Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 282/17
vom
11. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110717B5STR282.17.1

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. Juli 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. Februar 2017 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in Tateinheit mit (besonders) schwerem Raub zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet. Einbezogen wurde ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Februar 2016, mit dem gegen den Angeklagten wegen Straftaten, welche er als Erwachsener begangen hatte, eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt worden war. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Während der Schuldspruch ohne den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ist, kann der Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben.
3
Die Jugendkammer hat zwar rechtsfehlerfrei das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Februar 2016 in seine Entscheidung einbezogen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Mai 1990 – 2 StR 64/90, BGHSt 37, 34). Dem angefochtenen Urteil ist jedoch weder ausdrücklich noch in seinem Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass die Jugendkammer die gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG gebotene Prüfung vorgenommen hat, ob von Jugendstrafe wegen der Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt abgesehen werden kann. Dies ist rechtsfehlerhaft und führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Jugendstrafe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, hätte es diese Frage geprüft, zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
4
Zwar betrifft der Rechtsfehler unmittelbar nur die Verhängung der Jugendstrafe. Wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung hebt der Senat aber den Rechtsfolgenausspruch insgesamt auf (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 4 StR 134/09, NJW 2009, 2694).
Mutzbauer Sander Schneider
RiBGH Dölp ist infolge König Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende


(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 5 Die Folgen der Jugendstraftat


(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. (2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln un

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 134/09
vom
26. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt
vom 16. Juli 2007 gilt gem. § 7 Abs. 1 JGG in Verb. m. § 61
Nr. 2 StGB auch bei der Verhängung von Jugendstrafe.
BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 4 StR 134/09 – LG Essen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Mai 2009 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. November 2008 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Die Jugendkammer des Landgerichts hat den Angeklagten als Jugendlichen wegen Totschlags und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die sachverständig beratene Jugendkammer hat die Anordnung, den zur Tatzeit 16 Jahre alten Angeklagten, dessen Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat wegen Alkoholisierung in Verbindung mit einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (ICD 10: F 92.9) erheblich vermindert war, gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen, für sich genommen rechtsfehlerfrei begründet. Das Urteil lässt jedoch nicht erkennen, dass das Landgericht geprüft hat, ob gemäß § 5 Abs. 3 JGG von Jugendstrafe abzusehen ist, weil deren Verhängung im Hinblick auf die gleichzeitig erfolgte Unterbringungsanordnung entbehrlich ist. Bei schuldhaft begangenen Straftaten eröffnet § 5 Abs. 3 JGG die Möglichkeit, von der an sich erforderlichen Verhängung von Jugendstrafe abzusehen, wenn sie als zusätzliche erzieherische Maßnahme wegen der Maßregelanordnung nicht erforderlich ist, und trägt damit dem Gedanken der Einspurigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen im Jugendstrafrecht Rechnung (BGHSt 39, 92, 95). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Zwar betrifft der Rechtsfehler unmittelbar nur die Verhängung der Jugendstrafe. Wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung (vgl. BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1 für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) hebt der Senat den Rechtsfolgenausspruch insgesamt auf.

II.


3
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
4
Gemäß § 7 JGG in Verb. mit § 61 Nr. 2 StGB richtet sich die Anordnung der Unterbringung eines Jugendlichen oder Heranwachsenden in einer Entziehungsanstalt nach den Vorschriften über die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung in den §§ 63 ff. StGB (vgl. Senatsurteil StraFo 2003, 210). Die Maßregel nach § 61 Nr. 2 StGB wird gemäß § 93 a Abs. 1 JGG bei suchtkranken Jugendlichen – und bei Heranwachsenden, soweit materielles Jugendstrafrecht angewandt wurde (§§ 110 Abs. 1, 105 Abs. 1 JGG; vgl. Eisenberg , JGG 13. Aufl. § 93 a Rn. 2) – in einer Einrichtung vollzogen, in der die für eine Behandlung erforderlichen besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen zur Verfügung stehen. Sollte die Jugendkammer, was im vorliegenden Fall nahe liegt, unter Berücksichtigung des in den Gründen des angefochtenen Urteils erwogenen besonderen erzieherischen Bedarfs die Unterbringungsanordnung erneut mit der Verhängung von Jugendstrafe verbinden, gilt für die Reihenfolge der Vollstreckung § 67 StGB (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 7; MünchKommStGB/Altenhain § 7 JGG Rdn. 23; Diemer in Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG 5. Aufl. § 7 Rdn. 11). Diese Rechtslage ist durch das am 20. Juli 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) nicht geändert worden. Der Gesetzgeber hat die Verweisungsnorm des § 7 JGG vielmehr unverändert gelassen. Daher gilt auch im vorliegenden Fall § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB i.d.F. dieses Gesetzes, wonach das Gericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen soll, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Nach § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Verbüßung und einer anschließenden Unterbringung gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung bereits nach Erledigung der Hälfte der Strafe möglich ist (vgl. nur Se- natsbeschluss StV 2007, 634). Für den Fall der Verhängung einer Jugendstrafe von über drei Jahren wird das Landgericht dies bedenken und über die Dauer des Vorwegvollzugs unter Berücksichtigung der zur Therapie erforderlichen Dauer der Unterbringung mit sachverständiger Hilfe befinden müssen.
Tepperwien Athing Ernemann
Franke Mutzbauer