem Täter bei Begehung der Anlasstaten bereits die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder ob er lediglich sich nicht entsprechend der noch vorhandenen Einsichtsfähigkeit zu steuern vermochte (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Dazu muss der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Anlasstaten im Hinblick auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgezeigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012, NStZ-RR 2012, 306, 307).
13
Entgegen diesen Anforderungen beschränkt sich das angefochtene Ur- teil auf die pauschale Mitteilung, durch die bei der Beschuldigten „krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität“ sei die Einsichts- und Steuerungsfä- higkeit erheblich eingeschränkt, möglicherweise sogar aufgehoben gewesen.
14
Das belegt weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch diejenigen des § 21 StGB.
15
Es ist bereits nicht zu erkennen, worauf sich die Fehlbeurteilung der Realität konkret bezieht. Soweit damit auf die (wahnhafte) Vorstellung einer Erwiderung ihrer Liebe durch Dr. H. abgestellt werden sollte, fehlt jegliche Darlegung der Auswirkungen dieser Fehlbeurteilung auf die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten. Da das Tatgericht bei den insoweit zutreffend als Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz gewerteten Kontaktaufnahmen der Beschuldigten zu Dr. H. durch eine Weihnachtskarte bzw. einen Brief (Fälle 2 und 3) der jeweilige Inhalt nicht mitgeteilt wird, kann der Senat auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht erkennen, ob ein spezifischer Zusammenhang zwischen der angenommenen psychischen Störung und den Anlasstaten ohne weiteres vorlag und es deshalb ausnahmsweise näherer Darlegungen dazu nicht bedurfte.
16
b) Die vom Tatgericht getroffenen (kursorischen) Feststellungen belegen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit der Beschuldigten, nicht hinreichend.
17
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
18
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
19
Die festgestellten Anlasstaten bewegen sich lediglich, ungeachtet der mit dem Verhalten der Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen der Lebensführung des geschädigten Dr. H. , am unteren Rand der mittleren Kriminalität. Die im Fall 1 begangene Körperverletzung war mit nur geringer Gewaltanwendung verbunden und überschritt im Hinblick auf das Ziehen an Bart- und Haupthaar nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Da das Tatgericht auf der Grundlage der wiederum lediglich im Ergebnis mitgeteilten Erkenntnisse des Sachverständigen auch zukünftig mit den Anlasstaten gleichgelagerten , jedenfalls nicht erheblich über diese hinausgehenden Straftaten rechnet, bedurfte es nach dem genannten Maßstab im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose näherer Ausführungen zu der Persönlichkeit der Beschuldigten und ihrer Erkrankung einschließlich deren bisherigen Verlaufs. Dazu verhält sich das Urteil aber nicht ausreichend.
20
3. Eine Ablehnung des Antrags auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Senat (§ 414 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO) kommt nicht in Betracht.
21
a) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei weitergehenden Feststellungen zu der bei der Beschuldigten vorhandenen psychischen Störung, ihrer Einordnung unter die Merkmale der §§ 20, 21 StGB und zu den Auswirkungen der Erkrankung auf die Begehung der Taten sowie zu der Gefährlichkeitsprognose die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel aus § 63 StGB ergeben. Sollte auch das neue Tatgericht mit sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangen, von der Beschuldigten seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit dem Gewicht der bisherigen zu erwarten, stünde dies der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht von vornherein entgegen. Wie ausgeführt, bedarf es dann aber näherer Ausführungen dazu, dass es sich um Taten handeln wird, mit denen eine schwere Störung des Rechtsfriedens einhergeht.
22
Angesichts der nur wenig umfänglichen Feststellungen zu der Erkrankung der Beschuldigten kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten lediglich erheblich vermindert oder nicht in rechtlich relevanter Weise ausgeschlossen war. Sollte sich für den neuen Tatrichter ergeben, dass die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten bestand, also deren Bestrafung - und gegebenenfalls zusätzlich deren Unterbringung gemäß § 63 StGB - in Betracht kommt, erinnert der Senat an die von § 416 Abs. 1 und 2 StPO vorgesehene Verfahrensweise.
23
b) Einer Aufhebung der Feststellungen zu dem jeweiligen äußeren Geschehen der Anlasstaten bedarf es nicht. Diese hat das Tatgericht an sich zutreffend festgestellt. Allerdings wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, bezüglich der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz in allen drei Fällen über die wirksame gerichtliche Anordnung eines Kontaktverbots und die Kenntnis der Beschuldigten davon ergänzende Feststellungen, auch zu der wirksamen Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Anordnungen, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 GewSchG auch von einer wirksamen Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ab (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/11, NStZ 2013, 108 f. mwN).
24
Der Senat besorgt nicht, dass die insoweit gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung zu einem (teilweisen) Wegfall der Anlasstaten führt.
Richter am BGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 550/10
vom
2. März 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. März 2011,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. Juli 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zwei Messer eingezogen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Der zur Tatzeit 27 Jahre alte Beschuldigte steht seit dem Jahre 2005 unter Betreuung und war schon mehrfach aufgrund gerichtlicher Anordnung, erstmals im Jahre 2004, zuletzt in der Zeit von 6. Juli bis 12. August 2009, in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Dabei wurde eine weitgehend unbehandelte paranoid halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Der Beschuldigte ist wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz , das Waffengesetz und wegen Sachbeschädigung vorbe- straft. Eine Tätlichkeit gegenüber dem Vater im Jahr 2005 hat nicht zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt.
