Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2019 - 4 StR 206/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. September 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
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- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
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- a) Der vielfach, u.a. wegen einer im Jahr 1997 begangenen Körperverletzung mit Todesfolge und wegen Eigentumsdelikten vorbestrafte Beschuldigte zeigte schon seit dem 5. Schuljahr Verhaltensauffälligkeiten. Er konsumierte Alkohol, später auch Heroin und Kokain. Wegen Wahrnehmungsstörungen, Realitätsverkennungen und seiner polyvalenten Suchtmittelabhängigkeit war er mehrfach erfolglos in stationärer Behandlung. Zwei Unterbringungen nach § 64 StGB wurden jeweils für erledigt erklärt. Bei Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe fiel er im Mai 2018 durch wirres Reden und Aggressionen gegen die Mitgefangenen auf. Er wurde deshalb in eine psychiatrische Klinik verlegt, die eine akute schwere psychotische Erkrankung, differentialdiagnostisch ein Entzugsdelir oder eine paranoide Schizophrenie diagnostizierte. Während der anschließenden einstweiligen Unterbringung in dieser Sache zeigte sich der krankheitsuneinsichtige Beschuldigte zeitweise hochpsychotisch.
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- b) Am 1. November 2017 konsumierte der Beschuldigte gemeinsam mit B. Alkohol auf einer Bank in S. . B. , der seinen kleinen Hund dabei hatte, stieß diesen mit dem Bein zur Seite. Der Beschuldigte schlug ihm nun mehrfach mit der Faust ins Gesicht, so dass B. einen Nasenbeinbruch erlitt. B. setzte sich zur Wehr und schlug seinerseits auf den Beschuldigten ein, bis die Polizei beide trennte (Tat 1). Am 9. März 2018 hielt sich der Beschuldigte in O. auf. Wegen seiner Alkoholisierung fand er keinen Platz im Obdachlosenasyl. Gegen 22.00 Uhr kam er an einem Damenmodengeschäft vorbei und entschloss sich spontan, dort einzubrechen, um Stehlenswertes zu entwenden und später zu verkaufen. Er warf die Schaufensterscheibe mit einem Pflasterstein ein und stieg in das Geschäft ein. Er nahm ein rotes Kleid zum Verkaufspreis von 298 Euro und drei Modeschmuckketten für insgesamt 60 Euro an sich, wobei er glaubte, an den Sachen Preisschilder von mehreren Tausend Euro gesehen zu haben. Das rote Kleid warf er kurze Zeit nach Verlassen des Geschäfts weg, die drei Ketten verschenkte er. Als ihn Polizeibeamte gegen 22.35 Uhr festnahmen, redete er „wirres Zeug“, war aber nicht aggressiv (Tat 2).
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- c) Das Landgericht hat die Tat 1 vom 1. November 2017 als vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) und die Tat 2 vom 9. März 2018 als Einbruchdiebstahl (§§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB) gewürdigt. Dem gehörten Sachverständigen folgend hat es hinsichtlich der ersten Tat eine Aufhebung der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit wegen einer chronifizierten, seit 2008 bestehenden paranoiden Schizophrenie nicht auszuschließen vermocht. Bei der zweiten Tat sei aufgrund der paranoiden Schizophrenie die Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen. Der Beschuldigte habe unmittelbar nach der Tat deutliche Zeichen einer schizophrenen Phase gezeigt, habe wirr geredet, Wahngedanken geäußert, und auch die Angaben zu den Preisschildern würden auf eine Realitätsverkennung hindeuten. Die Strafkammer hat (nur) in dem Einbruchdiebstahl eine erhebliche Anlasstat im Sinne von § 63 StGB gesehen. Es sei wahrscheinlich, dass der Beschuldigte auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Er pflege einen unsteten Lebenswandel, habe eine Vielzahl von Straftaten begangen und sei unbeeindruckt von gerichtlichen Sanktionen. Die chronifizierte Schizophrenie diene als Grundlage für das Ausleben aggressiver Impulse. Es seien nicht nur Diebstähle im besonders schweren Fall, sondern auch Körperverletzungen und gefährliche Körperverletzungen zu erwarten.
