Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2018 - 1 StR 482/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 8. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen eines verbotenen Gegenstands, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Führen eines verbotenen Gegenstands , wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Diebstahls und Unterschlagung sowie unerlaubten Führens verbotener Gegenstände zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
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- Die gegen das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen gemäß Ziffer 1 der Urteilsgründe traf sich der zur Tatzeit jugendliche Angeklagte, der seit seinem 16. Geburtstag regelmäßig Alkohol zu sich nahm – zuletzt täglich bis zu sechs Flaschen Bier, gelegentlich aber auch Whisky – und etwa zwei- bis viermal pro Woche Speed konsumierte, am Abend des 31. Oktober 2017 mit anderen Jugendlichen und konsumierte mit diesen nicht unerhebliche Mengen an Bier. Nachdem es bereits kurz nach Eintreffen des Angeklagten zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen diesem und dem zur Tatzeit 13-jährigen Geschädigten H. gekommen war, versetzte der inzwischen stark angetrunkene, aber nicht betrunkene Angeklagte (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit mindestens 2,44 Promille) dem Geschädigten etwa eine Stunde später ohne Vorwarnung unter Einsatz eines Schlagrings mehrere Schläge gegen die linke Gesichtshälfte, wodurch dieser eine blutende Platzwunde an der Schläfe und ein leichtes Hämatom an der Hand erlitt. Kurz später, nachdem sich der Angeklagte nach Eingreifen Dritter zunächst außer Sichtweite des Geschädigten entfernt hatte, dann aber wegen provozierender Ausrufe des Geschädigten zurückgekehrt war, kam es zu einer weiteren tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten, die vom Angeklagten durch erneute Schläge mit dem Schlagring in das Gesicht des Geschädigten eröffnet wurde und in deren Verlauf der Angeklagte dem Geschädigten mit einem Springmesser mit spitz zulaufender Klinge mit einer Länge von 9 cm und einer Breite von 2,7 cm drei tiefe Stiche in den Hals- und Rückenbereich versetzte.
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- b) Die Jugendkammer hat – sachverständig beraten – das Vorliegen eines Hangs zum übermäßigen Konsum alkoholischer Getränke angenommen. Soweit sie allerdings ausführt, der Angeklagte habe die Taten weder im Rausch begangen noch liege eine Hangtat im Sinne des § 64 StGB vor, weil es an einem symptomatischen Zusammenhang fehle, begegnet dies durchgreifenden Bedenken.
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- Ein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – 1 StR 320/17, juris Rn. 42; Beschlüsse vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 11 und vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 f.).
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- Der symptomatische Zusammenhang liegt vorliegend bei den vom Angeklagten am 31. Oktober 2017 begangenen Gewalttaten (Tat Ziffer 1 der Urteilsgründe ) schon in Anbetracht der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit, dessen hierdurch eingetretener Enthemmung und des durch einen vergleichsweise nichtigen Anlass ausgelösten Gewaltexzesses gegenüber dem Geschädigten nahe.
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- Soweit das Landgericht ausführt, dass das Tatgeschehen „nur“ bzw. „vor allem“ Ausdruck und Folge des Geltungsdrangs des Angeklagten sei, was sich vor allem darin zeige, dass der Angeklagte die bei den Taten verwendeten Waffen eingepackt habe, als er noch nüchtern gewesen sei und weder geplant noch damit gerechnet habe, diese später gegen eine andere Person einzusetzen , lässt sich hiermit ein symptomatischer Zusammenhang nicht verneinen.
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- c) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dabei wird das Landgericht insbesondere in den Blick zu nehmen haben, welchen Einfluss gerade die Alkoholisierung des Angeklagten auf die am 31. Oktober 2017 begangenen Gewalttaten gehabt hat.
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- 2. Bereits wegen des sich aus § 5 Abs. 3 JGG ergebenden sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben (BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2018 – 1 StR 261/18, juris Rn. 12; vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 314/15, StV 2016, 734 f. und vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14, juris Rn. 4).
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- Die diesbezüglichen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatgericht auf einer widerspruchsfreien Tatsachengrundlage eine in sich stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen. Das Landgericht hat damit auch Gelegenheit, sich mit der Frage des Vorliegens einer alkoholbedingt verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten am 31. Oktober 2017 nochmals vertieft auseinander zu setzen. Hierzu besteht im Hinblick auf die „Alkoholgewöhnung“ beim Angeklagten Anlass, weil der noch sehr junge Angeklagte erst etwa zehn Monate vor der Tat mit einem regelmäßigen , sich erst noch steigernden Alkoholkonsum begonnen hat. Auch das am Tatabend vom Angeklagten gezeigte Leistungsverhalten wird insoweit erneut in den Blick zu nehmen sein. Dass der Angeklagte die Taten am 31. Oktober 2017 im Zustand aufgehobener Schuldfähigkeit begangen haben könnte, schließt der Senat allerdings in Anbetracht der festgestellten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit einerseits und des Leistungsverhaltens des Angeklagten bei Begehung der Taten im Fall gemäß Ziffer 1 der Urteilsgründe andererseits aus.
Hohoff Pernice
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.
(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.
(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.
(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.