3
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts beobachtete der gegenüber einer Schule wohnende Beschuldigte in der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 2009 nach seiner Vorstellung, dass in dem Schulgebäude die Lampen ausgegangen seien, eine "Knallerei" stattfinde und sich andere Lehrer als sonst dort aufhielten. Die von ihm verständigte Polizei ging der Sache nicht nach. Am Morgen sprach der Beschuldigte einen Schüler an, der vor dem Fenster seiner Wohnung seinen Roller geparkt hatte, und erklärte ihm, er solle nicht in die Schule gehen, weil dort gleich ein "Gemetzel" stattfinden werde. Über diesen Schüler und die Schulleitung wurde die Polizei gerufen, die sodann den Beschuldigten in seiner Wohnung aufsuchte. Der Aufforderung der Polizeibeamten , seinen Personalausweis zu zeigen, kam der Beschuldigte, der einen verwirrten Eindruck machte und die Hände in seinen Hosentaschen hielt, nicht nach. Als er schließlich nach weiterer Aufforderung ein Messer aus der Hosentasche zog, wollten ihn die Polizeibeamten abtasten. Hiergegen sträubte sich der Beschuldigte, weshalb es zu einer Rangelei kam, in deren Verlauf die Beteiligten zu Boden gingen. Dabei verletzte sich eine Polizeibeamtin an einem abgebrochenen , scharfkantigen Kühlschrankgriff an ihrem linken Handrücken. Bei dem Beschuldigten, der aufgrund des Vorfalls seit 28. Mai 2010 einstweilen untergebracht ist, wurden zwei Messer sichergestellt.
4
Nach Ansicht der Kammer befand sich der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt im Zustand einer akuten paranoid halluzinatorischen Psychose, wodurch sowohl seine Steuerungs- als auch seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein sollen.
5
b) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte objektive Verstöße gegen das Waffengesetz begangen, zudem den objektiven Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt und im Übrigen im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB gehandelt hat. Es hat aufgrund dessen die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Eine Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Tat ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Bei dem Beschuldigten, der keinerlei Krankheitseinsicht zeige, liege das chronifizierte Vollbild einer schizophrenen Psychose vor, die durch langjährigen Drogenkonsum verstärkt werde. Auch sei bei ihm eine latente Fremdaggressivität festzustellen. Bei der Auswertung der Betreuungsakte durch die angehörte Sachverständige habe sich ergeben, dass der Beschuldigte schon früher angegeben habe, seine Angstzustände riefen bei ihm eine Verteidigungsbereitschaft hervor, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Entsprechendes habe er gegenüber der Sachverständigen zur Anlasstat erklärt. Er habe angegeben, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Weiter sei festzustellen, dass sich der Beschuldigte seit einiger Zeit bewaffne und bereits Aggressivität gegenüber Sachen gezeigt habe. Daraus habe die Sachverständige auch für die Kammer nachvollziehbar abgeleitet, dass der Beschuldigte wahrscheinlich zukünftig auch schwerwiegende Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte, begehen werde, wenn er sich aufgrund seines Verfolgungswahns bedroht fühle.
6
Die Unterbringung, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sei anzuordnen, obwohl die Anlasstat selbst keine erhebliche rechtswidrige Tat sei. Dies sei auch nicht erforderlich. Vonnöten sei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung, die im Falle des Beschuldigten eine reale Gefahr ergebe, dass er zukünftig bei psychotischen Schüben auch Waffen gegen Personen einsetzen werde.
7
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Eine derartige Maßregel beschwert den Betroffenen außerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, dass von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BGHR StGB § 63 Ablehnung 1, Gefährlichkeit 8, 26; BGH NStZ 2002, 590; NStZ-RR 2009, 169).
9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt zwar nicht grundsätzlich voraus, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Sind diese wie die hier festgestellten Taten des Beschuldigten (vgl. für den Verstoß gegen § 113 StGB BGH StV 1992, 571) ihrem Gewicht nach nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, bedarf die Gefährlichkeitsprognose aber besonders sorgfältiger Darlegung. Daran fehlt es vorliegend. Die zu knappen und oberflächlichen Erwägungen der Kammer, die eine eingehende Würdigung der Person des Beschuldigten, insbesondere seiner Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstat vermissen lassen, tragen die Gefährlichkeitsprognose nicht.
10
Die Kammer stützt sich bei ihrer Annahme der Wahrscheinlichkeit auch schwerwiegender Straftaten neben einer insoweit wenig aussagekräftigen früheren einmaligen Gewalthandlung gegenüber einer Sache im Wesentlichen auf den festgestellten Besitz von Messern und auf die Selbsteinschätzung des Beschuldigten , die bei ihm auftretenden Angstzustände lösten eine Verteidigungsbereitschaft aus, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Dies allein lässt im konkreten Fall den Schluss auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Gewaltdelikten gegenüber Personen nicht zu. Das Landgericht spricht insoweit von einer "latenten" Fremdaggressivität. Eine lediglich latente Gefahr reicht aber für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10).
11
a) Zwar kann schon der Besitz von Waffen an sich die Besorgnis begründen , dass der Beschuldigte bereit sein könnte, diese auch einzusetzen; dies vor allem dann, wenn er den möglichen Einsatz dritten Personen gegenüber selbst einräumt. Das allein rechtfertigte eine Gefährlichkeitsprognose aber nur nach intensiver Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten sprechen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1993 - 5 StR 617/93). Zum einen hat die Kammer hier keinerlei Feststellungen dazu getroffen, weshalb der Beschuldigte, der sich im Übrigen während des gesamten in seiner Wohnung stattfindenden Vorfalls passiv verhalten hat, keine Anstalten gemacht hat, seine Waffe bei der festgestellten Anlasstat einzusetzen, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt in einer Situation befunden hat, in der nach den Ausführungen der Sachverständigen deren Einsatz zur Verteidigung zu erwarten gewesen wäre. Zum anderen hat sich die Kammer ersichtlich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Beschuldigte wegen Gewaltdelikten gegenüber außenstehenden Personen bisher nicht auffällig geworden ist, es lediglich einen schon mehr als fünf Jahre zurückliegenden Vorfall gibt, in dem der Beschuldigte seinen Vater mit einer Lampe geschlagen haben soll. Nähere Feststellungen zu Anlass, Entwicklung und Ausmaß dieses familiären Konflikts hat die Kammer nicht getroffen, so dass sich nicht absehen lässt, ob und inwieweit dieser Vorfall generelle Rück- schlüsse auf das künftige Verhalten des Beschuldigten gegenüber Familienmitgliedern und dritten Personen zulässt. Soweit der Beschuldigte im Übrigen unauffällig geblieben ist, hätte dies die Kammer nicht unerörtert lassen dürfen. Der Beschuldigte leidet zumindest seit dem Jahre 2005 an der festgestellten paranoid halluzinatorischen Psychose, hat sich in der Vergangenheit mehrfach Waffen wie Messer oder Stahlruten besorgt, ohne diese jemals gegen Personen eingesetzt zu haben. Eine progrediente Entwicklung der Erkrankung ist nicht festgestellt, so dass etwa auch im Zeitraum zwischen der Anlasstat im Dezember 2009 und der späteren vorläufigen Unterbringung im Mai 2010 offenbar kein auf die Gefährlichkeit des Beschuldigten hinweisender Vorfall feststellbar gewesen ist, obwohl die Erkrankung des Beschuldigten zwischenzeitlich nicht behandelt worden ist (vgl. UA S. 7).