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- 2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu tragen.
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- Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt unter anderem die positive Feststellung voraus, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen hat. Hierfür muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB un- terfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76, 77; vom 17. Juni 2015 – 4 StR 196/15, NStZ-RR 2015, 275; und vom 10. August 2017 – 3 StR 181/17 Rn.6; jeweils mwN). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1997 – 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383; Beschlüsse vom 15. Juli 1997 – 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; vom 19. Februar 2015 – 2 StR 420/14 Rn. 7).
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- a) Ausgehend davon sind die Voraussetzungen der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB im Urteil bereits deswegen nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil das Landgericht nicht ausreichend dargelegt hat, wie sich die beim Beschuldigten vorliegende Schizophrenie auf seine Steuerungsfähigkeit bei der Anlasstat des Einbruchdiebstahls ausgewirkt hat. Die festgestellte Tatmotivation , Stehlenswertes zu entwenden und später zu verkaufen, ist unschwer normalpsychologisch zu erklären. Aus dem Umstand, dass der Beschuldigte nach Einsteigen in das Geschäft einer Fehlwahrnehmung bei den Preisschildern erlag und bei seiner Festnahme „wirres Zeug“ redete, lässt sich demgegenüber ohne nähere Darlegung nicht entnehmen, dass in Folge der Schizophrenie die Steuerungsfähigkeit aufgehoben war. Hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung, bei der das Landgericht eine Schuldunfähigkeit lediglich nicht auszuschließen vermocht hat und die deshalb als Anlasstat ausscheidet , erschließt sich ein Zusammenhang der Tat mit der Erkrankung des Beschuldigten ebensowenig, zumal auch einer der Zeugen angegeben hat, sich über das Verhalten des B. gegenüber dem Hund geärgert zu haben, weshalb er schon habe dorthin gehen wollen.
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- b) Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar hat der Beschuldigte in der Vergangenheit eine Vielzahl von Straftaten, zumeist Eigentumsdelikte, begangen. Die Urteilsgründe verhalten sich jedoch nicht dazu, inwieweit diese Straftaten im Zusammenhang mit der Erkrankung des Beschuldigten stehen. Die Eintragungen im Bundeszentralregister beginnen bereits im Jahr 1992. Die Körperverletzung mit Todesfolge hat der Beschuldigte im Jahr 1997 begangen. Danach ist er – abgesehen von der verfahrensgegenständlichen Tat zum Nachteil des B. – nicht mehr mit Körperverletzungsdelikten in Erscheinung getreten. Die paranoide Schizophrenie des Beschuldigten ist erstmals 2008 diagnostiziert worden. Angesichts des langen Zeitraums der Erkrankung, in dem der Beschuldigte nicht gewalttätig geworden ist, und des Umstands, dass die Körperverletzung zum Nachteil des B. nicht sicher auf seine Erkrankung zurückzuführen ist, ist nicht belegt, dass von dem Beschuldigten gerade aufgrund seiner Erkrankung in Zukunft Körperverletzungen und gefährliche Körperverletzungen zu erwarten sind. Allein durch die allgemein gehaltene Annahme, dass die chronifizierte Schizophrenie als Grundlage für das Ausleben aggressiver Impulse diene, ist eine Wiederholungsgefahr im Sinne von § 63 StGB für den konkreten Fall nicht hinreichend dargetan.
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- Soweit das Landgericht als „ähnlich gelagerte Straftaten“ künftige Ein- bruchdiebstähle für wahrscheinlich hält, lassen die Urteilsgründe schon nicht erkennen, ob dadurch ein schwerer wirtschaftlicher Schaden droht.
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- Die Sache bedarf daher umfassender neuer tatrichterlicher Prüfung.
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Bartel
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält, - 2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist, - 3.
gewerbsmäßig stiehlt, - 4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient, - 5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist, - 6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder - 7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.