12
b) Vor diesem Hintergrund hätten auch die Bekundungen des Beschuldigten gegenüber Dritten, er werde zu seiner Verteidigung auch Waffen einsetzen , nicht ohne Weiteres zur Annahme erhöhter Gefährlichkeit führen dürfen, sondern einer eingehenden Würdigung unterzogen werden müssen. Dabei hätte es nahe gelegen, sich nicht auf die bloße aktenmäßige Verwertung früherer Angaben zu beschränken, sondern hierzu die Sachverständigen, denen gegenüber entsprechende Äußerungen des Beschuldigten gefallen sein sollen, unmittelbar anzuhören. Sie hätten nicht nur nähere Angaben zu Einzelheiten des Gesprächs , insbesondere, wie und in welchem Zusammenhang es zu den Äußerungen des Beschuldigten gekommen sei, machen können. Sie hätten vor allem auch Auskünfte zum Anlass ihres Tätigwerdens und damit zur Krankheit des Beschuldigten und ihren Auswirkungen geben können. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit mehrfach zwangsweise untergebracht war. Warum dies jeweils geschehen ist, welche Auffälligkeiten zur Unterbringung geführt haben und welche Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung - mit oder ohne Erfolg - ergriffen worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Diese Umstände zur Krankheitsgeschichte des Beschuldigten, aus der sich wesentliche Hinweise auf die Ernsthaftigkeit der Bekundungen des Beschuldigten und allgemein auf die von ihm ausgehenden Gefahren ergeben könnten, hätte die Kammer bei der anstehenden Würdigung berücksichtigen müssen, ob den Angaben des Beschuldigten mehr als die bloße Möglichkeit eines Waffeneinsatzes zu entnehmen ist (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 4 StR 485/99). Dies gilt trotz des Umstands, dass der Beschuldigte auch gegenüber der im Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. R. einen möglichen Waffeneinsatz in der Schule eingeräumt haben soll (vgl. UA S. 7). Zum einen bleibt zumindest unklar, ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Den mitgeteilten Angaben ist lediglich zu entnehmen, der Beschuldigte habe erklärt, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Von einer Gewaltanwendung oder einer Verwendung eines der Messer ist nicht die Rede. Zum anderen wäre auch insoweit zu würdigen gewesen, dass der Beschuldigte jedenfalls bis zum Eintreffen der Polizei keinerlei Anstalten getroffen hatte, in die Schule hineinzugehen, auch gegenüber den Polizeibeamten das Messer nicht eingesetzt hatte, sich vielmehr bei Feststellung der angeblichen "Auffälligkeiten" im Schulgebäude darauf beschränkt hatte, die Polizei zu verständigen bzw. einen Schüler hierauf aufmerksam zu machen.
13
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei umfassender Würdigung zu einer für den Beschuldigten günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung.

Fischer Appl Schmitt Krehl Eschelbach

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 550/10
vom
2. März 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. März 2011,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. Juli 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zwei Messer eingezogen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Der zur Tatzeit 27 Jahre alte Beschuldigte steht seit dem Jahre 2005 unter Betreuung und war schon mehrfach aufgrund gerichtlicher Anordnung, erstmals im Jahre 2004, zuletzt in der Zeit von 6. Juli bis 12. August 2009, in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Dabei wurde eine weitgehend unbehandelte paranoid halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Der Beschuldigte ist wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz , das Waffengesetz und wegen Sachbeschädigung vorbe- straft. Eine Tätlichkeit gegenüber dem Vater im Jahr 2005 hat nicht zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt.
3
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts beobachtete der gegenüber einer Schule wohnende Beschuldigte in der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 2009 nach seiner Vorstellung, dass in dem Schulgebäude die Lampen ausgegangen seien, eine "Knallerei" stattfinde und sich andere Lehrer als sonst dort aufhielten. Die von ihm verständigte Polizei ging der Sache nicht nach. Am Morgen sprach der Beschuldigte einen Schüler an, der vor dem Fenster seiner Wohnung seinen Roller geparkt hatte, und erklärte ihm, er solle nicht in die Schule gehen, weil dort gleich ein "Gemetzel" stattfinden werde. Über diesen Schüler und die Schulleitung wurde die Polizei gerufen, die sodann den Beschuldigten in seiner Wohnung aufsuchte. Der Aufforderung der Polizeibeamten , seinen Personalausweis zu zeigen, kam der Beschuldigte, der einen verwirrten Eindruck machte und die Hände in seinen Hosentaschen hielt, nicht nach. Als er schließlich nach weiterer Aufforderung ein Messer aus der Hosentasche zog, wollten ihn die Polizeibeamten abtasten. Hiergegen sträubte sich der Beschuldigte, weshalb es zu einer Rangelei kam, in deren Verlauf die Beteiligten zu Boden gingen. Dabei verletzte sich eine Polizeibeamtin an einem abgebrochenen , scharfkantigen Kühlschrankgriff an ihrem linken Handrücken. Bei dem Beschuldigten, der aufgrund des Vorfalls seit 28. Mai 2010 einstweilen untergebracht ist, wurden zwei Messer sichergestellt.
4
Nach Ansicht der Kammer befand sich der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt im Zustand einer akuten paranoid halluzinatorischen Psychose, wodurch sowohl seine Steuerungs- als auch seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein sollen.
5
b) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte objektive Verstöße gegen das Waffengesetz begangen, zudem den objektiven Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt und im Übrigen im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB gehandelt hat. Es hat aufgrund dessen die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Eine Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Tat ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Bei dem Beschuldigten, der keinerlei Krankheitseinsicht zeige, liege das chronifizierte Vollbild einer schizophrenen Psychose vor, die durch langjährigen Drogenkonsum verstärkt werde. Auch sei bei ihm eine latente Fremdaggressivität festzustellen. Bei der Auswertung der Betreuungsakte durch die angehörte Sachverständige habe sich ergeben, dass der Beschuldigte schon früher angegeben habe, seine Angstzustände riefen bei ihm eine Verteidigungsbereitschaft hervor, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Entsprechendes habe er gegenüber der Sachverständigen zur Anlasstat erklärt. Er habe angegeben, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Weiter sei festzustellen, dass sich der Beschuldigte seit einiger Zeit bewaffne und bereits Aggressivität gegenüber Sachen gezeigt habe. Daraus habe die Sachverständige auch für die Kammer nachvollziehbar abgeleitet, dass der Beschuldigte wahrscheinlich zukünftig auch schwerwiegende Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte, begehen werde, wenn er sich aufgrund seines Verfolgungswahns bedroht fühle.
6
Die Unterbringung, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sei anzuordnen, obwohl die Anlasstat selbst keine erhebliche rechtswidrige Tat sei. Dies sei auch nicht erforderlich. Vonnöten sei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung, die im Falle des Beschuldigten eine reale Gefahr ergebe, dass er zukünftig bei psychotischen Schüben auch Waffen gegen Personen einsetzen werde.
7
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Eine derartige Maßregel beschwert den Betroffenen außerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, dass von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BGHR StGB § 63 Ablehnung 1, Gefährlichkeit 8, 26; BGH NStZ 2002, 590; NStZ-RR 2009, 169).
9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt zwar nicht grundsätzlich voraus, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Sind diese wie die hier festgestellten Taten des Beschuldigten (vgl. für den Verstoß gegen § 113 StGB BGH StV 1992, 571) ihrem Gewicht nach nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, bedarf die Gefährlichkeitsprognose aber besonders sorgfältiger Darlegung. Daran fehlt es vorliegend. Die zu knappen und oberflächlichen Erwägungen der Kammer, die eine eingehende Würdigung der Person des Beschuldigten, insbesondere seiner Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstat vermissen lassen, tragen die Gefährlichkeitsprognose nicht.
10
Die Kammer stützt sich bei ihrer Annahme der Wahrscheinlichkeit auch schwerwiegender Straftaten neben einer insoweit wenig aussagekräftigen früheren einmaligen Gewalthandlung gegenüber einer Sache im Wesentlichen auf den festgestellten Besitz von Messern und auf die Selbsteinschätzung des Beschuldigten , die bei ihm auftretenden Angstzustände lösten eine Verteidigungsbereitschaft aus, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Dies allein lässt im konkreten Fall den Schluss auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Gewaltdelikten gegenüber Personen nicht zu. Das Landgericht spricht insoweit von einer "latenten" Fremdaggressivität. Eine lediglich latente Gefahr reicht aber für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10).
11
a) Zwar kann schon der Besitz von Waffen an sich die Besorgnis begründen , dass der Beschuldigte bereit sein könnte, diese auch einzusetzen; dies vor allem dann, wenn er den möglichen Einsatz dritten Personen gegenüber selbst einräumt. Das allein rechtfertigte eine Gefährlichkeitsprognose aber nur nach intensiver Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten sprechen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1993 - 5 StR 617/93). Zum einen hat die Kammer hier keinerlei Feststellungen dazu getroffen, weshalb der Beschuldigte, der sich im Übrigen während des gesamten in seiner Wohnung stattfindenden Vorfalls passiv verhalten hat, keine Anstalten gemacht hat, seine Waffe bei der festgestellten Anlasstat einzusetzen, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt in einer Situation befunden hat, in der nach den Ausführungen der Sachverständigen deren Einsatz zur Verteidigung zu erwarten gewesen wäre. Zum anderen hat sich die Kammer ersichtlich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Beschuldigte wegen Gewaltdelikten gegenüber außenstehenden Personen bisher nicht auffällig geworden ist, es lediglich einen schon mehr als fünf Jahre zurückliegenden Vorfall gibt, in dem der Beschuldigte seinen Vater mit einer Lampe geschlagen haben soll. Nähere Feststellungen zu Anlass, Entwicklung und Ausmaß dieses familiären Konflikts hat die Kammer nicht getroffen, so dass sich nicht absehen lässt, ob und inwieweit dieser Vorfall generelle Rück- schlüsse auf das künftige Verhalten des Beschuldigten gegenüber Familienmitgliedern und dritten Personen zulässt. Soweit der Beschuldigte im Übrigen unauffällig geblieben ist, hätte dies die Kammer nicht unerörtert lassen dürfen. Der Beschuldigte leidet zumindest seit dem Jahre 2005 an der festgestellten paranoid halluzinatorischen Psychose, hat sich in der Vergangenheit mehrfach Waffen wie Messer oder Stahlruten besorgt, ohne diese jemals gegen Personen eingesetzt zu haben. Eine progrediente Entwicklung der Erkrankung ist nicht festgestellt, so dass etwa auch im Zeitraum zwischen der Anlasstat im Dezember 2009 und der späteren vorläufigen Unterbringung im Mai 2010 offenbar kein auf die Gefährlichkeit des Beschuldigten hinweisender Vorfall feststellbar gewesen ist, obwohl die Erkrankung des Beschuldigten zwischenzeitlich nicht behandelt worden ist (vgl. UA S. 7).
12
b) Vor diesem Hintergrund hätten auch die Bekundungen des Beschuldigten gegenüber Dritten, er werde zu seiner Verteidigung auch Waffen einsetzen , nicht ohne Weiteres zur Annahme erhöhter Gefährlichkeit führen dürfen, sondern einer eingehenden Würdigung unterzogen werden müssen. Dabei hätte es nahe gelegen, sich nicht auf die bloße aktenmäßige Verwertung früherer Angaben zu beschränken, sondern hierzu die Sachverständigen, denen gegenüber entsprechende Äußerungen des Beschuldigten gefallen sein sollen, unmittelbar anzuhören. Sie hätten nicht nur nähere Angaben zu Einzelheiten des Gesprächs , insbesondere, wie und in welchem Zusammenhang es zu den Äußerungen des Beschuldigten gekommen sei, machen können. Sie hätten vor allem auch Auskünfte zum Anlass ihres Tätigwerdens und damit zur Krankheit des Beschuldigten und ihren Auswirkungen geben können. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit mehrfach zwangsweise untergebracht war. Warum dies jeweils geschehen ist, welche Auffälligkeiten zur Unterbringung geführt haben und welche Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung - mit oder ohne Erfolg - ergriffen worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Diese Umstände zur Krankheitsgeschichte des Beschuldigten, aus der sich wesentliche Hinweise auf die Ernsthaftigkeit der Bekundungen des Beschuldigten und allgemein auf die von ihm ausgehenden Gefahren ergeben könnten, hätte die Kammer bei der anstehenden Würdigung berücksichtigen müssen, ob den Angaben des Beschuldigten mehr als die bloße Möglichkeit eines Waffeneinsatzes zu entnehmen ist (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 4 StR 485/99). Dies gilt trotz des Umstands, dass der Beschuldigte auch gegenüber der im Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. R. einen möglichen Waffeneinsatz in der Schule eingeräumt haben soll (vgl. UA S. 7). Zum einen bleibt zumindest unklar, ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Den mitgeteilten Angaben ist lediglich zu entnehmen, der Beschuldigte habe erklärt, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Von einer Gewaltanwendung oder einer Verwendung eines der Messer ist nicht die Rede. Zum anderen wäre auch insoweit zu würdigen gewesen, dass der Beschuldigte jedenfalls bis zum Eintreffen der Polizei keinerlei Anstalten getroffen hatte, in die Schule hineinzugehen, auch gegenüber den Polizeibeamten das Messer nicht eingesetzt hatte, sich vielmehr bei Feststellung der angeblichen "Auffälligkeiten" im Schulgebäude darauf beschränkt hatte, die Polizei zu verständigen bzw. einen Schüler hierauf aufmerksam zu machen.
13
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei umfassender Würdigung zu einer für den Beschuldigten günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung.

Fischer Appl Schmitt Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 654/12
vom
6. März 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zu den äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und den Vollzug dieser Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die Beschuldigte die Verletzung von § 261 StPO geltend macht, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Januar 2013 genannten Gründen ohne Erfolg.

II.


3
Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt belegt allerdings nicht die Voraussetzungen der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer leidet die Beschuldigte an einer sog. Erotomanie („isolierter Liebeswahn“), die das sachverständig berate- ne Tatgericht als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB wertet. Aufgrund dieses Liebeswahns, der sich auf den Geschädigten Dr. H. , einen Gynäkologen, der die Beschuldigte früher mehrfach behandelt hatte, bezieht, seien bei dieser im Zeitpunkt der Begehung der Anlass- taten „sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit“ erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen. Es liege bei der Beschuldigten ein chronifizierter Wahn vor. Ihr zentrales Wahnthema bestehe darin, dass eine andere Person (Dr. H. ) geliebt werde und die Beschuldigte davon ausgehe, von dieser Person ebenfalls geliebt zu werden.
5
Als Anlasstaten hat das Tatgericht einen Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz jeweils in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung (Fall 1) sowie zwei weitere Fälle von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz (Fälle 2 und 3) festgestellt. Dabei beruhen die Verstöße in den Fällen 2 und 3 darauf, dass die Beschuldigte unter Missachtung des ihr durch das Amtsgericht Mühlburg erteilten Kontaktverbots dem Geschädigten eine Karte bzw. einen Brief zukommen ließ. Letzteren warf sie selbst in den Briefkasten des Hauses von Dr. H. ein, obwohl sie sich diesem wegen des Kontaktverbots nicht auf weniger als 100 Meter nähern durfte. Im Fall 1 hinderte sie Dr. H. am Verlassen des Klinikums in M. , indem sie ihm den Weg versperrte und ihm in die Haare und an die Jacke griff. Nachdem es diesem gelungen war, sich in das Gebäude zurückzuziehen, folgte ihm die Beschuldigte und hinderte ihn daran, telefonisch die Polizei zu verständigen. Darüber hinaus zog sie Dr. H. an den Haaren sowie am Bart und versetzte ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Zudem bezeichnete sie den Geschädigten als „arrogantes Arschloch“. Er erlitt eine Distorsion an der rechten Schulter. Es trat eine schmerzhafte Irritation der Kopfhaut ein.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Anlasstat bzw. der Anlasstaten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246). Es muss seitens des Tatgerichts im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Dem angefochtenen Urteil lässt sich weder hinreichend entnehmen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest sicher erheblich vermindert schuldfähig war, noch, in welcher Weise sich die zugrunde gelegte psychische Störung, der isolierte Liebeswahn, konkret auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat.
9
aa) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob bereits die Annahme , bei der Begehung der Anlasstaten seien sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten „erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen“, zur Aufhebung des Urteils führen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
10
bb) Unabhängig davon hat das Tatgericht nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig, zumindest aber sicher erheblich vermindert schuldfähig war. Das angefochtene Urteil beschränkt sich - gestützt auf das Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen - auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten bestehe ein als krankhafte seelische Störung eingeordneter isolierter Liebeswahn, der chronifiziert sei und weiter fortbestehe. Auf welchen Anknüpfungstatsachen die Einschätzung des Sachverständigen beruht, wird ebenso wenig dargelegt wie die von diesem herangezogenen „eigen- und fremdamnestischen Angaben“. Mehr als das von dem Gutachter erzielte Ergebnis zu der Art der psychischen Störung und deren Zuordnung zur „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von § 20 StGB lässt sich dem Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.
11
Damit wird dem Senat aber nicht ermöglicht, das Gutachten nachzuvollziehen und seine Schlüssigkeit zu beurteilen. Dies wäre aber erforderlich ge- wesen (BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242 mwN). Aus der vom Sachverständigen verwendeten und vom Tatgericht übernommenen Bezeichnung der Störung als „Erotomanie“ (isolierter Liebes- wahn) lässt sich zudem nicht erkennen, um welche Art von Erkrankung es sich bei der Beschuldigten konkret handelt. Der Liebeswahn als solcher ist in den anerkannten Klassifizierungsinstrumenten wie dem ICD 10 nicht erfasst. Die von dem Sachverständigen als Erotomanie bezeichnete, als Wahn beschriebene Störung mag sich als schizophrene Psychose (ICD 10 F 20.3; siehe BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12) darstellen und kann dann je nach konkretem Krankheitsbild zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH aaO). Das Urteil enthält jedoch keine genauere Einordnung. Die im Rahmen der Angaben zur Person der Beschuldigten getroffene Feststellung, diese „stehe seit einiger Zeit unter nervenärztlicher Behandlung“ und werde mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt, enthält keine Hinweise, dass diese ambulante nervenärztliche Behandlung auf dem angenommenen „Liebeswahn“ beruht. Zu dem Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten hat das Tatgericht überdies keine näheren Feststellungen getroffen.
12
Vor allem aber lässt das Urteil nähere Feststellungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung der Beschuldigten auf deren Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Anlasstaten vermissen. Gerade mit dieser Frage muss sich der Tatrichter aber in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinandersetzen (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 und vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, ist das Tatgericht ge- halten, zu klären und in nachvollziehbarer Weise darzulegen, ob dem Täter bei Begehung der Anlasstaten bereits die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder ob er lediglich sich nicht entsprechend der noch vorhandenen Einsichtsfähigkeit zu steuern vermochte (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Dazu muss der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Anlasstaten im Hinblick auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgezeigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012, NStZ-RR 2012, 306, 307).
13
Entgegen diesen Anforderungen beschränkt sich das angefochtene Ur- teil auf die pauschale Mitteilung, durch die bei der Beschuldigten „krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität“ sei die Einsichts- und Steuerungsfä- higkeit erheblich eingeschränkt, möglicherweise sogar aufgehoben gewesen.
14
Das belegt weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch diejenigen des § 21 StGB.
15
Es ist bereits nicht zu erkennen, worauf sich die Fehlbeurteilung der Realität konkret bezieht. Soweit damit auf die (wahnhafte) Vorstellung einer Erwiderung ihrer Liebe durch Dr. H. abgestellt werden sollte, fehlt jegliche Darlegung der Auswirkungen dieser Fehlbeurteilung auf die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten. Da das Tatgericht bei den insoweit zutreffend als Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz gewerteten Kontaktaufnahmen der Beschuldigten zu Dr. H. durch eine Weihnachtskarte bzw. einen Brief (Fälle 2 und 3) der jeweilige Inhalt nicht mitgeteilt wird, kann der Senat auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht erkennen, ob ein spezifischer Zusammenhang zwischen der angenommenen psychischen Störung und den Anlasstaten ohne weiteres vorlag und es deshalb ausnahmsweise näherer Darlegungen dazu nicht bedurfte.
16
b) Die vom Tatgericht getroffenen (kursorischen) Feststellungen belegen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit der Beschuldigten, nicht hinreichend.
17
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
18
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
19
Die festgestellten Anlasstaten bewegen sich lediglich, ungeachtet der mit dem Verhalten der Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen der Lebensführung des geschädigten Dr. H. , am unteren Rand der mittleren Kriminalität. Die im Fall 1 begangene Körperverletzung war mit nur geringer Gewaltanwendung verbunden und überschritt im Hinblick auf das Ziehen an Bart- und Haupthaar nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Da das Tatgericht auf der Grundlage der wiederum lediglich im Ergebnis mitgeteilten Erkenntnisse des Sachverständigen auch zukünftig mit den Anlasstaten gleichgelagerten , jedenfalls nicht erheblich über diese hinausgehenden Straftaten rechnet, bedurfte es nach dem genannten Maßstab im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose näherer Ausführungen zu der Persönlichkeit der Beschuldigten und ihrer Erkrankung einschließlich deren bisherigen Verlaufs. Dazu verhält sich das Urteil aber nicht ausreichend.
20
3. Eine Ablehnung des Antrags auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Senat (§ 414 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO) kommt nicht in Betracht.
21
a) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei weitergehenden Feststellungen zu der bei der Beschuldigten vorhandenen psychischen Störung, ihrer Einordnung unter die Merkmale der §§ 20, 21 StGB und zu den Auswirkungen der Erkrankung auf die Begehung der Taten sowie zu der Gefährlichkeitsprognose die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel aus § 63 StGB ergeben. Sollte auch das neue Tatgericht mit sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangen, von der Beschuldigten seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit dem Gewicht der bisherigen zu erwarten, stünde dies der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht von vornherein entgegen. Wie ausgeführt, bedarf es dann aber näherer Ausführungen dazu, dass es sich um Taten handeln wird, mit denen eine schwere Störung des Rechtsfriedens einhergeht.
22
Angesichts der nur wenig umfänglichen Feststellungen zu der Erkrankung der Beschuldigten kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten lediglich erheblich vermindert oder nicht in rechtlich relevanter Weise ausgeschlossen war. Sollte sich für den neuen Tatrichter ergeben, dass die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten bestand, also deren Bestrafung - und gegebenenfalls zusätzlich deren Unterbringung gemäß § 63 StGB - in Betracht kommt, erinnert der Senat an die von § 416 Abs. 1 und 2 StPO vorgesehene Verfahrensweise.
23
b) Einer Aufhebung der Feststellungen zu dem jeweiligen äußeren Geschehen der Anlasstaten bedarf es nicht. Diese hat das Tatgericht an sich zutreffend festgestellt. Allerdings wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, bezüglich der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz in allen drei Fällen über die wirksame gerichtliche Anordnung eines Kontaktverbots und die Kenntnis der Beschuldigten davon ergänzende Feststellungen, auch zu der wirksamen Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Anordnungen, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 GewSchG auch von einer wirksamen Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ab (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/11, NStZ 2013, 108 f. mwN).
24
Der Senat besorgt nicht, dass die insoweit gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung zu einem (teilweisen) Wegfall der Anlasstaten führt.
Richter am BGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Cirener Radtke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 220/13
vom
31. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
und der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Limburg vom 6. August 2012 wird verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) von den Vorwürfen der Verbreitung pornographischer Schriften in acht Fällen, in einem Fall tateinheitlich begangen mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften, in einem weiteren Fall mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften und Verbreitung tierpornographischer Schriften sowie des Besitzes kinderpornographischer Schriften freigesprochen. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt.
2
Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt und auf die umfassende Aufhebung des Urteils gerichtet ist. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen installierte der nicht vorbestrafte Angeklagte auf seinem Rechner ein Tauschbörsenprogramm, das es jedem Nutzer ermöglichte , Dateien von Festplatten anderer Nutzer herunterzuladen. In Kenntnis der Funktionsweise der Tauschbörse lud der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen pornographische und kinderpornographische Bilddateien auf seinen Computer und stellte sie seinerseits auch anderen Nutzern zur Verfügung.
4
Der Angeklagte leidet an einer paranoiden Schizophrenie und damit einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB. Die sachverständig beratene Kammer hat zu Gunsten des Angeklagten angenommen, dass hierdurch bei noch vorhandener Einsichtsfähigkeit seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben war. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht allerdings abgelehnt. Zwar seien infolge seines Zustandes auch in Zukunft weitere erhebliche Straftaten zu erwarten, jedoch fehle es an der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung.
5
2. Diese Bewertung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
6
a) Das Landgericht hat das Vorliegen eines Zustandes im Sinne von § 21 StGB als Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ohne Rechtsfehler angenommen. Insbesondere ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwaltes der erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen der einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallenden Erkrankung des Angeklagten und den von ihm begangenen Taten hinreichend dargelegt. Die Sachverständige, auf die die Strafkammer zur Begründung Bezug nimmt, hat dazu ausgeführt, dass die schizophrene Erkrankung des Angeklagten bezogen auf die ihm zur Last gelegten Taten auf seine Steuerungsfähigkeit einen erheblichen Einfluss habe. Der Angeklagte könne nur erheblich vermin- dert dem Tatanreiz, sich das Bildmaterial im Internet anzusehen bzw. sich dieses herunterzuladen, widerstehen. Dies sei positiv festzustellen. Es sei sogar nicht auszuschließen, dass der Angeklagte im Vergleich mit einem Durchschnittsmenschen bei der Begehung der Tat auch bei Anspannung aller Willenskräfte endgültig nicht mehr in der Lage gewesen sei, der – noch vorhandenen – Unrechtseinsicht zu folgen. Seine Möglichkeiten, dem Tatanreiz zu widerstehen , seien angesichts der leichten Zugänglichkeit des Bildmaterials im anonymen Internet "kaum vorhanden … wahrscheinlich sogar nicht vorhanden."
7
Aus diesen Darlegungen ergibt sich – wie für § 63 StGB erforderlich (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 63 Rn. 5 mN) – eine sicher erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten. Auch wird ausreichend deutlich, wie sich die Erkrankung des Angeklagten in den jeweiligen Tatsituationen auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum seine Taten auf den festgestellten psychischen Zustand zurückzuführen sind (zu diesem Erfordernis Senat NStZRR 2011, 241, 242; 2012, 306, 307). Dabei hat das Landgericht auch bedacht, dass die Erkrankung des Angeklagten ohne ausgeprägte oder akute psychotische Symptome verlaufen ist (UA 16).
8
b) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB ist rechtsfehlerfrei begründet. Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten künftig erhebliche Taten im Sinne der Vorschrift zu erwarten sind, weil der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornographie dem mittleren Bereich der Kriminalität zuzuordnen ist.
9
Dass es gleichwohl die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung verneint hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben (vgl. BT-Drucks. V/4094 S. 17). Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet , dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 789/13). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 – 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.
10
Die nach diesen Maßstäben vorzunehmende Abwägung durch das Landgericht lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat – wie bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung geboten – die von dem Angeklagten drohenden Straftaten, die konkreten Auswirkungen der Unterbringung, seine Persönlichkeit sowie seine Lebensumstände in Beziehung gesetzt. Es hat dabei insbesondere erwogen, dass eine psychiatrische stationäre Behandlung zu keiner Verbesserung seines derzeitigen – ärztlich ambulant erschöpfend behandelten – Zustandes führen könnte. Deshalb würde die Unterbringung nach § 63 StGB für ihn bedeuten, dass er für einen unbefristeten Zeitraum in einem psychiatrischen Krankenhaus seiner Freiheit entzogen wäre. Hierdurch wäre das in Freiheit geordnete Leben des psychisch erkrankten Angeklagten, der sich der zivilrechtlichen Betreuung unterstellt und sich als absprachefähig erwiesen hat, zerstört.
11
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwaltes hat das Landgericht dabei auch den Schutzzweck des Verbreitens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB nicht verkannt. Dies liegt bereits deshalb fern, weil das Landgericht bei der Erörterung der Erheblichkeit der von dem Angeklagten zu erwartenden Taten ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass jeder, der Kinderpornographie besitzt und diese verbreitet, für Nachfrage sorgt und damit mittelbar den sexuellen Missbrauch von Kindern fördert. Soweit die Strafkammer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung darauf hinweist, dass der Angeklagte durch die von ihm verwirklichten Straftatbestände den sexuellen Missbrauch von Kindern nicht unmittelbar gefördert hat, weil er weder aktiv auf die Fertigung von Bildern hingewirkt, noch unmittelbaren Kontakt zu Anderen aufgenommen habe, und eine Steigerung seiner Handlungen nicht zu erwarten sei, liegt hierin auch kein Widerspruch. Vielmehr geht es dem Landgericht insoweit ersichtlich darum, die der Allgemeinheit durch derartige Straftaten generell drohende Gefahr einer konkreten, auf die Person des Angeklagten und seine Lebensumstände bezogenen Betrachtung zu unterziehen. Dies ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur rechtlich zulässig , sondern geboten.
12
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung einer Unterbringung zur Bewährung (§ 67b StGB) nicht vorliegen, weil die im Falle des Angeklagten allein in Betracht kommende Weisung, in einer Wohngruppe zu leben, aufgrund seiner Erkrankung ungeeignet ist, künftig entsprechenden Straftaten entgegenzuwirken. Allerdings kann der Versuch erfolgversprechend sein, die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr durch andere im Urteil erörterte Maßnahmen, insbesondere durch Leitung seines Betreuers, abzuwenden.
Fischer Appl Schmitt Ott Zeng
5 StR 215/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2007

beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. November 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zur rechtswidrigen Tat; insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die jetzt 29-jährige Angeklagte vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen den Maßregelausspruch gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge, wie aus dem Tenor ersichtlich, weitgehend Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich die Angeklagte am 14. Juni 2004 am Backstand auf dem Bürgersteig vor einem Spar-Markt auf, obwohl ihr drei Monate zuvor ein Hausverbot für diese Filiale einschließlich der Stehtische vor dem Backstand erteilt worden war. Sie bedrängte die dort anwe- senden Kunden, ihr Geld oder Alkohol zu schenken. Da sie wiederholte Aufforderungen , sich zu entfernen, nicht befolgte, wurde schließlich die Polizei eingeschaltet, die sie des Backstands verwies. Gleichwohl kehrte die Angeklagte zurück und setzte ihr störendes Verhalten fort. Sie wurde deshalb wiederholt von einer Mitarbeiterin des Spar-Marktes, der Zeugin K. , aufgefordert , den Backstand zu verlassen. Diesen Aufforderungen kam die Angeklagte jeweils nur kurzfristig nach, um sodann erneut an den Stehtischen zu betteln. Die Zeugin ergriff nunmehr einen Eimer und begoss die Angeklagte mit Wasser. Daraufhin schlug die Angeklagte eine mitgeführte gefüllte Bierflasche gegen den Hinterkopf der Zeugin. Diese erlitt ein Schädelhirntrauma und eine blutende Platzwunde am Hinterkopf; sie war sechs Monate arbeitsunfähig krank.
3
Die Angeklagte war zuvor im Jahre 2003 wegen Vollrauschs und im Januar 2004 unter anderem wegen Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen verurteilt worden. Bei der im Januar 2004 abgeurteilten Tat ging es um mehrere Faustschläge, welche die Angeklagte einer Passantin in das Gesicht versetzt hatte. Das Verfahren wegen einer im Januar 2005 begangenen Tat hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die vorliegende Sache vorläufig eingestellt. Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte anlässlich einer vorläufigen Festnahme eine Polizeibeamtin in der Weise misshandelte, dass sie mehrfach heftig an deren Haaren zog, bis die Frau zu Boden fiel. In dem anschließenden Handgemenge erlitt die Beamtin Verletzungen im Gesicht, an der Schulter und an den Knien.
4
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft, dass die Angeklagte an einer chronischen paranoid -halluzinatorischen Psychose leidet und die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat. Aufgrund ihres Zustands sei zu befürchten, dass sie unter dem Einfluss eines weiteren Schubs ihrer seelischen Erkrankung erneut eine aggressive Handlung begehe und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
5
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert die hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn – im Blick auf § 62 StGB – die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Darüber hinaus kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur dann in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen keinen ausreichenden zuverlässigen Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters bieten. Dies ergibt sich aus dem – im gesamten Maßregelrecht geltenden und aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Übermaßverbots abgeleiteten – Subsidiaritätsprinzip (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. vor § 61 Rdn. 58 ff., § 63 Rdn. 82 ff.).
7
Dass die hier vorliegende Körperverletzung erheblich ist, steht außer Frage, wobei allerdings zu bedenken ist, dass diese etwa zweieinhalb Jahre vor der Aburteilung begangene Tat eine Reaktion auf einen überraschenden und zumindest aus Sicht der Angeklagten unberechtigten Angriff war. Die vor und nach der Anlasstat bis Anfang 2005 begangenen rechtswidrigen Handlungen bewegen sich dagegen eher im unteren bis mittleren Bereich der denkbaren Begehungsformen. Im Rahmen der Prognoseprüfung hätte weiter berücksichtigt werden müssen, dass sich die Angeklagte trotz des seit 2001 andauernden Krankheitsprozesses immer wieder für längere Zeiten beanstandungsfrei gehalten hat. Für die Frage der Prognose ist insoweit auch von Bedeutung, in welchen Rahmenbedingungen die Angeklagte in diesen straf- freien Zeiten lebte. Namentlich im Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität hätte sich die Strafkammer auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Gefährlichkeit der Beschuldigten durch andere Maßnahmen vertretbar abgemildert werden kann. Hier wäre die Möglichkeit zu erörtern gewesen, ob in einer anderweitigen Einbindung der Beschwerdeführerin, insbesondere der Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB, eine Chance liegt, die Gefährlichkeit erheblich zu verringern.
8
Die Frage der Unterbringung bedarf deshalb der nochmaligen Prüfung und Entscheidung. Dabei wird insbesondere auch zu beachten sein, wie sich die Angeklagte in der einstweiligen Unterbringung bisher verhalten hat. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wird er auch prüfen müssen, ob die Vollstreckung der Unterbringung nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Basdorf Gerhardt Raum Schaal Jäger

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.